Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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VIII.

Früher, als ihn jemand erwartet hatte, kehrte Werner Kurtefrund in seine Burg zurück. Als er über die Brücke der Vorburg ritt, spähte Kyburg vom Fenster seines Turmgemaches herab nach den Mienen des Herrn und erkannte, daß sein Antlitz in tiefe Nacht getaucht war. Die Unterredung mit dem Schenken mußte also wohl einen unerfreulichen Verlauf genommen haben, und daheim, das wußte Kyburg, wartete etwas auf ihn, wodurch sein Gemüt nicht gerade heiterer gestimmt werden würde. Ein Ritter des Naumburger Bischofs war vor wenigen Stunden vor der Burg erschienen, hatte am Tore einen Brief an den Schloßherrn abgegeben und war, ohne auch nur den Hof zu betreten, wieder abgeritten. Nicht einmal den gewöhnlichen Willkommentrunk hatte er sich kredenzen lassen. Daraus schloß Kyburg, daß das neuerwählte geistliche Haupt von Naumburg über Herrn Kurtefrund schwer erzürnt sein müsse.

Darüber sollte er bald volle Klarheit erhalten, denn kaum zehn Minuten später wurde er durch einen Knecht zu dem Burgherrn entboten. Werner Kurtefrund hatte bereits den Harnisch mit einem bequemen Hausgewande vertauscht. Er saß hinter einem breiten Tische aus Eichenholz, vor ihm lag das noch unerbrochene Schreiben des Bischofs, daneben stand ein riesiger Silberbechsr, noch zur Hälfte gefüllt mit rotem Weine.

»Kommt her! Ihr sollt mir die Krähenfüße des lustigen Johann von Miltitz deuten, den die Naumburger Pfaffen zu ihrem Herrn gewählt haben!« rief Kurtefrund laut und warf dem Eintretenden den bischöflichen Brief über den Tisch zu. Seine Augen flackerten dabei unruhig, und sein Lachen klang gezwungen, auch war sein Gesicht ungewöhnlich gerötet. Das brauchte freilich nicht eine Folge der inneren Aufregung zu sein, es konnte auch von dem scharfen Trunke herrühren, den er sogleich nach dem langen und heißen Ritte getan hatte.

Kyburg erbrach das Siegel und überflog das Schreiben. Es bestand nur aus wenigen Zeilen und war offenbar vom neuen Bischof eigenhändig geschrieben.

»Nun? Was ist's?« drängte Kurtefrund. »In des Henkers Namen – was enthält der hochwürdige Wisch? Vermahnt mich der Pfaff mit glatten Worten, oder will er mir absagen?«

»Herr,« erwiderte Kyburg, »unwillkommene böse Zeitung! Lasset sie mich nicht entgelten, ich künde sie Euch ungern genug« – –

»Zum Donnerwetter!« unterbrach ihn der Ritter, »lasset das lange Vorgefasel unterwegs und saget mir, was in dem Wische steht! Lest ihn vor!«

Kyburg zuckte die Achseln. »Das würde Euch wenig nützen, Herr. Er ist lateinisch abgefaßt.«

Kurtefrund glotzte ihn an, als sehe er ein Wunder. »Ist der Pfaffe verrückt geworden? Lateinisch an mich?«

»Ach, das ist wohl zu begreifen,« sagte Kyburg nachdenklich. »Der Bischof hat gemeint, Ihr würdet den Brief öffnen und lesen lassen durch Pater Conrad, der in Eurer Burg die Messe liest und die Heiligtümer verwaltet. Denn er lautet zu deutsch: ›Pater Conrad melde dem Herr Werner Kurtefrund, Unserem geliebten Sohn in Jesu Christo, daß Wir voller Betrübnis sind über die Gefangennahme des jungen Dietrich von Merkwitz, die wider alles Recht geschehen ist, und daß Wir den Herrn Kurtefrund vermahnen, den beklagenswerten Jüngling sogleich seiner Bande zu entledigen und heimzusenden. Sollte er sich dessen weigern, so wird morgen am Tage des heiligen Augustinus des Mittags in der zwölften Stunde die Exkommunikation über ihn ausgesprochen werden und ebenso über alle, die ihm dann noch anhangen, und Pater Conrad selbst hat sich von der Rudelsburg auf der Stelle hinwegzuheben.‹ – Ein Ort der Abfassung ist nicht angegeben, ein Datum fehlt ebenso, die Unterschrift ist: Johannes, erwählter Bischof von Naumburg.«

