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Théophile de Viau.

Vossische Zeitung. 25. August 1895.

Théophile de Viau war seiner Zeit ein so bekannter, französischer Dichter, dass er seine Werke mit stolzer Sicherheit unter dem Titel: »Werke des Junkers Théophile« herausgeben konnte, und als der »Junker Théophile« schlechtweg spielt er eine bedeutende und lärmende Rolle im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Heute ist er nur in engsten Fachkreisen bekannt, französische Anthologien bringen einige Verse von ihm, eingehendere Literaturgeschichten widmen ihm eine halbe Seite, die Biographie Générale erzählt seinen Lebenslauf – und das ist alles. Weshalb diese tiefe Vergessenheit? Ist sie verdient oder ungerechtfertigt? War dieser dichtende Junker nur ein Held des Tages, der seine Zeit durch einen grossen Skandalprozess aufregte, oder hat diese trotzige Figur einen dauernden Kulturwert?

Der Junker Théophile, 1591 geboren, gehörte einem südfranzösischen Adelsgeschlechte an, das in Boussères-de-Mazères, nicht weit von Clérac einen bescheidenen Landsitz bewohnte. Hugenott seiner Überzeugung nach, hatte Théophiles Grossvater in dienstlichen Beziehungen zu Margarethe von Navarra gestanden, der Onkel hatte Heinrich's IV. Feldzüge mitgemacht, der Vater endlich sich in Boussères niedergelassen. Dieser Vater, Janus de Viau, war ein humanistisch gebildeter Sachwalter, den religiöse Verfolgung aus Bordeaux vertrieb, und der sein Leben als ackerbauernder Philosoph auf dem stillen Landsitz zu Ende führte.

Allzu still mag es freilich dort nicht zugegangen sein, denn es wuchsen nach und nach fünf Kinder in Boussères auf, zwei Mädchen und drei Knaben, die in dem gesegneten Landstrich eine fröhliche, ungebundene Kindheit verlebten, sich auf den Wiesen tummelten, am murmelnden Bach Fische fingen, in Obst schwelgten und bei aller Derbheit und Neckerei sich ein feines und tiefes Naturgefühl erwarben. Die beiden Fräulein von Viau verheiratheten sich später, der älteste Bruder, Paul, wurde ein hugenottischer Glaubensheld, der zweitälteste, Daniel, übernahm das väterliche Gut, und Théophile wurde Dichter.

Er hatte seinen ersten Unterricht im Hause erhalten, wahrscheinlich von dem Vater, wurde dann auf die berühmte Hugenottenschule in Saumur geschickt, und 1610 machte er sich nach Paris auf, um dort sein Glück zu versuchen. Er hatte dabei auf das Wohlwollen Heinrichs IV. gerechnet, der sich des Neffen eines bewährten Waffenkameraden wahrscheinlich auch angenommen hätte. Aber kaum war Junker Théophile mit dem Plan, ein grosser Hofdichter zu werden und seinem Vorbild Ronsard nachzustreben, in Paris angelangt, so wurde König Heinrich durch Ravaillac ermordet, eine erste Enttäuschung für Théophile. Andere sollten folgen: Théophile kam als ein Anhänger Ronsard's nach Paris, und dort war bereits eine ganz andere, litterarische Strömung im Siegen begriffen: die Malherbes, die der Regelhaften und Wohlüberlegten; dort regierte jetzt nicht mehr der tolerante Urheber des Edikts von Nantes, sondern eine bigotte Katholikin, die Königin-Mutter Maria von Medici, und Théophile de Viau war Hugenott; dort hiess es, Hofkunst üben, schweigen und sich beugen. Théophile aber war ein Landjunker und Protestantenzögling, Südfranzose dazu, d. h. sehr wenig in der Lage, sich mit Grazie anzupassen.

