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VII.

Dann erhob sich Beatrice Herforth unschlüssig.

»Aber bleiben Sie doch,« wehrte Frau Faber. »Es wird Ihnen doch sicherlich angenehm sein, gleich zu erfahren, woran Sie sind.«

Dankbar nickte Beatrice. Da klingelte es. »Das ist meine Schwester, ich kenne ihr Läuten,« sagte die junge Frau, ging hinaus und kehrte gleich mit einer jungen Dame zurück, die sie als ihre Schwester Helene vorstellte.

Helene Pahlow war das Ebenbild der Schwester, äußerlich. Doch ihre Augen blickten kecker und entschlossener ins Leben hinein, ihr Körper hatte etwas jungenhaft Gestähltes und Herbes.

Als Sophie ihr Beatrices Anliegen mitgeteilt hatte, rief sie: »Ach, dann sind Sie wohl die Dame, der ich bei Professor Hancke ins Gehege gekommen bin?«

Und als Beatrice sie verständnislos ansah, erklärte Sophie: »Meine Schwester ist nämlich Assistentin bei Herrn Professor Hancke.«

»Ach so,« begriff Beatrice.

»Sie studiert Chemie,« erläuterte Sophie weiter und blickte bewundernd auf die Jüngere. »Sie macht gerade die Doktorarbeit. Überhaupt ist sie schrecklich gescheit.«

Helene lachte. »Sie sehen hier zwei treffliche Präparate des Weibes in seiner historischen Entwicklung,« sagte sie munter, »oder ›einst und jetzt‹ oder ›das moderne und das unmoderne Weib‹.«

»Wobei ich die beschämende Rolle des unmodernen gutmütig zu spielen habe,« ergänzte Sophie mit ihrer behaglichen Heiterkeit. »Ich bin die mütterliche Hausunke, und Helene ist das Weib, das sich die Welt erobert.«

Da sagte Beatrice mit einem kleinen Lächeln: »Mir scheint, gnädige Frau, Sie haben sich auch Ihre Welt sehr fest und sicher erobert.«

Scharf blickte Helene auf. »Bravo,« lobte sie, »Sie beobachten gut, gnädige Frau.«

Da stand Beatrice wieder auf. »Ich werde nun aber wirklich gehen,« sagte sie scheu. »Vielleicht darf ich am Nachmittage –«

»Mein Schwager muß sofort kommen,« hielt Helene sie zurück. »Ich war in seinem Kolleg über attische Kunst. Habe nur auf ihn nicht gewartet, weil er von seinen Hörern noch mit tausend Fragen bestürmt wurde. Das hält ihn aber nicht lange auf. Er nimmt einfach die beiden nächsten unter'n Arm, sagt: ›Kinder, meine Frau wartet,‹ und zieht mit ihnen los. Und dann marschiert er mit dem ganzen Troß durch die Straßen.«

In diesem Augenblick tobte es an der Stubentür. » Hannibal ante portas,« rief Helene, sprang auf, stob zur Tür und öffnete. Herein spazierte auf seinen Wackelbeinchen der Kronprinz des Hauses, Seine Niedlichkeit, der anderthalbjährige Herr Bob Faber. Ohne die Tante zu beachten, marschierte er sofort auf die fremde Dame los, reichte ihr seine Patschhand und sagte: »Tag.« Dazu steckte er sein pausbäckiges Hintergestellchen sehr drollig heraus. Dann blickte er die Dame an, sehr eingenommen von seiner neuesten Verbeugungskunstfertigkeit.

In Beatrice stiegen allerlei vage Erinnerungen auf. Sie beugte sich zu dem Kind nieder, nahm seine beiden kleinen rundlichen Fäuste und küßte sie.

Herr Bob aber riß sich los, gab der Tante Lene die Hand, lächelte der Mutter gönnerhaft zu und trug sein rotgoldenes Rundköpfchen schleunigst torkelnd zu Papas Rauchtisch in die Ecke hinüber. Und verfrachtete mit energischer, ernsthaftester Emsigkeit sämtliche Aschenbecher, Shagpfeifen und Tabaksbüchsen vom Tischchen auf einen Klubsessel, vom Klubsessel zum Tischchen, kümmerte sich weder um Mutter noch Tante noch Fremde, sondern lag seinem Speditionsgeschäft mit strenger Würde ob.

