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XXV.

Voll Bangen erwartete ihn Sophie. Sie hatte nicht seine vertrauende Zuversicht zur Jugend. Nein, sie nicht.

Ein fremder Mann kehrte zu ihr zurück. Seine Stirn war schmäler und kantiger, die Schläfen waren weißer und durchsichtiger geworden. Die Hakennase ragte schärfer, abenteuerlicher. Die lebenssaftigen Lippen waren verhärmt, dünn und blaß. Die Augen weiteten sich dunkler, größer, wie Abgründe des Wehs. Die Schatten darunter waren violett und sinnender. Die Kerben an den Liderwinkeln gruben sich tief und schmerzlich.

»Ich bin mit meinem Optimismus gründlich durchgefallen,« höhnte er in bitterböser Selbstverspottung, »ausgepfiffen haben sie mich. Abgezogen sind sie mit Pereatrufen. Zum Prediger in der Wüste haben sie mich gemacht, die lieben herzigen Jungen.«

Sie nahm seine beiden Hände. »Ich habe es gefürchtet.«

»Du hast es gefürchtet?«

Sie nickte hoffnungsleer. »Ich mußte immer daran denken, was du mir von dem Gericht deines Korps erzählt hast. Wie sie den Studenten einstimmig hinausstießen, weil er das Mädchen in der Not verlassen hatte. So streng urteilt der jugendliche Idealismus, der keine Konzessionen kennt.«

»Aber, Fieze,« fuhr er auf, »mein Fall liegt doch wahrhaftig anders. Der Junge damals stand vor keiner Wahl. Er hatte lediglich dem Mädel seine Pflicht zu erfüllen. Ich, – Herrgott, sind alle Menschen verbündet und verblödet! Ich hatte an dich und die Kinder zu denken.«

»Es tut so weh,« schluchzte sie, »daß du gerade durch die Rücksicht auf uns so unglücklich werden sollst.«

»Unsinn, Fieze,« wehrte er, »laß die Nachtgedanken. Ich habe recht gehandelt. Bei allen Heiligen, ich fühle es doch hier drinnen.« Er schlug sich auf die Brust, daß es dröhnte. »Hier drinnen fühle ich es, und ich werde nicht ruhen noch rasten, bis die Jungens es auch fühlen. So wahr ich sie liebe, liebe, trotz allem, sie sollen es fühlen, tief in der Brust, daß ich als Ehrenmann gehandelt habe. Das sollen sie!«

»Ich fürchte,« sagte Sophie, – »vergib, wenn ich dir deinen schönen Mut nehme, – du wirst einen verzweifelten Kampf kämpfen. Ich muß dir doch meine Zweifel beichten, wenn sie auch sterbenstraurig sind.«

Er nahm sie in die Arme, »Sag' alles, meine geliebte Lebensklugheit.«

Sie strich über sein Haar. »Mein armer herrlicher Lebensphantast. Sieh', ich begreife die jungen Leute so gut.«

»Du?«

»Ja, ich, Fritz. Sie haben zu dir aufgesehen, wie zu ihrem herangereiften Ich. Du warst das Ziel ihres Männerehrgeizes, du warst ihr ermutigendes Vorbild; dir einmal an Mannhaftigkeit gleich zu werden, war die Sehnsucht ihres Lebensernstes. Und nun erfahren sie – und du willst es mit keinem Worte widerlegen – daß du, als eine Frau in Todesnot war, nicht für sie eingesprungen bist, sondern an dein Weib und deine Kinder gedacht hast. Sieht dein psychologischer Kennerblick denn nicht, daß für junge, ins Leben stürmende Menschen Weib und Kinder das Banale sind! Daß ihnen die Frau, die sich dem Manne in Liebe gegeben hat, das Romantische ist! Und nun eine Frau wie Manja von Ingenheim! Diese blonde liebliche Feinheit. In den jungen Seelen müssen sich ihr ja Altäre bauen. Sie hat dir alles gegeben, träumen sie, sie hat den Mann um deinetwillen vergessen, und – vor allem – sie ist diesen grausamen Heldentod gestorben. Die Frau muß der jungen Begeisterung zur Heiligen werden. Begreift das dein seelenkundiges Verstehen nicht?«

Er schwieg beklommen.

