Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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III.

In der dritten Morgenstunde hielten vor dem Tore der Burg Saaleck vier in Eisen gehüllte Reiter. Die beiden vordersten waren Heinz Kurtefrund und der Graf Günther von Kevernburg, denn es war den Rudelsburgern unschwer gelungen, den jungen Mann zur Teilnahme an dem Abenteuer zu bereden. Hinter ihnen saßen im Sattel die beiden kühnsten und stärksten Edelknechte, die Werner auf seiner Burg hielt, Busso Heseler und Hermann, den seine Genossen Harthand nannten, weil, wo er hinschlug, kein Gras mehr wuchs.

In einem ganz geringen Abstande lag der Ritter selbst mit vierzig Knechten im Hinterhalte. Sie waren sämtlich zu Fuß. Bei dem Werke, das sie vorhatten, konnten sie Gäule nicht brauchen.

Die Reiter vorn hatten ihre Helmgitter niedergelassen, nur Heinz Kurtefrunds Visier war noch oben. Das hatte seinen guten Grund. Er wollte mit denen in der Burg sprechen, sie durch seine Stimme irreführen, und aus dem geschlossenen Helme heraus klang eine Stimme wie die andere.

»Donnerwetter!« sagte er leise, als sie bis dicht an das Tor herangekommen waren, »da drinnen scheinen sie zu schlafen wie die Ratzen!« Dann schrie er laut: »Hallo! Aufgemacht!«

Aber er mußte den Ruf noch einmal wiederholen, bis ein schlaftrunkenes »Wer da?« aus dem Turmfenster über dem Tore erklang.

»Mach auf, Kerl, oder ich schlage dir den Schädel ein, elende Schlafratte!« rief der Ritter, und es klang täuschend, als ob Johann von Druczin rede.

Daraufhin wurde es drin lebendig, man hörte undeutliches Gemurmel, Tritte polterten, Hände machten sich am Tore zu schaffen.

»Beim Strahl! Sie öffnen das Tor!« frohlockte Kurtefrund der Jüngere, und laut fügte er hinzu: »Wird's bald? Soll ich hier in dem Regen ersaufen?«

»Es ist der Vater!« sagte drin die jugendfrische Stimme des siebzehnjährigen Werner von Druczin. »Sputet euch, Leute!«

Das Tor flog auf und, was Heinz Kurtefrund nicht vermutet hatte, das Licht einer Fackel blitzte ihm entgegen. Schnell fuhr er nach dem Helm, um das Gitter niederzulassen, aber schon hatte ihn der Jüngling erkannt.

Ein gellender Schrei brach aus seinem Munde hervor, er sprang zurück ins Dunkle und riß mit aller Kraft seiner jungen Arme die Kette des Torgatters aus dem Haken. Blitzschnell, mit furchtbarer Gewalt, sauste das schwere eiserne Gatter herab und schmetterte dicht vor den hereindrängenden Rossen auf den Erdboden nieder. Die schweren Tiere fuhren entsetzt zurück, bäumten auf und schlugen aus, daß die Funken stoben.

»Werner! Hierher! Herbei, herbei!« schrie Heinz Kurtefrund mit mächtiger Stimme, und von drinnen gellte es laut: »Hilfe! Die Kurtefrunde! Verrat! Hilfe!«

Rennen und Laufen, Geschrei und Gebrüll von allen Seiten. Mit Riesenkräften rüttelte der herbeigeeilte Werner Kurtefrund an den Eisenstäben, aber sie spotteten selbst seiner Stärke, waren weder zu zerbrechen noch zu verbiegen. Mitten im Torbogen saßen die Angreifer fest, konnten nicht weiter vorwärts, und drinnen eilte nun Mann auf Mann herbei: der Überfall war gescheitert.

