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X.

Es waren nervenzerstörende martervolle Tage für Manja von Ingenheim geworden. Sie hatte die Bibliothek ihres Mannes nach juristischen Büchern durchstöbert, hatte sich mit ihrer eisernen Wissensenergie in diese dickleibigen Gesetze und Kompendien hineingewühlt. Doch ein Licht war ihr aus diesem ungeordneten Wust, in dem sie mit krallenden Fingern wühlte, nicht aufgeleuchtet.

Sie wurde in diesen angstgehetzten Tagen noch zarter und bleicher. Sie lag mit offenen Augen in ihren Kissen und starrte gequält in das Halbdämmer der Sommernächte. Und wenn sie auf Viertelstunden in Schlummer fiel, fuhr sie aus zermürbenden fiebernden Träumen schweißbedeckt empor.

Der Regierungspräsident sah sie oft bekümmert an und fragte bewegt und liebevoll: »Manja, was ist dir nur? Du gefällst mir nicht. Du ißt nicht und siehst schon ganz gespenstisch aus. Und ganz schwarze Ringe hast du unter den Augen. Ob wir nicht doch Doktor Haase einmal kommen lassen?«

Sie wehrte ab. »Nein, nein. Es ist nur die plötzliche Hitze. Du weißt ja, ich kann diese Schwüle nie recht vertragen. Aber nun sind ja bald die Ferien, da gehen wir an die See und alles ist gut.«

Und sie lauschte weiter furchtzerrieben in die drohende Zukunft.

Eines Abends endlich zerriß sie mit verzweifelten Händen die Stricke dieser Ungewißheit, die sie erdrosselten. Während der Baron von einem Tageserlebnis erzählte, entschloß sie sich zu fragen. Und plötzlich mitten in die Erzählung des Präsidenten hinein sagte sie: »Wie steht die –« Der Baron erzählte weiter. Kein Laut war aus ihrer Kehle gedrungen. Es war, als sperre ihr ein Brett den Schlund, als seien die Farben ihrer Stimme verblichen. Noch einmal versuchte sie es und noch einmal. Kein Ton war in ihrer angstwunden Kehle. Da riß sie ihre Energie zusammen, hob die Teetasse mit zitternden Fingern zu den Lippen, den Mund zu verdecken, und brachte mit furchtknisternder Gleichgültigkeit ihre Frage heraus: »Wie steht die Sache mit Seebeck eigentlich?«

»Sie geht ihren Gang,« gab der Baron verwundert Bescheid. »Sorg dich nicht darum, Manja! Wir haben es so eingerichtet, daß du ganz draußen bleibst. Du brauchst deine Hände nicht mehr mit dieser Sache zu beschmutzen!«

»Das ist sehr lieb von dir,« rang sie heraus und fischte aufmerksam ein schwarzes Blättchen aus dem Tee, »die Sache interessiert mich eigentlich auch nur rein wissenschaftlich. Wir Frauen wissen von Jurisprudenz doch rein gar nichts, sogar –« sie scharrte ein schelmisches Lächeln zusammen – »wenn unsere Männer tüchtige Juristen sind.«

»Wenn du dich für mein Spezialgebiet, Verwaltungsrecht, interessierst,« bot er galant an, »soll es mir ein Glück sein, meine kluge Manja unterweisen zu dürfen.«

»Du bist sehr lieb,« streichelte sie seine Hand. »Zunächst möchte ich aber gern einmal das Theoretische dieses dummen praktischen Falles wissen. Du sagtest neulich, dieser – Mensch – klagt gegen dich und du klagst gegen ihn. Was heißt das? Was geschieht da? Kommt es zu einem Termin?«

»Natürlich. Bei jedem Prozeß kommt es zu einem Termin, du weise Frau.« Er lachte ein wenig überheblich. »Und in diesem Termin – was geschieht da?« fragte sie gleichfalls lächelnd.

»Da wird verhandelt, Zeugen werden vernommen und –«

»Zeugen?!« Sie hob rasch die Tasse und trank. Es war ihr wie ein Schrei entfahren.

Der Baron starrte auf.

»Ich habe mich verschluckt,« hüstelte sie.

