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XV.

In dem Arbeitszimmer des Professor Faber saß um die gleiche Zeit der Regierungspräsident von Ingenheim vor Sophie Faber.

Schon am Vormittag war die Kunde von Fabers Berufung auf das Amt gedrungen. Sorgenvoll und erregt ließ der Dezernent für Kultusangelegenheiten sich bei dem Chef melden. »Herr Präsident,« ereiferte sich der Regierungsrat, »der Mann darf uns nicht fort! Solange ich denken kann, ist nicht soviel Kunstgeschichte bei uns gehört worden. Sämtliche Fakultäten belegen bei ihm, von seinen Publika gar nicht zu reden. Wir dürfen den Mann nicht gehen lassen, ohne die ernsthaftesten Vorwürfe seitens der Zentralbehörde zu gewärtigen.« Der Präsident sah gedankenvoll den blauen kunstvollen Ringen seines Zigarrenrauches nach. »Hm, lieber Kollege,« machte er.

»Ich gestatte mir, Herr Präsident, die gereizte Verfügung des Herrn Kultusministers gelegentlich des Wegganges Weigls nach Leipzig in Erinnerung zu bringen, in welcher uns ziemlich unzweideutig vorgehalten wurde, daß eine unserer Hauptaufgaben darin erblickt würde, hervorragende Lehrer unserer Universität zu erhalten.«

»Ja, ja,« paffte der Baron schwer. »Ob ich den Herrn einmal aufsuche, Herr Präsident?« schlug der karriereeifrige Regierungsrat vor. »Zeit ist nicht viel zu verlieren. Wenn er erst angenommen hat, ist es vorbei. Vielleicht könnte man aber durch ein Entgegenkommen, Aufbesserung seines Gehalts, bessere Pensionsbedingungen –«

»Hm,« machte Ingenheim wieder und überlegte. Plötzlich stand er auf. »Lassen Sie nur, lieber Bredow! Werd' ich selber in die Hand nehmen. Bin seit Jahren mit Faber gut bekannt. Kann das ganz privatim machen. Einem krassen Refus können wir uns auch nicht aussetzen.«

»Keineswegs,« verbeugte sich der Regierungsrat und ging.

So hatte Ingenheim es denn »in die Hand genommen«, rasch und persönlich, wie er jede große Aufgabe rasch und persönlich in die Hand nahm. Er war eine dieser energischen Führernaturen mit dem großherrlichen Selbstvertrauen, das nur an sich und seine Wachsamkeit glaubt und in hilfeverachtender Gewissenhaftigkeit nichts dem Untergebenen überläßt.

Es war ihm nicht angenehm, gerade jetzt mit Faber zu sprechen. Doch an die leidige Sache brauchte mit keinem Wort getastet zu werden.

Am Nachmittage fuhr er an Fabers Wohnung vor. Das Mädchen bedauerte des Professors Abwesenheit. Da fragte der Baron kurz entschlossen, ob Frau Professor Faber zu sprechen sei. Die Frauen waren in solchen Berufungsfragen oft ausschlaggebender als die Männer. Und dann wurde er in diesen streng-traulichen Arbeitsraum geführt, der als Empfangszimmer diente, da die meisten Besuche dem »Professor« Faber galten.

Bisweilen, zumal an den Tagen seiner berühmten Sprechstunde, war dieses Zimmer umsummt wie ein Bienenkorb von Studenten und Studentinnen und Hospitanten und schwärmerischen Verehrerinnen seiner Vorträge in der Lessing-Akademie.

Freundlich und frei trat Sophie Faber dem Baron entgegen. Sie hatte im Hause des Oberst Pahlow Rangunterschiede sehr genau abwägen gelernt. Doch als Mensch galt ihr der Regierungspräsident nicht höher als der kleinste schüchterne Student. Ihre Herzlichkeit kam jedem schlicht und anmutig beherrscht entgegen.

Sie thronte wieder, wie immer, wenn sie sich als Vertreterin ihres Mannes fühlte, auf seinem Schreibsessel; der Präsident hatte es sich in einem der Saffian-Klubsessel bequem gemacht. Und nun saß er da und staunte auf zu dem fast südlichen Liebreiz. Sein enthusiastisches Herz pochte hochgemut.

