Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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I.

In seinem kleinen Gemache neben dem großen Bankettsaale der Innenburg saß Werner Kurtefrund mit seinem Bruder und dem einäugigen Ohm aus Neidschütz in lebhaftem Gespräch. Es war eine späte Abendstunde, aber die Fenster waren weit geöffnet, denn ein warmer Luftzug drang herein.

Der Neidschützer hob den Becher empor. »Ich bring's euch, Neffen!« sagte er und ließ den goldenen Trank durch seine Kehle gleiten. Dann stieß er das schwere Silbergefäß hart auf den Tisch. »Das war ein böser, böser Winter, der hinter uns liegt, möchte nimmer wieder einen solchen erleben. Fünf Monde sind's, daß ich zum letzten Male hier bei euch war. Wir waren ja durch die verfluchte Pest auf unsern Schlössern wie belagert, wollte und konnte keiner zum andern. Es war eine vermaledeite Zeit.«

»Ja, und wir können noch von großem Glücke sagen,« erwiderte Werner Kurtefrund. »Ringsum raste der Tod in allen Städten und Dörfern und auch auf vielen Burgen. Aber bei dir und uns ist kein Mensch gestorben.«

»Auf dem Schlosse bei mir nicht, aber im Dorfe um so mehr. Es mag fast die Hälfte sein,« antwortete der Neidschützer.

»Woran denn nicht allzuviel gelegen ist,« sagte Heinz Kurtefrund. »In unsern Dörfern sieht es übrigens auch schlimm aus. Aber das Volk vermehrt sich ja wie die Hasen, da werden die Lücken bald ausgefüllt sein. Wären nur lieber in den Städten mehr vom Teufel geholt worden! Das käm' uns recht zu passe!«

»Donnerwetter!« schrie der Oheim, »bist du noch nicht zufrieden? In Naumburg sollen an die sechshundert Heringskrämer ins Gras gebissen haben!«

»Was will das besagen!« murmelte der jüngere Kurtefrund. »Das waren zu zwei Dritteln Weiber und Kinder. Und Männer sind in der Stadt noch genug und übergenug! Und keiner von unseren besonderen Feinden ist dahin. Vor allem lebt der verdammte Merkwitz noch. Sein schönes Weib soll die erste gewesen sein, die in die Grube fuhr.«

»Da kann er sich nur segnen, denn nun setzt sie ihm keine Hörner mehr auf!« warf der Neidschützer grimmig lachend ein.

»Auch einen seiner Söhne hat er begraben,« fuhr Heinz Kurtefrund erbost fort, »aber er selber, der alte Kerl, ist durch die böse Zeit hindurchgegangen, frisch und gesund wie ein Fisch im Wasser. Und seit Mariä Reinigung ist er wieder Bürgermeister, und während noch seine Stadt voller Leichen lag, hat er wider uns gehetzt und geschürt und gerüstet und geworben, daß es eine Art hatte. Hätte doch der Teufel den Kerl geholt! Ich wollt' dafür meinem Schutzpatron eine Kapelle stiften!«

Werner Kurtefrund saß mit gekreuzten Armen da und blickte seinen Bruder spöttisch und verwundert an. »Das sieht ja gerade aus, als ob du dich vor dem alten Waidbauern fürchtetest?«

»Zum Henker!« brauste der Jüngere auf. »Jedesmal, wenn man ruhig und vernünftig redet und nicht auf den Tisch pocht und das Maul voll große Worte nimmt, heißt's bei dir: Du fürchtest dich, du hast Angst! Aber sage doch einmal: Wem verdanken wir das hier?« Er wies auf einen Haufen gesiegelter Schriftstücke, die zwischen den Kerzen und Krügen und Bechern verstreut auf dem Tische lagen. »Wem verdanken wir alle diese Absagen, die uns heute Mittag in die Burg geflogen sind? Da sagt uns der Bischof ab und die von Mühlhausen und die von Erfurt, und sogar die Salzsieder von Halle wollen unsere Feinde sein und ihre Ehre an uns bewahret haben! Glaubst du, der Städtebund wäre gegen uns zustande gekommen ohne diesen alten Schuft? Höchstens die Mühlhäuser wären den Naumburgern zugezogen, denn die stecken ihre Nasen in jede Fehde und helfen jeder Stadt in Thüringen, die von Rittern und Herren bedrängt wird. Alle andern hat der Merkwitz angestiftet. Er hat's dahin gebracht, daß wir gegen fünf Feinde fechten, statt gegen einen.«

»Ich wundere mich,« entgegnete Werner Kurtefrund, »daß du so überflüssiges Zeug redest. Fechten wir denn gegen fünf? Nein. Denn ehe der Zuzug von allen den Städten herein ist, sind wir in der Stadt.«

»Noch sind wir nicht darin,« versetzte Heinz Kurtefrund.