Zuerst versuchte er aber doch sein Heil, erschien bei Hofe, dichtete für Damen und Herren, machte 1612 eine Reise nach Holland, wo er als guter Freund des später so berühmten Louis Guez de Balzac hinging und als sein Feind zurückkam. Dann aber brachte der Tod seines Vaters ihn in pekuniäre Bedrängnis, und das war um so schlimmer, als er noch keinen Beschützer gefunden, dem er so gefallen, dass dieser ihm ein Jahrgehalt ausgesetzt hätte.

Da griff Théophile zu einem Ausweg, den nur grimmige Not und ein sehr selbständiger Charakter erklären können: er wurde Theaterdichter am Hôtel de Bourgogne; ein verzweifelter Schritt, denn der Theaterdichter war das Aschenbrödel einer Truppe; schlecht bezahlt, sollte er es allen recht machen, wie ein Schmock, nichts wie Brillanten schreiben und lebte dabei in einem so drückenden Abhängigkeitsverhältnis, dass man es nicht einmal für nötig hielt, seinen Namen auf den Theaterzetteln zu nennen. Dort am Hôtel de Bourgogne mag Théophile einige harte Lehrjahre durchgemacht und sich Kenntnis der hauptstädtischen Litteratur erworben haben, bis ihm 1615 ein Hoffest Gelegenheit gab, den Mann kennen zu lernen, der sein gesuchter und ersehnter Mäcen werden sollte: Heinrich, Herzog von Montmorency.

Dieser liebenswürdige und allgemein beliebte Mann, der 1632 durch einen tragischen Tod für sein sonniges, glückliches Leben büsste, war einer der ersten Kavaliere bei Hofe, einer der höchsten Würdenträger der Monarchie und einer der gütigsten Menschen jener Zeit. Ihm, der eine Statthalterei in Südfrankreich hatte und sein schönes Pézenas so liebte, dass er darüber den Hof fast ganz vernachlässigte, gefiel der unabhängige Südfranzose Théophile de Viau so sehr, dass er ihn zu seinem Leibpoeten machte und in sein Haus aufnahm. Damit war für Théophile die Frage: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? erledigt.

Er trat zum zweiten Male in die Gesellschaft: die Sklaverei des Theaterdichtens war vorbei, er trug wieder ein gesticktes Hofkleid, gelangte zu den »Pompes du Louvre«, lebte mit der reichen Jugend jener Zeit und gab bald den Ton an. Von seinem Ronsard hatte er so viel wie möglich abgestreift, aber zu Malherbes Schule gehörte er darum doch noch nicht. Malherbe war ihm zu eng, zu hart, zu regelhaft; er verbot zu viel, beschränkte das Gebiet der Dichtung zu sehr. Politik, Religion fielen ganz aus Malherbes Rahmen, der Geist freier Forschung und freien Denkens, das Recht auf Persönlichkeit und eigne Meinungen, das die Renaissance als ihr bestes Erbe hinterlassen hatte, wurde von Malherbe und seiner Schule zurückgewiesen; das allgemein Giltige, das Gesetzliche, allgemein Verbindliche, ja sogar der korrekte Gemeinplatz galt ihnen als das Höchste, und somit zeigt das erste Drittel des 17. Jahrhunderts in dem Gegensatz zwischen Malherbe und Théophile, dem »Régulier« und dem »Irrégulier«, den Kampf zweier Prinzipien und zweier Zeitalter.

Es war nicht klug von Théophile, Malherbe den Fehdehandschuh hinzuwerfen, aber seine Individualität trieb ihn dazu, und diese Individualität ist sein Bestes. Er stand auch nicht allein: nur kurze Zeit, und er sammelte einen Kreis reicher, junger Männer um sich, die gerne mitthaten, wenn er die Rechte des Individuums predigte, wenn er gegen Orthodoxie, Aberglauben, Teufelswesen zu Felde zog, Ständchen brachte und nächtliche Händel ausfocht. Nur kurze Zeit, und dieser adlig-höfische Trupp erhielt den Spitznamen der »Freidenker«, »libertins«.

