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Zur See.

April 1895.

Es war Wintertag und böses Schlossenwetter, als ich in Antwerpen an Bord eines Kauffahrers ging, um nach Ägypten zu reisen.

Die letzten Segenswünsche meiner Freunde klangen mir noch im Ohr, eigentlich waren es weniger Segenswünsche als Stossgebetlein, und ich hatte so oft meinen »Mut« bewundern hören, dass ich bereits anfing, meine Winterseefahrt wirklich für ein Wagestück zu halten. Aber ich hatte A gesagt, nun denn vorwärts, B musste auch gesagt werden. Ich liess also mein Bündlein an Bord bringen und machte mich bereit, den Ungeheuern des Meeres zu trotzen.

Das Hauptungeheuer war der Kapitän; ich war nämlich der einzige Passagier, und wir hatten 14 Tage Einsamkeit oder Zweisamkeit – jenachdem – vor uns. Na, dachte ich, mit Seeleuten bist du noch immer fertig geworden, und ich ging in die Kajüte; dabei stolperte ich über die Schwelle und betrat so das Heiligtum mit einem lustigen Hopser, ging auch gleich auf den grossen, blonden Mann zu, der am Tische sass und schüttelte ihm die Hand. Er hat mir später erzählt, dass der lustige Sprung, mit dem ich so unfreiwillig hereinkam, ihn gleich über das Schicksal der nächsten vierzehn Tage beruhigt hätte – ihm war nämlich ein bischen bange gewesen vor der »emanzipierten Frau«, die er da in seinem schwimmenden Hause beherbergen sollte.

Vierzehn Tage See im Januar. Wär's immer so gegangen wie in der Scheldemündung, wo wir wegen Sturm noch einmal Anker werfen mussten, oder wie auf der Nordsee, wo das Schiff heftig stampfte und ich mich gottergeben bei 4° oben in's Navigationszimmer legte, dann wäre es allerdings nicht sehr anmutig gewesen. Aber von der bretonischen Küste an, gerade im Golf von Biskaya, vor dem man sonst drei Kreuze zu schlagen pflegt, da wurde es schön und immer schöner. Wohl haben wir in dem Golf noch geschaukelt und Wasser übergenommen, aber das Schaukeln waren wir ja schon als kleine Kinder gewöhnt worden, und das blaue Meer wollte uns nur noch einmal in jene schönen Zeiten zurückversetzen und uns die rechte Stimmung und Melodei mitgeben für unsere frohe Fahrt. –

Sind Sie einmal so zwei Wochen lang mit einem Kauffahrer See gefahren? Sehen Sie – man hat soviel vom Wandern geschwärmt, aber dies Wandern am Schiffsdeck hat man dabei vergessen, und es ist doch, meiner Treu, auch sehr schön. Wenn man sich gut versteht in dieser kleinen Welt, dann kommt solch ein reiner, frischer und kindlicher Humor über Einen; man vergisst die Vergangenheit, man denkt nur wenig an die Zukunft, das ganze Bündel von Sorgen, Leid und Schmerzen legt man beiseite – was man an Land erlebt, erlitten und erfahren, das liegt so fern, wie durch einen Schleier nur scheint es herüber, wie durch einen Schleier sieht man geliebte Gesichter, hört man geliebte Stimmen, und sonst ist man müd' wie ein Kind und kindlich wie ein solches.

Denn womit amüsiert man sich nicht an Bord? Was wird nicht alles Scherz und Neckerei? Wie lehrreich ist es, sich vom Kapitän in Karten, Bücher, Instrumente und Schiffsführung einweihen zu lassen, die Verwaltung, Zucht und Ordnung solch eines kleinen Staates, wie ein Schiff ihn doch bildet, zu beobachten, und abends bei einem Glase Wein Seemannsgeschichten, Fährnisse, Anekdoten »Dönches« anzuhören! Ich rate Jedem, der sich einmal echte Menschen ansehen will, solch eine längere Seereise zu machen, und das Beste an der Sache – man ist an Bord wohl derb, aber nie zweideutig.

