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Das Frauengebäude auf der Chicagoer Weltausstellung.

Frauenwohl. 1. u. 15. September 1893.

Dieses Gebäude ist im italienischen Renaissancestil gedacht und zum Teil auch ausgeführt worden; mit seinen unteren Stockwerken, blumengeschmückten Gallerien, macht es den Eindruck eines heiteren, ausgedehnten Landhauses; dann tritt im dritten Stockwerk der Plan, der Gedanke zu sehr in den Vordergrund und die Ausführung bleibt zurück. Die Säulen, welche auf den beiden Seitenflügeln den Bau abschliessen sollen, sind zu dürftig geraten. So lieblich sich auch die weissen Gruppen, die darauf ruhen, von dem blauen Himmel abheben, sie betonen das Missverhältnis des schwachen Säulenbaues mehr, als sie davon ablenken. – Dennoch ist das Frauengebäude nicht hässlich, und der Frau, welche es entwarf und erbaute, soll nichts von ihrem Verdienste als Bahnbrecherin genommen werden. – Dazu ist es im Grunde ja gar nicht einmal klug, dem in seiner Schätzung der Frauenarbeit noch schwankenden Publikum einzugestehen, dass dieser Bau dem Laien nicht vollendet erscheint, und der weibliche Berichterstatter, scheint es, sollte lieber über das Mangelnde hinweggehen. – Gerade dieses würde mir aber bei Beurteilung des Frauengebäudes und der darin enthaltenen Ausstellung als ein grosses Unrecht erscheinen; denn die Bedeutung dieser Ausstellung liegt weit weniger in dem, was sie thatsächlich bietet, als in dem, was sie für die Zukunft verspricht, anbahnt und fordert.

Man hat in deutschen Zeitungen bei Gelegenheit des Chicagoer Frauenkongresses darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Kongress in dem Chicagoer Kunstpalast und zwar in dem damals »noch unfertigen Gebäude« gehalten wurde. »Sehr bezeichnend« wurde gesagt, »für das Künstliche und Unfertige der ganzen Bestrebung.«

Wir wollen das »Künstliche« auf sich beruhen lassen, das Unfertige nehmen wir sehr gerne an. Jawohl, sämtliche Frauenbestrebungen sind heute noch unfertig; noch nicht eine hat ihr Ziel erreicht, es ist alles im Fluss und in der Entwicklung. – Dieses aber als einen Vorzug zu betrachten und nicht als einen Nachteil, lehrt uns Amerika, das junge Land, wo alle Verhältnisse und Bestrebungen, nicht nur die der Frauen, in der Entwicklung begriffen sind. – Nehmen wir also ruhig den Vorwurf des Unfertigen auf uns und betrachten wir das Frauengebäude und die darin enthaltene Ausstellung mit Zukunftsaugen, mit den Augen eines Werdenden, der durch Vergleichung erst herausfinden will, wie weit er denn überhaupt in der Reihe der Entwicklung steht, der die Grösse seiner kommenden Aufgaben erst ermessen, ein Urteil über seine bisherigen Leistungen erst gewinnen will. Ich wiederhole, darin, in diesem Unfertigen gerade liegt die Bedeutung der Ausstellung im Frauengebäude. Sollte dies Unfertige sehr schlecht sein, so könnte uns eine energische Selbstzucht und Schulung nicht besser gepredigt werden, als hier bei diesem internationalen Frauentag; wäre dieses Unfertige hervorragend gut – nichts könnte ermutigender sein. –

So weit mein Urteil reicht, ist die Ausstellung weder das eine, noch das andere. Sie erscheint mir als ein Ausdruck des Strebens und Wollens der Frau nach allen Richtungen, mit dem das Können nicht auf allen Gebieten Schritt hält. Da aber, wo es Schritt hält, beruht dies nicht auf der Eingebung des Augenblicks, sondern auf jahrhundertelanger Erziehung und Überlieferung. – Und nichts ist tröstlicher für die Zukunft als dies; Fähigkeiten und Anlagen lassen sich nicht geben: wo dieselben aber vorhanden sind, da lassen sie sich ausbilden, lässt sich mit Zeit, Gelegenheit und Willen alles erreichen. Über diese drei letzteren Faktoren dürfte die moderne Frau bald verfügen, die Fähigkeiten und Anlagen aber hat sie.

