Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Etwa vier Stunden später hielt Klaus Kyburg mit seiner reisigen Schar vor den Toren des Klösterleins Beuditz. Sein Plan war gefaßt: Er mußte mit Gertrudis eine geheime Unterredung unter vier Augen herbeiführen, koste es, was es wolle – mit List oder mit Gewalt.

Zuvörderst verlangte er, zu Frau Sieglinde geführt zu werden. Die Domina empfing den stattlichen Mann mit zugleich wohlgefälligen und scheuen Blicken. Er war ja einer von denen, die mehr konnten, als Brotessen, der Inhaber einer geheimnisvollen schwarzen Kunst. Solche Leute waren in ihren Augen immer ziemlich verdächtige Christen. Mochten sie auch das Kreuz schlagen, Pater noster und Ave Maria beten und zur Messe gehen, so konnte man doch niemals wissen, ob sie nicht insgeheim mit dem bösen Feinde im Bunde standen. Daher gruselte es die abergläubische Frau ein wenig, als sie Nicolaus Kyburg in ihrem Gemache so nahe vor sich stehen sah. Aber höflich, sogar mit einem freundlichen Lächeln fragte sie nach seinem Begehr.

»Ich habe eine geheime Botschaft meines Herrn an seine Tochter,« gab er zur Antwort.

Die Äbtissin horchte hoch auf. »Eine geheime Botschaft? Ei, sieh da! Nun, so geheim wird sie wohl nicht sein, daß es mir nicht vergönnt sein dürfte, sie mit anzuhören.«

»Des muß ich mich weigern!« erklärte Kyburg fest und bestimmt. »Ich führe die Befehle meines Herrn so aus, wie sie mir aufgetragen sind. Herr Kurtefrund hat mir geboten, seiner Tochter allein einen Brief vorzulesen. Also lese ich ihn der edlen Jungfrau allein vor, oder ich reite zur Stunde mit dem Briefe wieder ab.«

Frau Sieglinde war durch diese Worte und noch mehr durch den Ton, in dem sie gesprochen wurden, nicht wenig verstimmt. Ein Dienstmann ihres Bruders hatte nicht so zu ihr, der gebietenden Äbtissin, zu reden. Aber sie hatte die Empfindung, daß mit diesem Manne nicht gut Kirschenessen sei; auch wollte sie nicht von ihrem Bruder um ihrer Neugier willen gehöhnt und wohl gar angefahren werden. Überdies wußte sie ja, daß sie doch alles erfahren werde, was er mit ihrer Nichte sprach. Daher versuchte sie auch jetzt noch, ihren Mund zu einem Lächeln zu verziehen, während ihre Augen im Ärger grünlich schimmerten, und entgegnete mit erkünstelter Gelassenheit: »Wenn's meines Bruders Wille ist, warum nicht? Neugier liegt mir ganz fern. Harret hier! Ich werde meine Nichte zu Euch senden.«

Damit rauschte sie mit einem hoheitsvollen Neigen des Hauptes zur Tür hinaus. Nicolaus Kyburg blieb allein zurück und mußte ziemlich lange warten. Wäre er in einer gleichgültigen Angelegenheit hier gewesen, so hätte er gewiß das Gemach genau betrachtet und sich verwundert und ergötzt über die schwellenden Sessel, die bunten Tapeten, die kostbaren Teppiche, womit die der Welt abgestorbenen Jungfrauen ihre Zimmer schmückten. Aber er war viel zu erregt, als daß er von dem allen irgend etwas wahrgenommen hätte. Nur ein großes Heiligenbild, das in diese prunkvolle Umgebung gar nicht paßte, fiel ihm ins Auge. Es war ein großes Konterfei der himmlischen Jungfrau. Sieben kleine eiserne Schwerter waren in ihre Brust gebohrt, und das Antlitz der Gottesmutter, das gar nicht ungeschickt ausgeführt war, zeigte den Ausdruck entsetzlichen Leidens.

»Mutter der Schmerzen, gebenedeiete, stehe mir bei!« stieß Kyburg hervor und faltete die Hände. Er wollte noch ein Gelübde hinzufügen, aber da hörte er Tritte auf dem Korridor und brach ab. Das Herz schlug ihm bis in den Hals hinauf, und es flimmerte ihm vor den Augen.

Gertrudis trat ein. Ihre Tante hatte ihr nicht gesagt, wer auf sie wartete. Sie schrie bei seinem Anblicke unwillkürlich leise auf, und während sie hastig eingetreten war, blieb sie nun wie angewurzelt stehen. Auf ihrem Antlitz wechselte Purpurrot mit der tiefsten Blässe. Die Augen hielt sie zu Boden gesenkt, die Türklinke hatte sie noch in der Hand, als ob sie wieder von dannen fliehen wollte.

