Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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II.

Werner Kurtefrund hatte einen sofortigen Angriff befürchtet und deshalb alle Mannen auf die Mauern und Zinnen gerufen. Er meinte, die Feinde würden mit Windeseile von der Höhe herniederbrechen und ihren Angriff gegen das östliche Tor richten. Aber zu seinem höchsten Erstaunen taten sie nichts dergleichen. Sie blieben droben stehen, bis die ersten Sonnenstrahlen aufblitzten und ihre roten Banner deutlich zu erkennen waren. Dann zog sich ein starkes Reitergeschwader langsam und vorsichtig auf ihrem rechten Flügel zusammen und blieb im Hintergrunde halten, während das Fußvolk, in sechs Rotten gegliedert, den sanft ansteigenden, der Burg gegenüberliegenden Abhang herniederstieg und sich in einer Entfernung von ein paar hundert Schritten, durch Pfeilschüsse und Schleuderwürfe nicht zu erreichen, in langen Reihen aufstellte. Es waren mehr als tausend Mann, denen in der Burg um das Fünffache überlegen. Werner Kurtefrund sah sofort, daß an einen Ausfall und Kampf im freien Felde nicht zu denken war. Schon dieser Überzahl gegenüber wäre das Torheit gewesen, und überdies konnten den Feinden die Reiter von droben zu Hilfe kommen und die Saalecker den Ausfallenden von unten heraufdrängend in die Flanke fallen.

So wartete er denn ab, was die Städter und Bischofsmannen tun würden. An einen Angriff schienen sie zunächst nicht zu denken, sie hatten offenbar etwas ganz anderes vor. Denn von der Höhe herab stiegen jetzt Hunderte von Landleuten, mit Schaufeln und anderen Werkzeugen versehen, und begannen, dicht hinter den Reihen der Krieger einen Graben auszuheben und einen Erdwall aufzuschütten.

»Sie schlagen ein Lager auf,« sagte der Neidschützer Ohm, »es sieht aus, als wollten sie nicht stürmen, sondern uns aushungern.«

»Da können sie lange vor der Burg liegen!« entgegnete Werner. Er lachte rauh auf. »Die Städter sind doch immer dieselben! Immer alles listig, behutsam, bedächtig tun, heißt es bei ihnen. Nur nichts mit Gewalt und Ungestüm! Nur kein Blutvergießen! Sie haben so viele Leute, daß sie uns ernstlich warm machen könnten, wenn sie stürmen wollten.«

»Warm machen ist noch nicht gewinnen,« bemerkte der Ohm. »Ich muß ihre Vorsicht nur loben. Eine Mauer von dreißig Ellen Höhe, die über einem Abhange steht, die stürmt sich schwer.«

»Nun, Ohm, mir soll's um so lieber sein, wenn sie das Stürmen lassen. Dann kriegen sie die Burg ganz sicherlich nicht. – Aber sieh einmal dorthin! Was schleppen die Menschen da herbei?«

Er wies auf die Heerstraße. Dort nahte sich eine Reiterschar, dann viele gewappnete Knechte zu Fuß, und endlich kam ein großer Lastkarren, der von sechzehn oder achtzehn Pferden gezogen ward. Auf ihm lag ein langes, unförmliches Ding, das von weitem aussah, wie ein gewaltiger, weißlich glänzender Buchenstamm, den man ausgehöhlt hatte.

Der Oheim beschattete sein Auge mit der Hand und spähte angestrengt hinüber. »Zum Teufel!« rief er endlich. »Sollte das etwa die Donnerbüchse sein, von der die Leute im ganzen Saaltal faseln?«

Kurtefrund lachte grimmig. »Ha, das ist wahr. Das könnte sie sein.« Eine dicke blaue Ader erschien plötzlich auf seiner Stirn. »Dort seh' ich auch den Hund, den Kyburg. Siehst du, dort oben neben dem Pferde! Das Wetter möge ihn erschlagen! Und dort kommt der hochwürdige Herr von Naumburg selber geritten. Er spricht mit dem Halunken. O ihr Schelme und Erzbösewichte, könnt' ich über euch kommen!« schrie er wütend und schüttelte seine Fäuste nach der Richtung hin, wo das Geschütz stand.