Was das dann oft für feine Stimmungen waren, wenn in dem hübschen, grossen Schiffssalon abends die Hängelampe brannte – sie gab dem roten Plüsch des breiten Divans, auf dem ich gewöhnlich lag, einen so wunderbaren, warmen Ton – wenn die bunten Blumen aus Malta blühten und dufteten, das weisse Tafeltuch so einladend glänzte, wie sonst in meinem Elternhause, der kleine Kanarienvogel aus erstaunten Äuglein auf uns niedersah – wir redeten oft so schrecklich ernsthafte Sachen – der rote, türkische Wein sein Aroma durch den Raum verbreitete, ein paar goldene Orangen zerteilt wurden, und stundenlang die Rede zwischen uns herging, oft kindlich lustig, öfter noch ernst, herb, wenn wir grosse Weltfragen besprachen, und – draussen in Nacht und Nebel fremde Küsten, Algier, Tunis, Ägypten lagen.

Das war die Aus-, nun kommt die Heimfahrt.

Leb' wohl, Ägypten, hatte ich gesagt, du wirst mir jetzt zu heiss; es ist zwar nicht hübsch, mit seinen Freunden nur die guten Stunden zu verbringen, und sie nachher des Tages Last und Hitze allein tragen zu lassen – aber sie fing nachgerade sehr an zu brennen, die schöne, ägyptische Sonne, und nach dem Spruch: »Ausreissen bringt zwar Schande, aber man spürt doch Linderung«, machte ich mich davon.

Also wieder an Bord, und diesmal waren es 16 Tage, ja vielleicht noch mehr. Geladen hatten wir Baumwolle und Zwiebeln; über 10 000 Säcke Zwiebeln, schöne Waare, sie dufteten lieblich. Es ist zwar ein ganz reiner Geruch, und gesund soll er auch sein, aber ich rate Ihnen doch, fahren Sie nicht mit einem Zwiebelschiff; wenn der Wind von achtern steht, riecht es in Ihrer Koje ganz abscheulich. An Deck freilich ist es immer gut, man muss sich allerdings nicht gerade unter den Ventilator setzen. Das hat man ja aber auch nicht nötig. Denn auf einem Schiff, da giebt es viel zu thun. Gewiss, Sie können, wenn Sie als Passagier fahren, die Hände in den Taschen, stundenlang behäbig und faul am Deck lustwandeln; Sie können sich im Lehnstuhl ausstrecken und ihre Glieder sonnen, Sie können Ihre eigenen und sämtliche Bücher der Schiffsbibliothek durchlesen, Skat spielen, Bier trinken, Cigarren rauchen, oder, wenn sie weiblichen Geschlechts sind, eine Schlafmütze für Ihren Zukünftigen häkeln. Zu all' diesen nützlichen Beschäftigungen haben Sie Zeit und ausserdem noch zu vier Mahlzeiten täglich und einem angenehmen Mittagsschläfchen. Es ist nur wunderbar, der Tag wird Einem doch lang dabei. Also was thun?

