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Die englischen Frauen-Universitäten.

National-Zeitung. 31. Mai 1891.

Es giebt heute in England sechs Frauen-Universitäten. Ich bin nur mit zweien derselben in nähere Berührung gekommen, mit Holloway und Newnham. Beide haben in der Erinnerung gleich scharf umrissene Bilder hinterlassen, so verschieden sie an und für sich auch waren.

Die Verschiedenheit von Holloway und Newnham liegt darin, dass Newnham mit die erste Hochschule für Frauen war, Holloway dagegen die vorläufig letzte ist; dass Newnham unter ungünstigen Verhältnissen, im Kampf mit dem Vorurteil, klein angefangen, sich langsam erweitert, sich langsam seine Stellung erfochten hat, während Holloway, gleichsam nach geschlagener Schlacht, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel heranzog und von vornherein in grösstem Massstabe angelegt, über bedeutende Mittel verfügend, die Stätte bereitet fand und sich nur hoheitsvoll auf den grünen Höhen von Surrey niederzulassen hatte.

Holloway ist schön, und dort als Gast zu sein, ist ein ganz besonderer Genuss. Die Universität liegt etwa eine Stunde Eisenbahn von London entfernt. Von Egham, der Station, steigt der ländliche Weg fortwährend an, und auf der Höhe liegt schlossartig, wie ein neu erwecktes Chambord oder Fontainebleau, das grosse, turmbewachte Viereck der Universität. Die rote Farbe des Steins sticht lustig von dem Grün der Wiesen und Hügel, dem wohlgepflegten Garten und dem blauen Horizont, mit dem seltsam verschleiernden, englischen Hitzenebel, ab. Auf der freien Terrasse der Gartenfront stehen, den stolzen Bau im Rücken, breite Sandsteintreppen zur Rechten und zur Linken, zu Füssen grüne Gründe, den schönen Park voll Eichen und Kastanien sehen, Wiesen mit kniehohem Gras in der übermütigen Pracht ihrer Sommerblumen, den Blick in eine lockende, schleierhafte Ferne versinken lassen – das ist etwas unvergesslich Schönes und Ahnungsvolles, es weckt Vergangenheit und regt die Zukunft. – Einen ähnlichen Eindruck empfängt man im Innern des Gebäudes. Man würde müde werden, die Tausende von Fenstern zu zählen, die teppichbelegten Korridore nach Schritten auszumessen oder die Ehrenhöfe und ihre Arkaden auf und ab zu wandern. Nicht müde wird man aber, an einem dieser Fenster sich in Homer zu vertiefen oder im langsamen Wandelgang unter diesen luftigen Bogen die Lösung einer Frage, die Erkenntnis eines Naturgesetzes zu suchen, ihr nachzugrübeln. Freilich wird für empfängliche Naturen der poetische Reiz von Holloway zuerst den wissenschaftlichen überwiegen; das Grossartige der Anlage, die wundervollen Dimensionen aller Räume, der Reichtum der Ausstattung, die Fülle von Licht und Luft und Blumenduft, der grosse Stil des ganzen Lebens – diese feierlichen Mahlzeiten z. B. in einem Rittersaal – das alles muss zunächst wohl ganz allein einen überwältigenden Eindruck hervorbringen und dem Wesen der eintretenden Studentinnen einen lebhaften Schwung geben. Und es sollte mich nicht wundern, wenn aus Holloway einmal eine Dichterin hervorginge, denn selbst auf prosaischere Köpfe dürften die Kapelle, die Bildergalerie und die Bibliothek durch die tägliche Berührung des Schönen zauberisch einwirken. Holloway ist übrigens um einige Grade kirchlicher als manche der anderen Universitäten. Jeder Morgen sieht daher die Studenten und die Lehrerschaft in der Kapelle. Sie ist allerdings ein wenig bunt, hat aber wundervolles Schnitz- und Eisenwerk und eine weihevolle Stille. Der dem katholischen sehr ähnliche Gottesdienst bringt zu dem äusseren Eindruck des Schönen und der Kunst nun noch die seelische Rührung durch Gesang und Orgelspiel, durch Kniebeugungen und ähnliche fromme Handlungen. Dabei ist die Kapelle stets geöffnet, so dass jeder Schmerz und jede Freude hier eine würdige Stätte findet.