»Und als Dritter gesellt sich jetzt der Merkwitz dazu,« sagte der Neidschützer giftig. »Die Schurken halten wohl Rat, wie sie das Ding von der Straße da hinüberbringen wollen?«

Damit hatte er das Richtige getroffen. Schon war das Fortbringen des gewaltigen ehernen Rohres auf der Straße sehr beschwerlich und mühselig gewesen, und es erwies sich als ganz unmöglich, es über ungebahntes Gelände vorwärts zu schaffen.

»Es hilft nichts,« sagte Merkwitz, »ein Weg muß gebahnt werden.« Kyburg pflichtete ihm bei.

»Aber wird das nicht sehr viele Zeit in Anspruch nehmen?« fragte Bischof Johann bedenklich. »Können wir's nicht auf der Straße näher an die Burg heranführen und von da aus das Tor zerschießen?«

»Das Tor,« erwiderte Kyburg, »läge bald in Trümmern. Aber damit hätten wir gar nichts gewonnen, denn in die Burg eindringen könnten wir dann noch lange nicht. Sie ist hier so wohl verwahrt, daß wohl hundert und mehr Menschen könnten erschlagen werden, ehe einer eindränge. Das Blut sparen wir, wenn wir von da drüben aus die Mauern zerschießen und dann durch die Bresche hineinstürmen.«

»Nun, das müßt Ihr besser wissen als ich,« entgegnete der Bischof. »Wann meint Ihr, daß der Weg fertig ist?«

»Vor Abend schwerlich, bischöfliche Gnaden.«

»So werde ich mich bis dahin in mein Schloß Saaleck zurückziehen. Kommt die Mittagsstunde heran, so verfügt Euch zu mir, desgleichen Ihr, Herr Bürgermeister Merkwitz. Ich lade Euch zur Tafel.«

»Eine große Ehre, Euer Gnaden, aber vergönnt mir, daß ich bei meinem Geschütz bleibe.«

»Ihr seid ein närrischer Mensch,« sagte der Bischof. »Ich glaube, Ihr liebt das Ding da, wie eine Braut. Nun, Euer Wille geschehe! Wer lieber Schwarzbrot und Käse essen will, als Forellen und Wildpret, der tue nach seinen Gelüsten. Aber rufet mich, wenn Ihr so weit seid, daß der Tanz beginnen kann.«

Er ritt die Höhe hinauf nach dem kleinen Vorwerk Kreipitzsch, denn er mußte auf einem großen Umwege sein Schloß erreichen. Sonst hätte ihn von der Rudelsburg aus leicht ein Pfeilschuß treffen können.

Noch war er den Berg nicht zur Hälfte emporgelangt, da zügelte er sein Roß und schwenkte mit lautem Rufen seinen Hut. »Her zu mir!« rief er rückwärts gewandt. »Ich will Euch etwas zeigen!«

Merkwitz und Kyburg eilten, so schnell sie konnten, auf ihn zu. »Schaut dort hinüber! Ihr werdet Eure Freude sehen!« sagte der Bischof und deutete mit der Hand auf den Höhenzug jenseits der Saale. Dort zog auf der Heerstraße, die sich zum Tal hinabsenkte, eine große Schar bewehrter Mannen zu Fuß und zu Pferde heran. Ein stattlicher Wagenzug folgte ihnen.

Des alten Bürgermeisters Angesicht glänzte. »Das sind die Erfurter und Mühlhäuser. Ich erkenne deutlich ihre Banner. Gelobt sei Sankt Wenzel! Sie kommen ganz zur rechten Zeit. Nun mag der Schenk von Tautenburg gegen uns heranziehen, er zwingt uns nimmermehr.«

»Ach, meint Ihr wirklich, der Schenk werde uns ein Treffen anbieten?« fragte der Bischof ungläubig.