Der junge Mann hatte sich auf seinem Ritte hierher viele schöne und kluge Worte zurechtgelegt, die er zu ihr reden, wodurch er sie für sich gewinnen wollte. Aber sie alle waren vergessen, als er sie so vor sich stehen sah. Auch ein unerfahrener Tor hätte ja merken müssen, wie es um sie stand. Sie hatte in ihrem Leben nie gelernt, etwas zu verheimlichen und zu verbergen. So konnte sie auch die Liebe nicht verbergen, die so heiß und jäh in ihrem Herzen aufgeloht war.

Eine ungeheure Kühnheit, ein Rausch kam über ihn. Er schwankte auf sie zu – keine Worte – nur ein Stammeln – »Gertrudis!« und er hatte sie in seine Arme gerissen und sie hatte sich an seine Brust geworfen, aufschluchzend in wilder Leidenschaft, und dann einten sich ihre Lippen immer und immer wieder in glühenden Küssen.

Mit einem Male löste sie sich aus seinen Armen und trat von ihm zurück. Mit irrem Blicke starrte sie ihm aus totenbleichem Antlitz ins Gesicht, dann sank sie auf eine Bank nieder und verhüllte ihre Augen mit beiden Händen.

»Ich Unglückselige!« stöhnte sie. »Nun bleibt mir nur noch der Schleier!«

«Gertrudis!« rief er bestürzt, »was soll das? Um aller Heiligen willen, was ficht dich an?« Mit sanfter Gewalt zog er ihr die Hände vom Gesicht hinweg.

Sie sah mit qualvollen Blicken zu ihm empor. »Ja, der Schleier!« wiederholte sie. »Denn was soll sonst aus mir werden? Soll ich heimlich dein Liebchen sein auf der Burg, wo du meines Vaters Dienstmann bist? Oder meinst du, mein Vater gäbe mich dir zum Weibe? Oder soll ich mit dem landfahrenden Ritter ziehen, bei Nacht entfliehen, wandern, so weit der Wind fliegt und der Himmel blau ist? Wie vermöcht' ich das! Aber wollt' ich's auch, so wär' ich dir nur eine Kette, die dich hemmte. Nein – nur der Schleier frommt mir!«

Sie war in die Knie gesunken und legte nun die Stirn auf einen Sessel, indem ein tränenloses Schluchzen ihren Körper erschütterte.

Noch eine andre lag auf ihren Knien – Frau Sieglinde. Sie hatte vom Nebenzimmer aus alles mit angehört und angesehen, denn das Bild der Gottesmutter war in die Wand eingelassen, hinter ihm befand sich ein Hohlraum, in den man von der anderen Seite, wenn man einen Schrank öffnete, den Kopf bequem hineinstecken konnte. Durch einen Spalt im Rahmen des Bildes vermochte man von da das ganze Zimmer zu übersehen und jedes Wort zu vernehmen, das dort gesprochen wurde. Die fromme Mutter Irmingard, Frau Sieglindes zweite Vorgängerin, hatte das Kunstwerk anlegen lassen, und die jeweilige Domina erfuhr dadurch manches, was sie sonst nimmer erfahren hätte zur Stillung ihrer Wißbegierde und zum Nutzen des Klosters. Keine hatte so oft hier gelauscht wie Frau Sieglinde, denn sie war hervorragend neugierig, und nicht zu wissen, was ihre Umgebung dachte und tat, war ihr unerträglich. Häufig schon hatte sie Schwestern oder Gäste des Klosters in ihrem Zimmer unter irgendeinem Vorwande längere Zeit allein gelassen, um vom Nebenraum, ihrem Schlafgemache, aus zu hören, was sie miteinander sprachen, und manches, was sie da vernommen, hatte sie schwer geärgert und entrüstet. Niemals aber hatte sie etwas so erschüttert, ja so vollkommen fassungslos gemacht wie das, was jetzt ihre entsetzten Augen sehen und ihre Ohren hören mußten. Mit Mühe hatte sie einen lauten Aufschrei unterdrückt, aber ihre zitternden Knie trugen sie nicht mehr, sie war an der Wand niedergeglitten, und es war ihr im Augenblick zweifelhaft, ob sie etwas Wirkliches gesehen habe oder einen Spuk. Das war also ihre Nichte Gertrudis, die man die stolzeste Jungfrau des Saaltales nannte? Dem fremden Abenteurer warf sie sich an den Hals? Unglaublich! Unfaßbar! Was sollte daraus werden, wenn das ihr Bruder erfuhr? Sie wagte gar nicht, daran zu denken.

