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III.

ie Ermittelungen, die Herr von Ingenheim in aller Eile und Verschwiegenheit anstellte, ergaben, daß der Gedanke einer psychischen Abnormität Seebecks jeder Grundlage entbehrte. Bei der Leitung der Waffenfabrik bewies er die Energie und Umsicht eines geistig überragenden kerngesunden Mannes. Erst gestern noch hatte die Fabrik mit der Montenegrischen Regierung einen Lieferungsvertrag abgeschlossen, welcher der Verstandeshelle ihres Direktors das erfreulichste Zeugnis ausstellte.

Der Regierungspräsident empfing diese Nachrichten, als er am Nachmittage aufs Amt kam. Nun erwartete er die Kartellträger Seebecks. Denn wenn er geistig gesund war, so würde er zweifellos den Mann fordern, der ihn in Gegenwart einer Dame zum Hause hinausgeworfen hatte. Doch der Nachmittag verglitt, es wurde fünf, es wurde sechs, die Sommerabendmilde wehte kühl durch die Eichen, die den Platz vor dem Regierungsgebäude umschatteten – kein Kartellträger nahte. Und als es auf sieben ging und Herr von Ingenheim just erwog, ob er nicht nun seinerseits als persönlich und in seiner Frau Beleidigter Rechenschaft fordern solle, wurde ihm der Geheime Justizrat Helmholtz gemeldet.

Her alte Herr trat in mühsam gedämpfter Erregung in das Arbeitszimmer des Präsidenten.

»Sie werden erraten, Herr Regierungspräsident, was mich zu Ihnen führt,« begann er nach kurzer Begrüßung.

»Wenn es eine Privatangelegenheit ist, so glaube ich's zu wissen, Herr Geheimrat,« erwiderte Ingenheim und rückte dem Rechtsanwalt den bequemen Klubsessel einladend neben das Pult.

Der Geheimrat schob sich tief in das weiche Lederpolster zurück, strich die grauen Handschuhe prall und bedauerte: »Eine leidige Sache, Herr Regierungspiäsident. Eine sehr leidige Sache.«

»War Herr Seebeck bei Ihnen?« eröffnete der Baron die Sachlichkeit.

Der Geheimrat nickte. »Er war bei mir. Ich bin seit langen Jahren Justiziar der Waffenfabrik. So lag es wohl nahe, daß Herr Seebeck sich an mich wandte.«

Der Präsident hielt mit den Fingern der linken Hand den schwarzen Bart umschlossen und wartete.

Der Geheimrat schwieg undurchdringlich. Dann faltete er die behandschuhten Hände und sagte: »Er wollte, daß ich Anzeige an die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung erstatte. Ich habe dieses Ansinnen mit dem Hinweis abgelehnt, daß ich seit Jahren als Ihr Mandatar die Regierung in ihren Rechtsstreitigkeiten verträte und daher ein gegen Sie persönlich gerichtetes Mandat nicht übernehmen könne.«

»Sehr wacker, mein lieber Geheimrat.« Der Baron verneigte sich anerkennend.

»Herr Seebeck wird sich nun an einen meiner Herren Kollegen gewandt haben, wahrscheinlich an Doktor Wurm, der im Rufe besonderer Schneidigkeit stehen soll. Na ich durch meine Ablehnung des Mandats freie Hand gewonnen habe, hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen, Herr Regierungspräsident, diese Mitteilung zu machen.«

Der Baron streckte dem alten Herrn die Hand hin.

»Ich danke Ihnen, verehrter Geheimrat. Ich hatte eigentlich erwartet, er würde mir seine Sekundanten schicken.«

Der Geheimrat schüttelte den Kopf. »Wir haben in unserem Gespräch auch diesen Punkt berührt. Herr Seebeck meinte, seine Ehre verlange wohl, daß er Sie fordere. Da er aber nicht Reserveoffizier sei, liege für ihn hierzu kein unmittelbarer Zwang vor. Er sei ein prinzipieller Gegner des Duells. Wenn ich ihn recht verstanden habe, kommt es ihm auf eine empfindliche Rache an. Er will Sie, Herr Regierungspräsident, und Ihre Frau Gemahlin in einem Sensationsprozesse vor der Öffentlichkeit bloßstellen.«

Der Baron fegte gelassen mit den Fingern seinen Bart. »Das dürfte ihm wohl kaum gelingen. Peinlich ist die Sache gewiß. Aber gegen Rowdies ist kein Mensch gefeit. Was kann mein armes Weib oder ich dafür, daß dieser Schubbiack plötzlich über sie herfällt! Soviel ich sehe, wird der Mann durch einen Prozeß nur sich selbst unmöglich machen.«

Der Alte schwieg.