»Nein, Euer Gnaden. So töricht ist Rudolf der Schenk gewißlich nicht, denn im offenen Felde sind wir ihm weit überlegen. Dagegen, so sicher die Sonne des Nachts nicht scheint, wird er uns eben des Nachts überfallen. Diese oder die nächste Nacht, Herr.«

»Da hast du recht, Merkwitz,« sagte Johann von Druczin, der gerade vorüberschritt. Er war der Hauptmann der bischöflichen Knechte, und auf den Rat ihres klugen Bürgermeisters hatte auch die Stadt ihr Kriegsvolk seinem Befehle unterstellt. Damit erwies man dem Bischof eine Ehre und tat sich selbst keinen Schaden, denn der Vogt von Saaleck war ebenso tapfer wie verschlagen, und keiner konnte einen Heerhaufen besser führen als er. Zudem war er mit Merkwitz eng befreundet. »Ich schwör's Euch, bischöfliche Gnaden, die beiden Nächte tue ich kein Auge zu, und immer die Hälfte des Heeres muß mit mir wachen.«

»Wohl bekomm's Euch!« erwiderte Johann. »Heil mir, daß ich kein Kriegsmann geworden bin! Die erste Hälfte der Nacht ist zu Spiel und freundlicher Kurzweil da, die zweite Hälfte zum Schlafen. Mit Nachtwachen verschone man mich! Ich gähne schon bei dem bloßen Gedanken daran. Gehabt Euch wohl, Ihr Herren!«

Am Nachmittag in der sechsten Stunde war Kyburgs gewaltige Donnerbüchse auf hoher Erdschanze der Burg gegenüber aufgepflanzt, auch hatte man die Lastwagen mit den schweren Steinkugeln dahinter aufgefahren. Eine riesige Fahne mit dem Bilde der Himmelskönigin wehte hoch in der Luft über dem ehernen Ungetüm und sollte Freunden und Feinden verkünden, daß hier keine böse Zauberei getrieben werde, sondern daß man unter dem Schutze der Heiligen zu kämpfen gedenke. Sie verfehlte auch ihres Eindruckes keineswegs. Werner Kurtefrund verfärbte sich, als er sie aufsteigen sah. Er wußte nicht, was er davon denken sollte. Der Teufel verschwand, das wußte jedes Kind, wenn man ein Kreuz oder ein Heiligenbild in seine Nähe brachte. Wie konnte also der Mensch da drüben es wagen, seine Kunst unter dem Zeichen der Gottesmutter zu üben, wenn sie vom Teufel war? Eine quälende Unsicherheit überfiel ihn plötzlich, und zum ersten Male durchfuhr sein Haupt der Gedanke, er könne bei dem ganzen Handel mit Kyburg sich geirrt haben. Aber gleich darauf kehrte die Sicherheit wieder in sein Herz zurück, und es ward ihm vergönnt, über seinen Feind laut zu triumphieren. Denn als nun der Mund des Ungeheuers Feuer spie und ein lauter Donner erschallte, da erfand sich's, daß die geschleuderte Kugel nur schwach unterhalb der Mauer auf die Erde aufgeprallt war und nicht den geringsten Schaden angerichtet hatte.

Er stieß ein dröhnendes Gelächter aus, und das Herz schwoll ihm vor freudiger Genugtuung. »Sagt' ich's nicht? Narreteidinge und Spielerei! Wenn sie ihr Teufelswerk offen als solches betrieben, so könnt' es vielleicht gelingen, obwohl Sankt Elisabeths Schutz über dieser Burg steht. Aber da hängen sie das Bild der Jungfrau hin, und so vernichten sie ihre eigene Kraft. Weiß nicht, ob sie größere Schelme sind oder größere Narren!«

So sprach Herr Kurtefrund, und seine Getreuen pflichteten ihm freudig bei. Drüben aber im Lager waren die Gesichter sehr lang geworden. »Zum Henker, was ist das?« rief Herr Johann bestürzt, und Merkwitz blickte den Geschützmeister mit sehr bedenklicher Miene an.

»Seid ganz ruhig, das konnte kaum anders sein,« sagte Kyburg, etwas erblaßt, aber mit fester Stimme. »Ich mußte erst abmessen, wieviel des Krautes ich benötigte. Lud ich zuviel hinein, so sprang das Rohr. Jetzt aber kenn' ich das Maß.«

Er lud mit Hilfe von vier Knechten das mächtige Geschütz von neuem. »Tretet zurück, Ihr Herren, und blickt scharf hinüber nach der Mauer. Ihr werdet dort etwas sehen können.«

Wieder ein Blitz und ein donnernder Krach, und diesmal hatte das Geschoß getroffen. Mitten auf der Mauer war es aufgeschlagen mit furchtbarer Gewalt. Es zerbarst, aber mehrere große Steine des Mauerwerks rollten mit ihm den Abhang hinab.