»Vor lauter Lerneifer,« scherzte er. Sie stellte die Tasse nieder und fragte gleichmütig: »Welche Zeugen werden denn nun in deiner Sache vernommen, Egon?«

»Laß, Kind,« bat er, »was willst du dich damit herumärgern?«

»Ich ärgere mich nicht. Dazu ist die Sache mir viel zu gleichgültig. Damals gewiß – hat es mich sehr erregt. Aber heute! Nur der Wissenschaft halber. Du kannst es mir ruhig sagen.«

Da erklärte Ingenheim. »Es ist die blödeste Sache von der Welt. Dieser Seebeck will seinen Überfall natürlich recht harmlos hinstellen. Deswegen behauptet er, du – ach Kind, es verlohnt wirklich nicht, darüber zu sprechen.«

»Bitte, sprich!« drängte sie heftig.

»Siehst du, wie du dich schon erregst!«

»Ich bin ganz ruhig,« zwang sie sich nieder, »jetzt will ich es aber wissen.«

»Er behauptet also, du hättest – stell dir vor! – mal etwas mit – du würdest nie darauf kommen, mit wem du mich – so schrecklich betrogen haben sollst.«

»Mit wem?« Ihre Stimme zitterte trotz der übermenschlichen Anstrengung, mit der sie sich zusammenhielt.

»Mit Faber.« Der Baron lachte es herzlich heraus.

Die Baronin verschränkte unter dem Tisch die Finger und bog sie zurück, daß die Gelenke knackten. Doch ruhig fragte sie: »Und Faber – soll nun – als Zeuge vernommen werden?«

»Ja,« sagte der Baron unbehaglich. – »Der wird schöne Augen machen, wenn er die Ladung erhält.«

Um Manja herum war plötzlich eine weite Stille, in der nur ihr Blut brauste. Und irgend etwas in ihr schrie: »Ruhig jetzt, nur jetzt ruhig!« Mit einer Kraft, die ihr physische Übelkeit bereitete, hielt sie ihr irr flatterndes Entsetzen nieder. »Das ist sehr peinlich,« ächzte sie.

»Sehr,« nickte der Baron, »du brauchst es dir aber nicht so zu Herzen zu nehmen. Wir tragen daran keine Schuld. Ich habe daran gedacht, ihn zu besuchen und ihm den Sachverhalt darzulegen. Es geht aber nicht. Mit einem Zeugen vor dem Termine zu konferieren, ist eine sehr mißliche Sache. Im übrigen wird er ja bei der Verhandlung seine Aufklärung erhalten.«

»Es ist sehr peinlich,« wiederholte Manja mit blauen Lippen.

»Es hilft aber nichts,« beendete der Präsident die Erörterung. »Und nun wollen wir die Sache ein für allemal ruhen lassen. Ich sehe es dir ja doch an, wie die Geschichte dich aufregt. Ich begreife wahrhaftig, daß dir alles dies nicht gleichgültig sein kann. Deine Freundschaft mit Faber so besudelt zu sehen!«

»An meine Freundschaft mit Faber kann keiner rühren!« sagte die Baronin und öffnete weit die grauen Augen.

»Da hast du recht,« nickte der Baron. »So muß man die Sache auch ansehen. Als ob ein Hund einen auf der Straße anbellt.«

»Ja,« sagte Manja. »Und nun erzähle bitte weiter!« Verzeih, daß ich dich vorhin unterbrach.«

Und der Baron berichtete mit schnell wiedergewonnener Heiterkeit von einer drolligen Personenverwechslung, die heute die gesamte Regierung aufgeschreckt hatte.

Manja saß dabei, verzog den Mund dann und wann zu einem Lächeln, hörte jedes Wort, das der Präsident sprach, und hörte doch nichts als das Sausen des Blutes, das in den Ohren siedete. Hinter ihrer Stirn rasten tausend wirbelnde Räder.

So saß sie geduldig lauschend und lächelnd, bis der Baron sacht gähnte und meinte, es wäre nun allmählich Schlafenszeit. Sie stand auf und mußte sich hart auf die Tischplatte stützen, weil das Gefühl in den Knien erstorben war. Sie versuchte fest aufzutreten, fiel aber in den Stuhl zurück.

»Mein Fuß ist eingeschlafen,« klagte sie heiser.

Da trug der Baron sie lachend, wie in den alten jungen Tagen, in ihr Schlafzimmer und blieb bei ihr, bis sie wohlgeborgen im Bette lag. Erst als sie die Augen schloß, schlich er auf Zehenspitzen hinüber in sein Zimmer.

