Victor von Scheffel
Episteln
Victor von Scheffel

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Ein Bericht aus Meran.

Meran in Tirol, Oktober 1855.

Ein kurzer Bericht über das Städtlein Meran im Etschland und einiges in dortigem Weichbild und auf umliegenden Bergen und Schlössern Erlebtes.

Item in den ersten Tagen Septembris 1855 bin ich, Josephus Scheffel vom dürren Ast, in Meran eingerückt. Und hätt mich von Herzen erfreut, so ich den weisen und fürsichtigen Vorstand des Engeren mit seiner liebenswürdigen Ehegemahlin nach alldorten hätt begrüssen können, – war aber schon abgereist, jedoch, als wie die nordländischen Schiffer ehdem an den Felsen der Küsten eine Runenschrift eingruben, um den Nachkommenden Kurs und Fährlichkeit des Weges anzudeuten, also hinterliess mir derselbige eine sachkundige Epistel, dass ich in Betreff von Unterschlupf, Atzung und Trank sofort wusste, wo aus und wo ein.

Und das erste, nachdem ich diese Epistel auf der Post erhoben und gelesen, zwanzig Minuten nach meiner Ankunft, während der dicke Postmeister Johann Alois Wenter mich noch mit seinen triefenden Blicken abwog und als ihm verfallenes Opferlamm taxierte, war, dass ich einen Hausknecht rief und mit Sack und Pack wieder auswanderte, eh dass ich noch den Reisestaub von den Füssen geschüttelt; denn in selbiger Epistel stand geschrieben: »Winke für den Kenner: »Post vornehmer. Essen teurer, heringegen schlechter. Wein schauderhaft.« Hab jedoch nicht versäumt, dem Postmeister beim Abgang herzlich dafür zu danken, dass er mir besagte Epistel so prompt und schnell zu Händen geliefert. –

Darauf hab ich mich in einem Haus in der Steinacher Vorstadt bei redlichen Bürgersleuten eingenistet und bin seither wohlzufrieden daselbst verweilet. Ist aber nit viel Besonderes davon zu vermelden, dieweil da alles seinen wohlgemessenen, seit Jahrhunderten gleichen Gang geht; sind den Fremden freundlich, halten unverzagt an alter Sitte und altem Brauch, beten über eine Viertelstunde lang laut zu Nacht und kümmern sich um der grossen Welt Lauf nit viel; sorgen aber für ihre Gäst nit bloss des Gewinns halber, sondern mit Herzensfreudigkeit – und bin ich manchmal nach Haus gekommen, so hatte meine dicke Hausfrau für mich ein seltenes Birkhuhn oder ein Steinhuhn, oder ein Dutzend vorzügliche Pfirsiche eingekauft, weil sie vermeinte, dass solches dem »fremden gnädigen Herrn« gebühre.

Hernachmals bin ich etlichemal zur table d'hôte in die Post gegangen, zu sehen, was für welche homines sapientes Linnäi der Zufall und ärztliche Verordnung diesmal gen Meran geführet – hab aber nach kurzer Recognoszierung für immer genug gehabt. Denn die Gesellschaft par excellence bestand aus östreichischen Kavallerieoffizieren und Berliner Referendaren – was zusammen eine gute Mischung giebt ... aus schwindsüchtigen, norddeutschen Judenknaben, heiratsfähigen, abgestandenen siebenbürgischen und wallachischen Gutsbesitzerinnen, einem Münchener Damenabbé, halbblinden und ganztauben Engländern – item es braucht ein rechtschaffener Mensch viel Glauben an die Menschheit, um ihn nicht zu verlieren, wenn er mit solchen Ehrenmitgliedern derselben zusammentrifft. Nach solcher Erfahrung hab ich beschlossen, mich ganz auf mich selber zurückzuziehen – was bei der Schönheit des ringsum sich auftuenden Etschlandes und der Güte des weissen Terlaners und des roten Weins von Kalten keine allzuschwere Aufgabe ist. Ist mir solches Einsiedelleben auch so gut bekommen, und hab ihm so manchen guten Gedanken und Frieden des Gemüts zu verdanken, dass ich selbes über sechs Wochen lang wohlgemut fortgesetzt, ohne in dieser Zeit mit einem einzigen Menschen ein unnütz Wort zu reden.

Ist aber trotz meines unverbrüchlichen Schweigens rings um mich her grausam viel Mist geredet worden, und will ich – statt vieler – nur ein einzig Exempel einer Konversation hieher setzen, wie ich solche im »Grafen von Meran« des Mittags öfter zu erdulden Gelegenheit hatte:

Erster Fremder (jung, emporstarrende Vatermörder, Zwicklorgnon im Aug, elegante Rückwärtsbewegung, mit Zahnstochern verbunden): Fanny!

(Es kommt niemand.)

Fannnnnnnnny!

Die Kellnerin: Was moanen S'?

