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II.

Einige Stunden später kehrte die Baronin Ingenheim von ihrem alltäglichen Morgenritt heim. Eine rechte Freude an ihrer temperamentvollen Stute »Lenora« war heute nicht in ihr aufgekommen. Ihr Gemüt war gedankenschwer und voll schwingender Ahnungen. Sie warf dem Diener, der ihr den Bügel hielt, hastig die Zügel zu und schritt rasch durch den Garten zur Villa. Erstaunt blickten »Lenora« und »Mumpitz«, der Wallach des Präsidenten, den der Diener geritten hatte, der Herrin nach. Noch niemals war sie ohne Liebkosung von ihnen gegangen.

Als die Zofe die Haustür öffnete, sagte sie: »Da ist ein Herr, der Frau Baronin sprechen will.«

»Ein Herr?« fragte Manja. Sie hatte es alle diese Tage erwartet. Jetzt traf es sie wie ein Stoß mitten ins Herz.

»Ich habe gesagt, daß Frau Baronin ausgeritten sind. Der Herr meinte, er wolle warten. Ich habe ihn in den Salon geführt.«

»Es ist gut,« wehrte Manja dem Mädchen, das ihr beim Ablegen behilflich sein wollte.

Die Zofe ging. Manja trat vor den Spiegel der Garderobe und strich die feinen blonden Strähnen, die der Ritt gelöst hatte, unter den schwarzen Zweimaster zurück. Ihr Gesicht war sehr bleich. Das Herz schlug angstvoll gegen die Brust. Sie wußte, der Herr, der im Salon auf sie wartete, war das Verhängnis. Sie wußte es bestimmt.

Seit Seebeck im vorigen Winter als Direktor der Waffenfabrik hierhergekommen und ihr bald darauf in der Gesellschaft begegnet war, hatte die Furcht sie nicht wieder verlassen.

Dem Leiter der großen Aktiengesellschaft hatten sich die Tore der angesehensten Häuser bereitwillig geöffnet. Bei dem Landgerichtspräsidenten war Manja zum ersten Male mit ihm zusammengetroffen. Den aufprallenden erstaunten Blick bei der Vorstellung wußte sie nicht zu deuten. Doch später beim Tanz trat er zu ihr.

»Im Grunde sind wir alte Bekannte,« scherzte er mit einem Lächeln um die arroganten Lippen.

»Ich wüßte nicht,« entgegnete Manja in verwunderter, ärgerlicher Ahnungslosigkeit.

»Gnädige Frau waren vor einigen Jahren in Norderney,« lächelte er mit dreister Vertraulichkeit. »Ihr Gesicht vergißt man nicht, gnädige Frau.«

Sie krampfte die Finger um den Elfenbeinfächer, daß die Nägel tief in die Handfläche eindrangen. Das Blut siedete ihr, aller ehernen Beherrschung zum Trotz, bis hinauf unter die blonden Haare. Es gelang ihrer Energie, gelassen zu erwidern: »Ja, ich war in Norderney. Aber ich wüßte nicht, daß ich Sie dort kennen gelernt hätte.«

»Mich nicht,« entgegnete er mit demselben frechzutraulichen Lächeln und legte eine anzügliche Betonung auf das »mich«.

Sie ergriff die erste Gelegenheit, sich von ihm zu befreien. Doch sie traf auf ihn, wieder und immer wieder. Es waren in dieser mittelgroßen Stadt immer dieselben engen Kreise, in denen man sich gesellschaftlich drehte. Und immer wieder näherte er sich ihr, ohne daß sie wagte, ihm recht zu wehren. Er sprach von seiner Gier nach dem Glück, von der Leere seines Lebens trotz aller Arbeit und alles äußeren Erfolges. Sie blieb kühl abweisend und stand doch gebannt unter seiner Drohung. Er sprach von Liebe, und sie blieb stumm, weil sie fürchtete, ihn zu reizen. Er erlaubte sich spöttelnde Bemerkungen über den Baron. Sie verwies es ihm, doch ohne Hoheit, ohne Gebieten, ohne aufflammenden Stolz.

Und jetzt saß er dort drinnen im Salon, jetzt zu dieser ungewöhnlichen Zeit, da er ihren Mann im Präsidium wußte, und wartete auf sie. Sie ahnte, weshalb er gekommen war. Unwillkürlich faßte sie den rohrumflochtenen Stiel der Reitpeitsche fester und trat ein.

