Victor von Scheffel
Episteln
Victor von Scheffel

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3. Von dem einzigen Menschen in Venedig, dem unsere Abfahrt weh that.

Der Mann in dem blauweissgeStreiften Kittel war der Gondolier Valentino, und wenn von einem Menschen mit Grund behauptet werden kann, dass er tief innerlich betrübt war ob unseres Scheidens, so ist's von ihm. Ja, ich bin überzeugt, dass er zur Stunde, wo dies geschrieben wird, noch an seiner Barke bei der riva degli Schiavoni liegt und nach der Brücke Hotel Danieli schaut, sehnsüchtig wie eine Jungfrau, die des Geliebten harrt, ob ihm ein gut Geschick nicht seine zwei forestieri wieder zuführe, die so lange Zeit regelmässig wie die Gestirne dort allabendlich ihre Bahn wandelten, und ins Geschrei lungernder Gondoliere: »barca, Signori! andiamo al lido Signori!« mit lächelnder Ruhe sprachen: »no! niente! prendiamo Valentino;« und die in seine Barke stiegen, trotzdem sie weder die sauberste noch die eleganteste war, und mit ihm hinausfuhren, ohne zu wissen wohin, und ihm oftmals, wenn er fragte: »dove commandano i Signori?« zur Antwort gaben: »dove volete.« Denn in diesem verpesteten Sommer, wo die Fremden in Venedig so selten waren wie die Philosophen in Tirol, war's für ihn keine Kleinigkeit, seine sichern Leute zu haben, und an manchen Tagen, wo alles luftscheu in seiner Höhle verborgen lag, war Valentinos Barke die einzige, die sich auf schaukelnder Lagune tummelte, und er konnte mit Recht sagen, dass er ein Drittel oder gar die Gesamtheit aller in Venedig hausenden forestieri in seinem Schiffe geleite. Und er erhielt regelmässig des Abends seine Zwanziger, und wer ihn im Juli sah und sein Bild mit dem verglich, was er des Monats vorher noch der Welt bot, der mochte füglich schliessen, dass seine Umstände den Einflüssen fester Revenüen ausgesetzt waren ... denn häufig und häufiger glimmte der unendliche sigaro lungo in seinem Munde, und wenn eine Meerfahrt von weiterem Umkreis bevorstand, nahm er auf eigene Kosten einen Untergondolier, und wie er gar eines Sonntags im neuen blauen Sammetwams einherstolzierte, die seidene Halsbinde um den breiten weissen Hemdkragen und die Granatblüte am Hut, da war's die helle Pracht, und mir ahnt, dass er mit Beistand unserer Zwanziger auch eine Liebste gewonnen, wie wir ›seine Herren und Gebieter‹, sie vergeblich ersehnten. Dafür war aber Valentino auch ein musterhafter und aufmerksamer Mann in seinem Fach und wusste die vielverschlungenen Wasserstrassen seiner Lagunen so gut wie ein Fisch, der drin aufgewachsen – und fuhr unverdrossen zu jeder Tageszeit, und sagte nie ein Wort, wenn der ihm gereichte Lohn nicht dem Tarif entsprach ... und wenn ein Schiff mit geschmuggeltem türkischem Tabak heimlich im Hafen eingelaufen war, kam er pünktlich und brachte uns eine Provision zum Rauchen; wenn wir abends gegen neun Uhr in der Nähe waren, fuhr er pünktlich auf kurze Entfernung zum österreichischen Kriegskutter hinaus, weil er glaubte, es müsse uns besondere Freude machen, den zapfenstreichstellvertretenden Kanonenschuss zu hören und zu sehen, wie mit Gedankenschnelle die grosse Laterne auf des Mastbaums Spitze hinaufgehisst ward ... und wenn Fremde in lyrischer Begeisterung für venetianische Nächte sich die grosse compagnia der cantatori bestellt hatten, um mit Sang und Klang und alten Fischerliedern hinauszufahren in canal grande, da ruderte Valentino uns leise, leise im Schatten der Nacht mit zur Seite, dass kein Ton verloren ging, wenn der wunderliebliche Refrain »o Venetia benedetta non ti voglio mai lasciar!« ertönte oder unter dem dunkeln Bogen des Rialto ihr lomm! lomm! lomm! widerhallte, und legte seine Gondel lauschig der der Besteller zur Seite und blitzte wieder ab und lachte wie ein Student, der mit Erfolg ein Collegium geschossen hat, wenn er dann nachrechnete, wie viel die Organisatoren der Sängerfahrt für dieselbe zu zahlen hätten und wie billig sie uns gekommen war.

Und allmählich hatte sich der Gute so daran gewöhnt, uns zu fahren, dass er es für eine Art von Rechtsanspruch hielt, und wenn wir je länger auf uns harren liessen, kam er bis auf den Marcusplatz zum Café militare, wo sich selten ein Gondolier hinwagt, und sah nach, wo seine Signori steckten ... und wenn wir je mit einem andern von anderen Stadtregionen gefahren kamen, machte er noch Tags darauf ein verstimmt Gesicht und rief seinen Ausweichruf höh-primiöh! wenn's um ein Eck ging, mit ganz anderem Ton denn sonst.

Und das sollte itzt alles ein Ende nehmen! Mit wirklicher Trauer im Antlitz trug Valentino der Biedre unsre roba in die Barke ... addio padrona! addio palazzo Canal! zum letztenmal ging's den bekannten Wasserpfad entlang in canal grande, im Frührotschein glänzten die altersgrauen Prachtgebäude, ... meinem Liebling, dem feinsten aller venetianischen Paläste, der cà d'oro mit ihren schlanken Bogen und zierlich gotischen Balkonen und Fenstern und Zinnen noch ein Blick ... weiter wie im Traum ging's bis an die Eisenbahn. Wie aber Koffer und Sack und Pack hineingeschafft war, da stand Valentino noch eine Weile vor uns, er wollte was sagen und wusste nicht was, oder wie es ausdrücken, denn ein venetianischer Gondolier kann besser mit dem Ruder umgehen als mit der Sprache. »Ebben Valentino, a riveder!« sprach ich. Und sein Antlitz heiterte sich: »'tornano i signori?« frug er. – »Sicuro!« – da zog sich ein frohsames Lächeln über seine Lippen, und er lupfte die Mütze und schwang sie noch in der Barke zum Gruss auf Wiedersehen.

Fahr wohl, du braver Gondolier, Gott geb' dir noch manch gutes Jahr und padroni, deren Börse mit schwereren Talern gefüllt ist als die unsere.


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