Zähneknirschend und Wutblitze aus den Augen schießend, erkannte das Werner Kurtefrund und schrie sogleich: »Zurück! Zurück!« Es war die höchste Zeit zum Abziehen, denn schon prasselten von der Zinne über dem Tore Steine auf die Stürmenden herab. Einer zerschlug einem Knechte trotz seiner Eisenhaube den Schädel, ein anderer sauste auf die linke Schulter des Grafen Günther hernieder, so daß der Getroffene laut aufschrie.

Werner riß den Sinkenden vom Rosse herab und sprang mit ihm in das Dunkel zurück. So schnell sie vermochten, folgten ihm die Seinen, und eine halbe Minute später war kein Mensch mehr auf dem Platze, wo soeben noch der wildeste Kampflärm getobt hatte. Die Saalecker, die in die Nacht hinaushorchten, konnten in der Ferne noch das Gepolter der Abziehenden hören, sonst war alles still. Hätte nicht der Tote auf der Torschwelle gelegen, so hätte ihnen der ganze Vorfall wie ein wüster Nachtspuk erscheinen müssen.

Droben in der Rudelsburg saßen die beiden Brüder bleich und finster einander gegenüber. Neben ihnen lag auf einem Ruhebette der schwerverwundete Graf, dem das Schlüsselbein gebrochen war. Pater Conrad hatte ihm soeben einen Verband angelegt, und unter seinen nicht gerade zarten Händen war dem Schwerverletzten die Besinnung geschwunden.

Heinz Kurtefrund fuhr zuerst auf aus seinen düsteren Gedanken. »Was nun?« fragte er seinen Bruder mit rauher Stimme.

»Nun wird und muß die Fehde mit dem Bischof entbrennen.«

»Sind wir gerüstet?«

«So gut wie der Pfaffe ganz gewiß.«

»Und was wird der Landgraf sagen?«

Werner Kurtefrund schwieg.

»Was, meinst du, wird der Landgraf sagen?« wiederholte der jüngere Kurtefrund eindringlich.

»Was er sagen wird, ist mir ganz gleichgültig, und tun wird er wahrscheinlich nichts. In allem Unglück, das wir gehabt haben, ist es doch geradezu eine Fügung des Himmels, daß der hier dabei war.« Er wies auf den Grafen, der noch immer in tiefer Ohnmacht lag. »Um seinetwillen muß er über die Sache wegsehen, muß uns in Frieden lassen. Denn alles liegt ihm jetzt daran, den Grafen Günther von Schwarzburg an sich zu ziehen. Da wird er sich hüten, seine Verwandten, die Kevernburger, zu verletzen.«

»Wohlüberlegt, und vielleicht dennoch falsch, denn wir wissen nicht genau, wie weit der Fürst gerüstet ist. Vielleicht beliebt es ihm, den Kampf mit dem Grafen, der ja doch unvermeidlich ist, gerade jetzt zu beginnen. Auf alle Fälle wäre es das beste, wenn du den ganzen Vorfall ableugnest.«

»Was? Wie kann ich eine Tat ableugnen, die mehr als sechzig Zeugen hat?«

»Du kannst es dennoch. Höre mich an, ich will dir einen Vorschlag machen. Dich hat niemand erkannt, denn dein Gesicht war verhüllt, und wo das Licht der einen Fackel nicht hinfiel, war es finster. Mich aber hat der Vogtsbube offenbar gesehen. So will ich alles auf mich nehmen und von hier entweichen. Wir sagen dem Bischof und dem Landgrafen, du seiest in Neidschütz gewesen, ich habe inzwischen den Überfall geboten auf eigene Hand, und da er mißglückte, so sei ich von der Burg entwichen. Ich verberge mich bei unsern Freunden da und dort, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Da niemand zu Schaden gekommen ist von des Bischofs Leuten, so wird das nicht lange dauern. Und wenn im Frühling die große Fehde beginnt, bin ich wieder da.«