Diese Libertins schaarten sich um den geistreichen, aber eitlen und prahlerischen Italiener Vanini, der gegen 1615 in Paris bei ungeheurem Zulauf materialistische Vorlesungen hielt, die »Natur« als das oberste Prinzip lehrte, den Dualismus von Geist und Körper, des einen Göttlichkeit und des anderen Verderbtheit leugnete, grosse Fragezeichen hinter dem freien Willen und der Unsterblichkeit der Seele machte und sich in einen zwar geschickt bemäntelten, aber dennoch ganz bewussten Kampf gegen die christliche Weltanschauung einliess. Er soll damals 50 000 Anhänger in Paris gezählt haben. Zu diesen gehörte auch Théophile, dessen feste Überzeugung es war, dass unsere geistigen Funktionen physiologisch bedingt sind oder, wie er sagt: Que le tempérament du corps force les mouvements de l'âme.«

Er mag zu dieser wenig orthodoxen Anschauung in erster Linie durch seinen Lehrer Marc Duncan in Saumur gekommen sein, der Arzt und grosser Feind des Teufelsglaubens war. In letzter Instanz gehen die materialistischen und philosophischen Anschauungen jener Zeit aber von Giordano Bruno aus, der 1600 in Rom von der Inquisition verbrannt wurde, und dessen Erbe Vanini in nicht allzu reinen Händen bewahrte.

Diese Regung von Freidenkertum in den oberen Schichten der Gesellschaft konnte von der Kirche nicht unbemerkt bleiben; Maria von Medici war bigott, König Ludwig XIII. in den Händen der Jesuiten. So kam es, dass 1619, als sich Théophile nichts Böses ahnen liess, plötzlich ein Befehl gegen ihn erging, er solle sich vom Hof entfernen und das Königreich meiden. – Zu religiösen Beweggründen kam dabei noch persönliche Rache: Ludwig XIII. hatte einen allgemein verhassten Günstling, den Herzog von Luynes; Montmorency hatte diesen Günstling völlig links liegen lassen, Théophile war dem Beispiel gefolgt; nun klagte man ihn an, eine der damals so zahlreichen Schmähschriften gegen Luynes verfasst zu haben, sein Ruf als Freidenker kam dazu, und so erklärt sich jener königliche Befehl.

Théophile begab sich nach Hause; aber der Süden war in dieser Zeit für einen in Ungnade gefallenen Freigeist auch kein sicherer Aufenthalt: eben war Théophiles Lehrer Vanini in Toulouse wegen Ketzerei verbrannt worden; so geschah es, dass unser Dichter unstät und flüchtig von Ort zu Ort zog, sich bald im südfranzösischen Haidebezirk, bald in den Pyrenäen aufhielt, bald wieder bei gastlichen Freunden lebte, die ihn mit gutem Wein und Essen erquickten, und endlich nach Boussères zurückkehrte, wo er den Winter 1619/20 ungestört verleben durfte. Er hatte eine Arbeit vorgenommen, wie er denn stets, selbst in den schwersten und gefahrvollsten Zeiten, gearbeitet hat. Sie sollte ihm über seine Verbannung weghelfen; denn obgleich er in seinen Gedichten aus jener Zeit sowohl seine Unschuld an jedwedem Libell, wie seine Verachtung gegen Hofleben und Hoftum kund thut, so dürfen wir doch getrost annehmen, dass dem stolzen Mann diese öffentliche Blossstellung sehr nahe ging. Er dachte trotz seines anscheinenden Stoicismus sehr ernstlich daran, sich wieder bei Hofe einzuheben. Ein Zeichen seiner tadellosen Kirchlichkeit sollte die erwähnte Arbeit liefern; es war eine sehr freie Übertragung des »Phaedon«, worin Théophile alle Gründe und Gegengründe anführt, die Plato in Bezug auf die Unsterblichkeit der Seele aufzählt.

