Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Verwundert blickte Professor Faber auf die blonde Frau im schwarzen Reitkleide, die bedrückt an die Tür gepreßt stehen blieb.

Er trat ihr einige Schritte entgegen und prallte zurück, als hätte ihn ein Stoß vor die Brust getroffen.

»Manja!«

Sie hob die grauen Augen verängstigt zu ihm auf: »Ja – ich.«

»Du – bei mir?!«

Er blieb wie eine Säule festgerammt mitten im Zimmer, Sie drückte sich noch immer an den Türpfosten, Halt suchend.

Ihr Blick hastete über den Teppich.

»Was führt – Sie – her, gnädige Frau?« erkämpfte der Professor seine Fassung.

Da rannte sie mit kleinen gehetzten Schritten dicht zu ihm heran, hob die irrenden Augen und flüsterte: »Fritz, es ist etwas Furchtbares geschehen.«

Er fühlte eine ahnende Schwäche in den Knien.

»Etwas Furchtbares?!« Er faßte ihren Arm.

»Etwas Furchtbares,« wiederholte sie. Die Pupillen brannten schwarzsprühend in dem Weißen Gesicht.

Da löste der Mann sich gewaltsam aus der schreckgelähmten Überraschung.

»Setz dich und sprich,« bestimmte er mit rauher Kehle und zog einen Sessel für Manja herbei. Dann ging er mit steifen Schritten zum Schreibsessel. Stumm blickten sie sich an. Fast vier Jahre hatten sie sich nicht gesehen.

Endlich begann er mit belegter Stimme: »Was ist denn Böses geschehen, gnädige Frau?«

Seine erzwungene Beherrschung strömte auf sie über.

Sie beugte sich vor: »Hört hier keiner?«

»Nein.« Etwas in ihm zog sich vor dem jähen Eindringling zurück. Und flüsternd schwemmte sie ihren trostlosen Bericht hervor: »Im vorigen Winter erhielt die hiesige Waffenfabrik einen neuen Direktor. Seebeck. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen?«

»Nein.«

»Ich traf ihn in Gesellschaft. Er fragte mich sofort, ob ich vor einigen Jahren in Norderney gewesen bin.«

Durch des Professors Körper schreckte eine Bewegung.

»Dann machte er Bemerkungen, aus denen hervorging, daß er uns damals beobachtet hat.«

»Vor vier Jahren?« sagte Faber ungläubig.

»Er hat mich sofort wiedererkannt. Er sagte, mein Gesicht vergesse man nie. Und daß du jetzt hier bist, wußte er auch.«

»Was dann?« drängte der Professor vorwärts.

»Er verfolgte mich den ganzen Winter hindurch mit dreisten Anspielungen. Vor einiger Zeit kam er eines Vormittags zu mir zu Besuch. Wir hatten ihn im Winter zu unserer Gesellschaft geladen. Ich habe es aus Angst vor ihm getan. Er hat mich plötzlich überfallen.«

»Was?!« Faber stand steil.

»Ich hatte die Reitpeitsche zur Hand.«

»Du hast –?«

»Ich habe sie gebraucht.«

»Bravo!« Des Professors Augen funkelten.

»In dem Augenblick trat mein Mann herein!«

Der Professor bog sich vornüber und riß mit seinen Blicken die Worte von ihrem Munde.

»Er wollte ihn zur Rede stellen. Da schrie der Mensch – ich sei vogelfrei.«

Der Professor umklammerte mit den Fingern die Tischplatte und beugte sich noch weiter vor.

»Mein Mann hat ihn hinausgeworfen,«

»Weiter, Manja!«

»Jetzt klagt er.«

»Er klagt?!«

»Und mein Mann klagt gegen ihn. Es kommt ein Termin. Du sollst Zeuge sein.«

Da prallte der Professor in seinen Sessel zurück. »Was? Was?!«

Manja nickte stumm und schicksalsschwer.

»Ich –«, der Professor bohrte die zeigenden Finger gegen die Brust, »ich soll – Manja, ich soll –!«

Sie nickte wieder wortlos, unheilbewußt.

Faber wischte mit den Fingern über die feuchte Stirn. »Ich verstehe doch recht, Manja? Ich soll als Zeuge sagen, ob wir –!«

»Ja, Fritz,« gab sie ihm die unausweichliche Gewißheit. Dann war eine tiefe angstumhüllte Pause. Sie starrten mit flackernden Augen aneinander vorbei.

Plötzlich wippte er auf. »Wie kann er wissen, daß ich –?«

»Er weiß es nicht,« belehrte sie leise. »Er ahnt es mit dem Instinkt des Nebenbuhlers.«

Dann taumelten sie wieder zurück in das Schweigen der Verzweiflung.

