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VIII.

Fröhlich summend stieg Professor Faber die Treppen des stolzen Korpshauses hinan.

»'n Abend, Herr Professor,« grinste der alte Korpsdiener Nowak über das ganze verwitterte glattrasierte Gesicht und nahm dem Gaste dienstfertig den Hut aus der Hand. »Da werden die jungen Herren sich aber wieder mal freuen, Herr Professor!«

»Ich freue mich auch, Nowak, wieder mal jung zu sein mit der Jugend –« lachte Faber und nahm die grüne Studentenmütze in Empfang.

»Der Herr Professor ist einer der Jüngsten und Lustigsten,« gestand Nowak ehrlich, während Faber die Mütze vor dem Spiegel ins braune Haar drückte.

»Und nun gar mit der Mütze!«

»Schmeicheln Sie nicht, Nowak,« drohte Faber mit dem Finger. »Bin ein ›alter Herr‹.« Und trat in den Kneipsaal.

In erregten Gruppen standen die Füchse umher. »Abend, Füchse,« rief Faber in den großen wappengeschmückten Raum. »Wo sind die Burschen?«

Sie umringten ihn stürmisch. »Guten Abend, Professor. Guten Abend.« Und berichteten wichtig von dem »außerordentlichen Konvent«, der drinnen im Beratungszimmer über den Burschen von Bries tagte.

»Nanu? Bries! Euer Renommierfechter!« Faber riß die Brauen hoch, »was hat der ausgefressen?«

Und als alle in lodernder Entrüstung aufprasselten, öffnete sich die Tür des hinteren Zimmers.

Lorenz, der Fuchsmajor, steckte die zerhauene Kopfhaut heraus und wuchtete herein: »Kreuzelement, Füchse, wollt ihr wohl die Schnauzen halten, wenn die Burschen –«

Da gewahrte er Faber. Wie einen fetten Kloß verschluckte er den saftigen Rest seiner Pauke und kam zu ihm herüber.

»Guten Abend, ›alter Herr‹,« grüßte er herzhaft, und sein nordseeklares Hanseatengesicht ward noch brisenfrischer, »gut, daß du heute kommst. Wir haben eine sehr wichtige Sache.«

»Ich höre – A. O. C.«

»Ja, willst du uns nicht helfen?«

»Hm, lieber Junge,« bedachte der Professor, »als ›alter Herr‹ des Korps habe ich im A. O. C. keine Stimme.«

»Aber einen guten Rat,« ergänzte der Hamburger Senatorensohn. »Na frag doch lieber erst mal die andern!« zauderte Faber.

Fort lief der hübsche lange Kerl, weitauf sprang die Tür des Beratungszimmers, ein Rudel junger Männer drängte in die Tür und zwanzig Stimmen brausten zusammen:

»Herein, A. H. Professor, herein mit dir!«

Faber trat ein. Eine Weile dauerte das Händeschütteln.

Graßhoff, der erste Chargierte, nahm dann das Wort. »Wir wären dir sehr dankbar, Professor, für deinen Rat. Wir haben da eine sehr ernste Sache.«

»Gern,« erbot sich Faber, »wenn euch mein Rat willkommen ist.«

»Er hat uns schon oft genützt,« schwelgte der kleine fixe zweite Chargierte, Kübler.

»Wo ist Bries?« fragte Faber überrascht.

»Er hat zum drittenmal sich geweigert, hier zu erscheinen,« sagte Graßhoff ernst.

Dann saßen sie wieder alle an dem langgestreckten grünen Tisch. Graublau geisterte die Rauchwolke der glimmenden Zigaretten um die elektrischen Flammen.

Faber blickte sich im Kreise um. »Wie ernst und wichtig und pudeljung sie dasitzen,« dachte er, »wie gesund und kernig. Wahrlich, eine deutsche Freude, diese Jungens!«

Da stand der erste Chargierte. »Es handelt sich um etwas sehr Ernstes. Von Bries wird beschuldigt. Er hat mit der Tochter eines Postbeamten ein Verhältnis gehabt. Folgen sind gekommen. Er hat das Mädel im Stich gelassen. Sie hat ihm flehende Briefe geschrieben, ist immer wieder zu ihm gekommen, er hat sie nicht vorgelassen; sie war zu scheu, ihn auf der Straße anzuhalten. Wenn er sie traf, ist er an ihr vorbeigelaufen. Da ist das Mädel von der Nepomukbrücke in den Strom gesprungen.«

Er schwieg. Man hörte das Spritzen des Zigarettenglühens, so still war es in der Runde. Die nackte Grausamkeit des Lebens beugte den jungen Männern die degentrotzigen Nacken.