Seebeck war in die Betrachtung einer kostbaren kleinen russischen Bronze vertieft. Langsam wandte er sich Manja zu und kam ihr gemessenen Schrittes entgegen. Er sah sie ernst an, zum ersten Male ohne eine Falte dieses besitzsicheren Herrenlächelns, das sie so haßte und so sehr fürchtete.

»Sie haben auf mich gewartet?« fragte sie ohne Einleitung. Es klang schroffer, als es beabsichtigt war.

»Ja,« nickte er, »ich mußte Sie sprechen, gnädige Frau.«

Seine Stimme war belegt und seltsam weich.

Sie deutete auf einen Stuhl und setzte sich. Er nahm den gewiesenen Platz, verstrickte die langen dünnen Finger ineinander und sah wortlos nieder auf den weichen weißen Teppich.

Sie wartete und fühlte das Blut in den Ohren sausen.

Endlich hob er das Gesicht und sah mit fiebernden Augen zu ihr hinüber. Sie tat sich Gewalt an, den Blick zu ertragen.

»Gnädige Frau,« begann er heiser, er mußte sich räuspern, um weitersprechen zu können, »Sie wissen, weshalb ich gekommen bin.«

»Ich weiß es nicht,« wehrte sie sich hitzig.

Er beugte sich zu ihr vor. »Ich habe gekämpft, Manja. Gerade weil ich das weiß.«

»Was?« bebte ihre Verzweiflung.

Er sprach weiter. »Ich will nicht dastehen als einer, der daraus Profit schlägt. Schon damals in Norderney habe ich mich in Sie – ja vernarrt muß ich sagen. Ich habe in diesen Jahren später noch oft an die ›schöne Frau von Norderney‹ gedacht. Dann standen Sie plötzlich hier vor mir. Erreichbar. Es liegt nicht in meiner Natur zurückzuweichen, wenn ein Ziel lockt. Dennoch habe ich mit meinen Wünschen gekämpft. Ich bin unterlegen. Darum bin ich jetzt hier.«

»Ich verstehe kein Wort von alledem,« log sie und blickte sich im Zimmer um nach einem rettenden Ausweg aus dieser würgenden Umstrickung.

Da stand er auf und trat dicht an ihren Sessel heran. »Manja,« flüsterte er heftig, »Sie sind in Ihrer Ehe unglücklich –«

Sie öffnete die Lippen, brachte aber keinen Laut hervor. – Er fuhr fort: »Ich bin in meinem Leben heimatlos. Wollen wir nicht aus unserem gemeinsamen Mißgeschick uns ein Glück zurechtbiegen!«

Sie wich vor seinem heißen Flüstern weit in die Polster des Sessels zurück.

»Ich bitte Sie, gehen Sie,« raunte sie in Ängsten.

»Manja,« drängte er leise, »ich weiß doch, die Ehe ist Ihnen keine Schranke.«

Sie richtete sich auf. »Gehen Sie sofort, Herr Seebeck, oder ich klingle dem Diener!«

Zornig wallte es ihm zu Kopf. Er warf die Maske des Toggenburgers klirrend zu Boden, die rohe Gemeinheit des Erpressers verzerrte seinen Mund. »Spielen Sie nicht die Tugendsame,« drohte er grimmig, »ich kenne Sie.« Aber schnell den Ton ändernd, bat er: »Manja, wir beide, die wir in diese armselige Stadt verschlagen sind, so gut könnten wir es haben.« Und ihr sein Gesicht nähernd, raunte ei: »Sei vernünftig, Manja. Sei doch vernünftig!«

Und plötzlich beugte er sich über sie, drückte ihre Schultern mit beiden Händen brutal gegen die Rückwand des Sessels und küßte sie schonungslos in das Gesicht, wohin seine gierigen Lippen trafen.

Eine Sekunde blieb sie gelähmt. Dann umklammerten ihre Hände die Köpfe der Armlehnen, sie stemmte den Körper mit aller Kraft ihrer sportgestählten Glieder gegen den Mann, drängte ihn zurück, stand plötzlich auf den Füßen, griff blitzschnell zu dem Tisch hinüber und setzte ihm die Reitpeitsche in ausberstendem Haß zweimal über das Gesicht.