Eine Bildergalerie wird manchem in einer Universität als ein überflüssiger Schmuck erscheinen. Aber ist die Erziehung zur Kunst nicht auch ein Teil der Erziehung? Wer je in der Galerie von Holloway umhergewandelt ist, die Gemälde betrachtend, in voller Freiheit bald ab-, bald näherrückend, sich selbst nach Belieben die Oberlichtvorhänge zurechtziehend; wer je den am oberen Ende der Galerie stehenden Konzertflügel unter berufenen Händen hat klingen gehört; wer gar selbst dort sang und die eigene Stimme machtvoll zurückhallen fühlte – der kann die Galerie nicht überflüssig nennen. Das Schönste aber bleibt die Bibliothek. Dies ernste Licht, das aus hoch in der Wand gelegenen Fenstern fällt, so dass der Blick durch keinen Ausflug in die Aussenwelt von dem Buch verlenkt wird; diese langen, schön geschnitzten Bücherfächer mit ihrer Fülle von Wissen und Kunst; die prächtigen Kandelaber, die grossen Arbeitstische und bequemen Stühle, der dichte Teppich, der die Schritte dämpft – dies alles macht den Raum zu einem Tempel der Wissenschaft. Wie manches junge Herz mag hier im ersten Feuer gewünscht haben gross zu werden wie Shakespeare oder Newton. Welche kindlich ungemessenen Aufgaben hat sich, unter dem Einfluss der Umgebung, der erste Jugendmut gestellt! Und wenn das erste Feuer verraucht war und man erkannt hatte, dass Rom nicht an einem Tage erbaut sei, dann hat diese selbe Bibliothek mit ihrer ernsten Ruhe und Abgeschlossenheit auch die nötige Kraft und Geduld gelehrt.

Dass diese reichen Verhältnisse die Studenten verwöhnen; dass die jungen Mädchen zum Teil aus sehr viel kleineren, bürgerlicheren Kreisen kommen und später in dieselben zurückkehren werden, dass dies seine Unzuträglichkeiten hat, soll nicht geleugnet werden. Gar manche der Studierenden fasst das ganze Studium auch mehr von der ästhetischen, als von der positiv wissenschaftlichen Seite auf und verfolgt ausschliesslich den Zweck, sich eine allgemeine humanistische Bildung anzueignen, ohne an eine praktische Verwertung ihres Wissens zu denken. Darin liegt jedoch an und für sich kein Schade, im Gegenteil, auf diese Art wird eine gewisse klassische Belesenheit auch Besitztum der Frauenwelt. Schlimm wäre es nur, wenn dies humanistische Bildungsideal zu Oberflächlichkeit führte und darüber die exakten Wissenschaften vernachlässigt würden. Dieser Gefahr aber begegnet der Umstand, dass Holloway einen sehr tüchtigen ordentlichen Professor der Mathematik und Naturwissenschaften hat, eine Frau, der die Ehre zuteil wurde, eine ihrer mathematischen Arbeiten in der Royal Academy verlesen zu hören. So kommt es denn, dass in Holloway die Lehrer des Horaz und Homer, des Euclid und Newton's in hellen Frauenkleidern einhergehen und eine fröhliche, weibliche Jugend zu ihren Füssen sitzt. Um Holloway's Ruf bei uns noch zu verherrlichen, darf ich hinzusetzen, dass der griechische Unterricht dort von einer Deutschen erteilt wird, die ihre Studien freilich in England hat machen müssen.