»Ja,« er strich diplomatisch den langen schwarzen Bart, »ich komme natürlich nur als Privatmann, gnädige Frau. Da ich das Vergnügen habe, Ihren Herrn Gemahl seit langen Jahren persönlich zu kennen, so –«

»Ah,« unterbrich Sophie lebhaft, »das wußte ich ja gar nicht.«

»Aber gewiß,« lächelte Ingenheim zuversichtlich und freute sich dieser gelblich-glatten Marmorhaut des jungen freien Halses, »früher – vor Jahren, kam er oft zu uns, und deshalb glaubte ich, mir diesen Besuch gestatten zu dürfen.«

»Mein Mann wird sehr bedauern, Herr Präsident.«

Er richtete sich im Sessel auf. Stärker als je vorher trat diese seltsame Mischung seines Wesens hervor: halb eleganter Regierungsbeamter, halb robuste Oberförsternatur.

»Es läuft das Gerücht, gnädige Frau, daß Ihr Herr Gemahl einen Ruf nach München erhalten hat.«

Er wartete. Vergeblich, denn Sophie war auf dem Posten und schwieg klug. So fuhr er fort: »Wenn ich auch heute als Privatmann komme, so« – er lächelte – »Ihnen, gnädige Frau, muß man ohne Hinterhalt die Wahrheit sagen. Der Zweck meines plötzlichen Besuches ist natürlich nicht allein der, wieder gesellschaftlich angenehme Bande neu zu knüpfen. Obwohl ich gestehe, daß meiner Frau und mir das sehr willkommen wäre.« Er sah ihr ganz schüchtern in die Augen.

Sie entgegnete liebenswürdig mit kindlich pointierter Hoheit: »Das würde auch mein Mann und ich sehr freudig begrüßen.«

»Ein Prachtweib!« dachte er und sprach weiter: »Ich komme in erster Reihe deshalb, unserer Regierung den Mann zu erhalten. So – das war Ehrlichkeit! Und nun erbitte ich das gleiche von Ihrer Seite, gnädige Frau.«

»Wie meinen Sie das, Herr Regierungspräsident?« fragte sie vorsichtig. Es sollte kein Mensch auf dieser Erde einhergehen, der sich brüsten konnte, daß Sophie Faber ihm Pläne ihres Mannes ausgeplaudert hatte.

»Ach so,« dachte Ingenheim, »gerissen bist du auch!« Und laut sagte er: »Sie dürfen Vertrauen zu mir haben, gnädige Frau! Sie geben kein Geheimnis Ihres Herrn Gemahls preis, wenn Sie mir verraten, wie er über diese Berufung denkt. Will er annehmen oder bleiben? Ich wiederhole Ihnen ganz offen, wir legen Wert darauf, einen Mann wie den Professor Faber unserer Landesuniversität zu erhalten. Wir sind selbst – wenn es notwendig sein sollte – bereit, für diesen wertvollen Besitz Opfer zu bringen.«

Da konnte die liebe junge Sophie Faber doch nicht verhindern, daß der Stolz in ihren schwarzen Augen helle Lohlichter zündete. Noch gemessen sprach sie: »Ihr Vertrauen zu meinem Manne, Herr Regierungspräsident, ehrt ihn und mich. Ich bedauere, Ihnen keinen Bescheid geben zu können. Soviel ich weiß, ist eine Entscheidung noch nicht gefallen.«

»Ein Prachtweib,« pries wieder des Barons gerechte Urteilskraft, trotz seiner leichten Verärgerung. Er erhob sich. »Ich danke Ihnen für diese letzte Andeutung, gnädige Frau, die wenigstens einiger Hoffnung die Fenster öffnet. Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

»O bitte,« wehrte sie höflich.

»Auch meine Zeit ist knapp. Darf ich Sie bitten, gnädige Frau, Ihrem Herrn Gemahl meine Grüße zu bestellen und ihn zu bitten, mich noch heute zu besuchen! Ich bin bis neun, halb zehn im Regierungsgebäude.«

»Ich werde es ausrichten, Herr Regierungspräsident.«

Und als Ingenheim die Treppen hinabstieg, dachte er: »Sapperlot, dieser Faber. Ein Glücksjunge!« Sophie aber trällerte stolz und ihrer Klugheit bewußt durch alle Zimmer.