Da weiss ich nun allerdings Rat. Auf der Heimreise nämlich ist auf einem Schiff immer besonders viel zu thun, muss es doch von A bis Z neu gestrichen und gemalt werden, damit es schmuck in Hafen kommt. Das ist nun bei jedem Fahrzeug so, aber »mein« Dampfer hatte es ganz besonders verdient und vonnöten. Denn er war auf der Ausreise von Wind und Wetter so mitgenommen worden, dass ich – von meiner ersten Reise her an blitzende Schiffssauberkeit gewöhnt – diesen schmuddligen Herrn anfangs mit etwas ungnädigen Blicken betrachtet hatte. Nun sollte ich aber etwas erleben, das an die Metamorphosen des Ovid erinnerte. – Zuerst begann morgens um sechs ein gewaltiges Scheuern und Kratzen ob meinem Haupte, und als ich zwei Stunden später an Deck kam, sah ich sofort, dass jetzt das Tragen von leichtfertigen, kleinen Schuhen am Ende und das Anziehen von Lederstiefeln eine sittliche Pflicht sei. Nachdem ich ihr genügt, stieg ich zum Kartenhaus hinauf, wo ich mein Hauptquartier aufzuschlagen pflegte. Dort sass ich etwa eine halbe Stunde und deichselte an einer Arbeit, als mir ein angenehmer Lackduft in die Nase stieg; gleich darauf wurde es dunkel, der Fensterladen ging zu, und ich hörte einen Pinsel kräftig über das Holz bürsten. Als ich herausschaute, stand der zweite Offizier in weisser Jacke da und lackte das Kartenhaus. – Ah, wie der Anblick seines fröhlichen Teerquasts mir in meine krummen Schreibfinger fuhr! »Hergegeben«, sagte ich, und wir begannen um die Wette zu lackieren. Nicht lange, und das Kartenhaus nebst Ruderhaus waren fertig. – »What next?« fragte ich, da musste mein Offizier auf Wache. Nun sah ich aber die Mannschaft da unten an den Deckskajüten schon mit weisser Ölfarbe hantieren. Das war ja höchst interessant; ich also herunter und dem Einen seinen kleinen Theerquast abgenommen, den grossen behielt er selber. Der junge Mann hatte übrigens Lebensart, wischte mir den Stiel sauber ab, stellte seinen Farbentopf zwischen sich und mich, und nun ging es los. Zu Ihrer Belehrung teile ich Ihnen mit, dass weiss malen auf grossen Flächen viel schwerer ist, als nur lackieren; ich habe auch zuerst den Pinsel öfters zu voll genommen und das Deck auf zwei Meter mit einem Schlängelornament von Klexen versehen. Das meldete ich pflichtschuldigst dem ersten Offizier, der gerade die Runde machte; der fuhr lachend mit einem Wisch darüber hin, und ich malte weiter – ohne Klexe. Der Bootsmann, ein Schwede, arbeitete neben mir. Plötzlich drehte er den Kopf um, ein hellzischender Ton kam aus dem Wasser, und richtig, da sprangen drei grosse Delphine neben uns her. Eine schöne Sage knüpft sich an den Delphin; ich zerstöre ungern die wenigen Ideale, die in unserer Zeit noch aufrecht geblieben sind, aber ich muss doch hier erwähnen, dass »der liebe, freundliche Delphin« des seligen Schlegel in der Seemannssprache »Schweinefisch« heisst. Kaum hatte der Bootsmann die Familie Schweinefisch entdeckt, so sah ich ihn fortstürzen, und während ich dachte: Ja, Kuchen, den kriegt Ihr ja doch nicht, – zogen sie ihn schon mit der Harpune auf das Vorderdeck herauf und bereiteten seinem Dasein ein trauriges Ende. Der Kapitän, der mir einen Spass machen wollte, kam mich von meiner Malerei holen, und ich war nun Zeuge der Schlachterei.

Da wurde nicht viel Federlesens gemacht: der über sechs Fuss lange, schwere Fisch (eigentlich ist es ein Fischsäugetier, Sie glauben sonst noch, ich sei ungebildet) hing im Nu schwänzlings am Querbaum, der Koch – dem Aussehen nach der blondeste, friedfertigste Mensch von der Welt – wetzte sein Messer. Ein Schnitt – die schöne, dicke Speckschicht barst, und das dunkelrote Fleisch lag bloss. Und so von Schnitt zu Schnitt wurde der arme Fisch (nein, das Fischsäugetier. Nur immer korrekt!) ganz anatomiemässig zerlegt und zerteilt. Des Abends aber gab es Beefsteak vom Schweinefisch und am nächsten Morgen gebratene Leber von demselben Tier. Und wem es nicht schmeckt, der soll sich nur melden. – So feierten wir Gründonnerstag auf See.

Es war nämlich dieser Tag Gründonnerstag und der folgende, wie Sie sich ausrechnen können, Charfreitag. Früh morgens sah ich die spanische Küste im blauen Nebel liegen, und weisse, feierliche Wolken ballten sich wie eine Glorie aus der illustrierten Bibel darüber. Das war die Feierlichkeit des Tages; im übrigen wurde an Bord gearbeitet, aber bei Tische musste des Kapitäns hübsche, kleine Spieluhr uns das Gebet der Kaiserlichen Marine spielen. Es ist ein schlichtes, würdiges Lied im langsamen Marschtempo, ernst und getragen. Schweigend hörten wir zu. Aber die Heiligkeit hielt nicht lange an, bald ging der kleine Kasten in die ihm so geläufigen Melodien aus Paloma, dem Bettelstudenten, Edelweiss etc. über.