Diese Arbeit, die er nach dem griechischen Original machte, denn er verstand Griechisch, Latein, Italienisch, Spanisch und sogar etwas Englisch, nahm aber nicht alle seine Musse in Anspruch; er schrieb inzwischen noch viele, sehr hübsche Gedichte für seine Caliste, diejenige Frau, die er in seiner Verbannung kennen und lieben gelernt hatte, und der er bis zu seinem Tode treu blieb; vielleicht nur, weil sie ihn sehr schlecht behandelte. Schön, klug, mit Verbindungen in der grossen Welt, machte sie dem armen Poeten das Leben schwer, so dass er sang:

Orgueilleuse et belle qu'elle est,
Elle me tue et elle me plaît.

Da kam in seine Arbeitspläne und Liebesklagen eine aufregende Nachricht: Der König, hiess es, begebe sich auf einen Kriegszug gegen die aufrührerischen Adligen und die Königin-Mutter. Der Kriegsschauplatz lag an den Loireufern, in der Nähe von Angers, und sofort war Théophiles Entschluss gefasst: er würde trotz des Bannes zum Heere stossen und sich dem König zur Verfügung stellen. Gedacht, gethan; zwar kostete es ihn eine Trennung von Caliste, aber er glaubte, diesen Schritt thun zu müssen.

Anscheinend hielt Théophile sich wacker und wurde zu Gnaden angenommen; er rechnete damals wohl mit Bestimmtheit darauf, nach beendigtem Feldzug wieder in Paris leben zu dürfen; um so empfindlicher traf ihn eine erneute Ausweisung, die ihn zwang, diesmal wirklich ausser Landes und zwar nach England zu gehen. Diese verschärfte Massregel ist wohl auf jesuitischen und Günstlingseinfluss zurückzuführen.

Ende 1620 befand sich Théophile in England, wo er sich unsäglich unbehaglich fühlte. Wohl war der Hof Jakobs I. ein geistreicher Hof, wohl war die englische Litteratur, besonders das Theater, anziehend und reich genug, aber Théophile sprach englisch nur unvollkommen, er scheint auch wenig Lust gehabt zu haben, es besser zu erlernen, und so blieb sein englischer Aufenthalt wenig fruchtbringend für ihn.

Anfang 1621 hatten Gönner ihm die Rückkehr an den Hof ausgewirkt, die Übertragung des »Phaedon« war dem König zugestellt worden, ja sogar ein Lobgedicht auf Luynes hatte Théophile, wahrscheinlich zähneknirschend, herausgepresst, und so zog er mit dem Frühjahr in Frankreich ein. Er fand den Hof, die Freunde, den Gönner und die Geliebte dort, genug, um glücklich zu sein. Kaum aber hatten Spiel und Tanz begonnen, so scholl die Kriegstrompete darein, und der König rüstete zu einem Zug gegen die südfranzösischen Hugenotten. Théophile, obgleich selbst noch Hugenott, hielt es für seine Pflicht, als Gentilhomme de la Chambre du Roi und als halber Konvertit mitzuziehen. Denn er empfand seine Religion als ein so grosses Hindernis auf seinem Lebenswege, dass er entschlossen war, sie, je eher je lieber, abzuschwören, was er 1622 auch that.