Nur als die drei Frauen herzhaft auflachten, sah er sie mit seinen großen goldbraunen Augen schelmisch lächelnd an und arbeitete dann weiter im Schweiße seines kleinen Angesichts.

Da erhob sich Sophie und sagte: »Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau! Ich will nur schnell einmal sehen, ob auch der Kleine schon wach ist,« und eilte hinaus mit ihrem strebenden Gange.

»Pfui,« sagte Helene zu Herrn Bob, »ich komme extra her, dich und Brüderchen zu begrüßen, und du würdigst mich nicht eines Blickes?«

»Nee,« gab Seine Niedlichkeit gelassen zurück und schleppte die Zigarettenschachtel vorsichtig zu dem Tischchen zurück, damit ihm nicht wieder, wie gestern, das Malheur der totalen Ausschüttung begegne.

»Ein reizender Junge,« lobte Beatrice.

»Ja,« bestätigte Helene. Und sich der Fremden voll zuwendend, sagte sie: »Wenn mein Schwager Verwendung für Sie hat, werden Sie eine sehr angenehme Tätigkeit haben. Mit ihm zu arbeiten, muß sehr schön sein.« Und ein wenig mit dem Schwager protzend, erläuterte sie: »Mit sechsundzwanzig war er Professor. Man munkelt übrigens, daß er an Stelle des verstorbenen Kallmorgen nach München berufen werden soll.« Sie machte große begeisterte Augen.

»Denken Sie mal!« rief Beatrice interessiert. Und bescheiden fügte sie hinzu: »Von diesen Dingen verstehe ich ja vorläufig nicht sehr viel. Ich habe jahrelang in einer kleinen Landstadt in Oberbayern gelebt. Aber eins sehe ich: Dies hier ist ein glückliches Haus.«

»Das ist es,« bekräftigte Helene. »Meine Schwester ist wie der gute Geist des Weibtums. Und mein Schwager – wissen Sie, er ist einer von diesen seltenen Glückskindern, denen alles in den Schoß fällt, weil sie es verdienen. Ein glücklicher, erfolgreicher Mensch, der Glück und Lebensfreude um sich breitet. Man sieht es seinen Hörern an. Und dann, gnädige Frau, ist er das, was alle Historiker und besonders Kunsthistoriker sein müssen: Dichter.«

Beatrice rückte aufhorchend in ihrem Stuhle näher.

»Wenn er über altgriechische Kunst spricht, baut er das alte Athen plastisch vor den Augen seiner Hörer auf, stellt diese politisch erregte Menschheit leibhaftig mit leidenschaftlich siedendem Blute auf den Markt, läßt die goldene Sonne Homers auf die Landschaft niederstrahlen, erweckt die Zeit aus ihrem Dornröschenschlaf –«

Hier erhielt der begeisterte Lobeshymnus eine unerwartete Fermate. Denn herein trat Sophie, stolz ihren Jüngsten auf dem Arm.

»Das ist Nr. 2,« wies sie beglückt das kleine schwarze Kerlchen. Heinzepeterle sah die fremde Frau prüfend aus großen blauen Gucken an und lächelte dann liebenswürdig, wobei er die charakteristische Nase, Vaters Erbteil, wie ein Erwachsener krauste. Und schon kam Seine Niedlichkeit, Herr Bob, in seinen komischen Gernegroß-Hosen herbeispaziert, preßte seinen blonden Kopf gegen das Brüderchen, schnitt ein ganz verliebt verklärtes Gesicht und rief: »Ei – ei.« Seine Winzigkeit, Herr Heinzepeter, aber strampelte in erregter Freude wild mit Armen und Beinchen.

»Zwei famose Bengel, gelt?« forderte Tante Helene Beatrices Lob heraus.

»Bei dem Vater!« rief Professor Faber. Er war gerade eingetreten.