Als Faber am Spät-Nachmittage nach Hause kam, lief sie ihm mit knatternden hellen Sommerröcken entgegen. Wie ein fröhlicher Wirbelwind fing sie seinen Kopf zwischen beide Hände ein, sah ihm in die Augen und forschte in seinem Gesicht. Da veratmete ihre Fröhlichkeit. Die eisige Starrheit seines Entschlusses wehte sie an.

»Du hast es gefunden,« sagte sie traurig, »doch nicht in Glück und Zufriedenheit!«

Seine Augen sahen glanzlos an ihr vorbei. »Wird es dir so schwer,« fragte sie mütterlich-besorgt, »so schwer, mein Armer? Ich verstehe es. München lockt dich, und Bleiben erscheint dir Pflicht.«

Da erst begriff sein abgemartertes Hirn den Sinn ihrer Worte. Er hatte seit Mittag nicht einen vagen Gedanken an diese Berufung gehängt.

»Ich weiß noch nicht,« stieß er hervor.

»Wie?« Ihre Hände lösten sich von seinem Gesicht, sorgenschwer fielen die Arme herab. »Ich dachte, du hast es entschieden!«

»Nein!« sagte er schroff und setzte sich nieder.

Da kniete sie in ihrer alten lieben Vertraulichkeitsstellung vor ihm hin, preßte die Brüste gegen seine Knie, legte die Arme um seinen Körper und bat: »Was ist dir, Lieber? Sag es – sag es mir doch!«

Er sah zu ihr herab. Zweifel hasteten um seine Sicherheit. Sollte er es ihr sagen? Zu ihr mit all dieser blutigen Wirrnis flüchten? Er war keiner, der sich verstellen konnte. Vor Fieze nicht. Sie würde ihm den Gram und das vernarrte Harren auf ein Rettungswunder vom Gesicht lesen. Tag für Tag, und ihre Gesundheit verhärmen und sich herumschlagen mit tausend zweifelnden Vermutungen. War die schlimme Gewißheit nicht beruhigender? Sie war stark und gefaßt. Sie würde es mutig tragen. Er strich ihr die Haare aus der Schläfe. Aber – aber! Das Duell war unausbleiblich. Sollte sie ihn die Treppe hinuntergehen sehen – zum letzten Male vielleicht? Herrgott nein, wo geriet er hin! Nein, nein!

Er blickte nieder in das kindlich-stumm um Mitteilung flehende Gesicht.

»Fieze,« er beugte sich tief zu ihr herab, »es ist das eine böse Sache – ich kann es dir nicht sagen.«

»Nicht mir?!«

Er schüttelte langsam den Kopf.

»Nicht mir, Fritz! Bin ich nicht ein Teil von dir, wie deine Hand, wie dein Herz?«

»Ja,« sagte er fest, »das bist du, Fieze. Wie mein Lebensatem bist du. Aber – es ist nicht nur mein Kummer. Ein anderes Schicksal hängt daran. Darum darf ich darüber nicht sprechen.«

»Ich darf dir nicht helfen, es zu tragen!« klagte sie. »Dieses Schwere, das dich so bedrückt!«

»Doch,« tröstete er, »du kannst mir helfen. Frag mich nichts, du wirst es erfahren – bald – in einigen Tagen.«

Er raffte sich auf und warf den Kopf zurück mit der trotzigen Bewegung, die sie so sehr liebte. »So, – Fieze, und nun wollen wir es ruhen lassen! Ich will nicht traurig sein.« Und mit rascher Leidenschaft preßte er ihren Kopf an seinen Körper. »Lieb wollen wir uns diese Tage haben, lieber als je. Uns aneinander schmiegen, inniger als je. Siehst du, da bin ich schon wieder oben! Ist ja alles Unsinn. Kopf hängen lassen, weil mal im Leben nicht alles so leicht und glatt geht? Unsinn!«

Und er sprang auf, riß sie mit empor und hob sie hoch auf zur Decke. »So,« lachte er, »in den Himmel hinein mit dir! Und in die Hölle.« Und er ließ sie an sich niedergleiten, nahm sie in die Arme und erstickte sie mit Küssen. »Das ist das grausliche Fegefeuer,« scherzte er zwischen den Flammen.

Sie überließ ihm willig den Mund. Doch ihr war sehr traurig zu Sinn. Sie empfand das Gezwungene, Mühsame seiner Liebkosung.