»Und nun, Fritz, – wir wollen alles durchsprechen. Wie stehst du nun da! Du hast, nach dem Gerücht, die Frau in den Tod getrieben. Sie sehen in dir den treulosen Verräter der Liebe, sie sehen in dir – wir beide wollen ehrlich sein – genau so den Mörder der Frau, wie sie in dem Studenten den Mörder des Mädchens gesehen haben. Es tut so weh, dir das zu sagen, mein armer guter Lieber.« Er war zusammengezuckt wie unter einem Dolchstoß. »Und darum,« schloß sie fest, »solltest du hier den Kampf aufgeben. Kannst du nicht jetzt noch München annehmen?«

Er riß sich von ihr los. »Ich will es nicht aufgeben!« bebte er und ballte die Fäuste. Die Schlagader am Halse war wie ein blaues Tau. »Ich will den Kampfplatz nicht feige verlassen. Ich will nicht alles durch Irrwahn zertreten lassen, was ich jahrelang mit meinem Besten gebaut habe. Ich will nicht! Ich will nicht!!«

»Du kannst an einem anderen Orte weiterbauen,« sänftigte sie trostreich.

»Das kann ich nicht! Glaubst du, ich bin kein Mensch? Glaubst du, das geht an mir vorbei? Wenn ich wie ein Verbrecher von hier fliehe, – kann ich nicht mehr Lehrer der Jugend sein. Das kann ich nicht. Wo soll ich die Kraft hernehmen? Und das Vertrauen? Und die Zuversicht, daß ich einer bin, der der Jugend etwas zu sagen hat? Woher? Woher?«

Sie schwieg erdrückt.

»Schreib' eine Broschüre,« riet sie endlich, »schildere alles, wie es kam, mit allen Zartheiten. Laß sie an jeden Studenten verteilen! Komm, setz' dich gleich hin! Heute abend ist sie im Druck. Morgen geht sie hinaus. Komm!«

Er schüttelte widerspenstig den Kopf. »Sie sollen mich hören!« brauste er auf. »Ich bin kein Schriftmensch. Mein Stolz war immer, durch mein Wort, durch meinen Odem, durch mein schlagendes Blut zu wirken. Sie sollen mich hören! Heute abend gehe ich in mein Korps. Dort wird die Achtung vor mir sie schweigen lehren. Dort will ich sprechen und meine Korpsbrüder als Boten meiner Ehre unter die anderen schicken. Das werde ich.« Und er hob die Hände zur Decke. »Herrgott, ich will doch einmal sehen, ob all diese Kraft in diesem Hirn und all diese Liebe so elend verrecken soll!« – –

Er ging ins Korps. Nowak, der Diener, begrüßte ihn, höflich und frostig. Faber sah ihn scharf an und trat in den Saal.

Dort saßen und standen sie in wilderregtem Disput.

Eine Gruppe Heißsporne wollte dem Professor Faber sofort die Würde eines ›alten Herrn‹ des Korps nehmen, wenige Besonnere rieten, ihn erst zu hören.

Da trat er herein. Kirchhofstille. Jeder ging stumm zu seinem Stuhle.

»Guten Abend,« rief Faber laut und nahm seinen altgewohnten Platz. Ein dumpfes Murmeln antwortete. Jeder sah vor sich nieder. Da wandte sich Faber an Graßhoff, den ersten Chargierten.

»Ich bitte ums Wort.«

Auf stand der blonde Siegfried, niederschmetterte er das Rapier auf den Holztisch. »Herr Professor Faber hat das Wort,« rief er blitzblank über all die gebeugten Köpfe hin.

Faber verstand sehr wohl die feindliche Feierlichkeit des Aufrufes. Ha, er würde sie jetzt schon heranholen.

»Brüder,« begann er – »ja, Brüder – du brauchst nicht abwehrend zusammenzuzucken, mein lieber Kübler. Ich wünsche dir, du möchtest nie im Leben einen schlechteren Bruder haben. Ihr waret heute alle in der Vorlesung. Ich habe euch gesehen. Ihr habt gepfiffen und gejohlt. Das war euer Recht. Ihr habt es euch durch manches stürmische Beifallstrampeln erworben. Warum sollt ihr nicht auch einmal mit mir unzufrieden sein und es zeigen? Das ist euer gutes akademisches Recht. Aber ihr hättet mich zu Worte kommen lassen sollen. Euch hätte ich alles aufgeklärt. Den andern – den Alten – was liegt mir an deren Achtung! Aber ihr – – ihr –« seine Züge zerknitterten sich schmerzhaft – »ihr sollt mich richtig sehen. Ihr Jungen ihr –! Wißt ihr denn nicht, wie ich euch liebe – wie ich das Werdende in euch verehre – wie ich nichts im Leben will, als euch zu braven, wetterfesten Männern erziehen!« Die Tränen sprangen ihm in die Augen. »Wißt ihr das nicht?«

Sie blickten staunend erschüttert auf den aufgewühlten Mann, der ihnen seine Seele scheulos hinwarf. Da schnitt aus irgendeinem Munde ein böses Wort durch die aufsteigende Weichheit. »Phrasen«, zischte einer.