Aber der Erfolg dieser Bekehrung, die er zum Teil auch aus Ueberzeugung vollzog, war nur mittelmässig: seiner Zeit galt er schon zu sehr als Freidenker und Spötter, um hinter äusserer Kirchlichkeit sicheren Schutz zu finden. Das sollte er bald merken. Er galt neben Malherbe für den grössten Dichter der Epoche; er hatte 1617 einen bedeutenden Erfolg auf der Bühne gehabt, 1621 seine lyrischen Gedichte herausgegeben; ungedruckte Verse und Witzworte, die man ihm zuschrieb, liefen in der Gesellschaft um, und da er als Haupt der Freigeister galt, musste er zugleich auch oft als Sündenbock für anderer Bosheit oder als Objekt der Gewinnsucht gelten. – 1621 war nämlich in Paris eine Sammlung leichtfertiger und schmutziger Verse herausgekommen, die unter dem Namen »Parnasse Satirique« in der französischen Litteratur berüchtigt ist. Es war ein Sammelband verschiedener Autoren, auf Spekulation von einem findigen Verleger herausgegeben, und der Erfolg war so glänzend, dass 1622 eine neue Auflage des »Parnasse« erschien, in der Théophile de Viau als verantwortlicher Redakteur des Ganzen und als Verfasser eines besonders anstössigen Sonetts ausgegeben wurde. Théophile sah nur einen genügenden Schutz gegen das drohende Gewitter: er liess die Auflage in Beschlag nehmen, bestritt jede Autorschaft und erwirkte einen Gerichtsbefehl gegen den Verleger.

So leichten Kaufes sollte er aber nicht loskommen: dieses Buch Théophile zuzuschreiben und ihm aus der geleugneten Autorschaft einen Strick zu drehen, stark genug, um ihn daran zu hängen, das war die Absicht der Kirchenpartei. Nicht lange und ein streitbarer Jesuitenpater, Franz Garasse, schleuderte in einem dicken Folianten die Anklage der Gottesleugnung und Unsittlichkeit gegen Théophile, der Staatsanwalt liess unter der Hand Untersuchungen gegen ihn vornehmen, die Kirchen hallten wider von Predigten gegen den Volksverführer, den Sittenverderber, und der Dichter hielt es für geraten, die Flucht zu ergreifen.

Er fand ein Asyl bei Montmorency in Chantilly, von wo aus man alles that, um Théophile zu retten. Aber vergebens: dem Staatsanwalt wurden Zeugen auf Zeugen gebracht – eine Reihe dunkler Ehrenmänner, Flötenspieler, Buchhändler, Schlächter, verkommene Schüler etc. –, und jeder wusste eine neue Lästerung Théophiles beizubringen, so dass am 19. August 1623 vom Parlament in Paris ein Urtheil gegen den Dichter und drei andere im »Parnasse« blosgestellte Autoren gefällt wurde, auf Tod durch Verbrennen oder lebenslängliche Verbannung lautend. In Abwesenheit des Hauptschuldigen wurde das Urteil in effigie vollstreckt. Unter diesen Umständen wagte selbst Montmorency seinen Hauspoeten nicht mehr zu halten. In trübster Stimmung suchte Théophile die Grenze zu gewinnen, wurde aber durch Verrat im Castelet in der Picardie festgenommen, zuerst nach Saint Quentin, dann nach Paris geführt und dort am 28. September 1623 in der Conciergerie eingeliefert.

Wie ein gemeiner Verbrecher ward er behandelt und zu grösserer Annehmlichkeit in den Kerker Ravaillacs gesteckt. Dort schmachtete er zwei Jahre, zwei Jahre grösster Seelenqual und angestrengter Geistesarbeit. Denn der Dichter, der wohl wusste, dass es ihm an den Hals gehen sollte, war entschlossen, sich um jeden Preis zu retten: am »Parnasse« war er unschuldig, der Kirche hatte er seiner Ansicht nach alle die Zugeständnisse gemacht, die sie irgend verlangen konnte; ihre Hand auch nach seiner Gedankenfreiheit und Individualität auszustrecken, das Recht gestand er ihr nicht zu. Daher arbeitete er in dem dumpfen Kerker, unter den traurigsten, sanitären Verhältnissen, ohne Luft und Licht, auf verfaultem Stroh, rastlos an seiner Verteidigung: hatten die Gegner die öffentliche Meinung angerufen, um ihn zu verdammen, so wollte er dieselbe Macht anrufen, um sich zu befreien. Nun schrieb er Gedicht auf Gedicht; der König, die Richter, das Parlament, seine Kollegen in Apoll, seine Freunde, alle rief er um Hilfe an.