»Aber, zum Geier! Wir kommen hinein!« rief der Burgherr, mühsam seinen Ärger über den Widerspruch seines Bruders dämpfend. »Wir kommen hinein, der Anschlag kann kaum mißglücken. Schon heute sind fünf von unseren Leuten als Mönche und Bauern und Krämer verkleidet in die Stadt gelangt, morgen gehen noch sechs oder sieben hinein. Kühnegold, der Stadtschreiber, verbirgt sie in seinem Hause, es liegt nur hundert Schritte vom Jakobstor. Um zwei Uhr in der Nacht stehen wir vor der Stadt. Die Neidschützer sind heute schon bei uns eingetroffen, morgen Nachmittag stößt der Schenk zu uns mit mehr als vierhundert Mannen. Sieht Kühnegold von seinem Dachfenster aus ein Feuerlein auflohen im Torfe Grochlitz, so brechen unsere Leute gegen die Torwächter vor, schlagen sie tot und öffnen das Tor. Und dann« – er schlug sich dröhnend gegen seine breite Brust – »dann hört das Krämernest an der Saale auf zu bestehen! Kommen tags darauf die Erfurter und Mühlhäuser und die von Halle an, da können sie sich die Stätte begucken, wo Naumburg stand, und mit dem Brandgeruch in ihren Nasen sich heimwärts trollen.«

»Heil, Heil!« rief der Neidschützer Ohm und schwenkte von neuem den Becher. »Möge das Werk gelingen!«

Alle drei stießen an und stürzten den feurigen Wein zu gleicher Zeit herab. »Werden denn«, fragte der Oheim, »die Kevernburger auch sicher bei dem Schenken eintreffen?«

»Sie sind schon da,« erwiderte Werner. »Schon gestem abend sind sie in Tautenburg eingeritten!«

»Donnerwetter!« sagte der Neidschützer, »das sind doch noch Leute, auf die sich einer verlassen kann! Hätte es kaum gedacht, daß sie noch fest bei der Stange bleiben würden, nachdem deine Tochter dem jungen Grafen Günther den Laufpaß gegeben hat. Aber reden wir nicht davon,« setzte er hinzu, als er sah, wie seines ältesten Neffen Antlitz bei seinen Worten sich verdüsterte.

»Warum nicht?« entgegnete Werner. »Wir sitzen hier beisammen als die nächsten Schwertmagen, die letzten Rudelsburger, die es auf Erden gibt, außer meinem unmündigen Sohne, der, so Gott will, das Geschlecht fortpflanzen wird. Sollen wir Versteck spielen voreinander? Nein, ich will's Euch offen sagen, ich habe Unglück gehabt mit diesem Kinde!« Er holte tief Atem, und seine rauhe Stimme zitterte merklich, als er fortfuhr: «Sie war mein Stolz, schon als sie klein war, und immer stolzer wurde ich auf sie, als sie heranwuchs. Eine schönere und züchtigere Jungfrau gab es nicht im Thüringerland und im Osterlande, und an Geist und Kraft des Willens überragte sie weit alle anderen Weiber.«

»Wozu denn freilich nicht viel gehört,« brummte der Neidschützer dazwischen.

«Schon dacht' ich, sie sollt' eine Gräfin werden und unseres Hauses Glanz erhöhen, da wirft sie sich dem Schelm an den Hals, den der Teufel uns in den Weg geführt hat. Und als der Kerl dann fort ist und wir meinen, sie werde gesunden und ich fange an, wieder zu hoffen – da hört sie, daß der Mensch noch lebt und nicht tot ist, wie sie wähnt. Und von Stund' an ist sie so toll und verrückt wie vorher, und als der Günther genesen, erklärt sie ihm ins Gesicht, sie könne sein Weib nicht werden, und der arme Junge reitet betrübt nach Hause, obschon die Pest im Lande tobt.«

»Solches wundert keinen, der die Weiber kennt,« bemerkte der Oheim aus Neidschütz und tat einen tiefen Zug.

»Und sollte man's glauben,« sagte Heinz Kurtefrund, »der Narr ist noch immer nicht ohne Hoffnung. »Sie ist bezaubert,« erklärte er, als er abritt. »Kriegen wir den Kerl in unsere Hand und hängen ihn auf, so wird der Zauber schon zu Ende sein. Das hoff' ich bald zu erleben.«

»Und bei dem allen zweifelt er nicht an ihrer Tugend?« fragte der Neidschützer mit einem höhnischen Lächeln.

»Nein. Und auch ich zweifle nicht daran,« versetzte Werner Kurtefrund mit Nachdruck. »Sonst bliebe sie nimmer auf der Burg, ich steckte sie auf der Stelle ins Kloster!« Er seufzte tief auf. »Als eine Gefangene muß ich sie ja leider halten. Tät' ich das nicht, sie wäre längst entsprungen und zu dem Kerl nach Naumburg gelaufen.«

»Und auf daß an der Geschichte auch etwas zum Lachen sei,« sagte Heinz Kurtefrund, »so hat der Mensch uns einen Fehdebrief geschrieben. ›Ich, Klaus Kyburg, Ritter, Geschützmeister der Stadt Naumburg, sage Euch, Werner und Heinrich Kurtefrund auf der Rudelsburg, hiermit ab und will meine Ehre an Euch bewahret haben.‹ So lautet der Wisch.«

Der Neidschützer bog sich vor Lachen. »Nächstens sagen uns auch die Schusterjungen von Weißenfels ab,« schrie er, »oder die Bäckerzunft von Halle!«

Während er noch redete, hörte man Schritte auf der Treppe und eine harte Hand pochte gegen die Tür. »Wer ist da?« rief Kurtefrund der Ältere und ging selbst, zu öffnen.