An all' diese Melodien knüpfen sich für jeden von uns irgendwelche Erinnerungen; oft kennt man die Musik, weiss aber nicht, woher sie ist, fliegt sie doch namenlos von Mund zu Mund. Ein Jeder hängt sein eigenes Fühlen oder Denken, sein Erlebnis daran, und wenn er einmal unverhofft die Melodie wieder hört, so ist mit einem Schlag auch all' das Fühlen, Denken, das Erlebnis da und packt uns an mit seiner ganzen Kraft. So ging es mir mit dieser kleinen Spieluhr; wenn die ihre lustig-schmachtenden Weisen in das Wellenrauschen und Maschinenstampfen schmiegte, kam mir Vergangenes so gewaltsam nah, dass ich um tausend Meilen von der Gegenwart entfernt, an den Tisch fassen musste, um zu glauben, dass ich es sei, die da mit meinen drei Reisegenossen, Kapitän, erstem Offizier und erstem Maschinisten in der Kajüte sass und über Meer fuhr. Solche Eindrücke können von leichtem, angenehmem Reiz bis zur weinenden Verzweiflung gesteigert werden. Ich empfehle sie den Psychophysikern zum Studium.

Inzwischen waren wir über Gibraltar hinausgekommen. Ich kannte die Gegend schon. Das erstemal war ich bei hellem Mondschein dort gefahren und hatte an alles gedacht, was sich von Geschichtlichem an die Säulen des Herkules, Gibraltar und Trafalgar knüpfte. Das war schön gewesen, nur hatte ich nichts gesehen. – Das zweitemal war ich bei hellem Mittag vorbeigefahren, da hatte ich viel gesehen und wenig gedacht, oder was ich gedacht, war nicht sehr tröstlich gewesen: mein eigenes Schicksal hatte mich damals mehr beschäftigt, als die Geschichte der Menschheit, und ich war durchaus nicht der Ansicht gewesen, alles, was ist, sei, weil es ist, auch gut und vernünftig. – Jetzt sah ich Gibraltar zum drittenmale, im Morgengrauen, vor Sonnenaufgang, und wie ich da allein im frischen Winde an der Railing stand, sah ich zum erstenmale, dass der grosse Felsen dort genau die Form eines ruhenden Löwen hat, der, das Haupt nach Osten, gegen Sonnenaufgang schaut. Das war mir recht; die Sonne erwarten thun wir ja imgrunde alle, aber man soll auch ein rechter Löwe sein.

Darüber war es nun Tag geworden, und die Schiffsarbeit ging wieder los. War das ein Eifer, alles sollte noch vor Ostersonntag fertig werden. Da griff auch ich denn wieder zum Teerquast und machte mich nützlich. Eine grosse Bank hatte ich zu malen bekommen, wobei mir ein lustiger Seemann, der als Berger lange im Mittelmeer gearbeitet hatte, half. Wir plauderten miteinander, und es stellte sich heraus, er sei ein Münchner Kindl, dessen Vater ehemals Mathematikprofessor und dessen Onkel ein berühmter Sprachforscher. Wir aber strichen lachend mit unseren Gelehrtenhänden die alte Bank an und schüttelten unsere mit humanistischer Weisheit vollgepfropften Häupter über die Verkehrtheit einer Welt, die zu ihrem Schaden Kopfarbeit so über- und Handarbeit so unterschätzt.

Denn glauben Sie mir, keine schönere Kur giebt es für unsere überstudierte Menschheit, als wie eine solche Seereise machen und bei der Schiffsarbeit mitangreifen. Da freut man sich selbst, und die Anderen freuen sich mit. – Auch was für gute Art unser Volk hat, kann man dabei studieren: als die Matrosen sahen, dass ich nicht nur zum Spass mitmalte, da sind sie aus freien Stücken herangekommen und haben sich angeboten, mir eine besonders unangenehme Pinselei – bei der man sich etwa platt auf das Deck legen musste – abzunehmen, oder sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich in meinem Eifer im Begriff sei, mich mitten in die Ölfarbe zu setzen. Und ich selbst habe die Genugthuung gehabt, dass meine Kunstfertigkeit wuchs, und ich zuletzt sogar Kanten malen und braun gegen weiss absetzen konnte.