»Aber, verehrter Herr Geheimrat, Sie schweigen so nachdenklich, haben Sie etwa Bedenken? Ich möchte mal den Richter sehen, der mich verurteilt! Wenn ich den Menschen, der meine Frau und mich in dieser unerhörten Weise beleidigt, zum Tempel hinausbefördere, bin ich doch wahrlich im Recht!«

Der Geheimrat legte die Stirn in zahllose Falten. »Es kommt Herrn Seebeck nicht darauf an, Herr Regierungspräsident, daß Sie verurteilt werden. Der Mann will seine Rache.«

»Ja, aber wenn das Gericht mich freispricht –!«

»Bleibt doch noch immer die öffentliche Erörterung der – der –«

Der Anwalt stockte.

»Sprechen Sie, Herr Geheimrat,« ermunterte der Baron ein wenig nervös. »Übersehe ich etwas? Sie wissen, wir Staatsrechtler sind im Zivilrecht nicht so standfest. Welche Erörterung?«

Der Geheimrat schöpfte tief Atem. »Herr Seebeck war seiner Sache sehr sicher. Er behauptete, untrügliche Beweise in Händen zu haben. Er hätte mir seine Zeugen namhaft gemacht, wenn ich dem nicht vorgebeugt. Ich hielt es nicht für loyal, mir Beweismittel an die Hand geben zu lassen, wenn ich beabsichtigte, das Mandat abzulehnen.«

»Aber welche Beweise denn eigentlich, mein verehrter Herr Geheimrat?«

»Beweise für – für frühere – unerlaubte Beziehungen – der Frau Baronin, die ihm Veranlassung gaben, die Frau Baronin nicht – als Dame zu respektieren.«

Der Geheimrat sah dem Präsidenten fest in die Augen. Der Baron lachte hell und frei heraus. »Aber, bester Geheimrat, lassen Sie sich doch nicht ins Bockshorn jagen! Das ist hohles Gerede. Der Mann will seine Untat entschuldigen. Sie glauben doch nicht im Ernste –?! Greift eine Frau, die sich einer Schuld bewußt ist, zur Reitpeitsche!«

»Frauen sind unberechenbar. Herr Seebeck war seiner Sache sehr sicher.« Der Geheimrat kniff die Lippen fest aufeinander.

»Aber, Herr Geheimrat, das ist ja fast beleidigend.«

Der Anwalt hob die Hand. »Herr Regierungspräsident, ich spreche hier lediglich als Jurist.«

»Gewiß, gewiß,« begütigte der Baron, »ich danke Ihnen auch für Ihre anwaltliche Sorgfalt. Aber, ich sage Ihnen, Herr Geheimrat, der Gedanke ist so absurd –« Er lachte wieder. »Man kann darüber wirklich nur lachen.«

Der Geheime Justizrat blieb sehr ernst. »Es liegt mir fern, Herr Regierungspräsident, die Frau Baronin irgendwie verdächtigen zu wollen. Sie wissen, ich kenne die gnädige Frau nicht persönlich. Ich begreife nur den Mann nicht. Er behauptet mit aller Entschiedenheit, die Beweise vor Gericht erbringen zu können.«

»Renommisterei,« höhnte der Baron.

»Haben Sie heute mit Ihrer Frau Gemahlin über – über diese Angelegenheit gesprochen, Herr Regierungspräsident?« beharrte der Anwalt.

»Kaum. Sie war so mitgenommen, das können Sie sich denken. Ich würde eine Frage in der Hinsicht aber auch für eine ehrlose Beleidigung meiner Frau halten.«

Der Geheimrat schwieg sinnend. Endlich wiederholte er: »Dann verstehe ich den Mann nicht.«

»Aber ich, Herr Geheimrat. Der Mensch hat sich in eine sehr üble Lage gebracht. Vor dem Duell hat er Angst. Nun glaubt er, mich mit Drohungen einschüchtern zu können. Denkt wohl auch, daß der ganze Prozeß mir in meiner Stellung unangenehm ist und daß ich Schritte tun werde, die ganze Sache zu vertuschen. Denkt wahrscheinlich, bis zum Termin ist eine geraume Zeit über die Vorgänge hingegangen, die Gemüter haben sich beruhigt, man ist einem Vergleich geneigter, um alles Staubaufwirbeln zu vermeiden, und die ganze ihm äußerst fatale Geschichte verläuft schließlich im Sande. Ich habe gehört, der Mann soll ein ganz gerissener Kaufmann sein. Verlassen Sie sich darauf, so kalkuliert er. Daher seine impertinente Sicherheit. Sie sehen ja auch, er hat Ihnen keine Zeugen genannt.«