Sieht man den Katalog der Ausstellung durch, so findet man dort Gebiete der Thätigkeit erwähnt, die Frauen gemeinhin als verschlossen gelten: Ackerbau, Gartenbau, Botanik, Mineralogie, Maschinenbau, Eisenbahnwesen. – Alle diese Gebiete sind ausschliesslich durch Amerika vertreten und alles was darin ausgestellt ist, muss meiner Ansicht nach in erster Linie als Zeichen von Interesse und Streben beurteilt und dann erst auf seinen eigentlichen Wert hin geprüft werden. Die Frauen sind auf all diesen Gebieten gemeinhin Dilettanten oder doch Anfänger, und jeder Anfänger ist ja eben auch Dilettant. Ich erwähne also ausdrücklich, dass jene oben erwähnten Gebiete nur durch verstreute Einzelleistungen vertreten sind, die an die grossen Ausstellungen von Männerarbeit nicht im entferntesten heranreichen, ja nicht einmal einen Begriff von dem geben, was Frauen auf dem betreffenden Gebiete leisten. – Denn es giebt sicherlich in Amerika mehr als eine Frau, die Baumwollpflanzungen hat, Honig bereitet, Kaffee und Thee baut, Obstsaft presst etc. – und doch findet man im Frauengebäude nur je eine Ausstellerin dieser Dinge. – Aber als Symptom sind diese kleinen, zerstreuten Ausstellungen wertvoll; als Symptom ist es auch interessant, dass Frauen geologische Sammlungen eingeschickt haben, dass sie Statistiken der Minenverhältnisse aufnehmen, Entwürfe zu Eisenbahnplafonds einschicken, Wasch- und Plättmaschinen erfinden, es versuchen, einen verständigen Damensattel herzustellen, Verbesserungen für Viehtransportwagen ersinnen, sich damit beschäftigen, das Kochen und Kleidermachen zu vereinfachen und an dem Modell eines vervollkommneten Aufzugs arbeiten. – All' diese technischen Erfindungen befinden sich in einem besonderen Raum: Invention Room. – Leider sieht man die Erfindungen, die übrigens alle patentiert sind, dort nicht in Thätigkeit, und verglichen mit den grossen Ausstellungen von Männerarbeit in der Maschinen- und Eisenbahnhalle, sind ja diese 50 oder 60 Nummern das reine Kinderspiel. Immerhin, warum soll es einer Frau nicht freistehen, wenn ihr solche Gedanken und Einfälle kommen, dieselben auszuführen und patentieren zu lassen? Manch eine bedeutende Erfindung ist ja ein Werk des Zufalls und der Zufall kehrt sich nicht an den Unterschied der Geschlechter. Man wird einwenden, dass den Frauen die nötige Schulung fehle, um solche Gedanken regelrecht auszuarbeiten. Gewiss, bei vielen ist das der Fall; aber einerseits können sie sich die nötige Schulung gerade in Amerika ganz gut aneignen, und zweitens ist das Erfindungswesen in Amerika in weit höherem Masse Sache der praktischen Erfahrung als theoretischer Berechnungen. Da keine akademische Schranke die Frauen hier von vornherein ausschliesst, so thun sie eben mit, und die allgemeine Ansicht Amerikas geht dahin, dass die Menschheit viel zu viel zu leisten hat, um auch nur den Verlust eines einzigen, guten Einfalls ertragen zu können.

Weit über den Wert eines Symptoms aber gehen die Leistungen der amerikanischen Frauen in der Kunst der Zimmerdekoration, der Porzellanmanufaktur, des Radierens, Stechens und der Kunsthandarbeit hinaus. Die Zimmerdekoration, besonders die moderne, mit ihrem raschen Hinwerfen und ihren andeutenden Zügen, mit ihrer kecken Anordnung von Farben und Stoffen, ist das wahre Gebiet für die Amerikanerin, deren sichere Grazie sich in der Zusammenstellung alles dessen, was ihr Land an materiellen Hülfsmitteln bietet, an kostbaren Hölzern, an prächtigen Fellen und Tierköpfen, an leichten, phantastischen Seidenstoffen bethätigen kann. – Hier handelt es sich weniger um eine mühsam zu erlernende Technik, es kommt hauptsächlich auf Schwung und Geschmack an; beides besitzt die Amerikanerin, und so sind einige der Räume im Frauengebäude, besonders das California-, das New-York- und Cincinnatizimmer, ganz wunderschön gelungen. Besonders das erstere: Paneele aus dem bekannten Redwood kontrastieren in ihrer tiefen Röte mit einem glänzend schwarzen Bärenfell, das in seiner ganzen Grösse vor einem rahmenlosen Wandspiegel liegt und dem Beschauer blendend weisse Zähne zeigt.