Aber unseren Malfreuden sollte ein jähes Ende bereitet werden: wir kamen in die Bay of Biscay, und da begann unser Kahn zu stampfen und Wasser überzunehmen. Da war's imgrunde trübselig genug, hätt' man denken sollen. So am Osterfeiertag sich wie einen Gummiball zwischen Erde und Himmel herumschleudern lassen ...! Aber auch das liess sich ertragen, waren wir doch gute Kameraden geworden. Also hinauf in's Kartenhaus und dort Kriegsrat gehalten. Das mochte regnen und stampfen, wir waren lustig beisammen, der Eine stand, der Andre sass auf einem niedrigen Schrank, der rauchte, jener neckte, dieser pfiff; man erzählte, las Wilhelm Busch vor, endlich kamen Existenzfragen zur Sprache; ein grimmiger Humor warf scharfen Tadel in derber Form heraus, und ich, die Hände in den Taschen auf meinem Feldstuhl zwischen Schrank und Tisch zusammengeknäuelt, vergass die langen Stunden und den unbequemen Sitz, weil's eben so gemütlich, schlicht und kameradschaftlich herging.

Das war die Heimfahrt. Und was zwischen ihr und der Hinfahrt liegt? Oh, das sind wundersame, bunte Bilder. Ich bin mit einem Maler in Ägypten zusammengetroffen – er war zwar Pole und als solcher, werden Sie sagen, besonders begeisterungsfähig. Aber der Mann hatte ganz recht, wenn er ausrief: »Ach meine Gnädige, die Pyramiden und die Gräber, das ist ja nichts – aber die Menschen, die Tiere, die Bäume, die Natur!« und er fuhr mit grossem Schwung durch die Luft. »Sich nun in dies Gewühl zu stürzen, diese hunderte von Kameelen zu beobachten, diese Frauen, diese Kinder, dieses Volk, diese Natürlichkeit«, und wieder nahm er zu einer begeisterten Geste seine Zuflucht. »Und nun das alles malen –« schloss er und drückte dabei energisch den Daumen vor, als verreibe er schon die Farben.

Daher will ich auch nur versuchen, Ihnen von dieser Natur und Natürlichkeit einen Begriff zu geben. Ich war skizzieren gegangen und sass auf einer eisernen Welle vor einer Baumwollkörnerei; das malerisch verfallene Minaret, das ich zeichnete, stand etwa 200 Schritt ab in der hellen Sonne. Ich zeichnete nicht fünf Minuten, so kam der arabische Aufseher mich neugierig grüssen. »Saîd«, antwortete ich, und er ging. Dann wurde es um mich lebendig; zuerst kam ein kleines, schmutziges Geschöpf angekrochen und sah zu, dann ein zweiter, wirrer Lockenkopf, dann eine stattliche Frau, breithüftig mit schwarzen Augen, sie tastete neugierig über meine seidenen Puffärmel. Der Kreis wurde immer dichter; schon stahl sich ein braunes Händchen an meinen Schuh, und ein entsetzlich hustendes, kleines Brüderchen wurde von dem älteren Jungen in einem Brotkorb dicht neben mich gesetzt. Da hielt ich es für geraten, energisch »Etla!« zu rufen. Sie rückten auch etwas ab, der Aufseher kam dazu, teilte einige Hiebe aus, und es wurde leer auf etwa fünf Minuten. Dann kroch es wieder an: ein braunes Geschöpfchen, noch eins, ein wirrer, dunkler Lockenkopf, ein paar schwarze Augen, unglaublich schmutzige Gestältchen mit fabelhaften, kleinen Nachtröckchen – das alles sammelt sich wieder, wie vom Magnet gezogen und schaut mich an. Und ein wunderbares Gefühl ist es, wenn sich Afrika und Europa so anschauen, anschauen, ohne irgendwelches Verständnis, meiner Ansicht nach. Ich konnte die halbnackte, braune Bande wenigstens noch um ihre Kulturlosigkeit beneiden; mit mir aber wussten sie sicher nichts anzufangen: eine Frau, die in einem so seltsamen Kleid allein in den Strassen herumläuft, sich ein winziges, noch dazu durchsichtiges Schleierlein vor das Gesicht bindet, auf die Hände hingegen sich undurchsichtige, schwarze Hülsen zieht und alte Minarets, die jedes Kind kennt, abzeichnet – nein, solch' ein Wesen war nur zum Anstaunen da.