»Das ist der Tatbestand,« der Siegfriedskopf des ersten Chargierten hob sich zum Lichte, »den Bries zugibt. Wir wollten gerade abstimmen, als du kamst.«

Er wandte sich dem neben ihm sitzenden Professor zu.

»Welche Strafe?« fragte Faber kurz.

»Ausstoßung aus dem Korps,« gab Graßhoff hart Bescheid.

»Schlimm,« bedachte Faber, »es kann seine Zukunft ruinieren. Das wißt ihr?«

Alle murmelten zustimmend.

»Das geht ihm sein ganzes Leben lang nach. Er will zur Verwaltung. Er hat es mir einmal gesagt. Alle Bries sind hohe Verwaltungsbeamte. Die Karriere wird ihm verrammelt. Aus dem Korps schimpflich ausgestoßen – niemals wird man ihn als Regierungsreferendar übernehmen. Wißt ihr das?«

Alle bejahten dumpf murmelnd.

»Das wollte ich euch zu bedenken geben. Überlegt es euch noch einmal, ob ihr sein Verschulden so schwer ahnden wollt.«

»Aber ein Menschenleben!« empörte sich der kleine schwarze zweite Chargierte Kübler, der Elegant des Korps.

»Es ist eine Gemeinheit,« drohte es ringsum.

»Ich urteile nicht,« belehrte Faber. »Ich will nur verhüten, daß ihr richtet, ohne alle Konsequenzen eures Spruches zu überblicken.«

Da fragte der kernige Fuchsmajor: »Sag du, Professor, verdient er nicht die Ausstoßung?«

Vierzig helle Augen hafteten fordernd an Fabers markigem Gesicht.

»Ich will euch nicht beeinflussen,« wich er aus, »ich bin der Älteste. Der Älteste gibt immer zuletzt seinen Spruch. Ich habe hier auch nicht zu richten.«

»Rat' uns, rat' uns!« drängte es rings um den Tisch herum.

»Das darf ich nicht. Ihr seid hier versammelt, über einen Korpsbruder zu richten. Tut es nach eurem Gewissen und eurem Gefühl! Ich bin soviel älter als ihr, und meine Jahre denken in vielem anders, strenger vielleicht, vielleicht auch milder. Bries soll von seinesgleichen gerichtet werden. Ihr seid ein Pairsgericht. Eure Strenge und eure Milde soll ihm werden. Also urteilt!«

Da stimmten sie ab. Einstimmig stießen sie ihn aus dem Korps.

Als Graßhoff das Ergebnis verkündete, als haue er einen Granitblock nieder auf den Tisch, schwang sich der blaue bleiche Rauch in bürdende Stille. Ihr Leben gewordener Spruch erschütterte die jungen Richter.

Da lohte Faber auf. »Köpfe hoch, Jungens! Euer Ehrgefühl hat vielleicht das Rechte getroffen. Jetzt kann ich es euch sagen: ich hätte gestimmt wie ihr. Ohne Zögern. Ein Mann, der ein Mädel ins Unglück bringt und sie dann brutal pflichtvergessen verläßt, schändet den Mann und schändet das Korps. Unter ehrlichen Männern ist für ihn keine Gemeinschaft. Ehre euch, daß ihr das empfindet! Und doch, Jungens, ich wundere mich, daß ihr so urteilt. Sagt einmal, wie viele sind hier unter uns, die frei den Kopf heben dürfen, wenn von traurigem Frauenlos gesprochen wird, und prunken: Ich bin frei von aller Schuld! Der Fall hier liegt besonders tragisch. Das arme Mädel ist in den Tod gegangen. Das verschärft die Sache. Aber, ihr jungen Freunde, sind sehr viele unter uns, die nicht leichtfertig mit solch jungem Mädelglück gespielt haben?«

Die ernsten Gesichter sanken noch tiefer.

Da stand Faber auf, öffnete die Tür in den Saal und rief: »Kommt einmal her, ihr Füchslein!«

Sie stoben herbei, drängten in die Tür, standen bescheiden an der Wand und waren stolz, in diesen burschen-geweihten Raum ihre noch unerprobten Fuchspfoten zu stellen.