Seinen Richtern trat er mit einem wohlüberlegten Verteidigungsplan gegenüber: er leugnete mit grosser Geistesgegenwart alles in seinen Werken ab, was ihm übel ausgelegt werden konnte; fast durchgehends bewahrt er eine stolze, manchmal sogar trotzige oder gar überlegene Haltung. Und sein Prozess beim Parlament von Paris war eine der grossen Affairen der Zeit, ein Ereignis, das zwei Jahre lang die Stadt in Aufregung erhielt, überall besprochen und diskutiert wurde, eine Flut von Flugschriften für und wider Théophile hervorrief und sogar Stoff zu Bänkelsängerliedern und Schauerbildern gab. Endlich, im September 1625, wurde der Dichter freigelassen; doch sollte er auf Lebenszeit aus dem Königreich verbannt sein.

Als Théophile den Kerker verlies, fand er seinen Gönner Montmorency gerade in Paris; doch ging der Herzog schon Anfang November nach der Insel Rhé, um als Admiral den Flottenbefehl zu führen. Er nahm Théophile auf seiner Reise mit, was dem entkräfteten und seelisch angegriffenen Dichter sehr unlieb war. Théophile verliess Paris auch deshalb ungern, weil er sich dort in Gesellschaft seiner besten Freunde Luilier und Desbarreaux, die beide nicht in dem Geruche der Heiligkeit standen, gerade wieder wohl zu fühlen begann. Aber es half nichts: er musste diesmal seinem Herrn, der ihn das Joch der Abhängigkeit fast nie hatte fühlen lassen, folgen. Als er zurückkehrte, lebte er in ländlicher Musse teils bei Montmorency in Chantilly, teils beim Grafen von Béthune in Selles, in einem erlesenen Kreise, wo der Besitz von Geist und Wissen einem Adelsbrief gleichgalt, bis er 1626 im September in Paris einem schleichenden Fieber erlag, das er wohl seinem zweijährigen Aufenthalt im Kerker Ravaillacs verdankt.

Damit endet die kurze, an Wechselfällen reiche Laufbahn Théophile de Viaus. Als Mensch selbstherrlich, selbstbewusst und unbändig, muss er ein unbequemer Geselle gewesen sein und war für den Hof sicher nicht gemacht. Wohl hat selbst er sich nicht in seiner ganzen Individualität dem Leben gegenüber behaupten können und hat in seiner Bekehrung, in dem Lobgedicht an Luynes Konzessionen gemacht; aber verglichen mit den vielen krummen Rücken um ihn, ist er eine erstaunlich gerade und straffe Gestalt in jenem Zeitalter, das die Sonne der absolutesten Monarchie aufgehen sah. Théophile de Viau hat wenig geschmeichelt, er hat sich Montmorency gegenüber das Recht freier Meinungsäusserung gewahrt; in dem Masse, wie sich die bösen Zufälle häufen, überkommt ihn eine stoïsche Resignation, und endlich, obgleich er sein freies Denken niemals aufgab und die Göttlichkeit der Natur stets aufrecht erhielt, gewinnt er einen rein persönlichen, etwas mystischen Gottesglauben, der ihn zwar nicht mit der Kirche und den Priestern, wohl aber mit sich selbst und seinem Schicksal versöhnte.

Sein tragisches Schicksal als Mensch und seine Bedeutung als Denker wie als Dichter aber beruhen beide darauf, dass er Grundanschauungen der Renaissance zu einer Zeit vertrat, die von einer Gegenströmung beherrscht wurde.

Was Théophile von philosophischen Anschauungen besass, das arg beschnittene Erbe Giordano Brunos, hat er in den Vers zusammengefasst:

J'approuve qu'un chacun suive en tout la nature,

denn die Natur ist eben göttlich und zugleich für jeden die einzige Richtschnur, die er kennt. In seinen philosophischen Anschauungen hat Théophile keine besondere Originalität, sein Verdienst besteht einzig darin, wenigstens etwas von den Errungenschaften der Renaissance erhalten, eine, wenn auch nur höfische Geistesfreiheit gewahrt zu haben und endlich ein Bindeglied zwischen der Renaissance und der Aufklärung zu sein.