Ich hatte nun genug davon, packte mein Zeug zusammen und bog rechts ab. Ein paar kleine Jungen meinten mir durchaus folgen und »Bakschisch! Bakschisch!« (d. h. Trinkgeld) rufen zu müssen. Ich warf ihnen alle meine eingelernten, arabischen Höflichkeiten an den Kopf, aber sie liessen nicht locker und begleiteten mich den staubigen Weg an den arabischen Friedhöfen entlang, bis wir eine Frau trafen, die ihnen – ich weiss nicht warum – einige Ohrfeigen gab, worauf sie sich rückwärts konzentrierten. Nun ging ich fast allein den öden Weg weiter, wusste ich doch ganz genau, wohin ich wollte. Ich war an der südlichen Stadtgrenze von Kairo, da wo die Häuser der Lebenden aufhören und die der Toten beginnen, am Fuss der unbebauten Sand-, Stein- und Schutthügel, die sich – ich weiss nicht wie – hier aufgetürmt haben und niedriger zwar, als die Zitadelle, doch die ganze Stadt beherrschen. Da kommt fast nie ein Fremder hin, weil der Ort eben nicht im Reisebuch steht, was mir ja auch sehr recht war. Denn so geschieht es, dass man dort oben sich ganz durchtränken kann von afrikanischer Stimmung. Auf einem schmalen Pfad stieg ich zu einer Höhe, die mir passte und sass dort auf den Scherben nieder. Rings um mich hatten sicherlich die letzten fünf Generationen ihre lebensmüden Hausgeräte zu Grabe getragen, soviel glasierte Ohren, Henkel, Schnauzen, Böden sahen aus dem feinen, gelben Sand hervor. Hinter mir hatte man die einstigen Khalifen eingesargt: ich sah in einem gelben Thal viel weisse Gräber, Minarets, Grabhäuschen und Moscheen im grellen Sande liegen. Kein Ton von dort; nur heisse Luft stieg zitternd vom Boden auf, und eine Kameelkarawane zog in brauner Schlangenlinie langsam vorbei.

Mir zu Füssen schliefen andere Tote, die der heutigen Generation, die buntbemalten Gräber mit ihren beiden Säulen, die eine zu Kopf, die andere zu Füssen, lagen still und stumm. Nur ein alter Grabwächter war zu sehen, der sich, wie ihn Gott erschaffen, an der Sonne wärmte und seine Kleider nach Störenfrieden durchsuchte. Jenseits der neuen Gräber lag dann die Stadt, die plattdachige, weissglänzende Stadt mit ihren vielen Minarets, und über sie hinaus sah man den Nil, das grüne Nilthal und die gelbe Wüste, von der die Pyramiden von Gizeh sich lila-blau im Dreieck abhoben.

Die Hitze und die Stille über diesem Bilde waren gross; da sass ich also mitten in Afrika, zwischen Toten, die mich nichts angingen, und Lebenden, die mich nicht verstanden; die Melancholie grosser Städte, die Trauer, die von unbebauten Strecken, von letzten Häusern, von »Enden« jeder Art aufsteigt, war auch hier in der Luft; kein Ton wie das ferne Summen dieser fremden Stadt und das scharfe Geschrill der Falken, die die Luft durchschnitten. Wie man da denken und ausruhen konnte auf dem Scherbenberg! Gerade als ob das »Pax vobiscum« durch die Lüfte ginge.