Was die jungen Mädchen in Holloway lernen, die gründliche und genaue Übersicht über ihre Studien, die Zahl der Stunden, die Höhe des Geleisteten, Dinge, die bei Beurteilung des Wertes einer Anstalt ja den Ausschlag geben, findet sich in den offiziellen Berichten, Statuten und Prospekten. Hier sei nur soviel bemerkt, dass jede Überbürdung der Schülerinnen, das Überstudieren, die Bleichsucht durch Bewegung in frischer Luft bekämpft, dass das Tennis hier so gepflegt wird, wie das Cricket in Oxford und Cambridge. Auch das einseitige Buchlernen sucht man zu verhindern und hat deshalb die Einrichtung der Männer-Universitäten beibehalten, in gewissen Zwischenräumen politische Debatten zu halten. Da Holloway durch seinen Lehrkörper sowie durch seine Studierenden in enger Verbindung mit den leitenden Kreisen Englands steht und sich im Empfangszimmer der Vorsteherin die gescheitesten Köpfe Londons und des Kontinents treffen, bieten diese Debatten stets Anregung und Belehrung. In Holloway gilt es nicht mehr für unweiblich, regelmässig Zeitungen zu lesen und politisches Interesse zu äussern. Hiermit wird ein Keim gelegt, der im Vaterlande des Darwinismus seine Entwicklung nicht verfehlen wird.

Überhaupt muss man Holloway als eine Pflanzschule für die Zukunft betrachten. Die Anstalt besteht erst seit 1887; sie hat noch lange nicht die Schülerzahl, auf welche sie eingerichtet ist, und auch noch nicht die feste Bahn des Unterrichts, wie Newnham oder Girton. Bei den Universitätsprüfungen hat sie daher noch keinen jener glänzenden Erfolge zu verzeichnen, wie sie Girton mit Miss Ramsey, Newnham mit Miss Fawcett davontrugen. Man wird dieser jüngsten Anstalt eben noch Zeit lassen müssen, sich zu bewähren, zu zeigen, ob sie ihre Mittel, ihre Grossartigkeit zum Guten anwendet oder in Oberflächlichkeit aufgehen lässt. Immerhin war das Holloway, das ich kennen lernte, schon an und für sich eine Blüte der Civilisation, ein Beweis des grossen Fortschrittes, den die Frauenfrage in den letzten zwanzig Jahren in England gemacht hat. Nicht jedes Land baut seinen Frauen solche Paläste und stellt ihnen solche Mittel zum Studium zur Verfügung. – Holloway ist die Stiftung eines reichen Privatmannes. Herr Holloway hatte sich ein Vermögen erworben und Frau Holloway eine gründliche Bildung. Als nun die Frage der Universitätsbildung für Frauen in England entschieden war, dauerte es Mrs. Holloway, dass unbemittelte Mädchen davon, der Kosten wegen, ausgeschlossen sein sollten, und sie glaubte ihren Reichtum nicht besser als zur Gründung einer Hochschule für Frauen, mit besonders zahlreichen Freistellen, anwenden zu können. Auf ihre Anregung hin ist Holloway erstanden; Mr. Holloway nahm den Plan freudig auf, und im Innenhof der Universität ist das Standbild des Stifters zu sehen, wie er seiner Gattin die Gründung mit einer Handbewegung zeigt: So hast du es gewollt. Noch eine andere, vielleicht unfreiwillige Erinnerung an Mr. Holloway findet sich in dem Gebäude. Unter dem Fries der Säle zieht sich meist eine Verzierung kleiner Kügelchen hin. Man hat darin eine Anspielung darauf sehen wollen, dass Mr. Holloway sein Vermögen dem Vertrieb einer wunderthätigen Art von Pillen, Holloway Pills, verdankte. Das mag wahr sein oder nicht, immerhin nehmen sich diese zierlichen Pillenschnüre anmutig genug aus und jedenfalls ist Jung-Englands weiblicher Teil den Pillen des Herrn Holloway zum unverbrüchlichsten Danke verpflichtet, denn dieses herrliche Gebäude ist eine königliche Schöpfung und ein Markstein in der Entwicklung der englischen Frauenbewegung.


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