Victor von Scheffel
Episteln
Victor von Scheffel

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12. Von den Seidespinnerinnen.

Sommadossi der Alte hatte nicht ohne Grund gegen unsere Einlagerung ins Castell das Bedenken erhoben, es seien viel junge Mädchen im Haus u. s. w. Denn dazumal war die filanda di sete im Seitenflügel des Schlosses noch im vollen Gang, aus den vergitterten Fenstern schauten junge gelbbraune Gesichter mit blitzenden Augen auf den See herunter, in einförmigem Taft knarrte das Tretrad und sausten die Spindeln, und bis spät in die Nacht ertönte wilder Gesang, mit dem sich die Töchter des Gebirgs, wie einst Kirke die Zauberin, die Weile des Spinnens verkürzten.

Seither ist die Spinnerei – wie alle Filanden in Welschtirol »aus Gesundheitsrücksichten« geschlossen worden, es schwimmen keine toten Seidenwürmer mehr im Gewoge des Sees; auf den Gerüsten der Säle, wo sonst die Cocons mit ihrer zarten Umhüllung geschichtet lagen, ist Hafer und Reis ausgebreitet, und wenn wir den finstern Burgweg entlang schreiten, schallt kein Gelächter bäuerlicher Dirnen mehr den fremden Männern entgegen.

Unsere Beziehungen zu den Spinnerinnen waren so musterhaft, dass selbst Sommadossi der Alte in der Folge der Zeit ihnen seine Anerkennung nicht versagen konnte.

Denn wenn wir auch manchmal einen Gruss hinüberwinkten, oder vom Fenster herab in ihren Gesang beim spätabendlichen Gang einen Strauss warfen, der sofort von einer oder der andern aufgehoben und mit bäuerlicher Grazie hinters Ohr gesteckt wurde ... so beobachteten wir im übrigen eine viel zu imposante Haltung, als dass durch uns Zerstreutheit und fahriges Wesen in den Ernst der Filanda hätte eingeführt werden können. Es lag zwischen ihnen und uns eine ästhetische Kluft.

Denn das eine Bild, was sie uns allzuoft nach Ave Maria vor die Augen führten, wo sie in malerischer Gruppierung auf dem Steingeländer der Schlosskapelle herumsassen, die eine der andern das Haupt in den Schoss gelehnt, und die andere der einen mit geschäftigen Fingern im Haar wühlend, in Untersuchungssachen gegen gewisses zwecklos dort herumziehendes Getier ... dies eine Bild, so in sich abgerundet und realistisch durchgeführt es auch war, genügte, um das Gefühl gegenseitiger Achtung für immer davor zu bewahren, in feinere Neigung umzuschlagen.

Da ferner aus den Zeiten Oderichs von Toblino her im Schloss sich keine Spur der erst von der modernen Zeit ersonnenen Bauwerke vorfindet, die über dem Portal die Inschrift »für Damen« tragen, da vielmehr in diesem Betreff hierlands die liebevolle Hingabe an die Natur noch durch kein Raffinement der Civilisation verdrängt ist, so gewährte das mit dichtem Schilf bewachsene Ufer des Sees unter dem Flügel der Spinnerinnen oftmals ein zweites Bild, zu dem die Staffage im Geröhricht nicht durch Wildenten gebildet ward und das in seiner blanken Totalwirkung nur dazu beitragen konnte, die Einbrücke des ersten zu verstärken ...

Und doch war der Gesang dieser Halbwilden so echt, oftmals an den Ernst des alten Kirchenliedes anstreifend, oft kräftig derb wie lärmendes Rekrutenjauchzen – und das Laufen der Spindeln war uns ein so vertrauter Ton, dass wir mit Teilnahme eines Tags die Kunde vernahmen, die Filanda werde geschlossen und die Arbeiterinnen in ihre Heimat entlassen.

Darum liessen wir aber auch zum Polenta-Abschiedsdiner, das den 18 Halbwilden in der Säulenhalle gegeben wurde, als Zeichen der Hochachtung germanischer Männer ihnen einen Trunk von 3 »Môsa« alten Weines verabreichen, und bevor sie abends von dannen zogen, ertönte noch einmal unter unserm Fenster das bekannte quando noi scontreremo, io ed il mio caro u. s. w., diesmal speciell den Signori forestieri zu Ehren, und wenn wir heutzutag durch Calavin oder Padergnon gehen, schaut da und dort ein schwarzbrauner Mädchenkopf heraus und grüsst wie ein alter Bekannter, und man besinnt sich, bis es klar in der Seele wird, dass man auch sie dereinst in seidezerzausender Arbeit ... oder bei stillem Schilfvergnügen belauscht.


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