Und sie löste sich langsam von ihm und sagte: »Fritz, ich bitte dich, erzwinge keine Fröhlichkeit! Ich bin nicht bei dir, nur heitere Tage zu sehen. Wenn du mir den Grund deines Harmes nicht sagen kannst, ich füge mich ja. Dann wollen wir aber dein Leid zusammen tragen, ernst und würdig.«

Da nahm er sie fest und warm in die Arme und flüsterte: »Du lieber, lieber Freund, du!« Etwas Dickes stieg in ihrer Kehle hoch, sie wußte selbst nicht recht, weshalb. Tapfer schluckte sie es hinunter und sagte: »Fritz, der Regierungspräsident von Ingenheim war hier.«

Er ließ sie so jäh aus den Armen, daß sie rückwärts übertorkelte. »Wer?!«

»Aber Fritz!« Sie sah ihm bekümmert in die aufgeschreckten Augen. »Mein armer Junge, wie macht dich diese bittere Sache nervös! Der Regierungspräsident von Ingenheim. Er sagte, er wäre ein alter Bekannter von dir.«

»Was wollte er?« Faber krallte sich an einem Stuhle fest.

»Es war wegen der Berufung,« beruhigte sie erstaunt. »Er suchte mich auszuholen. Ich habe nichts gesagt.« Ganz traurig berichtete sie es, in Erinnerung an die Freude, in der sie hatte erzählen wollen, wie klug sie geschwiegen und seine Sache verwaltet hatte. Und nun kam alles so angstvoll verzerrt.

Es war ihm, als falle es schwer und körperlich von seiner Brust. So frei ging ihm plötzlich der Atem. Und da drang seine strotzende Urkraft ungestüm durch. Mein Gott, noch war doch Hoffnung! Was platzt nicht alles unerwartet in solchen Prozeß herein! Vorläufig bürgte ihm Manjas Wort.

»Glaubst du an Wunder?« fragte er unvermittelt.

»Wie meinst du das?« sie schürzte verwundert die feinen Bogen der schwarzseidigen Brauen.

»Ob du glaubst, daß noch Wunder geschehen können, Fieze?« Ein Lächeln sickerte über die tiefen Runen seiner Augenwinkel. »Wenn wir daran glauben, können sie uns geschehen,« sagte sie mutig und kindlich-gläubig.

»Gut,« frohlockte er, und war der alte junge freudebezwingende Fritz Faber, »dann wollen wir an das Wunder glauben.«

Und schon hatte er sie an beiden Händen, »Jetzt wollen wir allen Ballast von uns werfen, Fieze! Und nun wollen wir uns einmal die zauberschönsten acht Tage unseres Lebens beschwören! Wir leben. Drum wollen wir dankbar sein und es in allen Pulsen fühlen!« Und mit kräftigem Arm zog er sie an seine Brust. Da lächelte sie altmütterlich nachsichtig zu ihm empor: »Du Künstler du. Du himmelhoch jauchzendes, zu Tode betrübtes Kind, du! Nun mußt du aber zu dem Präsidenten, er erwartet dich.«

»Er erwartet mich?!«

»Ja doch. Ich habe ja gar nicht gewußt, daß du erschrecken kannst, Fritz! Weißt du, sie möchten zu gern, daß deine werte Kraft ihnen erhalten bleibt. Er sagte, sie würden dich, wenn nötig, unter Opfern halten. Wenn du bleibst, Fritz, dann – bitte, denk an die Kinder, sei nicht wieder der feine Mann. Pack ihnen tüchtig Opfer auf!«

»Ach du geliebtes Schachermädchen!« herzte er sie. Und ernst werdend überlegte er: »Soll ich denn bleiben?«

»Das mußt du doch entscheiden, Fritz. Ich dachte, du grübelst den ganzen Nachmittag darüber –«

»Laß den Nachmittag!« schnitt er ab. »Hm, bleiben oder nicht bleiben, das ist die Frage. Ob es edleren Gemütes –« Und plötzlich war er an der Tür. »Ich werde hingehen. Hören kann ich doch in jedem Falle, Vielleicht komme ich unterwegs ins klare. Und höre mal, Fieze, daß du mir keinen Besuch und keine Sippschaft für heute abend annimmst! Ich will dich haben, dich ganz allein, dich – dich!«

In aufsiedender Lebensinbrunst klammerte er seine Arme um ihren jungen blühenden Körper.


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