Dieselbe dekorative Kunst tritt uns auch in den Arbeiten der Cincinnati-Porzellanfabrik entgegen. – Die Fabrik ist heute ein grosses Unternehmen, das viele Arbeiter beschäftigt, aber von Frauen begründet ist, von ihnen geleitet wird und auch das dekorative Verfahren ganz in Frauenhände legt. Entstanden ist das Ganze aus Spielerei, aus dem bespöttelten Frauendilettantismus: Eine reiche Amerikanerin und deren Freundin, eine Künstlerin, beschäftigten sich mit Modellieren und suchten auf dem Besitztum der ersteren nach guter Porzellanerde. Sie fanden etwas sehr Annehmbares und verwendeten das gute Material, so wie sie es eben verstanden. Sie verstanden es aber ziemlich gut und stellten hübsche Dinge her, an denen sie alles, auch die grobe Arbeit, selbst verrichteten. – Nun, der amerikanische Geschäftssinn kam dazu: Warum die Porzellanerde nicht im grossen verwenden, warum nicht reiche Frauen zusammenrufen, eine Aktiengesellschaft gründen, Arbeiter anstellen und eine hohe Schule für Porzellandekoration begründen? So geschah's, und heute hat die Cincinnati Pottery einen geachteten Ruf.

Was den europäischen Besucher in der Ausstellung recht überrascht, sind die Buchillustrationen, Entwürfe zu Bucheinbänden, besonders aber die Stiche und Radierungen des Keppel-Kollege in New-York. Diese Kunst von so vielen Frauen ausgeübt zu sehen, ist uns neu. – Man hat die Arbeit von 135 Frauen ausgestellt; 33 derselben gehören der Zeit von 1600 bis 1835 an; die anderen sind lebende Künstlerinnen und zwar aus Frankreich, England und Amerika gebürtig. Die Stiche und Radierungen sind teils nach berühmten Vorbildern, teils Originalentwürfe; Landschaft, Portrait und Studie herrschen vor. – Als ich die Blätter betrachtete, stand gerade ein junger Mann dort, der sich Notizen über die Einzelheiten zu machen schien; er zeigte sich sehr umgänglich, sagte, er sei selbst Kupferstecher und gekommen, sich die Arbeiten seiner »Kollegen« anzusehen. Ob die »Kollegen« denn etwas leisteten? fragte ich. »Oh ja, vieles ist sehr hübsch gemacht, dies hier zum Beispiel ...« »Würden Sie es von Männerarbeit unterscheiden können?«

»Nicht alles, aber manches –«

»Woran denn?«

»Die Striche sind manchmal zu unsicher – da sehen Sie, der z. B. ist scharf abgebrochen, im Original geht er glatt aus, das ist noch ungeübt; und hier ist das Original wieder nicht genug respektiert, hier hat die Nadel eigenen Schwung bekommen; den Frauen fehlt noch die feste Tradition, aber sie arbeiten sehr hübsch und manche sehr schön.«

»Den Frauen fehlt noch die feste Tradition«, wiederholte ich, »ganz recht, wir sind ja als Berufsarbeiter auch noch so neu.«

Es war für mich interessant, unter dem Eindruck dieses Urteils die amerikanischen Handarbeiten zu betrachten, dasjenige Gebiet, auf dem die Frau die längste Übung und sicherlich feste Überlieferungen hat. Aber bei den amerikanischen Handarbeiten würde man Tradition vergeblich suchen: alles ist dekorativ gehalten, wirkungsvoll in bunter Seide und flotter Ausführung, alles zum augenblicklichen Schmuck des Hauses bestimmt, Portièren, Kissen, Decken, Tischzeug, Spitzen in hellen Farben und gefälligen Formen, aber ohne das, was man in Deutschland »solide Ausführung« nennt.