Ein betäubendes, langanhaltendes Triumphgeschrei aus dem Lager der Städter erscholl zu der Burg hinüber. Dort stand Werner Kurtefrund bleich und mit einem solchen Ausdruck des Schreckens in seinen Mienen, wie ihn bei dem eisenharten Manne noch kein Mensch wahrgenommen hatte. Was war das? Das war, bei Gott, kein Spielwerk, das war schwerer, schrecklicher Ernst. Zwanzig, dreißig solcher Schläge, und die Mauer stürzte zusammen. Das war ihm auf der Stelle klar geworden. Und solches geschah unter einem Panier mit dem Bilde der heiligen Jungfrau? Wie war das möglich? Vielleicht war es doch so, wie ihm der verhaßte Bischof Johann auf seine Anklage Kyburgs spöttisch hatte erwidern lassen: Nicht jeder kluge und weitgereiste Mann sei ein Zauberer, und nicht alles, was weise Leute erfänden, sei vom Teufel! Ja, so war es. Der Bischof hatte recht. Und diesen Mann hatte er von sich gestoßen und zu seinem Feinde gemacht! Hätte er diese Donnerbüchse in seinen Diensten gegossen, so wären alle die kleinen Herren und Ritter der Landschaft, die zwar Naumburgs Feinde waren, aber jetzt doch vorsichtig beiseite standen, ohne Zweifel offen auf seine Seite getreten. Dann hätte jeder schon die Mauern der Stadt in Trümmern und dahinter die Truhen der reichen Kaufleute in erreichbarer Nähe gesehen. Dann konnte er vor Naumburg stehen, statt daß die Naumburger vor seinem Schlosse standen.

Wut und Neue über seine kurzsichtige Torheit packten seine Seele so stark, daß es ihm war, als ob ihn einer würge. »Verflucht sei der Esel, der alte Hogeniste!« knirschte er.

In dem Augenblick krachte es drüben noch einmal, und wieder erbebte die Mauer, und wieder stürzte eine Menge Gestein den Abhang hinunter.

Da stieg Werner Kurtefrund schweigend vom Mauergange herab. Er wollte den Greuel nicht mehr sehen. Drunten murmelte er: »Kommt der Schenk nicht in der Nacht, so ist die Burg verloren.«

Drüben aber ritt der Bischof auf seinem Schimmel dicht an den Geschützmeister heran und nahm sein Barett ab. Zum ersten Male sah Kyburg in diesem feinen, stets etwas spöttisch verzogenen Antlitz ein echtes Wohlwollen aufschimmern.

»Ihr seid ein erstaunlicher Mensch!« sagte Johann von Miltitz. »Ihr seid der erstaunlichste Mensch, den ich jemals gesehen, und diese Erfindung ist die größte, die es gibt, und bringt eine neue Zeit herauf. Ihr seid jetzt hundertmal mehr wert als jeder andere im Heer, und deshalb will ich nicht, daß Ihr diese Nacht in Gefahr kommt. Der Kurtefrund macht einen Ausfall, denn zerschlägt er Eure Maschine nicht, so ist er verloren. Da könnt' es geschehen, daß Euch im Dunkeln ein Pfeil träfe und das Licht auslöschte, das in Eurem Hirn brennt. Darum folgt mir nach Saaleck. Keine Widerrede! Druczin und Marschall, Ihr haftet mit Euren Köpfen, daß dem Instrumente da kein Schaden geschieht!«

»Herr!« rief der Vogt von Saaleck mit funkelnden Augen und strich seinen roten Bart, »dessen braucht Ihr uns wahrlich nicht zu mahnen. Ich wache hier mit dreihundert Knechten, und droben steht Merkwitz auf der Lauer gegen den Schenken.«

»So kommt!« rief der Bischof. »Es wird dunkel. Ihr könnt heute nicht mehr schießen.«

Kyburg sträubte sich, so sehr er konnte, aber er vermochte gegen den Eigenwillen des Kirchenfürsten nichts auszurichten. Halb mit Gewalt schleppte ihn der Bischof nach der Saaleck hinüber.


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