Manja aber lag in tiefer Ohnmacht. Sie hatte ihren Kopf kaum auf die Kissen gebettet, da löste sich die starrkrampfartige Gewalt, mit der sie sich umschnürt hatte. Es war ihr, als schlage ihre schmerzende Gehirnmasse schwer gegen den Hinterschädel, ein Schwindel wirbelte kreisend durch ihren Kopf, dann schwand das Bewußtsein, So lag sie lange Zeit. Und dann tauchte langsam wie aus einem sanft rieselnden Strome das Gefühl und das wehe Wissen wieder empor. Sie lag da, ohne Kraft sich zu rühren, gelähmt von dem Empfinden, ihr Genick sei in eine Steinmulde fest vermauert, in den Gliedern summte ein unangenehmes Bewußtsein der Marklosigkeit, eine fast schmerzhafte Schwäche kribbelte in den Fingern, die sie nicht zu beugen vermochte. So lag sie mit offenen Augen und wußte alles so klar, so hellseherisch klar.

Das war das Ende. Jetzt war ihr Leben verwirkt. Nun gab es keinen Ausweg. Alles Licht war verbaut. Faber mußte als Zeuge vor Gericht erscheinen. Der Zeuge hatte zu schwören. Das wußte sie. Unter seinem Eide hatte er zu sagen, ob sie seine Geliebte gewesen war.

Sie machte eine jähe Anstrengung, sich im Bett zu wälzen. Die Kraft versagte. So lag sie unbeweglich auf dem Rücken, starrte zur Decke und wußte, daß ihr Leben jetzt verwirkt war. Lag, bis allmählich ihre Kräfte wiederkehrten. Da wand sie sich in Scham und Todesqualen, bis der Morgen mit seinen Pflichten sie auftrieb.

Unrast hetzte sie im Hause umher. Endlich ließ sie satteln und galoppierte durch die Reitwege des Stadtparkes. Plötzlich riß sie die arme Stute heftig zurück, übergab dem Diener das aufgeschreckt tänzelnde Tier und ging im Reitkostüm in die Stadt. Ohne Klarheit, triebartig, stieg sie die Stiegen zu Beatrice Herforths Wohnung hinauf.

Beatrice saß emsig klappernd an der Schreibmaschine.

»Denk dir, Manja,« sagte sie weh, »ich habe noch nicht ein Wort von zu Hause gehört!« Und die Sehnsucht nach den Kindern schrie wortlos aus ihren schwarzen Augen. Sie gestand auch, daß sie ihrem Manne geschrieben und versucht habe, ihm noch einmal begreiflich zu machen, wie alles gekommen war.

»Er wird es nicht verstehen,« löschte Manja schroff ihre glimmende Hoffnung.

»Du meinst nicht?« fragte Beatrice bleich. »Ich habe – es waren kaum noch Worte, die ich geschrieben habe. Es war lebendige, sich windende blutige Reue.«

»Du hättest dir die Erniedrigung sparen sollen, Beatrice. Männer verstehen das nicht,« blieb Manja hart. Und ohne Übergang fragte sie nach Faber.

Beatrice sprach zuerst ohne Beseelung, Ihre Gedanken kreisten noch um ihr Heim in der kleinen oberbayerischen Landstadt. Doch mählich rang sie sich los und lichtete ihr Bewußtsein auf ihre Worte. Und dann erzählte sie mit inbrünstiger neidloser Freude von diesem glückesfrohen Hause.

»Wann gehst du heute zu ihm?« unterbrach Manja wieder jäh.

»Heute gar nicht. Er hat mir soviel in letzter Zeit diktiert, daß ich das Stenogramm endlich einmal aufarbeiten muß.« Sie zeigte ihr engbeschriebenes Heft.

Da sprang Manja vom Stuhle, stieß hervor: »Dann will ich dich nicht länger stören,« gab ihr kaum die Hand und lief wie verfolgt aus dem Zimmer.

Beatrice blickte ihr bekümmert nach. Dann setzte sie sich wieder an das Tischchen und hämmerte weiter. Oft noch schüttelte sie den Kopf. Mit Manja stimmte da irgend etwas nicht. Irgendeine große Sorge bedrückte sie. In ihrer Ehe klaffte irgendeine Wunde, die heimlich nach innen blutete. Sie dachte an die Manja, mit der sie einst zur Schule gegangen war. Was war aus ihrer stillen, gemessenen, wissenschaftlich vertieften Freundin Manja van Deelen geworden!


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