Und Deutschland muss man vor allem in dieser Hinsicht befragen; die verhältnismässig kleine, deutsche Ausstellung steht in ihrer Südostecke so stramm und fest da, wie ein preussischer Soldat. – Da ist Breslau mit seiner Ausstellung der Volksschularbeiten, da sind die reglementsmässig genähten Hemden, die vorschriftsmässig gestickten Monogramme, da ist die Haushandarbeit, die in der amerikanischen Abteilung fehlt, sind mit der Hand gestrickte Strümpfe, kunstvolle Stopfversuche, sind die Arbeiten des Lettevereins, des Breslauer Frauenbildungsvereins; da ist Reutlingen mit seinen Arbeitsheften, seinen Kursen im Entwerfen – da ist Solidität und feste Überlieferung.

Diese findet sich auch bei den Handarbeiten aus Österreich, bei den Spitzen aus Belgien, Spanien und Irland, bei den russischen Stickereien, und sie erreicht ihren Höhepunkt bei den Arbeiten der Japanerinnen; die japanischen Wandschirme mit ihrer künstlerischen Wiedergabe der Natur sind geradezu entzückend; sie schlagen meiner Meinung nach alles, was von europäischen Völkern auf dem Gebiete weiblicher Handarbeit geleistet wird. Freilich hat man auch das beste geschickt, denn ein japanisches Frauenkomitee hat diese Schirme besonders für die Weltausstellung anfertigen lassen.

Hier also ist Solidität und feste Überlieferung, hier sind Frauen seit Jahrhunderten und Geschlechtern in einer Richtung gebildet und erzogen worden. Wie aber hat diese Erziehung zur soliden Handarbeit auf sie, auf ihre Stellung gewirkt? Welche Frauen stehen heute an der Spitze der Zivilisation? Die Japanerinnen, Russinnen, Spanierinnen, Deutschen? Oder die Französinnen, Engländerinnen und Amerikanerinnen? Diejenigen Frauen, welche viel Wert auf das Gleichmass der Stiche legen, oder die, welche sich sagen, die Zeit der handgestrickten Strümpfe sei vorbei? Die Antwort giebt sich jeder selbst.

Und welch' ein neues Licht fällt auf diese Frage durch eine einzige Zahl, die, gross gedruckt, im Frauengebäude zu lesen ist: 7.100 000 Dollar werden jährlich durch Frauen verdient, die mit Schreibmaschinen arbeiten. – Ob wohl die gesamte deutsche Frauenhandarbeit jährlich so viel einbringt, wie dieser neue, amerikanische Erwerbszweig, der erst langsam zu uns herüber dringt?

Die freiere Entwicklung von Amerika, England und Frankreich hat ihren Ausstellungen eine grössere Reichhaltigkeit gegeben, als anderen ebenso alten und älteren Kulturländern. – England, das im allgemeinen sehr hässliche und geschmacklose Handarbeiten aufweist, hat dagegen die reichhaltigste Ausstellung von philanthropischen Bestrebungen, von Frauenhospitälern und Frauenuniversitäten. Es ist auch mit am besten im grossen Sitzungssaale vertreten, wo die Bildnisse hervorragender Frauen aufgehängt sind; es zählt George Eliot und Mrs. Humphrey-Ward unter seine Schriftstellerinnen; Ann Clough, Miss Davies, Mrs. Fawcett und Sedgwick unter die Pioniere auf dem Gebiet der Erziehung; es hat unter der Jugend Mädchen, wie Agnes Ramsey und Philippa Fawcett, die sich übrigens ihrer mathematischen Weisheit zum Trotz mit dem Strickstrumpf hat zeichnen lassen; es geht dagegen ziemlich leer aus in den schönen Künsten, demjenigen Gebiet, auf dem Frankreich sich reich bethätigt hat. – Malerei, Porzellanmalerei und Bildhauerei sind hier besonders vertreten; zugleich haben die französischen Frauen eine grosse Anzahl statistischer Arbeiten über alle wichtigen Phasen des weiblichen Lebens, über Schulen und Vereine eingeschickt. Leider sind von anderen Staaten solche Übersichten gar nicht gegeben, und bedauerlicherweise hängen die wertvollen französischen Tabellen so hoch, dass man nur die gross geschriebenen Überschriften lesen kann. – Eine einzige statistische Aufnahme hing tief genug, um dem Publikum zugänglich zu sein. Sie ist so interessant, steht so im Widerspruch mit landläufigen Meinungen, dass ich sie im Auszug hersetzen will. Es ist eine Übersicht derjenigen Frauen, welche zu Mitgliedern der Ehrenlegion ernannt worden sind: 41 wegen ausserordentlicher Leistungen in der Armenpflege und im Schulwesen; 25 haben wegen besonders mutigen Handelns in Kriegsfällen und Feuersgefahr das militärische Ehrenzeichen erhalten; 152 das allgemeine Ehrenzeichen, und zwar aus folgenden Gründen:

 

52 retteten Menschen vom Ertrinken,
27 retteten Menschen vom Überfahrenwerden durch Eisenbahnen,
18 retteten Menschen aus Feuersgefahr,
13 zeichneten sich bei Bekämpfung von Epidemieen aus,
12 bändigten durchgehende Pferde,
1 bewies grösste Kaltblütigkeit bei einer Explosion.

 

Es wäre zu wünschen, dass andere Länder ähnliche Tabellen herstellten, damit der Anteil klar würde, den die Frau an Verhütung von Unglücksfällen und sozusagen an der Geistesgegenwart der Welt hat. Ist sie doch eben im Begriff, die Bilanz ihrer bisherigen Thätigkeit zu ziehen und sich ein Bild von sich selbst zu machen.

Zu einer Ausstellung haben sich übrigens alle Kulturländer zusammengethan, zur Gemäldeausstellung. Sie ist dadurch nicht besser geworden: So oft ich durch die grosse Mittelhalle schritt, welche der Gemäldeausstellung dient, wurde es mir klar, dass die Malerei die am schlechtesten behandelte aller Künste sei. Freilich die besten Bilder weiblicher Künstler – das Selbstporträt von Vilma Parlaghi ausgenommen – waren nicht im Frauengebäude, sondern im allgemeinen Kunstpalast ausgestellt worden; daher trat denn die Schwäche des allbeliebten Stilllebens um so mehr in den Vordergrund, daher frappierte die Gedankenarmut dieses weiblichen Dilettantismus um so stärker. – Auch Amerika hat nichts besseres geleistet; Bilder, die etwas zu sagen haben, Porträts, die sprechen, sind sehr, sehr selten. – Aus diesem Umstand allein können die Besucherinnen der Ausstellung eine Lehre ziehen, die nämlich, der müssigen Pinselei zu entsagen. Fort mit dem traurigen Dilettantismus! Eine tüchtige Wirtin oder eine Frau, die mit der Schreibmaschine arbeitet, ist unendlich viel wertvoller als eine untüchtige Malerin.

Und was ist denn der Grund aller unserer Bestrebungen? Doch nur der Wunsch der Frau tüchtiger, und die Notwendigkeit für sie, leistungsfähiger zu werden. Dazu kann ihr die Ausstellung im Chicagoer Frauengebäude der beste Führer sein, und zwar hauptsächlich deshalb, weil sie ein Missgriff ist.