Faber taumelte zurück, sein Gesicht versteinte.

»Was,« sagte er leise, »Phrasen? Hat da einer ›Phrasen‹ gesagt?«

»Ja, ich,« gestand der zweite Chargierte Kübler freimütig.

»Steh für dein Wort ein!« schrie Faber gebieterisch.

Schaum trat ihm zwischen die Zähne. »Erkläre das!«

»Ich bitte ums Wort,« rief Kübler.

Dann sprach er vor Bewegung zitternd. »Wir brauchen keine lange Erörterung. Es ist bekannt geworden, daß du – daß Sie –«

Eine Bewegung rauschte um den Tisch, wie Wind im Sommerlaub.

»Daß Sie sich hinter Ihrer Familie verkrochen haben, als Frau von Ingenheim um Ihren Schutz flehte.«

Da barst Faber wie eine Mine. » Was habe ich?! Verkrochen hinter meiner Familie! Seid ihr irrsinnig? Seid ihr allesamt toll geworden? Ich habe gekämpft, sage ich euch, einen Kampf hier drinnen, den sich eure Schulweisheit nicht träumen lassen kann. Ich wünsche euch allen aus tiefstem Gemüte, daß ihr nie vor einer ähnlichen Entscheidung steht. Das sage ich euch. Ich habe es mit tausend blutenden Wunden erwogen, das müßt ihr mir glauben! Es gab drei Wege, die Frau zu retten. Ich konnte vor dem Termin sterben, verunglücken, daß kein Verdacht erwachte.«

Die jungen Augen spannten sich.

»Den Weg wäre ich gegangen, wenn ich nicht Weib und Kinder hätte.«

Da kam die grimmig auflachende Entladung.

»Ihr lacht höhnisch. Ihr glaubt mir wohl nicht? Wie – was lachst du, Lorenz? Hab' ich dich je belogen? Hab' ich je einen von euch belogen? He?!«

Da schrien sie alle wirr und wütend durcheinander: »Ja – ja – immer! Immer!«

Faber umklammerte mit den Nägeln die Tischleiste. »Was?!«

Da schrie der junge Hanseate Lorenz, ganz entstellt vor Haß. »Immer hast du uns belogen. Eine große Lüge bist du! Du hast uns von Mannhaftigkeit was vorgeschwatzt. Du – Feigling, der dieses arme Weib in den Tod gehetzt hat. Große Worte, ja, die hast du immer bereit gehabt. Damals, wie wir Bries aus dem Korps stießen, eine lange Rede hast du uns gehalten: Wir sollen das Weib ehren! Und du? Was hast du getan? Mir hast du gesagt, ich soll die Finger von verheirateten Frauen lassen. Und du! Was hast du getan?«

Faber wollte erwidern, klarstellen – er kam nicht zu Wort, hatte auch nicht mehr die Kraft. Wie Eisenhämmer wuchtete jede Anklage auf sein Hirn nieder.

»Wir haben an dich geglaubt, du warst unser Abgott, unsere Gottheit bist du gewesen,« lohte der junge Mensch ihm entgegen. »Wir wären jeder einzelne für dich gestorben – jeder krasse Fuchs wäre stolz und lachend für dich gestorben. So haben wir zu dir aufgeschaut. Wir waren – Götzenanbeter waren wir – du – du –! Einem Lügner haben wir geglaubt – an einen hohlen Schwätzer haben wir unsere glühende Begeisterung gehängt – Narren waren wir – fanatische Narren – blinde Toren – – – –«

Die Tränen stürzten ihm hervor. Aufschluchzend lief er zur Tür hinaus.

Man hörte das Atmen, so still wurde es nach diesem leidenschaftlichen Ausbruch des schmerzgebrochenen jungen Gemütes, das seine erste blutige Enttäuschung seinem Götzenbilde entgegenschrie.

Endlich sagte Faber, wie Tropfen fielen die Worte in die Stille: »Ist das euer aller Meinung über mich?«

Keiner rührte sich.

»Hebt die Hände!« befahl er barsch.

Da hob einer die Hand, noch einer, mehrere, viele – alle.

»Dann hab' ich hier nichts mehr zu sagen,« Rasch ging er hinaus.


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