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XVI.

Mit seinem gewohnten, bummelnd sinnenden Schritt ging Professor Faber durch den keimenden Sommerabend. Schon spritzten und knisterten vereinzelt vor den Geschäften in der Hauptstraße die Bogenlampen auf. Und der Feierabend spülte mit schnelleren Pulsschlägen das Leben durch die Verkehrsadern der werktätigen Stadt. Faber schritt durch die engen Straßen und dachte scharf. Dann und wann erwiderte er ohne Bewußtsein den Gruß eines Studenten.

Der Regierungspräsident würde doch wohl von der schwebenden Angelegenheit sprechen? Oder würde er delikat nicht daran tasten? Aber wenn er davon sprach, ihn vielleicht geradezu fragte, ob sein Weib seine Geliebte gewesen sei? Nun, seine Geliebte war sie gewiß nie – im landläufigen Sinne – gewesen. Aber wenn er fragen sollte! Was dann? Alles sagen, reckte sich der Mann in ihm, sich nicht durch Lügen erniedrigen. Heraus mit der Wahrheit! Um kein Weib der Welt sich mit der Schmach der Lüge beflecken. Es gab etwas, was höher stand, als alle Dankbarkeit und Frauen-Ritterschaft. Das war das Recht des freien Blickes. Er überquerte den Fahrdamm.

Aber dann – Manja wollte doch sterben, ehe ihr Mann es erfuhr, Unfug! Überschwängliches Ehrgefühl. Faber blieb mitten auf der Straße stehen, der aufsteigende Gedanke rammte ihn auf das Pflaster. Wie? Wenn er dem Präsidenten aus freien Stücken – – Dann war mit einem mutigen Streich diese neblige wirre Lage geklärt. Ihn würde er fordern. Gut. Und Manja –? Wenn sie erst vor der Tatsache stand, würde sie sich mit ihr abfinden. Wenn plötzlich ihr Mann mit dem Wissen vor ihr stand, würde sie sich verteidigen, ihm alles zu erklären suchen und würde erkennen, daß seine Verachtung den Tod nicht fordere. Ja, das war doch ein vernünftiger Weg zu ihrer Rettung.

Entschlossen durcheilte er den Park vor dem Regierungsgebäude. Das war doch ein Weg. Ihr Tod war keine tragische Notwendigkeit. Er zwang sie ins Leben zurück. Nach der Aussprache mit ihrem Manne, wenn das Schlimmste überwunden war und alles ein anderes Gesicht hatte, würde sie nicht mehr begreifen, daß sie hatte sterben wollen. Ja, er zwang sie einfach auch gegen ihren Willen zum Leben. Er beugte ihren Willen seiner Tat. Er war der Mann, an ihm war das Handeln – auch gegen ihr Gebot. Ihr Geschick lag in seiner Hand, in seiner Hand lag ihr Leben. Sie sollte es von ihm zurückerhalten, auch gegen ihren Willen.

Seines Entschlusses voll, sprang Faber die Stufen der Freitreppe hinauf. Erst als der Diener ihn meldete, fiel ihm ein, daß er an die Berufung wieder nicht gedacht hatte. Gleichgültig! Die war jetzt, weiß Gott, Nebensache.

Bis ins Vorzimmer kam der Präsident ihm entgegen. »Guten Abend, mein lieber Herr Professor!« rief er ihm schon von weitem entgegen, gab ihm die Hand und zog ihn in seinen Arbeitsraum, dem Lichte entgegen. »Ich freue mich, Sie endlich wieder einmal zu begrüßen. Wer hätte das damals, als Sie als neugebackener Doktor zu uns kamen, geahnt, daß wir einmal wegen Ihrer Berufung nach München würden miteinander verhandeln! Lassen Sie sich anschauen! Donnerwetter, Sie haben sich aber gar nicht verändert! Das sind doch jetzt – seit Norderney – erlauben Sie mal 1906 – vier Jahre sind das. Und keine leichten für Sie! Sie sehen noch genau so jung und frisch aus wie damals. Sie sind ja auch noch der reine Jüngling.« So sprach der Präsident munter und redefroh wie immer.

»Das Kompliment der Jugend kann ich Ihnen zurückgeben,« sagte Faber, beklommen überrascht von dem unerwartet liebenswürdigen Empfang.

»Nein, nein,« wehrte der Präsident und streichelte zärtlich den schwarzen Bart, »da, sehen Sie: die ersten Grauen! Aber setzen Sie sich doch, mein lieber Professor!« Faber gehorchte gedankenlos. Seine Verstandeskräfte drängten sich zu einem Keil zusammen, der eine Lücke suchte, sich in die gemütliche Gastlichkeit des Präsidenten einzuzwängen. Des Barons Wortlust aber baute zunächst eine undurchdringliche Mauer. Im Innersten jagte ihn eine nervöse Hast. Die Universität war stets sein Sorgenkind. Es war nur natürlich, daß die großen Universitäten in den Hauptstädten die berühmten Lehrer lockten. Das wollte die Regierung nicht einsehen. »Es liegt nur an Ihrem Takt und an Ihrer Klugheit, mein lieber Ingenheim,« hatte dem Präsidenten erst kürzlich der Minister vorgehalten, als er zu einem Bericht nach der Residenz hinübergefahren war. Nur an seiner Klugheit! Nun, diesmal sollte die frohe Botschaft von Fabers Bleiben in Händen Seiner Exzellenz sein, ehe sie die drohende Gefahr noch ahnte.