»Ich habe es verhindert.«

»Lassen Sie gut sein, Herr Geheimrat, er hätte auch sonst keine genannt. Aber bei Herr verkalkuliert sich diesmal. Ich bin keine exotische Regierung, die er mit einem Lieferungsvertrage übers Ohr haut. Ich bestehe darauf, daß die Sache durchgeführt wird. Ich nehme an, daß ich auf Ihre oft bewährte Hilfe dabei rechnen kann, Herr Geheimrat?«

Der alte Herr verbeugte sich höflich.

»Die Staatsanwaltschaft wird seine Anzeige ablehnen und ihn auf den Privatklageweg verweisen. Wir werden dann die Widerklage erheben wegen Verleumdung und Beleidigung. Dann soll er einmal den Wahrheitsbeweis antreten, der Monsieur.«

Der Alte sah den Baron gequält an. »Verzeihen Sie, Herr Baron. Ich spreche jetzt lediglich als Ihr beratender Freund.«

»Bitte sehr, Herr Geheimrat.«

»Ich habe fast fünfzig Jahre lang die Psychen meiner Mandanten studiert. Der Mann machte nicht den Eindruck eines Bluffers. Ich bitte Sie zu bedenken, Herr Baron, daß, falls doch etwas Wahres an den Behauptungen des Herrn Seebeck ist – Mein Gott, wer von uns will Frauen auskennen und nun gar die eigene! Dann kommt es zu einem solchen Skandal, daß Sie – verzeihen Sie die Offenheit, Herr Baron – in Ihrer hohen Stellung unmöglich sind. Ich bitte ferner zu erwägen, daß nach verbürgten Gerüchten Ihre Ernennung zum Ministerialdirektor bevorsteht.«

Ingenheim machte lächelnd eine abweisende Bewegung.

»Wollen Sie Ihre ganze Karriere in Ihren jungen Jahren –«

»Oho,« tat der Präsident.

»Sie sind der jüngste unserer höchsten Verwaltungsbeamten, Herr Regierungspräsident. Wollen Sie Ihre große Zukunft vielleicht allzu großem Vertrauen opfern? Ich bitte Sie, sprechen Sie erst mit der Frau Baronin, ehe wir unsere Maßnahmen treffen!«

Der Präsident erhob sich. »Ihre Bedenken ehren Ihre Tüchtigkeit als Vertreter meiner Interessen, mein lieber Herr Geheimrat. Aber überlassen Sie die Verantwortung mir! Ich stehe dafür ein – mit meiner ganzen Zukunft, wenn Sie wollen. Im großen ganzen haben Sie mit Ihrer Skepsis den Frauen gegenüber gewiß recht. Erst gestern – eine alte Freundin meiner Frau, nach ihren Schilderungen früher ein Prachtmensch – aber das führt zu weit. Doch hier in diesem Falle – Sie kennen meine Frau nicht, Herr Geheimrat, da Sie leider gar nicht in Gesellschaft gehen.«

»Wenn man so alt ist und soviel zu tun hat,« entschuldigte der Geheimrat achselzuckend.

»Gewiß, mein verehrter Freund. Aber wenn Sie meine Frau persönlich kennen würden, hätten Sie Ihre Bedenken längst begraben.«

»Ich übernehme die Sache dann also auf Ihre Verantwortung, Herr Regierungspräsident,« entschied der Alte.

»Gut,« sagte der Baron munter, »auf meine Verantwortung.«

»Dann warten wir also zunächst die Zustellung der Privatklage ab,« überlegte der Anwalt jetzt ganz fachlich, »und erheben dann die Widerklage. Somit wäre vorläufig wohl nichts weiter zu besprechen. Ich will Sie dann nicht länger aufhalten, Herr Regierungspräsident.«

»Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und Ihren Beistand, Herr Geheimrat. Auf Wiedersehen!«

Als der alte Herr die breiten Treppen des Regierungsgebäudes hinabtrippelte, schüttelte er mehrmals leise den grauen Kopf. Die Sache gefiel ihm gar nicht.


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