Wirkliche Originalität finden wir erst in seinen Dichtungen. Man schreibt ihm zwei Dramen zu; eine »Pasiphaë«, die wohl als einer seiner frühesten, unförmlichen Entwürfe zu betrachten ist; eine Tragödie »Pyramus und Thisbe«, die für seine Zeit einen namhaften Fortschritt in der Form darstellte, heute aber nur noch historisches Interesse hat. Sie gehört gleichfalls Théophiles erster Dichterperiode an, in der er, von italienischer Manier stark beeinflusst, dem spitzfindigen und übertriebenen Modejargon jener Zeit ausgiebig huldigt. Aber er hatte so bedeutenden Erfolg mit diesem Drama, dass er dadurch andere adlige Dichter, wie Racan, bewog, für die Bühne zu schreiben, den ganzen Stand der Bühnendichter hob, und dass es seither Brauch wurde, den Namen des Dramatikers auf den Theaterzetteln zu nennen.

Den wahren Théophile finden wir aber weder in diesen Dramen noch in den Hofdichtungen, Balletversen und Huldigungsgedichten jener Zeit, sondern in seinen ganz persönlichen Liebesliedern, seinen Verteidigungsgedichten, seinen Briefen und seinem Romanfragment.

Seine Liebeslieder datieren erst von 1619; damals hat er mit dem Modejargon im grossen und ganzen gebrochen, auch von Malherbe will er nichts wissen: Malherbe a très bien fait, mais il a fait pour lui ...

Théophile hingegen will uns sein persönliches Erleben, sein persönliches Empfinden geben und keinem nachahmen.

Schon vor ihm hatten die grossen Lyriker der Renaissance, wie Ronsard und du Bellay, das persönliche Erlebnis zum Ausgangspunkt gemacht. Keiner von beiden aber hat uns eine so eingehende Beichte wie Théophile gegeben, der in seinen Gedichten nicht nur persönlich, sondern geradezu biographisch ist, die wirklichen Eigennamen, das realistische Detail beibehält und sich in einer ganz modernen Weise selbst beobachtet und analysiert. Dieser biographische Charakter seiner Lyrik ist seine Originalität und hängt mit der selbstbewussten Persönlichkeit des Junkers Théophile aufs engste zusammen.

Uns tritt er noch in einer Art näher, die seine Zeitgenossen an ihm wenig kannten: als Prosaschriftsteller in seinen Briefen und seinem Romanfragment. Bei den Briefen ist der biographische Charakter selbstverständlich, bei dem Romanfragment ist er wieder eine selbstbewusste Neuerung. Es ist ein Ichroman; Théophile erzählt in angenehm behendem, knappem Stil ein Reiseabenteuer, das ihm zugestossen ist und führt sich dabei als Théophile schlechtweg ein, nicht als eine erfundene Persönlichkeit, der er etwa seine Gefühle und Gedanken in den Mund legt; nein, er nimmt an, dass alle Welt sich genug für den Junker Théophile interessiert, um dessen Reiseabenteuer hören zu wollen.

So ist die Kenntnis von Théophile de Viaus Leben unentbehrlich zum Verständnis seiner Werke, eine Einheit von Leben und Dichten, die im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts fast ganz unterbrochen wird; wie denn Théophile mit seiner Unabhängigkeit und freizüngigen Individualität nur noch als ein Nachzügler der Renaissance in das klassische Zeitalter hineinragt und als interessanter Uebergangstypus zwischen zwei grossen Litteratur- und Kulturepochen, wo nicht den lauten Ruhm seiner Zeit, so doch die ruhige Anerkennung der Nachwelt verdient.


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