Alles lachte. Der Professor verbeugte sich gegen Beatrice, nahm Bobby, der sofort mit ungestümen »Papa – Papa«-Schreien seine Ärmchen zu dem großen Manne hinaufreckte, auf den Arm, ging zu seiner Frau, küßte sie herzhaft und ungeniert auf den Mund, schäkerte vaterfroh mit Seiner Winzigkeit, die ihn festlich anlächelte, begrüßte die Schwägerin und wandte sich dann, den Ältesten auf dem Arm, wieder an Beatrice: »Mich brauche ich wohl nach den familiären Prozeduren, die Sie eben mitangesehen haben, nicht vorzustellen. Ihr ahnender Geist wird den Familienpapa erraten haben. Ich bin nicht in ganz der gleichen glücklichen Lage. Gilt Ihr Besuch der besseren oder minderen Hälfte des hier versammelten kinderreichen Ehepaares?«

»Mein Besuch, wenn ich es so nennen darf, gilt Ihnen, Herr Professor,« antwortete Beatrice schüchtern und sah zaghaft zu ihm auf.

So hatte sie sich nach allem, was sie von ihm gehört hatte, den Professor Faber vorgestellt. Bis auf den eleganten Anzug. Sie hatte ihn sich in einer rauhen Joppe gedacht. Noch das war Kleinstadt-Torheit. Aber im übrigen traf alles zu. Diese verwegen gebogene hiebdurchfurchte Nase, das braune weiche, aus der kantigen Stirn gestrichene Haar, der energische Schnurrbart über dem kräftigen lebensfrohen Munde, die männliche tiefe Quart auf der linken Backe. »Wie ein Recke,« dachte sie und verlor sich in seine unergründlichen leuchtenden Goetheaugen, die mit ihrem zarten blauen Schatten und den tiefen Denkerfurchen an den Winkeln von schwerer Geistesarbeit und kindlicher Weichheit kündeten.

»Ja,« klärte Sophie die Lage, »Frau Herforth will mit dir sprechen. Sie möchte deine Sekretärin werden.«

»So?« er hob überrascht den Kopf. »Das kommt ja wie eine glückliche Schicksalsfügung.«

»Dann wollen wir das Feld räumen,« gab Sophie der kleinen Mannschaft das Aufbruchssignal.

Faber händigte Seine Niedlichkeit an die Schwägerin, und davon zog die Karawane unter wichtigem Adda-Adda-Geschrei des Herrn Bob.

»So,« schloß Faber die Tür, »nun wollen wir uns ein wenig unterhalten. Bitte, setzen Sie sich doch, gnädige Frau! Sie würden also so liebenswürdig sein, mir bei meinen Arbeiten zu helfen?«

»Sie sind sehr freundlich, Herr Professor, wenn Sie es helfen nennen.«

»Es ist Hilfe. Ich stecke gerade in einem großen Buche über Greco. Ein feiner Bursche, sage ich Ihnen. Noch davon werden Sie ja noch mehr als genug hören. Lieben Sie Kunst?«

»Sehr,« sagte sie bescheiden, »ich fürchte nur, ich habe noch sehr wenig gesehen.«

»Desto empfänglicher werden Sie sein,« gab er frohe Aussicht. »Die Hauptsache ist nun, daß Sie mir ein wenig von Ihren Lebensbedingungen erzählen, damit wir uns ein wenig danach richten. Müssen Sie von Ihrem Verdienst leben?«

»Ja,« stotterte Beatrice hervor, »ich –«

»Gut,« schnitt er ab. »Mehr brauchen Sie mir nicht zu sagen.«

»Ich könnte mir vielleicht noch einen kleinen Nebenverdienst verschaffen.«

Er schüttelte energisch den Kopf. »Ja nicht! Ja nicht! Sie sollen nicht Frondienste tun. Sie sitzen nicht nur da und schreiben mechanisch nach meinem Diktat. Ich gehöre zu den Leuten, die sich erst klar diktieren. Beim Sprechen entsteht es erst in mir. Da muß ein Mensch dort sitzen, der ein bißchen mitgeht, eine Art Resonanzboden muß er sein, in dem all das Schöne, das es zu bannen gilt, widerhallt. Dazu gehört Frische des Gemütes.«

»Ob ich das – ?« zauderte sie bedenklich.

»Sie können es,« versicherte er zuversichtlich. »Gesichter verstehe ich ein wenig.«

Und dann machte er ihr ein Angebot, daß es plötzlich ganz hell um Beatrice Herforth wurde. Die bohrende Sorge um das nackte Leben war ihr genommen.


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