Werner Kurtefrund faßte seines Bruders Hand mit mächtigem Drucke. »Ich danke dir für deine Treue, sie ist echt kurtefrundisch. Denn das hat unser Geschlecht in wenigen Menschenaltern so groß gemacht, daß immer einer für den anderen einstand, wenn ein Zwist war zwischen den Brüdern, und daß alle sich um den scharten, der als der Obmann des Hauses der Burg gebot. Aber nie und nimmermehr nehme ich dein Anerbieten an. Ich esse die Suppe allein aus, die ich mir eingebrockt habe. Auch leugne ich meine Taten nicht ab, am wenigsten vor dem verfluchten Pfaffen von Naumburg.«

»Auch dieser dein Trotz ist echt kurtefrundisch, aber ich glaube nicht, daß er zu den Anlagen gehört, die unser Haus groß gemacht haben. Wir wären weiter, wenn wir's verstanden hätten, uns da oder dort einmal zu schmiegen und zu bücken. Und jetzt könntest du deinen Kopf schön aus der Schlinge ziehen, wenn du tätest, was ich dir rate.«

Werner Kurtefrund stampfte ungeduldig mit dem Fuße auf. »Ich bin, wie ich bin und wie mich Gott geschaffen hat. Hätte er mich als Lamm haben wollen, so hätte er mir nicht Zähne und Klauen dürfen zulegen. Wir wollen einmal in Ruhe abwarten, was der Bischof tun wird. Du sagst ganz richtig, da niemand von seinen Leuten zu Schaden gekommen ist, so wird er wahrscheinlich nicht viel aus der Sache machen. Ich tue gar nichts gegen ihn in der nächsten Zeit, bin aber vor ihm auf der Hut. Unsere erste Sorge muß jetzt sein, den da wieder auf die Beine zu bringen. Die ganze Seite ist ihm arg zerschlagen. Stirbt er oder bleibt er ein Krüppel, so wird mir sein Vater üblen Dank wissen, und sein Ohm wird auffahren im wilden Zorn. Dann sind die Kevernburger unsere Freunde gewesen!«

»In dem Städtlein Jena lebt ein weiser Wundarzt, Meister Antonius Freytag. Er wohnt hinter dem Kloster der schwarzen Brüder und hat schon vielen geholfen. Den will ich holen,« entgegnete Heinz Kurtefrund.

»An den dachte ich eben auch. Der Schenk von Tautenburg rühmte ihn neulich über die Maßen. Aber du brauchst nicht zu ihm zu reiten, das kann ein anderer tun. An dich hätte ich ein anderes Anliegen.« Er atmete schwer und sagte dann mit gepreßter Stimme: »Reite nach Beuditz und sieh zu, ob Gertrudis wirklich frei ist von ihrem bösen Zauberwahne. Sie versteht mit Wunden umzugehen wie wenige; es ist eine besondere Gabe, die sie, wie es scheint, von Natur hat. Sage ihr, wenn ihr liegt an der Verzeihung ihres Vaters, so solle sie heimkehren und ihren künftigen Gemahl gesund pflegen.«

»Werner!« rief der jüngere Kurtefrund und sprang von seinem Sitze auf, »das ist das klügste Wort, das du seit zehn Jahren geredet hast! Das schafft den beiden einen guten Weg zueinander. Ich reite auf der Stelle!«

»Das tu lieber nicht. Du hast gestern einen scharfen Ritt getan und nur am Nachmittag ein paar Stunden geschlafen. Ruhe dich noch aus, bis es Tag ist.«

»Nein, ich reite sofort. Die Sache ist zu wichtig, und Müdigkeit kenne ich nicht. Rückwärts muß ich ohnehin einen weiten Umweg machen, um den Leuten des Bischofs nicht zu begegnen. Denn mehr als sechs Mann will ich der Burg jetzt nicht entziehen.«

»Nimm ruhig zwölf mit. Bis zum Abend bist du ja doch wieder hier, und vor morgen kann der Bischof nichts unternehmen.«


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