Wie es in der Natur der Sache lag, konnte eine solche Ausstellung einen richtigen Begriff von dem, was die Frau ist und leistet, absolut nicht geben. In ihren bisher wichtigsten Gebieten ist Frauenarbeit geradezu unausstellbar: Wie sollte man eine Übersicht der Leistungen der Frau als Mutter, Erzieherin, Köchin und Dienstbote beschaffen? Statistik allein thut es da doch nicht, eine Statistik der guten Frauen und Mütter, eine Statistik sozusagen der Geduld, Milde, Güte und Aufopferung der Welt – ist doch nicht herzustellen. Die Frau hat eben bisher hauptsächlich durch ihre Persönlichkeit gewirkt; eine Ausstellung von Persönlichkeit und Persönlichkeiten, das hätte schon eher einen Begriff ihres Einflusses, ihrer Bedeutung geben können, wie schwer wäre die aber herzustellen! Die Zeit aber, wo Frauen durch ausstellbare, greifbare Leistungen hervortreten werden, die ist erst im Kommen, was bisher darin gethan, ist vereinzelt, ist Ausnahme, es giebt keinen Massstab für die Thätigkeit des ganzen Geschlechts, das im Stillen stetig gewirkt hat, das bisher im Herstellen gewisser sozialer Zustände seine Hauptmission fand, das den Unterbau der Welt bildete, ganz ebenso wie die Arbeitermassen des vierten Standes den nötigen Unterbau gaben, auf dem die vielen grossen Männerleistungen, die vereinzelten, grossen Frauenleistungen aufsteigen und aufragen konnten. – Deshalb hauptsächlich ist die Ausstellung im Frauengebäude so unbefriedigend: die jahrtausendelange Kulturarbeit der Frau in Haus, Küche, Schule und Gesellschaft, ihre eigentliche Hauptleistung kommt gar nicht zur Darstellung, tritt nicht geschlossen vor den Beschauer, und was an Einzelleistungen ausgestellt ist, hat einen richtigen Begriff nicht geben können.

Mehr noch: selbst da, wo die Frau sich seit Jahrhunderten ausserhalb des Hauses eine Stellung errungen hat, in der Musik, der Schauspielkunst und Litteratur, selbst da standen einer würdigen und imposanten Vertretung auf der Ausstellung grosse Hindernisse entgegen. Die Bildnisse berühmter Tänzerinnen und Schauspielerinnen geben ja keinen Begriff von der lebenden Kunst; wieder fehlt die grosse, siegreiche Persönlichkeit und an ihrer Stelle liegt vor uns ein Stück Papier, müssen wir uns mit der künstlichen Erwärmung durch historische Erinnerung begnügen.

Was endlich die Litteratur betrifft – so weiss heute jeder, dass Vielschreiben noch lange nicht Gutschreiben ist. Die Fülle von Büchern aller Art, von Werken aller Zungen, die in der sehr schön ausgestatteten Bibliothek angehäuft war, die Menge von Abhandlungen in eleganter Ausstattung, welche von amerikanischen Frauenvereinen geschickt worden – kurz die Zahl und Masse des auf der Ausstellung Zusammengeströmten konnte nur dem oberflächlichen Beschauer imponieren, und ich habe sicherlich die wenigen Bände der Ebner-Eschenbach oder das Manuskript von Robert Elsmere mit weit mehr Hochachtung betrachtet als die langen Reihen amerikanischer Novellen und spanischer Bücher. – Da hätte es einer langen, gründlichen Sichtung bedurft, um die Berufenen von den Unberufenen und die Auserwählten von den Mittelmässigen zu scheiden. Eine Zusammenstellung derjenigen Frauenbücher, die einen Eindruck auf den Geist der Welt gemacht, die Menschheit vorwärts gebracht, neue Ideen und Typen geschaffen haben, das wäre schon etwas anderes gewesen – die Masse allein thut's auch in der Litteratur nicht.

Kurz, ich bin mit unserer Vertretung im Frauengebäude gar nicht zufrieden: einerseits wird sie uns nicht gerecht, andrerseits thut sie uns geradezu unrecht; denn sie stellt uns in das Licht, als glaubten wir schon, es herrlich weit gebracht zu haben. – Das glauben wir ja aber selbst nicht; wir wissen ganz genau, wo es uns fehlt, denn die folgenden Dinge sind für jede und für jeden, der sich die Mühe nimmt, geradezu mit Händen zu greifen:

1. Die Zeit der mühsamen und gar der unnützen Handarbeiten für die Frauen der Kulturvölker ist vorbei; diese Arbeiten können ohne Schaden für den Höhepunkt der Technik und die Solidität der Ausführung solchen Völkern oder solchen Bevölkerungsschichten überlassen werden, die höherer Kultur unzugänglich oder der Eröffnung neuer, ergiebiger Berufe für Frauen feindlich sind: die moderne Frau emanzipiert sich vom Strickstrumpf und Häkelhaken.

2. Der bedauerliche Dilettantismus in der Malerei muss aufhören; besteht er fort, so ist dies ein Zeichen bedenklicher Kritiklosigkeit.