»Darf ich noch einige Worte sagen?« wandte Faber sich höflich an den ersten Chargierten. Der fuhr vor Beflissenheit jach in die Höhe. »Aber bitte, Professor, bitte! Wir danken dir.«

Da sprach Faber, dem das Wohl all dieses zur Tat und zum Leben drängenden stürmischen jungen Blutes heiligste Lebensaufgabe geworden war: »Ich will eure Geduld nur kurze Zeit einhegen. Als Freund spreche ich zu euch, als älterer guter Freund. Das Korps hat soeben einen ernsten Spruch fällen und einem seiner Brüder einen schweren Lebensstein ans Bein binden müssen. Bries ist aus unserer Mitte gestoßen.«

Erschauernde Bestürzung schüttelte durch die stehenden Reihen der Füchse.

»Der Spruch ist hart, doch gerecht. Ich freue mich, daß er so gerecht fiel, obwohl ihr – fast in eigener Sache gerichtet habt. Seien wir ehrlich, Freunde! Wir sind heute abend allesamt hier Angeklagte.«

Tiefer beugten sich die narbendurchfurchten blonden, braunen, schwarzen Schädel. Da sprach Faber weiter in die kaum atmende Stille.

»Wenn ihr gleichwohl so streng gerichtet habt, so erkenne ich darin den Atemzug des in euch lebendigen Bewußtseins des Unrechts und das Dämmern eines helleren Morgens. Liebe Freunde, ihr wißt es alle, wir leben in einer Zeit, in der die Frau gewaltig hinausdrängt ins Leben, ihr seht es täglich in unseren Hörsälen. Da sitzt das junge Weib an eurer Seite. Die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen die Domäne der Frau ausschließlich das Haus war. Warum diese Zeit verschollen ist, erfahrt ihr in der Nationalökonomie. Ich will auch gern einmal hier einen Vortrag darüber halten.«

Lauter Beifall dankte.

»Heute will ich nur kurz auf etwas anderes hinweisen. Diese ernste würdevolle Arbeit, die die Frau in unserer Zeit leistet, sollte unsere Achtung vor dem Weibe erhöhen. Gerade heute gilt Schillers Wort doppelt: Ehret die Frauen! Auch wenn sie uns keine himmlischen Rosen mehr ins irdische Leben flechten und weben, sondern selber im Arbeitskittel um das irdische Lebensbrot scharwerken. Gerade deshalb: ehret sie! Und wenn auch die Zeit der himmlischen Rosen verblüht ist, das Ehrfurchtgebietende des Weibes ist geblieben. Denkt an eure Mütter, Jungens! Vergeßt es nie, daß das Weib der Quell der Menschheit ist. Jeder Weibesschoß ist heilig. Das vergeßt mir nicht! Ihr wißt wahrhaftig, daß ich kein Moralpauker bin. Ich bin jung gewesen und bin noch jung genug, zu wissen, daß eure Jahre nach dem Weibe verlangen. In Gottes Namen – ja doch, im Namen des Gottes, der die ewigverjüngende Natur ist, nehmt euer Mädel in die Arme! Das ist das Recht eurer Jahre. Aber tragt dann auch eure Verantwortung! Da liegt der Schwerpunkt. Wißt, daß ihr unter ernster Mannespflicht steht, wenn ihr eurer Jugend Genüge tut. Liebt, soviel ihr wollt! Aber erfüllt durch euch ein Weib seinen erschütternden Beruf, dann seid darauf gefaßt, daß kein ehrlicher Mann euch die Hand reicht, wenn ihr sie mit ihrer Heiligkeit verstoßt! Steht bei dem Wunder des Werdens als treue Schirmer! Und vergeßt keine Sekunde: Der Schoß eures Mädels trägt das, was auch euch zum Gotte macht, der Welten schafft! Denn jeder neue Mensch, der wird, darüber sind wir uns wohl alle hier einig, ist eine neue Welt, die aus dem Ozean der Ewigkeit auftaucht. Vielleicht nur eine kleine engumgrenzte Insel, vielleicht aber ein Wunderkontinent voll himmelragender Gebirge, die Ausblicke gewähren in ungeahnte Weiten der Menschheit.«

Er schwieg. Sie wagten nicht, Beifall zu toben, so hatte er ihnen ins Tiefste gegriffen.

»Und noch eins möchte ich euch sagen,« fuhr er leise fort, und ein Schatten verdüsterte sein helles Sehergesicht, »etwas sehr Ernstes.« Seine bitter warnenden Augen hingen an dem nordisch offenen Gesicht des Fuchsmajors Lorenz. »Die Ehe sei euch heilig! Kinder, hört auf mich! Laßt die Hände von verheirateten Frauen!«

Es kam schwer und gepreßt, fast wie ein Flehen. Dem jungen Fuchsmajor siedete das Blut unter das flachsweiße Haar. Er wußte, das zielte auf ihn. Der Professor hatte ihn gestern mit der schönen Frau des Kommerzienrates Hahn getroffen.