Ihr erster Gedanke war der, hinüberzueilen und sich zwischen die Beiden zu stellen. Aber nein, das konnte ja immer noch geschehen. Erst wollte sie hören und sehen, was weiter sich ereignen würde. Die Ehrvergessene schien ja schon Angst und Reue zu empfinden.

Vorsichtig näherte sie sich wieder der Öffnung und blickte hinüber. Da sah sie, wie der Mensch sich zu der Knienden herniederbeugte und ihre Rechte in seine Hände nahm. »Gertrudis,« sagte er sanft, »du irrst. Von heute ab bin ich kein armer, fahrender Ritter mehr, ich bin reich, denn ich habe erreicht, was ich erreichen wollte.«

Die Jungfrau hob jäh das Haupt und sah mit ungläubigem Staunen zu ihm empor. »Du hättest – ist's wahr – du hättest Gold hergestellt?« stammelte sie.

»Was ich gefunden und hergestellt habe, sollst du morgen sehen,« erwiderte er ernst. »Sei sicher: Leg' ich's in die Hände deines Vaters, verwend' ich's zu seinem Nutzen, so wird er Naumburgs Herr, das dem Ritterverbündnis ja ohnehin im Felde nicht widerstehen kann, aber auf seine festen Mauern trotzt. Habe Vertrauen zu mir, Gertrudis! Nie hätte ich dir zugemutet, eines fahrenden Mannes Weib zu werden. Aber ich denke, von jetzt ab bin ich kein Fahrender mehr. – Bei meiner Ehre, es ist so, Gertrudis, ich rede die Wahrheit!«

Die Jungfrau sprang empor, und ihre Augen blitzten. »Ja, ich will dir vertrauen und glauben!« rief sie, und wieder schlang sie die Arme um seinen Nacken und barg ihr Haupt an seiner Brust.

Er hielt sie mit stolzem Lächeln fest. »Und du hast keinen lieb als den, der arm auf deines Vaters Burg kam?«

«Keinen, nur dich!«

»Und du würdest keinem andern folgen als sein Weib, wenn dein Vater vielleicht einen Eidam gewählt hätte?«

»Ich gehorche meinem Vater, wo ich darf. Verschenken lasse ich mich nimmermehr. Wollte mein Vater mich zu einer Heirat zwingen, so spränge ich eher den Fels hinab. Das weiß er gar wohl!«

Kyburg preßte sie stürmisch an sich. »So wisse denn, Liebste, einer hat um dich geworben, ein reicher und mächtiger Graf, der von Kevernburg.«

Gertrudis nahm die Botschaft mit dem größten Gleichmute auf und hob nicht einmal das Haupt. »Der junge Günther? Der arme Narr!« sagte sie. »Er hatte wohl schon im vorigen Jahr die Absicht, mich zu freien, aber er traute sich nicht an mich heran.«

Die Domina knirschte in ihrem Verstecke mit den Zähnen und zischte dann leise: »Unglaublich! Das Mädchen ist wahnsinnig! Ach, niemand ist dümmer und blinder, als ein verliebtes junges Weib!«

Von jetzt an vernahm sie nichts mehr, denn das Paar begann zu kosen und eifrig miteinander zu flüstern.

Sie mochte das nicht lange mit ansehen und schloß hastig den Schrank. Dann stieß sie den Riegel vor ihre Tür und warf sich auf ihr Bett. Die Gedanken kreisten ihr wirr durch den Kopf. An ihrem Herzen fraß der Ärger über ihrer Nichte unaussprechliche Torheit. Zugleich erfaßte sie eine quälende Angst, denn sie kannte den hochfahrenden Stolz und den unzähmbaren Jähzorn ihres Bruders. Auch ein wenig Neid mengte sich in diese Gefühle, wenn sie sich das auch freilich nimmermehr gestanden hätte.

Nun, noch war nicht aller Tage Abend. Noch war der freche Landfahrer nicht am Ziel, noch konnte das törichte, ehrvergessene Mädchen ihm entrissen werden. O, diese Gertrudis! Häuser hätte sie gebaut auf die keusche Sprödigkeit dieses Mädchens. Wie konnte es nur geschehen, daß sie dem Fremden verfiel? Ja, wie konnte das geschehen!