Auftaumelnd vor Wut und Schmerz packte er ihren Arm – da öffnete sich die Tür. Der Regierungspräsident trat ein.

Manja riß ihren Arm aus der Umklammerung, ihr Instinkt gab ihr blitzhell ein, daß es für sie nur ein Vorwärts gab. Sie hob die Hand mit der bebenden Peitsche, zeigte auf den vom Schmerz noch halb geblendeten Mann und rief: »Der Mensch hat gewagt, dein Weib in deiner Wohnung zu berühren.«

»Was – Was?!« stammelte der Präsident, der in begreifensstarrer Verdutztheit an die Tür gebannt stand.

Seebeck hob den Kopf, Blut rieselte in dicken Tropfen aus zwei tiefen Rissen über sein Gesicht.

»Herr Präsident,« sagte er ruhig, »Sie vermögen die Situation nicht zu übersehen, weil Sie nicht wissen, daß Ihre Frau vogelfrei ist.«

Da stand Ingenheim vor ihm und tastete mit der Hand nach seiner Kehle. Seebeck trat einen Schritt zurück und warnte gelassen: »Lassen Sie das! Stürzen Sie sich nicht in Ungelegenheiten für diese Frau, die Sie betrogen hat!«

Dann spielte sich alles blitzschnell ab. Manja schrie keuchend auf, der Baron packte Seebeck an der Brust, stieß ihn vor sich her, quer durch das ganze Zimmer, riß mit der Linken die Tür auf und schleuderte den Mann hinaus auf den Korridor, wo er polternd niederbrach. Ehe er hochkam, war das aufgescheuchte Personal herbeigeeilt.

»Weisen Sie den Mann hinaus!« befahl beherrscht der Baron und schloß die Tür. Sie hörten im Zimmer, wie Seebeck sich draußen aufraffte, wie er dem Diener drohte: »Rühren Sie mich nicht an!« wie die Haustür hinter ihm zuschlug.

Der Präsident wandte sich Manja zu. Sie stand mit dem Rücken gegen den Tisch gelehnt, das Gesicht zur Erde geneigt. Die Peitsche, von der Rechten noch immer umspannt, zitterte sacht.

»Wie kam es?« fragte der Baron leise, fast zaghaft und ergriff ihre eisige Hand.

Mit pfeifendem Atem erzählte sie: »Als ich vom Reiten nach Hause kam, wartete er auf mich. Dann sprach er einiges, daß er unglücklich sei und daß auch ich unglücklich wäre; daß er mich liebe – und plötzlich fiel er über mich her und küßte mich. Da habe ich ihm die Peitsche über das Gesicht gezogen.«

»Meine arme kleine Manja,« er küßte inbrünstig ihre bebenden Hände, »das war ja entsetzlich!«

Sie lächelte weh. »Es war sehr arg.« Und ängstlich hastend fügte sie bei: »Vielleicht ist er geisteskrank.«

Der Baron hob den Kopf. »Anders kann man es sich eigentlich kaum erklären. Eine Dame der Gesellschaft in ihrer Wohnung zu überfallen, wo jeden Augenblick jemand eintreten kann! Der Mann muß verrückt sein. Meine arme kleine Manja!« Er streichelte zärtlich ihr Haar.

»Er ist sicher krank,« flüsterte sie scheu.

»Man hat doch nie etwas Ungünstiges über ihn gehört,« grübelte der Präsident, »im Gegenteil. Am Ende hätt' ich –.«

»Du hast durchaus richtig gehandelt,« tröstete sie. »Im ersten Zorn –«

»Wenn der böse Schreck nur keine schlimmen Folgen für dich hat!« bekümmerte er sich.

»Es ist schon wieder gut,« beschwichtigte sie. »Mir ist schon wieder besser.«

»Jedenfalls werde ich sofort über den Mann Erkundigungen einziehen,« entschied der Präsident. »Leg' dich jetzt ein wenig nieder! Du bist doch noch sehr blaß. Und zitterst am ganzen Körper. Komm, ich bring' dich in dein Zimmer.«

Schwer auf seinen Arm gestützt, schritt sie zur Tür.

»Eine entsetzlich peinliche Geschichte,« murmelte besorgt der Baron.


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