3. Kritik, ernste, vergleichende Kritik hat jede Frau zu üben, die heute aus dem Rahmen der bisherigen Frauenarbeit auf neue Gebiete übertritt; in Photographie, Kupferstechen, Musterzeichnen, Entwerfen, Illustrieren hat sie noch keine feste Tradition, noch keine feste Technik: die moderne Frau muss die Augen fortwährend auf die beste Männerarbeit gerichtet halten.

4. Die Eroberung der materiellen Welt durch die Frau fängt eben erst ganz langsam an. Die 50, 60 amerikanischen Patente sind ganz schön, aber um Gottes willen sich nicht einbilden, nun sei der Stein der Weisen gefunden. Einer Erfinderin, die das denken wollte, wäre eine kleine Morgenandacht vor den kombinierten Siemens-Halske und Schichauschen Maschinen anzuraten.

5. Das gleiche gilt von der Eroberung der Wissenschaft: die Bilder geistig bedeutender Frauen schmücken die Wände des Frauengebäudes, viele dieser Frauen haben ihr Wissen mit unendlicher Mühe errungen, manche tragen Titel und füllen Stellungen von Männern aus. Sehr gut, doch vergessen wir nicht, dass sie alle sich bisher nur fertiges Wissen angeeignet haben – eine Leistung, die man ihnen allerdings nicht zutraute – dass es aber darüber hinaus noch etwas höheres giebt: die geniale Forschung und Erfindung, und dass diese, neben Bewahrung und Erhaltung des Bestehenden, auch ein Ziel und auch eins der unseren ist, sein muss. Excelsior – heisst es hier, wie überall. Und der Weg dazu? Nun, die beste Erziehung, die strengste Selbstzucht und die weitgehendste Organisation. –

Über letztere sei hier noch ein Wort verstattet.

In einem Saale des Frauengebäudes waren sämtliche amerikanischen Frauenvereine vertreten, 49 an der Zahl, und sie geben eine gute Übersicht der amerikanischen Frauenbewegung, die eben alles umfasst: fromme und freisinnige Gesellschaften, Mission und Universitätsstudien, häusliche und öffentliche Arbeit, Mädchen- und Fraueninteressen, Geistiges und Leibliches, Ethisches und Ästhetisches, und die ihren Abschluss in dem National-Council findet, dem nationalen Frauenrat, der es sich zur Aufgabe macht, die Vorsitzenden sämtlicher das ganze Land umfassenden Organisationen in sich zu vereinen, um eine Zusammenfassung alles dessen zu bilden, was die amerikanische Frau will, denkt, fühlt und verlangt. – In diesem Punkte kann jedes Land von Amerika lernen; man steht dem Gegner dort ruhiger und leidenschaftsloser gegenüber, als bei uns; man diskutiert mit ihm, man nähert sich ihm, um Fühlung zu suchen. Man strebt mit allen Kräften nach der Gründung grosser Verbände zur Wahrung grosser Interessen: diese jüngste aller Rassen streckt in heissem Idealismus die Arme nach ihren Schwestern aus, sie glaubt an weltumfassende Organisationen, weltumfassende Pläne. Das ist der Haupteindruck, den die Weltausstellung in Chicago, den der Verkehr mit den amerikanischen Frauen hinterlässt. Und wir sollten ihnen dafür nicht dankbar sein? Sollten der Ausstellung im Frauengebäude, so unzulänglich sie auch ist – nicht Dank wissen? Dank, weil sie eine so treffliche Illustration dessen ist, was uns Frauen fehlt, dessen, was wir erwerben müssen. Dank, weil sie uns den rechten Weg weist, weil sie uns den Ernst unserer Arbeit klar macht, weil sie uns durch Thatsachen predigt? Vor Thatsachen beugen wir uns ja alle, mit dem Trost allerdings, dass ja unser bestes, das was wir bisher in Haus und Gesellschaft geleistet, eben nicht hat zur Erscheinung kommen können und daher unser Porträt im Frauengebäude dunkler ausgefallen ist als nötig. Wir nehmen aber die gar nicht vorteilhafte Photographie ruhig an und wollen sie auf unsern Schreibtisch stellen mit dem Bewusstsein: das und das und das muss an dem Original anders werden – und wenn es einmal geändert ist – nun, dann können wir ja eine neue machen lassen.


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