Nach einer Weile hob er die verkrampften Hände:

»Aber Manja, das ist ja entsetzlich. Wie kann ich dir da nur helfen!«

Tränen glänzten in dem Silbergrau ihrer Augen, »Du – Lieber,« flüsterte sie, »du siehst nur die Folgen für mich. Denke an dich! Es wird ein öffentlicher Skandal. Mein Mann muß dich fordern, unter schwersten Bedingungen. Er ist Offizier. Tod kommt und Vernichtung.«

Dann war wieder lange ächzende Stille, bis Faber emporsprang.

»Es muß etwas geschehen. Ich muß dich retten. Ich muß dich retten, Manja.«

»Und dich?« hastete sie hervor.

Der Professor lief mit seinen langen Schlitten durchs Zimmer und wiederholte mechanisch: »Retten – retten.« Und sie flüsterte furchtgescheucht in seine Stoßworte hinein: »Ja – ja.«

So ging es irre eine Weile.

»Wann ist der Termin?« er stand jählings still. »Ich weiß nicht. Es wird aber wohl bald sein.«

Der Professor rannte wieder. »Es muß etwas geschehen. Sofort!«

Er lief gegen die Tür an und preßte die Stirn gegen das Holz, daß es knirschte. »Was? Was bloß?!« marterte er sein Hirn.

Da sagte sie: »Ich habe es mir die ganze lange Nacht übersonnen. Ich fürchte, es gibt für uns keine Rettung.«

Er winkte ruhefordernd mit der Hand, löste sich von der Tür und hob die Augen hart überlegend zur Decke.

»Laß uns doch nachdenken! Wie denn? Wenn ich nicht hingehe.«

»Dann holen sie dich.«

»Und wenn ich mein Zeugnis verweigere?«

»Wissen sie alles.«

»Und wenn ich verreise?«

»Warten sie, bis du zurückkommst. Ich habe das alles schon tausendmal durchdacht.«

Er hob die Arme. »Aber, mein Gott, was wollen wir denn tun? Wir sind da ja grauenvoll umstrickt.«

»Das sind wir, Fritz. In die Ecke sind wir gehetzt, und kein Ausweg ist da.«

»Ich kann doch nicht hingehen und einen Meineid leisten!« wehrte er einem aussteigenden Gedanken.

»Nein, nein,« echote sie.

»Obwohl keinem ein Unrecht damit geschähe. Dieser Lümmel verdiente es. Aber die Heiligkeit der Rechtsordnung. Nein, nein!« Und seine ohnmächtige Wut stürzte sich wie ein blutgieriges Raubtier auf den Mann, der diese furchtbare Not über sie zusammengeballt hatte.

»Dieser Hund,« malmte er zwischen den Zähnen und ballte die Fäuste, daß die Haut sich schmerzhaft spannte, »an die Kehle werde ich ihm! Ihn würgen mit diesen zehn Fingern, daß er pfeift wie eine erstickende Ratte. Dieser Schurke, der sich da an den Tisch heranräubern will, den er für einen andern gedeckt glaubt. Dieser Hund! Dieser räudige Hund!«

Er stürmte durch das Zimmer.

»Laß den Menschen!« sagte sie mit verächtlich verzogenem Munde. »Er ist nicht wert, daß sein Schatten über unsere Abschiedsstunde fällt.«

Der Professor setzte sich wieder und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, legte die Schläfen in die Handflächen und starrte vor sich nieder.

»Auch wenn ich weit fortginge, für immer verschwände, wenn ich meinen Beruf opferte,« flüsterte er vor sich hin, »wärst du verloren.«

»Man würde alles wissen.«

»Ja.«

Da lehnte er sich in den Stuhl zurück und legte die Hände über die Augen.

»Wie –« er schnellte auf, »wie, Manja, wenn ich zu deinem Manne gehe und ihm alles sage? Wenn ich ihm erkläre, wie es kam. Daß mich allein alle Schuld trifft –«

Sie schüttelte den Kopf. »Alle Schuld trifft immer die Frau in den Augen der Welt. Nein, Fritz, heut ist es zu einem Bekenntnis zu spät. Heute, da uns der Zwang treibt. Damals hätte ich es vielleicht können. Aber heute, nachdem ich ihn vier Jahre lang damit – wie er es ansehen muß – betrogen habe! Nein, ich will nicht als erzwungene reumütige Sünderin vor ihm stehen. Mein Weg ist mir vorgezeichnet, Fritz. Ganz klar und unausweichlich.«

Sie kam zu ihm.

»Meine Angst und Ratlosigkeit hat mich zu dir getrieben. Ich hoffte töricht, dein genialer Scharfsinn würde etwas Übermenschliches finden. Du weißt, ich habe dir immer Übernatürliches zugetraut.« Sie lächelte weh. »In der Tiefe meines Verstandes wußte ich, daß es eine verzweifelte Hoffnung war.«

»Ich sehe nichts,« zerquälte er sein Hirn und blickte tastend im Zimmer umher.