»Sie gehen ja wie ein Sturmwind vorwärts,« lächelte der Baron und setzte sich. »Meine Frau hatte damals doch den richtigen Blick, als sie Ihnen die große Zukunft prophezeite. Wir wollen wie Männer miteinander reden! Ich weiß genau, was diese Berufung für Sie bedeutet. Aber Sie können es uns wiederum nicht verdenken, wenn wir eine solche Kraft unserer Universität erhalten wollen.«

»Nein,« sagte Faber und wollte unterbrechen. Der Präsident aber fuhr fort: »Sie sind so klug, daß wir uns nichts vorzumachen brauchen. Sie wissen so gut wie ich, welche Zugkraft Sie für unsere liebe Alma mater sind. Sie haben heute weit über unsere Grenzen hinaus Ihren bedeutenden Ruf. Ja, Ihnen ebenbürtig sind eigentlich wohl nur noch Thode in Heidelberg, der ja nun auch aufhören will zu lesen, und Wölfflin in Berlin. Das wissen Sie, und das wissen wir. Es ist darum vielleicht ein wenig kühn, wenn wir gleichwohl hoffen, Sie unserer immerhin im Verhältnis zu München und Berlin kleinen Universität erhalten zu können. Mut hierzu gibt uns allein der Gedanke, daß wir es schließlich waren, die Sie zuerst auf deutscher Hochschule heimisch gemacht haben. –«

»Ich bleibe ja,« unterbrach hier Faber den Redestrom. Jedes Wort schlug auf seine abirrende Denkkraft nieder wie ein Hammerschlag.

Der Regierungspräsident hielt die Hand, die seine Worte unterstreichend begleitet hatte, sekundenlang wie einen Wegweiser steif in der Luft, so plötzlich und unerwartet leicht kam ihm der Sieg.

»Sie bleiben?« stutzte er ungläubig, als fürchte er, sich verhört zu haben.

»Ja doch,« bestätigte Faber diese Nebensache und sprang in entschlossenem Ungestüm vom Stuhl auf. Jetzt wollte er heraus mit seinem Bekenntnis.

Doch schon war der Präsident bei ihm, eroberte seine Hand, schüttelte ihm mit seiner Oberförstergewalt den Arm und rief: »Bravo – ich gratuliere Ihnen und uns zu diesem schnellen mannhaften Entschlusse! Ihnen, mein lieber Herr Professor, ich darf wohl bald sagen: mein lieber Herr Hofrat, weil er ein Zeugnis für Ihre ehrenhafte Dankbarkeit ablegt. Und uns –«

»Ich möchte gerne einige Worte über die andere Angelegenheit mit Ihnen sprechen,« fuhr Faber brüsk in den Gratulationsschwall.

»Andere Sache?!« Der Präsident prallte ordentlich aus seinem Satzgehege heraus. »Welche andere Sache, mein lieber Hofrat?« Aha, jetzt kommen die Bedingungen, durchzuckte es ihn.

»Ich bin als Zeuge geladen,« begann Faber schwer.

»Ach, die Lappalie!« Der Baron wehte mit der Hand durch die Luft und hob die Schultern, die plötzlich so bürdelos geworden waren. »Die verdient es wahrhaftig nicht, daß wir diese schöne Stunde mit ihr verunglimpfen. Nein, wie mich das freut! Nach den zurückhaltenden Worten Ihrer Frau Gemahlin heute nachmittag – übrigens, mein verehrter Hofrat in spe, gratuliere zu dieser Frau! Eine ganz charmante Dame, ganz überaus charmant!«

»Sie ist sehr lieb,« nickte Faber bleich und sagte: »Ich möchte doch –«

Da pochte es, und durch eine Tapetentür in der Ecke trat der Regierungsrat von Bredow herein, die rote Eilmappe wie eine blutige Fahne des Aufruhrs schwingend. Als er den Besuch gewahrte, wollte er sich mit einem eiligen »Pardon« zurückziehen. Der Präsident aber rief munter: »Kommen Sie nur, Bredow! Ich habe die Freude, Ihnen mitzuteilen, daß unser verehrter Herr Professor Faber uns bleibt. Darf ich die Herren bekannt machen: Herr Regierungsrat von Bredow – Herr Professor Faber.«

Das Amtssorgengesicht leuchtete auf. »Das ist aber mal eine Überraschung!« platzte er unüberlegt ehrlich heraus.

»O –« wies ihn der Präsident zurecht – »bei der vornehmen Gesinnung des Herrn – Hofrats war diese Entscheidung doch wohl als sicher vorauszusehen.« Und nun brannte ihm die Zeit unter den Nägeln. Das Schreiben an den Minister mußte noch heute abend hinaus.