Doch jetzt warf Faber die Bürde von dem stolzen Nacken. »So, das wollte ich euch sagen. Und nun, Kommilitonen, zu Boden mit aller Schwere!

Vivant omnes virgines, faciles, formosae

Jauchzend fielen die jungen Stimmen erlöst ein in den uralten Hymnus auf die Spenderin alles Schönen, das Weib.

» Vivant et mulieres, tenebrae amabiles,
Bonae laboriosae

Und als der Sang verschollen war, ging es hinein in den Kneipsaal. Und eine fröhliche Trinkerei und Singerei setzte an. Der Professor saß wie der jüngste Fuchs unter der Jugend, die Mütze weit in den Hinterkopf gerückt, hob kräftig sein Seidel und die Stimme, und freute sich der bubenfrohen und männerernsten prächtigen Kerle. Und dann kam der lang ersehnte Augenblick, da er das Präsidium übernahm. Ratsch, ratsch, wetterte der Schläger klirrend nieder auf den Tisch. »Präsidium bei mir. Ich komme der Korona meinen Ganzen. Prosit!«

Und nun brach eine ausgelassene Fröhlichkeit herein über den jungen Kreis. Immer neue Einfälle sprudelte Fabers unerschöpfliche Laune. Bald hielt er selbst eine urfidele Bierrede, bald ließ er durch ein Biergericht ein bleischweres Verhängnis herniedergehen, bald sang er den Jungen einen neuen »hundertsten Vers«, den er zu einem alten Liede gefertigt hatte, bald – bald –

Bis spät in die Nacht stiegen die Brunnen seiner heiteren Lebenskraft.

Als er schied, flüsterte er dem ersten Chargierten ernst zu: »Vergeßt nicht, Bries zu sagen, er soll mich besuchen!«

Es war eine kühle reine Sommernacht. Aufatmend vom Bierdunst und Tabaksqualm blieb der junge Professor unter den schwebenden Sternen stehen. Und plötzlich reckte er die Arme. Ein überwältigendes Glücksgefühl wallte in ihm auf. Fast laufend trug er es heim. Denn er wußte, sie wartete auf ihn.

Durch die stillen verlassenen Straßen eilte er, erwartungsvoll und glückserregt, als ginge es zum ersten Stelldichein. Leise öffnete er die Korridortür und schlich wie ein Dieb bei der Nacht dahin, die Kinder nicht zu stören. Durch das Glas der Schlafstubentür glänzte mildgelb das Licht.

Sacht ging die Tür. Sofort richtete Sophie sich aus den Kissen empor. Wie ein junges Mädel sah sie aus mit ihren zwei langen dicken braunen Zöpfen, die über die Brust niederglitten.

»Da bin ich,« strahlte er.

Sie streckte ihm wortlos die Arme entgegen. Er legte das Gesicht an ihre Brust. Und sie feierten Wiedersehen, als hätten sie sich hundert Jahre nicht mehr geküßt.

»Ich bin wohl lang geblieben?« zog er ein schuldbewußtes Bubengesicht, als er endlich ans Entkleiden ging.

»Nein,« wiegte sie den Kopf in den Kissen, »die Zeit ist mir gar nicht lang geworden.«

»So – so!« Er grollte sichtlich.

»Nein, ich dachte die ganze Zeit daran, wie du glücklich und jung unter diesen Jungens sitzest. Und nun bald zu mir kämest mit deiner Mannesinnigkeit.«

Da hob er die Weste, die er gerade in Händen hielt, hoch empor: »Fieze – – Menschgelieb, wie ist das Leben reich!«

Sie nickte beglückt.

»Dort diesen jungen werdenden Menschen Richtung für ihr Leben geben zu dürfen, nicht nur vom würdigen Katheder herab – und inmitten dieser köstlichen Lebensaufgabe allezeit zu wissen, das kostbarste Kleinod meines Lebensreichtums, das strahlt mir doch erst, wenn ich in meine ›Schatzkammer‹ zu Hause trete.«

Und weg flog die Weste und hin flog der Professor, und in seine Arme flog seines reichen Lebens reichste Gabe, stürmisch, heiß und frauenlieb. –


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