Draußen stand der alte Kunemund und hinter ihm ein Mann in zerrissener Kleidung, naß, vor Kälte zitternd. Als den der Ritter erblickte, fuhr er zurück und erblich. »Du hier, Kühnegold? Was ist geschehen?«

»Alles verraten, Herr! Eure Leute gefangen und im Turm. Ich selber mußte fliehen, wurde verfolgt, mußte durch die Saale, bin um ein Haar ertrunken!«

Eine tiefe Stille entstand. Endlich sagte der Burgherr mit hohler, blecherner Stimme: »Also mit unserm Plan ist nichts. Wir müssen auf einen anderen sinnen. Kunemund, versorge den Mann. Gib ihm Essen und trockene Kleider.«

»Herr,« raunte der Naumburger ängstlich, »noch etwas! Eine böse Kunde. Die Halleschen sind heute in Naumburg eingezogen, dreihundert Mann. Auch die Domfreiheit wimmelt von bischöflichen Knechten. Sie denken, morgen kommen auch die von Mühlhausen und Erfurt. Dann wollen sie vor Eure Feste rücken.«

»Verflucht! Das könnte also schon übermorgen sein!« fuhr Kurtefrund auf. »Weißt du Näheres? Nicht? Dann gehe, es ist gut!«

Er entließ ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung. Dann wandte er sich jäh zu den beiden Rittern um. »Du, Ohm, mußt morgen mit deinen Leuten nach Neidschütz zurück, denn die Burg da ist sonst zu schwach verteidigt. Und wir müssen zum Schenken schicken noch diese Nacht. Er muß in Tautenburg oder Prießnitz bleiben, und wenn sie uns hier belagern, muß er sie nächtlich überfallen. Das muß genau verabredet werden. Hol' den Pfaffen aus dem Bett, er soll's aufschreiben. Dann geht ein Bote zum Schenken ab. Keiner zu Roß, die Saalecker könnten auf ihn passen. Irmler kann gehen, der schlaue, der kommt bei Nacht gewiß durch. Sputen wir uns!«

Bis gegen Mitternacht saß Werner Knutefrund mit dem Priester zusammen. Dann wurde der Bote abgefertigt und an einem Seile über die Mauer gelassen, denn er sollte abseits von Straßen und Wegen sich durch etwaige Posten der Feinde hindurchschleichen. Der Burgherr überwachte das selbst und sah, wie er in der Dunkelheit verschwand. Dann erst suchte er sein Lager auf.

Aber lange hielt er es nicht auf seinem Pfühle aus. Schon nach wenigen Stunden trieb ihn eine unerklärliche Unruhe empor. Er kleidete sich an und irrte nun, einem Geiste gleich, der keine Ruhe findet, in der ganzen Burg umher, von Zimmer zu Zimmer, von Bastion zu Bastion, bestieg alle Türme, wandelte alle Mauergänge entlang. So trieb er es die ganze Nacht hindurch. Als im Osten über der Höhe der erste Schimmer des Tages erschien, stand er auf dem hohen Bergfried und spähte nach allen Seiten hinaus in das dämmernde Land. Und siehe, dort, wo die Straße sich aus dem Dorfe Freiroda von der Hochebene herabwindet – regte sich da nicht etwas? Der Ritter blickte schärfer hin, und es schien ihm, als ob sich die Gestalt eines Mannes zu Roß vom bleigrauen Morgenhimmel abhöbe. Aber es war wohl doch eine Täuschung, denn er war mit einem Male wieder verschwunden. Werner Kurtefrund rieb sich unwillig die Augen und stieß einen Fluch aus. War es möglich, daß er Dinge sah, die nicht vorhanden waren? Täuschte ihn so seine Einbildungskraft?

Aber nein, es war kein Irrtum. Die Reitergestalt war wieder da, und neben ihr tauchten andere auf, und zuletzt stand eine ganze Masse droben auf der Höhe, und es war ihm, als nähme er ein Glänzen und Gleißen wahr, auch vernahm sein scharfes Ohr ein fernes Getrappel von Rossehufen.

Da stürmte er die Treppe des Turmes herab, rannte in mächtigen Sätzen über den Hof den Altan empor, und gleich darauf gellte und heulte das Korn der Kurtefrunde über die Burg hin und rief jedem dröhnend ins Ohr: Die Naumburger kommen! Die Fehde hat begonnen!


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