Sie fuhr plötzlich auf, denn es kam über sie wie eine Erleuchtung. Der Mensch war ja ein Schwarzkünstler, wer weiß, welch' bösen Zaubers er mächtig war. Gewiß hatte er einen Liebestrank gebraut und es fertig gebracht, ihr ein paar Tropfen davon mit List beizubringen. Ja, so war es jedenfalls zugegangen, und damit war auch Gertrudis entschuldigt, denn der höllischen Kraft eines Teufelstrankes konnte nun einmal kein Weib widerstehen und wäre ihr Herz fest und rein wie ein Diamant. Aber dann war es auch wahrscheinlich, daß er das Schlimmste mit der Jungfrau vorhatte, die seinem Zauber gegenüber wehrlos war.

Sie sprang von dem Bett auf, öffnete den Schrank und spähte wieder hinüber. Da stand er allein, das Antlitz halb von ihr abgewendet, aber sie konnte doch das strahlende Leuchten in seinen Augen erkennen.

Ein schrecklicher Grimm gegen ihn überkam sie. Hätte sie es vermocht, so hätte sie ihn auf der Stelle getötet, und wenn er durch ihres Bruders Zorn sein Leben verlor, so geschah ihm nach ihrer Meinung nur sein Recht. Aber Gertrudis mußte geschont, die ganze Sache möglichst in der Stille erledigt werden. Und siehe – da kam ihr die zweite Erleuchtung. Sie wollte die ganze Angelegenheit dem alten Hogeniste in die Hand legen. Der war klüger und unendlich erfahrener als sie und vermochte etwas über ihren Bruder. Gleich morgen in der Frühe wollte sie nach Pforte reiten, denn hier tat Eile not. Wahrscheinlich hatte der Mensch auch noch einen großen Betrug vor. Der vorige Goldmacher auf der Rudelsburg hatte dem Schloßherrn viel Geld abgenommen und hatte versucht, damit das Weite zu gewinnen. Der hier würde wohl noch schlauer zu Werke gehen, sich die Hilfe der Tochter sichern, das arme Mädchen durch seine Teufelskunst zwingen, mit ihm die Burg zu verlassen, und die Jungfrau, die des Grafen von Kevernburg eheliches Gemahl werden sollte, starb vielleicht elend und verlassen irgendwo hinter dem Zaun. Mochte doch diesen Menschen das Schicksal seines Vorgängers ereilen!

Nikolaus Kyburg hatte keine Ahnung, daß da wenige Schritte von ihm zwei Frauenaugen in tödlichem Haß auf ihn gerichtet waren. Ihm war zumute, wie noch nie in seinem Leben. Verträumt, versonnen stand er da, ein Lächeln umspielte seinen Mund, er hätte singen und jauchzen können vor Glück und Wonne. So wartete er, bis die Geliebte zurückkehrte, zur Fahrt gerüstet und von zwei Mägden geleitet.

»Wo ist meine Tante?« fragte Gertrudis draußen im Korridor die Schaffnerin des Hauses.

»War sie nicht bei Euch in ihrem Gemach? Nicht? Nun, so will ich sie suchen, sie wird droben sein im Obergeschoß,« gab das flinke, rundliche Weiblein zur Antwort und huschte hurtig die Treppen hinauf.

Inzwischen traten die beiden vor die Tür, und Kyburg befahl den Knechten, ihre Rosse zu besteigen. Das geschah, und eine längere Weile verstrich noch, aber von Frau Sieglinde war nichts zu sehen. Endlich kam die Schaffnerin herbei gerannt und meldete: »Die Frau Domina ist unpaß. Sie läßt sich entschuldigen und gute Reise wünschen.«

»Wie?« rief Gertrudis, »sie ist krank geworden? Dann will ich sogleich zu ihr.«

»Sie hat bestimmt gesagt, daß niemand zu ihr könne, und hat sich eingeriegelt.«

Gertrudis schaute betroffen ihren Begleiter an. Ihr Blick fragte: »Kann sie wohl etwas gemerkt haben?« Er schüttelte mit einem kurzen Lächeln den Kopf und sagte laut: »Edle Jungfrau, wir müssen reiten, denn die Sonne sinkt, und in zwei Stunden ist es dunkle Nacht.«

»Wahrhaftig!« rief Gertrudis. »Nun, so melde meiner Tante Gruß und Dank. Bald komme ich wieder einmal herüber.«

Darauf ließ sie sich von Kyburg in den Sattel heben, und an der Spitze ihres reisigen Zuges ritten die beiden aus dem Klostertore, in das glühende Abendrot hinein – wie sie wähnten, ihrem nahen Glücke entgegen.


 << zurück weiter >>