Aber man kann am Ende nicht immer auf dem Scherbenberg oberhalb Kairos sitzen bleiben. Also wieder einmal auf Entdeckungsreisen mit dem Skizzenbuch. – Diesmal kehrte ich zuerst in einem – verzeihen Sie – Pferdestall ein, weil dem gerade gegenüber das Minaret lag, das ich zeichnen wollte und ich dort ausserdem einen Stuhl entdeckt hatte, auf den ich mich ja setzen konnte. Der Araber, der mir die Honneurs dieser bescheidenen Stätte machte, sprach aber nicht weniger als fünf Sprachen: griechisch, italienisch, arabisch, englisch und französisch; er bot mir erst Kaffee, dann Kognak an und begleitete meine Zeichnung mit sachgemässen Bemerkungen. Diese Sprachkenntnis, die einen Philologen vor Neid zum Ergrünen bringen kann, ist hier ganz gewöhnlich. – Ich wanderte dann fürbass in ein Quartier, wo ich so ziemlich das einzige Europäerwesen war; hatte dort nämlich auf meiner letzten Ausfahrt ein fabelhaft buntes Häuslein mit einem weissen Turm entdeckt, das ich gern in mein Buch sperren wollte. Ich fand es auch glücklich; zum Sitzen war aber ausser einem umgekippten Handwagen nichts zu finden. Da sass ich denn wohlgemut darauf hin und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Nicht lange, und die Korona begann sich zu bilden. Diesmal waren es alles Erwachsene, die zusehen kamen: Eseljungen, Männer in schwarzen Talaren, ein paar hübsche, freche Mädel, ein Schlosser mit einem breiten, blanken Messer, das er vertrauenerweckend neben mich auf den Wagenrand stützte; endlich, als ich fast fertig war, kam noch eine Figur hinzu, die ich nie vergessen werde. Es war ein kleines Kind, tiefbraun, nur mit einem zerrissenen Hemd bekleidet und ganz unsagbar schmutzig. Das kam mit lautem Lachen, jubelnd, schreiend herangehupft, sein Röckchen in der Hand, ein seelenvergnügtes, harmloses, schwarzes Schweinerl, das sich seines Lebens freute – so freute, dass wir alle, die ganze Gruppe, laut zu lachen begannen, zu lachen, weil wir nicht anders konnten, als wie uns mit dem schwarzen Schweinerl freuen, und mit einem Gefühl von Neid gegen das ungewaschene, kleine Scheusal bin ich aufgestanden: Wahrlich, so Ihr nicht werdet wie die Kindlein!

Aber ich mochte aufstehen und davongehen, meinen Schwarm von Kunstjüngern wurde ich nicht los. Sie folgten mir – allerdings ohne irgendwie lästig zu fallen – und bildeten Spalier vor der Werkstätte eines Schuhmachers, bei dem ich um ein Bänkchen bat, um wieder ein Minaret zu zeichnen. Anfangs schien ich dem Mann, der auf dem Boden sitzend wunderbar behend Sohlen aus Leder auf einem niedrigen Tischchen zerschnitt, gar nicht recht zu sein; als er aber sah, worum sich's handelte, da nahm er selbst Anteil an der Zeichnerei, und als mein Malzeug ihn beim Zuschneiden hinderte, da schupfte er mich ganz gemütlich am Arm und machte mir durch Gesten klar, was er wollte. Am Schluss zeigte ich den arabischen Kunstfreunden, was ich bisher gezeichnet, sie riefen: »Bravo, all right, thajib«, und ich ging davon. Die meisten zerstreuten sich jetzt, ich sah sie zumteil mit einer Haltung davongehen, als wollten sie sagen: An dieser Fremden haben wir unsere Pflicht und Schuldigkeit gethan, sie wird sich über die Bewohner unseres Stadtviertels nicht beklagen dürfen. – Nur ein brauner Eseljunge mit blauem Kittel, ein braunes Filzmützchen auf dem Kopfe, blieb mir treu, und als er sah, dass ich die grosse Moschee Sultan Hassan skizzieren wollte, lief er mir voran, um einen günstigen Platz zu suchen. Er fand ihn auch, und wir sassen bald, die Beine über einen steinernen Terrassenrand hängend, einträchtig nebeneinander. In seinem gebrochenen Englisch erzählte er mir dies und jenes, und als bei dem starken Wind mein Blatt hin und her flatterte, suchte er ein Steinchen, fasste es mit spitzen Fingern und legte es vergnügt grinsend auf die Zeichnung: da hatte er mir etwas Guts gethan!

