Victor von Scheffel
Episteln
Victor von Scheffel

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10. Von den Bewohnern des Castells. Fortsetzung.

Nachdem von den Herren gesprochen worden, ist billig, auch der Diener zu gedenken. Welch ein neckisch Schicksal musste mich auch an diesen Ort verschlagen, wo eine Trias von Hausknechten in friedlich abgeteilten Sphären der Tätigkeit sinnig waltet! ... Sei's denn!

1) Der lombardische Hausknecht. Respekt vor der Würde! In blauer Bluse wandelt ein Mann allabendlich mit der Stalllaterne über die Landzunge, die das Castell mit der Heerstrasse verbindet. Der Mann trägt das Haupt hoch und ernst, ein grauweisser langer Bart umschattet sein kluges Antlitz ... wie aus dem Bild eines alten Meisters herausgeschnitten steht er in der modernen Welt; Tintoretto wird er von uns genannt, denn seine Züge gleichen aufs Auffallendste denen des farbengewaltigen Venetianers, wie sie auf dem grossen Werk in der Akademie, das Wunder des heiligen Marcus an einem zum Martertod verdammten Sklaven, im Vordergrund abkonterfeit sind.

Der Graubart stammt aus Verona; er war zu besserem Lose bestimmt und trägt der Verbannung Leid und Sommadossis Knechtschaft zugleich ... er meidet die Gemeinschaft der andern, in der Kirche wird er nie gesehen. Wir grüssen uns achtungsvoll. Respekt vor ihm!

2) Der welschtirolische Hausknecht. Er trägt in hoher Butte das Trinkwasser aus der Schlucht des Monte Gazza nach dem Castell und fegt und reinigt die Seifenfabrik, sieht auch wegen angestrengter Dienstleistung bei den Seidenspinnerinnen sehr angegriffen aus, trägt eine militärische Holzkappe als Erinnerung an früheres Soldatenleben bei den österreichischen Jägern, küsst den Kapuzinern die Hände und ministriert in der Messe. Sein Latein in den Responsorien hat etwas dialektischen Anhang. Sein Name ist Pietro.

3) Wer aber ist der blondbärtige, spitznasige einsame Träumer, der so wehmütig über die Schiessscharten der Hofmauer in den See hinabschaut, oder sich im Schatten des Stalles eine Streu schichtet, um mit unmutvollem Schnarchen seine müden Glieder darin zu begraben? Mitgefühl ergreift mein Gemüt, da ich Von ihm erzählen will, – von ihm, den die Ker und das schwarze Verhängnis in welsche Grenzmark verschlugen, von ihm, dem kein befreundet Echo antwortet, wenn er im schönen Land, dove il »Si« suona, sein zürnendes »Heiligkreuzmillionensternsak« ...! in teilnahmslose Lüfte erklingen lässt, von Johannes Bartolomäus Candlperger von Leifers, dem germanischen Hausknecht!

Es war an einem heissen Nachmittage, da ich ihn im Schlosshofe ersah. Er trug einen roten griechischen Fes, die blaue Quaste nach hinten abfallend, und sah sich prüfend wie ein Feldherr an dem felsigen Terrain um. Kopfschüttelnd ging er von mehreren Punkten wieder weg. Endlich am Fuss der alten Rüster machte er Halt, die warf just einen Schatten, wie er ihn brauchte ... und er beugte sich nieder zur unsterblichen Mutter Erde und reckte seine Arme häuptlings und neigte sein Haupt und sprach ein so seufzend betrübtes »u ... aah! ...« dass es bis zu meinem Fenster herauftönte. Darum nahm ich aber auch Anteil an seinen Mussestunden, und nachdem er ausgeschlafen, winkte ich ihm vom Fenster und machte ihm durch Gebärden meine Absicht kund, ihm einen Rattenschwanz als Trost-Einsamkeit zu verehren. Diesen Rattenschwanz wickelte ich in ein Stück »Wiener Fremdenblatt« und warf ihn mit einem herzlichen »buon divertimento!« hinab, wähnend, einem welschen Mann eine Freude zu machen. Wie er aber das umhüllende Blatt unten loslöste, da verklärte sich sein Antlitz, und er steckte die Cigarre in Busen und ging mit dem deutschen Zeitungsfetzen an das Seeufer und las ihn mit Andacht und mit schwerfälligem Buchstabieren, und sein Antlitz strahlte ... Odysseus, wenn ihm auf der Calypsoinsel der »Landbote von Ithaca« in die Hände gefallen, hätt' ihn nicht sehnsüchtiger verschlungen ...

Johann Bartolomäus Candlperger ist ein geprüfter Dulder, wenn er sich's oder andern auch nicht in vollem Umfang zugesteht, denn wenn ich ihm hinabrufe: »Wie geht's?« da lacht er regelmässig und sagt »gutt! gutt!« Aber ich hab ihn manchmal belauscht, dass er den Fes schief gerückt hatte und die blaue Quaste nach vorn gedreht; dann ist Sturm im Anzug ... und er kommt aus seines Stalles Tiefe und geht mit einem einzigen fortgesetzten murmelnden Fluch wohl vierzig Schritte weit bis ans äussere Hoftor ... oder er hat die Hände in die Hosentaschen gesteckt und bläst aus einem krummem Holzpfeiflein Wolken eines tirolischen Knellers in die erzürnenden Lüfte ... der Mann von Leifers kennt den Schmerz.

Einsam und unverstanden mit tiefem Gemüt unter diesen Welschen ... und der einzige Mann, den ihm das Schicksal zum Kollegen gab, ist der lombardische Hausknecht, der wendet ihm verachtungsvoll den Rücken und hat sich zu seinem Vorgesetzten emporgeschwungen und ist Ober-stalliere und rächt sich an ihm für die Schlacht von Vincenza, wo er beim Landsturm war und Johann Bartolomäus bei den Kaiserjägern!

... Eines Abends kam ich in der Barke vom See zurück. Im Hofraum war niemand sichtbar, aber wagrechte Schichten eines Tabaks, wie ich ihn selbst zwischen Herrischried und Wehrhalden nicht grausamer errochen, standen unbeweglich wie Nebelwolken in der Luft, die sich weigerte, ihn anzunehmen. Da wusste ich, dass Johann Bartolomäus Candlperger heut einen bösen Tag gehabt. Ich schaute mich um. Endlich sah ich ihn an einem Rain sitzen, die Fesquaste war richtig nach vom gedreht. Er hat in langer Stallfreundschaft die zwölf Enten des Hofes so an sich gewöhnt, dass sie auf seinen Ruf in langem Windungsmarsch heranrücken und sich um ihn schmiegen, wie Küchlein um ihre Alte. Jetzt sass er am Abhang, und die Enten spielten um ihn herum, und er streichelte sie alle und fluchte zwischenein wie ein Heide und rauchte weiter. »Komm zü zü,« sprach er gerade, wie ich herantrat und schaute nach dem Schloss, »die Sauschw .. da drüben.« Ich trug Bedenken, sein abendliches Selbstgespräch zu unterbrechen ...

»Die Enten haben Euch gern, Johann Bartlmê,« sagte ich des andern Tages zu ihm, »wie wär's, wenn's statt Enten Mädel wären?«

»Do tät i ganz verzagt werden!« sprach er, »'s tät sich kaum!«


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