Er: Zum Teufel, warum lassen Sie mich so lange warten?

Sie: I hob Sie eben nicht verstanden – i heiss nicht Fanny.

Er: Jede gebildete Kellnerin muss Fanny heissen, oder auf den Ruf Fanny gehen! Merken Sie sich das, Sie Unschuld vom Lande, und bringen Sie mir noch eine Portion Bratensauce zum Reis.

(Nachdem er den Reis verzehrt und zwei Stück Brot in der Sauce aufgetunkt hat, zum Nachbar:) Sie sind wohl auch Preusse?

Zweiter Fremder (ältlich, Kahlkopf, Mantel von Wachsleinwand): Zu dienen.

Der Erste: Berlin?

Der Zweite: Frankfurt an der Oder.

Der Erste: Brustleidend?

Der Zweite: Lunge.

Der Erste: Haben Sie sich schon in der Umgegend umgesehen? Schöne Punkte – das heisst, man muss nicht in Interlaken gewesen sein. Haben Sie die Schlösser besucht, Tirol, Lebenberg?

Der Zweite: Ich muss gestehen, diese alten Burgen haben für mich durchaus keinen Reiz. Sie liegen zu steil. Das Steile ist mir penibel. Ich bewundere die Natur lieber von meinem Schloss in der Tiefe.

Der Erste: Wo wohnen Sie?

Der Zweite: Bei Dr. Mazegger in Obermais, chambre garni zu zwölf Silbergroschen. U. s. w.

Nachdem ich aber eines Tags in gleichem Gasthof noch die Lamentation eines quieszierten Intendanturbeamten angehört hatte, der sich über die »Infamie« beklagte, dass das Wirtshaus im Dörflein Marling, wohin er gepilgert war, weil Sonntag nachmittags dort »Tanzvergnügen« stattfinden sollte, »nur für Tiroler« eingerichtet sei, beschloss ich auch den guten dortigen Terlaner im Stich zu lassen und alle Gelegenheit des Zusammentreffens mit gebildeter Menschheit gänzlich zu vermeiden, und hielt von da an – was in sozialer Beziehung freilich eine gänzlich absteigende Linie war – meine Einkehr beim »Raffl«.

Meine besten Stunden aber hab ich, wie billig, auf den Bergschlössern der Umgegend verlebt und dabei gern vergessen, dass ich eigentlich gen Welschland wallfahren sollt und hier Lands gar nichts zu schaffen hab. Ist hiebei vor allem des Schlosses Lebenberg zu gedenken, von dem ich nichts weiter sag, als: wenn der Engere je in Folge schlechten Lufts und Wetters gezwungen würde, der Heimat und den Heidelberger Penaten Valet zu sagen, so wär hier der Ort zu einer Immigration resp. Occupation für ihn in corpore, und würde sich aus den reichen Sälen und Kellern dieses braven Schlosses ein phalanstère für sachverständige Männer herrichten lassen – des Neides der Mitwelt würdig.

Hab auf Lebenberg – ausser vielen vorübergehenden Besuchen und tagweisen Einlagerungen, drei grosse, solenne Trinkungen abgehalten, und zwar:

Die erst im grossen Rittersaal, wo die alten Ahnenbilder der Grafen Fuchs hängen und die wunderschöne Aussicht ins Etschtal und nach der hohen Mendel sich vor den Fenstern auftut – als ein Dank- und Brandopfer, wie es einst Noah abhielt, nachdem die Sündflut verlaufen, der göttlichen Fürsehung zum Preis und Ehr, dass sie mich in Not und Fährlichkeit der Cholera gnädig beschützet und in ein sicheres Asyl geleitet.

Die zweit im »bayrischen Stübl«, wo der Spruch über dem Eingang steht: O quam bonum et jucundum, fratres habitare in unum! als ein Requiem zu ehrendem Gedächtnis des tapfern Mannes Friedrich Lentner, so bis vor kurzem auf diesen Räumen gehaust und sie mit den Zeugnissen seines fröhlichen, sinnigen Künstlergeistes geschmückt hat. Dazu hab ich mir vom freundlichen Burgfräulein die Chronik ausgebeten, die besagter Friedrich Lentner über Geschicht und merkwürdige Vorkommnis auf Lebenberg aufgesetzt und mit zierlichen Gemälden ausstaffieret hat. Und war mir rührend, drin zu ersehen, wie auch in diesen fernen Burgfrieden im Etschland die Wogen der Zeit mit vernehmlichem Rückschlag angebrandet ... und wie das Trinken der wackern Gesellen da oben im Jahr 1840 – 47 ein harmloses, 1847 ein von Pfaffen und Polizei gestörtes, 1848 ein jubelnd ungebundenes, 1849 ein bedenkliches und 1850 ein sehr bedenkliches war, bis sie 1851 ihren Wappenschild einzogen, ihre Fahnen vergruben und das letzte Glas mit Flor verhüllt übers Grab des guten alten »Stehweins« gossen. Denn es ist seither wieder recht regendüster in Tirol worden, die schwarzen Gesellen sind hoch und üppig ins Kraut geschossen und haben alle Lebensheiterkeit bei Sang und Becherklang als Atheismus und Hochverrat verpönt. Und wer's nicht vom Herrn des Schlosses selbst hört, wird es schwerlich glauben, dass sogar nach Friedrich Lentners Chronik, in der nichts aufgezeichnet steht, als was unbedenklich den Archiven des Engeren einzuverleiben wäre, z. B. die Schnadahüpfl, die der Reichstagsmann Zerzog oben gesungen:

Und von Peterwardein
Kann nit jedermann sein,
Un a diemol muss einer
Schon wo anders her sein!

oder die Villeggiatur, die der alte Stehweinist Grill oben abgehalten, der den Spruch gehabt: »im Bier ist keine Überzeugung!« (»ist acht Tag oben eyngelagert gewest und während dieser acht Tag »nix than als drunkhen und drunkhen und wieder drunkhen«) ... dass nach dieser Chronik von der Geistlichkeit eine Haussuchung angestellt und später ein eigener Kommissär zur Fahndung von Innsbruck her zitiert worden, so aber auch nichts erwischen konnt.

Item, was mich betrifft, so hab ich mich beim Burgfräulein dermassen als ein unverdächtiger Mann legitimiert, dass sie mir die Chronik sonder Furcht zu Händen gab ... und hab sie nach Tilgung zweier Flaschen Ausbruchs nur mit Wehmut aus den Händen gelegt, ... mit Wehmut, dass die Zahl der wenigen Gerechten, die noch an die lebensverlängernde und seelerquickende Kraft eines fröhlichen Trunks glauben, von Tag zu Tag schwindet und von der falschen, meineidigen Welt immer mehr verkannt wird.

Bei solcherlei Erwägung hab ich es denn als ein glückverheissend Zeichen begrüsst, dass, nachdem der »Stehwein« zu Meran eingegangen, welcher zweifelsohne der »südlichste Engere« in deutschen Landen gewesen, doch noch am Neckar dieselbe Fahne unverzagt aufgepflanzt steht ... und hab darum auf Wohl und Gedeihen meiner lieben Freund und Gönner zu Heidelberg einen scharfen Schluck, ihnen zum Gruss mir zum Trost, getan.

Die dritt Trinkung aber hab ich angestellt, als ich eines Morgens die Triester Zeitung zur Hand bekam mit der ersten telegraphischen Nachricht, dass der Malakoff erobert sei. Bin damals schnurstracks von der Zeitung hinweg gen Lebenberg gewallfahrtet, und wenn dem Fürsten Gortschakoff jenes Tags nicht das linke Ohr erklungen, so bin ich nit schuld daran. Vollbrachte dieselbe im freskogemalten Gelass des sogenannten »Fuchsbaus« neben dem Hauptturm, allwo die »Abenteuer des Degen Fuchs und seines Freundes Hans von Greifen« in sinnigen Schildereien zu erschauen sind.

Wie ich aber in dunkler Nacht bergab stieg, bin ich zweimal gestolpert und dann in den Wiesen fehlgegangen, und hab aus diesem Omen, in Verbindung mit dem, was ich in den Sternen gelesen, die Schlussfolgerung gezogen – dass wir in Deutschland noch immer keinen Grund haben, uns zu freuen.

Auf Schloss Tirol, wo ich ebenfalls manchen Nachmittag mich festgesetzet, ist nichts von Erwähnungswürdigkeit vorgefallen. Der neue Schlosshauptmann, so sich zwar einen mordmässigen, eisgrauen Schnurrbart à la Haynau gezogen, aber der gutmütigste Mensch von der Welt ist, wird sich erst später so einrichten, dass mau eine zweckmässige Trinkstube oben vorfindt.

Das anmutigst und frohsamst Abenteuer unter allen, die mir dieses Jahr beschert hat, hab ich auf dem alten Schloss Fragspurg erlebt, so auf einem hohen Plateau des Porphyrgebirgs am linken Etschufer ungefähr genüber von Lebenberg liegt. Bin dort hineingetappt, als wär offene Herberg, alles ist stumm und schweigsam wie in Dornröschens verzaubertem Schloss ... und bin in einen Salon getappt ... und fand Dornröschen ... Heiligkreuzmillionendonnerwetter, der Engere möge mir einen Adelsbrief und viertausend Gulden C. M. erwirken als jährliche Revenüe, oder folgende Fragen beantworten:

Warum muss ein deutscher Poet auf tirolischem Porphyrgebirg mit der Tochter eines edeln Polen zusammentreffen?

Warum haftet auf diesem Porphyrgebirg ausser dieser Tochter auch noch eine dreifache Hypothek, die derjenige ablösen muss, der um die Tochter werben will??

O Fragspurg, Fragspurg! –


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