Victor von Scheffel
Episteln
Victor von Scheffel

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Caput III.

Item, über den hohen Berg Simplon bin ich bei grossem Donnerwetter gestiegen und ist mir recht schwindlich und einsam zu Mut gewesen, also dass ich schier reflektieret hätt: O sässest du doch in einem stillen Wirtshaus am Rhein oder Neckar, statt so pudelnass bei Blitz und Donner der italienischen Grenzscheid zuzuklimmen. Kehr also im refugium Nro. 2 ein und trockne meine Kleider und trink einen schlechten Wein. Und waren ein paar italienische Wandersmänner da, und der Wirt trug einen alten Frack und eine blaue Brill, – und war alles so verdächtig, dass ich im stillen mein Terzerol spannte und mein Stilet bereit hielt.

Item, so kam ein alter Italiener, signor Androsetti von Borgomanero, so schon in Paris und London gewesen und mir als Zweck seiner Reis auseinandersetzte, dass er sich im Ausland um die principia der Humanität und Freiheit umgesehen, und da er kinderlos und vermöglich sei, in Italien nun was Verdienstvolles beginnen wollt, und zwar, da man ab ovo anfangen müsst, mit der Stiftung eines Vereins gegen Tierquälerei. Schimpfte auch über Pfaffen und Tyrannen und verriet viel piemonteser Aufklärung. Hatte aber sonderbare Bräuch; und da ich noch ein paar gute Bremer Zigarren befass, so sprach derselbe jedesmal, so ich eine anstecken wollt, »scusa, signor« nahm ein Federmesser, schnitt den dritten Teil meiner Zigarren ab und begann selber zu kauen. Exponierte dabei, dass er im Hafen von St. Malo dies von einem Schiffskapitän als Mittel gegen den Skorbut gelernet und seither nit mehr lassen könnt.

Also dacht ich: »Wenn nur ein Kreuzdonnerwetter dich mit samt deinem Schiffskapitän von St. Malo verschlagen wollt, willst du einen Verein gegen Tierquälerei stiften und quälst und verunginierst meine guten Bremer Zigarren!« Schritt daher zum Äussersten, was einem Biedermann in den Grenzen christlicher Notwehr erlaubt ist, und kaufte in der Grenzstation Isella ein halb Dutzend piemonteser Rattenschwänze, so noch ärger waren als jener von Ponte im Engadin und die Zigarre von Brennbichel in Tirol, und gab selbe stufenweise dem künftigen Präsidenten des ersten Vereins gegen Tierquälerei in Italien zu kauen. Bin übrigens sonst mit signor Androsetti gut ausgekommen und bis über domo d'Ossola mit ihm marschieret.

Item auf dem Simplon-Hospitio sind brave Leut. Wie ich mit dem besagten Präsidenten in spe am Kaminfeuer des hospitii sitz und mich trockne, kam der Pater Küchen-Inspektor und unterhielt sich mit uns, und wiewohlen signor Androsetti ihm ungemein viel vorschwadronierte, also dass das proverbium des Herrn Springer »Hier wird viel Dreck geschwätzet,« auch hier oben 6000 Fuss über dem Meer in Erfüllung ging, so achtete er doch den müden Menschen in ihm und liess eine Kollation und eine Flasche schweren roten Santa Christina anschroten. Selbe war aber bald leer, und wie signor Androsetti schwere Phrasen über den italischen Krieg losliess, und wie alles anders gegangen wäre, wenn der König von Neapel und Durando nit manquiert hätten, und kein Verrat gewesen und die Italiener »reifer für die Freiheit« – da sah ich schwere Zweifel im Gemüt des Pater Küchen-Inspektor aufsteigen, ob er diesen künftigen Präsidenten des Vereins gegen Tierquälerei noch mit einem weitern Tropfen Rotwein erquicken wollt. Da ich aber selber mit einem grossen Durst bei dieser Sache beteiligt, also lenkte ich mit ein paar objektiven Bemerkungen des Paters Gemüt zum Besseren, und er holete noch einen grossen Steinkrug Santa Christina, und wenn Meister Androsetti wieder recht parlierete, schenkte er mir und sich einen guten Tropfen ein und stiess mit einem Seitenblick auf meinen Gefährten mit mir an – und war dieser Blick so bedeutsam, dass ich aus demselben das proverbium meines Freund's Springer ins Italienische übersetzt sonder Müh herauslesen konnt.

Item bin ich mit merkwürdiger Hochachtung vom Simplon-Hospiz geschieden.


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