»Teufel!« schrie Kurtefrund aufspringend, und seine Augen lohten vor Zorn, »der fängt ja sein Regiment gut an! Dieser Buhler und Weiberjäger, dieser Spieler und Zecher, den sie da auf den Stuhl des alten Witticho gesetzt haben! Den haben die Pfaffen von Naumburg sich zum Herrn erwählt, auf daß sie gute Zeiten hätten unter ihm! Wie käme sonst der Lump zur Bischofsmütze, der Lump, der in Schulden steckt bis über die Ohren! Aber dahinter stecken auch wieder die Krämer von Naumburg! Denen kann der windige Bursche gerade recht sein. Dem geben sie ein paar hundert Gulden, und da schreibt er, was sie wollen. Aber nun gerade tue ich ihren Willen nicht! Auf der Stelle schreibt Ihr dem Pfaffen, er solle sich nicht täuschen. Er solle dem Merkwitz raten, bis morgen abend zu zahlen, sonst – bei Sankt Elisabethen, könne er die Knochen seines Söhnleins da unten auflesen. Sofort schreibt Ihr das!«

Wütend rannte der Ritter, während er die Worte mit rauher Stimme hervorstieß, in dem Gemache auf und nieder. Kyburg hatte mehrmals Mühe, dem vor Grimm fast Sinnlosen auszuweichen. Seine persönliche Zuneigung zu dem Herrn, dem er sich angelobt hatte, war in den letzten Tagen nicht gerade gewachsen, und der Anblick, den jetzt der Zornrasende bot, war ihm geradezu widerwärtig. Ihn selbst brachte höchstens ein Angriff auf seine ritterliche Ehre dazu, daß er im Zorn aufbrauste; sonst hatte ihn das Leben gelehrt, sein heißes Blut zu dämpfen und seine Leidenschaft zu zügeln.

»Ich gehe, das Instrument zu holen,« sagte er kühl.

»Gut, beeilt Euch!« rief Kurtefrund, warf sich wieder in seinen Sessel und stürzte den Wein hinab, als wäre er Wasser. »Sie können mir wohl drohen, die Pfaffen und Krämer!« knurrte er, »aber sie müssen mir den Willen tun. Gelobt sei Gott, daß ich den Stadtbuben in meinem Turme habe!«

»Du hast ihn zur Stunde nicht mehr, Vater!« klang es von der Tür her. Kyburg fuhr herum. Gertrudis stand dort, schneebleich im ganzen Gesicht, aber hoch aufgerichtet und mit furchtlosen Blicken ihrem Vater ins Antlitz starrend.

»Ich habe die Wächter entfernt,« fuhr sie fort, »sie gehorchten mir, denn sie hatten kein Arg, da ich es ihnen am hellen lichten Tage befahl. Ich habe den Gefangenen aus dem Turm gelassen, ich habe ihm mit einer Strickleiter über die Mauer geholfen, er lief der Saaleck zu und ist jetzt frei.« Sie hielt einen Augenblick inne und sank dann auf die Knie. »Ich habe gegen deinen Willen gehandelt, ich habe Untreue an dir geübt, aber ich tat's für die Rettung deiner Seele, um dich zu bewahren vor erschrecklicher Sünde. Nun richte mich, Vater!«

Einen Augenblick war es totenstill in dem Gemache. Kurtefrund lag in seinen Stuhl zurückgelehnt, als wäre das Leben aus ihm entflohen. Aber mit Entsetzen sah Kyburg, wie sich allmählich seine Züge verzerrten, wie ein furchtbarer Ausdruck in sein Antlitz trat, wie der Jähzorn in den Augen des Halbtrunkenen aufglühte, wie er mit einem Schrei aufsprang und das gewaltige Trinkgefäß mit beiden Händen emporhob, um es auf das Haupt der Knienden herabzuschmettern.

In demselben Augenblicke umkrallten Kyburgs Fäuste seine Handgelenke mit so eisernem Drucke, daß der Becher seinen Fingern entglitt und klirrend auf den Tisch rollte.

»Herr!« schrie der junge Ritter, »wollt Ihr Euer eigenes Blut morden? – Denkt an Gottes Gericht! Kommt zu Euch, Herr!«

Kurtefrund stierte ihn an, als wollte er sich auf ihn stürzen. Aber mit einem Male sanken seine Arme schlaff herab, über das eben noch gerötete Gesicht breitete sich eine fahle Blässe, und er sank schwer zurück mit dem Haupte gegen die Kante des Lehnstuhles.

»Um aller Heiligen willen, er stirbt!« schrie Gertrudis und sprang empor.

»Nein, lauft, holt den Bader, der soll ihm zur Ader lassen. Er hat wohl einen Schlag!« rief Kyburg.