Solche kleinen Erlebnisse kann man täglich haben, denn der Araber ist von Natur höflich, freundlich und neugierig zutraulich wie ein Kind. Weit besser freilich würde man ihn kennen lernen, wenn man arabisch spräche; und dies nur ganz unvollkommen zu thun, habe ich während meines ganzen Aufenthalts in Ägypten lebhaft bedauert. Denn es ging mir dadurch soviel verloren, und ich kam mir oft so dumm vor – und das ist ein Gefühl, das, glaube ich, Niemand gern lange bei sich beherbergt.

Nun, ich musste nun wohl oder übel, und da ich die Sprache nicht verstand, versuchte ich mir denn andere Organe anzuschaffen, um die Stimmung des Landes zu fassen. Da sind mir wieder zwei Szenen unvergesslich geblieben. – Wir waren in Bedreschin und warteten am Nil auf Freunde von Heluan. Grosse Kähne lagen im Strom, voll von irdenen Gefässen; auch am Strand standen Näpfe und Schüsseln von einfachster Form, schwerfällig kamen Kameele angezogen, gleichfalls mit irdenen Waren beladen; bautz, liessen sie sich nieder, knirrend stiessen die Töpfe aneinander, missvergnügt lagen die Tiere im Sande – Kameele sind ewig missvergnügt – und braune Männer luden ihnen ab, was braune Kinder dann in die Schiffe trugen. Das war vor hunderten von Jahren ganz ebenso gewesen: dieselbe Sonne, dieselbe Gegend, dieselben Boote, Waaren, Tiere, Menschen. Die Töpfe und Näpfe hatten sicher ebensowenig ihre Form seitdem verändert, wie die Menschen ihre Tracht, und ich sah mit meinen müden Europäeraugen, die gewöhnt, dass mit jedem Jahre mindestens zwei neue Moden aufkommen, ganz entzückt auf diese selige Einfalt der unwandelbar gleichen Töpfe und Trachten. Glückliches Volk!

Den gleichen Eindruck des Primitiven, des unverändert Tausendjährigen hatte ich noch einmal – wieder am Nil. Diesmal wollten wir hinüber nach Heluan, und es handelte sich darum, dass eine arabische Barke uns mitnahm. Sie that es auch: erst wurden unsere Esel, dann wir eingeladen, und man fuhr ab, mit uns an zwanzig Araber jeder Färbung, jeder Tracht, ein Haufen Hausgerät, Kinder und Bresthafte, und endlich wohl an zwanzig schwarze, feiste Hammel. Alles einträchtig beisammen. Der Wind blies scharf in's Segel, das braune Nilwasser zischte gegen das Boot – in zehn Minuten waren wir drüben – und das konnte vor tausend Jahren ebenso gewesen sein.

An solchen Bildern und solchen Gedanken ruht man sich aus. Etwas Stätiges, Ständiges, Dauerndes in dieser wirren, zerfahrenen, ewig wechselnden Welt; etwas Einfaches, kunstlos Natürliches inmitten unserer Zivilisation – das ist meiner Ansicht nach der grösste Reiz, den Ägypten bieten kann.

Und wer dann nach Süden geht, der soll in Malta Station machen. Das ist sozusagen ein arabisch-italienischer Vorposten, und man kann dort schöne Stunden verleben. Am Palmsonntag war's, da legten wir dort an. Wie ein Edelstein liegt die blühende Insel im blauen Mittelmeer; dass man die Engländer dort nicht sehr liebt, ist ja Nebensache. Mich ging das jedenfalls garnichts an, als gute Freunde mich von Bord in die Wiesen und Gärten von Civita Vecchia führten. Es waren fromme Katholiken, meine Freunde, und sie wollten zur Messe gehen; aus Gastfreundschaft verschoben sie den heiligen Akt, führten mich herum in ihren lieblichen, kleinen Gärten, auf den hellen, die Insel beherrschenden Bastionen, in die marmorgewölbte Kathedrale. Dort sang man die Passion und segnete die heiligen Palmen. Und auch ich Ketzerin musste neben ihnen niedersitzen und that es gerne, denn es war ein seltsames Träumen am Palmensonntag unter den schwarzseiden angethanen Malteserinnen, den geweihten Zweigen und den schweren Kirchenbogen. – Wenn »sentir le plus possible« Glück ist, so hatte ich's an jenem Tage. –


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