»Jetzt bin ich ganz gefaßt,« lächelte sie still ergeben. »Und jetzt, Fritz, freue ich mich, daß ich noch einmal zu dir gekommen bin.« Und rasch legte sie ihre beiden Hände auf des Mannes Schultern, neigte den Kopf dicht zu seinem Gesicht und sagte in Ehrlichkeit bebend: »Es tut mir so weh, daß ich das Schwere, das deiner harrt, nicht mit mir hinübernehmen kann. Wenn dir die Geschicke hold sind, dann wünsche ich dir ein langes reiches Leben. Und das Bewußtsein allerwege, daß du mir die beiden farbenprangendsten Jahre meines Lebens gegeben hast. Fast scheint es mir, als sei der Preis, den ich jetzt zu zahlen habe, dafür nicht zu hoch.«

Da faßte der Professor ihre beiden Arme: »Manja –« die Ergriffenheit rüttelte ihn – »du dankst mir! Mir, der dich in dieses Unglück gebracht hat!« Seine Finger umkrallten ihre zarten Gelenke.

Sie bewegte leise den seinen Kopf. »Du, Lieber,« sagte sie, »wir wollen nicht von Schuld sprechen. Es ist gekommen, wie es kommen mußte. Wir waren jung und heiß. – Und haben überheblich und selbstsicher mit unserer Jugend gespielt. Wir wollen nicht von Schuld sprechen. Was nun kommt, ist keine Sühne, sondern Folge unseres Glücks. Wir wollen sie tragen.«

Da preßte der Mann ihre beiden Handflächen gegen sein eisiges Gesicht. »Manja,« die Worte brachen sich an ihren Händen, »das ist Wahnsinn. Ich lasse dich nicht hingehen und dich töten. Ich lasse das nicht zu. Das ist heller Wahnsinn!«

Sie löste die eine Hand aus seiner Umfesselung und strich über seinen gebeugten Kopf. »Wir wollen groß und gelassen jeder unser Teil tragen,« sagte sie schlicht.

»Wir wollen überlegen!« er bohrte wieder tief hinein in die Hoffnungslosigkeit. »Ich muß einen Weg zu deiner Rettung finden. Ich muß. Ich muß. Nichts überhasten! Es kommt urplötzlich. Laß mir Zeit!«

»Wir finden nichts,« wehrte sie, jenseits aller Furcht.

»Versprich mir eins,« drängte er, »daß du nichts Unbedachtes tust –«

»Unbedachtes!« Ihre Lippen zuckten schmerzlich.

»Daß du nichts tust, vorläufig. Wir haben noch Zeit. Ich habe noch keine Vorladung. Wir haben ja noch Zeit. Ich muß einen Weg finden.«

»Lieber,« sagte sie milde, »soll ich all die Tage in dieser Qual umhergehen? Ich habe den ganzen Winter gespenstergehetzt gelebt. Ich habe seit Wochen das Ende gesehen. Nun kann ich nicht viel weiter.«

»Du Armes, Armes,« tröstete er und streichelte ihre Hände. Und aufprasselte er, ballte rasend die Fäuste und tobte: »Hätte ich mich doch beherrscht. Ich Tier – ich wildes Tier!«

Sie fing wieder seine Hände ein. »Rühre nicht daran!« bat sie. »Laß uns das heilig sein!«

Ihre großzügige Ruhe bändigte seine Verzweiflung. Lange sah er sie schweigend an. »Mania,« sagte er endlich, »wenn ich nicht mein armes ahnungsloses Weib und meine Kinder hätte –«

»Ja,« lächelte sie, »wenn – wenn –«

»Ich würde alles stehen und liegen lassen und dich ans Ende der Welt bergen –«

»Ich würde nicht mit dir gehen,« entschied sie herb, »ich könnte nicht aus Furcht von meinem Manne und Jungen davonlaufen.«

»Willst du jetzt Besseres tun?« fragte er bitter.

»Der Tod heilt durch seine Tragik viel,« sagte sie. »Meines Mannes Verachtung kann ich nicht ertragen. Wenn ich für mein Tun gestorben bin, wird er mich nicht verachten. Inniger kann ich nicht um seine Achtung werben. Er wird es verstehen.«

»Ich lasse dich nicht sterben!« trotzte er auf.

Da gab sie ihm fest die Hand. »Lebe wohl,« sagte sie, und ihre Stimme bebte sacht, »lebe wohl, Fritz, ich habe dich sehr geliebt! Das fühle ich heute. Lebe wohl, du mein lieber lichter Junge!«

Und ehe er sie halten konnte, hatte sie sich losgerissen, war aus der Tür; er stürmte ihr nach – da schlug draußen die Korridortür ins Schloß, Als er sie öffnete, eilten ihre Tritte die Treppe hinab.

»Manja,« rief er gedämpft, »Manja!«

Da hallten ihre Schritte unten im Windfang.

Er eilte zurück in das Entree, griff den Hut vom Ständer und stob die Stufen hinunter. Als er aus dem Hause trat, sah er sie in eine abfahrende elektrische Bahn verschwinden.

Mit bleiernen Füßen stieg er zu seiner Wohnung hinauf.


 << zurück weiter >>