Mit schnellen Schritten eilte die Jungfrau aus dem Gemache. Aber Ritter Kurtefrund hatte keinen Schlaganfall erlitten, nur eine kurze Ohnmacht hatte seine Sinne umfangen. Kaum war der Schritt ihrer Füße auf der Treppe verklungen, so hob er das Haupt, schlug die Augen auf und blickte wie suchend um sich. Es war, als ob er aus einem wirren Traum erwache und das Bewußtsein ihm nur langsam zurückkehre.

Plötzlich fuhr er mit einem Rucke auf und sah Kyburg an. Nichts mehr von Zorn oder Grimm lag in seinem Blicke, vielmehr Gram und Traurigkeit und tiefe Beschämung. Er stand langsam und mit Mühe auf und kam mit unsicheren Schritten auf ihn zu. Sein Antlitz hielt er halb abgewendet, und stoßweise kamen die Worte zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor: »Ich unterliege dem Jähzorn – von Kindheit an – kann mich nicht zähmen – jetzt eben auch nicht. – Ihr habt mich vor einer Tat bewahrt, die mir Gott nicht hätte vergeben können. Ich danke Euch. Von jetzt an seid Ihr mir mehr als die anderen meiner Mannen.«

»Herr,« entgegnete Kyburg, vor Überraschung und Erschütterung beinahe fassungslos, »verzeiht auch Eurer Tochter. Auch sie hat Euer Bestes gewollt.«

»Meine Tochter«, sprach Kurtefrund düster, »soll sogleich nach Beuditz reiten zu meiner Schwester, der Äbtissin. Dort soll sie bleiben die nächste Zeit. Jetzt will ich sie nicht sehen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr sie hinübergeleiten mit zehn Knechten.«

»Ich eile, Euer Gebot zu erfüllen,« rief Kyburg und wandte sich der Tür zu. Aber ein kurzer Ruf bannte seinen Fuß auf der Schwelle. »An diese Stunde rührt niemals wieder!« sagte Kurtefrund dumpf und hob warnend die Rechte.

»Das gelobe ich Euch, Herr!« entgegnete Kyburg. Im Hinausschreiten gewahrte er noch, wie sich der Ritter mit gefalteten Händen vor dem Reliquienschrein in der Ecke niederwarf.

Drunten kam ihm Gertrudis jammernd entgegen. »Der Mensch ist nirgends aufzufinden und droben – wie ist's mit dem Vater?«

»Seid ruhig, er ist wieder bei sich. Aber er will Euch nicht sehen. Ich soll Euch mit einem Fähnlein zu Eurer Tante nach Beuditz geleiten.«

Gertrudis sah ihn hocherstaunt an. »Euer Vater hatte eine Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam, reute ihn sein Jähzorn. Ich glaube, edle Jungfrau, er ist heimlich froh, daß Ihr ihm unmöglich gemacht habt, seinen Eid zu halten. Aber laßt ihm Zeit! Es wird das beste sein, wenn Ihr einige Wochen fern von ihm seid.«

Gertrudis neigte das Haupt. »Es wird das beste sein. – Und Ihr sollt mich geleiten? Warum gerade Ihr?«

»Er wollte mir wohl dadurch danken dafür, daß ich ihn vor der schweren Tat bewahrte. Er konnte mir auch nicht besser danken, als durch das hohe Vertrauen, das er mir damit beweist!«

»Und auch ich danke Euch!« rief die Jungfrau, und ein warmer Blick aus ihren leuchtenden Augen fiel auf sein Antlitz. »Ich danke Euch für ihn und mich. – Ich habe Euch das Leben gerettet, Ihr wolltet mir nichts schuldig bleiben. Heute sind wir quitt geworden,« setzte sie leise hinzu.

»Ich bleibe in Ewigkeit in Eurer Schuld und gebe gern mein Blut und Leben für Euch hin,« sagte Kyburg und faßte ihre Hand.

Sie zuckte erst unwillkürlich, als wollte sie die Hand zurückziehen, ließ sie aber dann eine kleine Weile in seiner harten, sehnigen Faust ruhen. Dabei stieg eine immer tiefere Röte in ihr Antlitz, und sie senkte die Wimpern auf die brennenden Wangen. So standen sie ein paar Augenblicke – dem jungen Manne schienen sie die schönsten seines bisherigen Lebens zu sein.

»Ich will mich rüsten,« sagte sie dann hastig, löste ihre Hand aus der seinen, und ohne noch einmal den Blick zu ihm zu erheben, eilte sie wie gehetzt von dannen.


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