Weltgewandt streckte er dem Professor die weiße Diplomatenhand entgegen: »Also, nochmals meinen Dank im Namen der Regierung – und meinen persönlichen Dank! Und – na, wir sehen uns ja in den nächsten Tagen auf dem Gericht. Dann wollen wir, wenn es Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin recht ist, einmal bei mir Ihr Bleiben feiern. Empfehlen Sie mich, bitte, der verehrten Frau Gemahlin! Auf Wiedersehen, Herr Professor!«

Und ehe Faber recht zur Besinnung kam, hatten die beiden Herren ihn durch das Vorzimmer bis auf den Korridor hinauskomplimentiert.

Als sie wieder im Schreibzimmer des Präsidenten unter dem Lüster standen, grüßten sich ein stolzes und ein devot bewunderndes Lächeln.

»Ich gratuliere,« dienerte der Regierungsrat. Der Baron schüttelte nachdenklich den klugen Kopf. »Ob es an dem Beruf liegt, weiß der Teufel! Dieser Faber, früher der lebenssicherste energischste Mensch, den ich gekannt habe. Und heute – der waschlappige verträumte deutsche Gelehrte, wie er im Buche steht. Daß der Mann auf die jungen Leute solchen Eindruck macht!« Er fegte kräftig den langen Bart.

»Der Eindruck im Kolleg ist ein durchaus anderer,« bemerkte der Regierungsrat. »Ich habe ihn mir mehrfach angehört.«

»Muß wohl auch sein,« sann der Präsident, »aber als Mensch im Leben! Du meine Güte! Hat alle Trümpfe in der Hand, goldne Berge hätte ich ihm zugesichert – und platzt, ohne jede Bedingung zu stellen, gleich mit der Entscheidung heraus. Ja, diese Buchweisen! Und nun, Bredow, bitte verfügen Sie gleich das Schreiben an den Herrn Minister! Ich unterschreibe es sofort.« – – –

Mit zuckenden Lippen, wie ein Junge, der das Weinen niederdrückt, durchlief Faber die dunkeln Wege des Stadtparkes. Wie geprügelt fühlte er sich. Ins Gesicht hätte er sich schlagen mögen. Wie ein dummer Bengel hatte er sich aufgeführt. Er rannte auf den dunkeln Wegen und schämte sich, in die Helle der Straßen hinauszutreten. Das Wasser trat ihm in die Augen vor Zorn über seine schlaffe Tölpelei. Herr, Herr, was war an diesem einen Tage aus ihm geworden! Das ihm! ihm!

Dort oben verlachten sie ihn jetzt. Wie einen blöden Narren hatten sie ihn eingewickelt! Sein Bleiben ohne jedes Opfer erschwatzt. Weil er nicht bei der Sache war. Weil – er reden wollte. Und doch nicht geredet hatte. Und doch nicht geredet hatte! Bebend vor Wut und Selbstverachtung warf er sich auf eine Bank im Dunkeln, preßte die Hände vor das Gesicht und schluchzte tränenlos über seine schmachvolle Niederlage. Und plötzlich dachte er an die jungen aufrechten Korpsbrüder. Wenn sie ihn in seiner tiefen Erniedrigung sehen würden! Wie eine Rakete schnellte er empor, daß ein Nachtvogel hell aufschrie und schreckgelähmt vom Aste dumpf zur Erde fiel. Mit weitraffenden Zornschritten stürmte Faber zu dem dunkeln Gebäude zurück. Wenige Fenster nur glänzten hinaus in das dunkle flüsternde Laub der Bäume. Dort oben standen sie jetzt und verlachten ihn. »Warte du nur,« knirschte er die Zähne, »dir wird gleich das Lachen vergehen! Warte du nur, du eleganter superkluger Diplomat! Sollst den Professor noch kennen lernen, den dummen Tolpatsch, den du hudeln zu können glaubst, wie du willst! Sollst bis in deinen eiteln schwarzen Bart vor Scham erfrieren, wenn ich spreche!«

Eine wohltuende törichte Freude triumphierte in ihm, daß er das Weib dieses selbstsicheren Mannes besessen hatte, dieses Mannes, den er plötzlich haßte in dieser menschlichen Ungerechtigkeit, die den Zorn über die eigene Schwäche in weißglühende Wut wandelt gegen den, der zum Zeugen der selbstverschuldeten Haltlosigkeit geworden ist.

Als er aus dem Dunkel gegen das Portal losfuhr wie ein Stier gegen die rote Fahne, sah er durch die Glasscheiben der Pforte den Regierungspräsidenten mit Bredow die Treppe herabkommen. Der Regierungsrat blieb an dem Briefkasten neben dem Portal stehen, der Einwurfdeckel klirrte hell in die Nacht.

Munter plaudernd gingen die Herren bis zur Ecke, an der die Ingenheimsche Equipage wartete. Ein kurzer Abschied, – lautlos rollten die Gummiräder über den Asphalt. Aus der Nacht klapperten rhythmisch die acht Pferdehufe.

Wie ein feiger Dieb stand Faber hinter einem Baume. Dann schlug er die Stirn gegen die geborstene Rinde und weinte bitterlich vor Scham, Zorn, Unseligkeit und Jammer.


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