Victor von Scheffel
Episteln
Victor von Scheffel

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4. Über den Gardasee nach Riva.

Seit dem August 1849, wo allerdings auch manch ein Biedermann mit dem unbestimmten Gefühl »Nix wie naus!« aus Venedigs Toren gezogen sein mag, hat die lombardisch-venetianische Eisenbahn wohl selten zwei Männer mit negativerem Reisezweck westwärts befördert, denn uns. »Gottlob dass wir draussen sind!« sprach ich, als die riesige Lagunenbrücke hinter uns lag, und wiewohl die sumpfige verfieberte terra ferma bei Mestre noch keineswegs so aussieht, dass ein meergeprüfter Mann, wie einst Anchises der Alte beim ersten Anblick der Italia humilis, sie mit Geschrei und Austrinkung eines gebauchten Mischkruges begrüssen möchte, so tat ich doch einen lufteinsaugenden langen Atemzug, wie einer, dem ein böser Alp vom Hals sich gelöst.

Aber schwach und krank waren wir allbeide noch, gleich dem verlorenen Sohn in der Ballade eines neueren Dichters:

Und wie er endlich Abschied nahm von Babylon
Da war's ihm wirklich ziemlich miserabilon.

... Sie war in Mestre mit andern Damen eingestiegen. Sie war allerdings von einer eigentümlichen Schönheit ... regelrechte antike Züge, blasses, interessantes Antlitz, auf dem von jener dummen Impertinenz rotbackiger Gesundheit kein Atom zu finden war, ein klares, tiefes, unendlich wehmütig durchschneidendes Auge, schwarzes, reiches Haupthaar. Und die melancholifch ernsten Frauenköpfe, nach denen ein Künstler das Madonnenideal gestalten mag, sind in Italien wie anderwärts selten.

Sie sprach italienisch und ein fremdartig klingendes Deutsch und reiste mit ihrer Mutter. Im Bahnhof zu Verona stiegen beide aus. »O weh!« sprach der Meister Anselm, der eine kühle Limonade trank, »es ist schon zu Ende!«

Dasselbe hatte ich soeben schweigend gedacht.

Aber sie nahmen ein neues Billett und stiegen wieder ein.

»Donner und alle Wetter,« sprach ich, »sie fahren vielleicht mit uns über den Gardasee ...« »Eben denk ich daran,« sprach der Meister Anselm.

Und wir versanken beide in Gedanken, jenseits Verona kam ein Herr mit flachsblondem Haar neben mich zu sitzen, auf dessen Hutschachtel stund: Wasserberger. Passagiergut. Meissen. »Ein unangenehmes Land, das Italien,« bemerkte er, »wenn man die Sprache nicht kann.«

Ich gab ihm keine Antwort. Als die hohen Berge des Gardasee in blauer Ferne aufstiegen, machte er einen zweiten Versuch: »Ob's dort wohl schon Gemsen gibt?« fragt er. Da sprach ich wie ein Geistesabwesender: »höh-primiöh!« Es war der Warnruf Valentino des Gondoliers, der bedeutet, dass Barken, die ums Eck fahren, schleunigst ausweichen sollen, sonst gibt's ein Unglück! ... Es muss etwas Bedeutsames im Ton gelegen haben. Herr Wasserberger machte keinen dritten Versuch, sondern wandte sich einem Manne zu, der zwei Eulen in einem Käfig auf dem Schoss trug und ihm in kroatisch gefärbtem Deutsch einige Antworten gab, aus denen mit Evidenz hervorging, dass er die Fragen nicht verstanden. »Peschiera!« rief der Kondukteur. Wir erhoben uns, als wenn wir noch etwas zu erwarten hätten. Und siehe! die graue Mantille, an der unsere Blicke schon so lange hafteten, erhob sich auch ... Wir fuhren zusammen über den Gardasee. »Ein schönes, blaues Wasser,« sprach ich zur Kammerjungfer, »Sie reisen wohl nach Deutschland?« »Verzeihen S',« sprach sie, »die gnädige Herrschaft hat nach Venedig gewollt, aber wegen der Cholera hat sie beschlossen, umzukehren und geht nach Rütte bei Botzen in die Sommerfrische.«

Warum ist die erste Wirkung der Lieblichkeit die, dass man sie flieht? dass man sich fern hält wie ein Abgestossener, während man angezogen ist?

Und sie stand inmitten des Verdecks mit ihrer Mutter, und ich bot ihnen meinen gepolsterten Feldstuhl an und ging schleunigst nach des Schiffes Hinterteil zum Steuermann, wie einer, der eine böse Tat verübt. »Sie geht nach Rütte bei Botzen,« sprach ich zu meinem Gefährten Anselmus. »Wie weit ist Botzen vom Castell Toblino?« fragte er.

Und wir sassen wieder in Gedanken versunken, er am Schiffsgeländer mit blassem Antlitz in die Flut starrend, ich auf einem Bündel Tauwerk, den Shawl umgeschlagen. Die Insel Catulls mit ihren niedern Linien zog an uns vorbei, und wiewohl ich im Vorbeifahren flüchtig überdachte, welch ein Unterschied zwischen der Lyrik des römischen Sängers der Lesbia und der Emanuel Geibels stattfinde, war mir's doch schier zu Mut, als wollt' ich selber ein recht süsses Lied anfertigen. Wem zu Ehren? ... Aber eine Welt von Bildern stieg auf ... Berge bei Botzen und sinnige Spaziergänge und leise Begegnung, Fussfall und Seufzen, sprechen Sie mit der Mutter ... es reimte sich nichts.

»Woran denken Sie?« fragte ich barsch den Meister Anselmus.

»Ich überlege,« sagte er, »dass ein Künstler eigentlich nur eine Frau haben darf, die als der Ausdruck und die Vollendung der Schönheit ihn umschwebt wie ein stetes Ideal, immer neue Gluten anfachend, wenn der Funke der Begeisterung im scharfen Luftzug des Lebens zu erlöschen droht. Und Sie?«

»Ich habe überdacht, ob die bekannten unsichern Revenuen eines Manns mit der Stahlfeder ihm gestatten, sich zu verheiraten.«

Ob sie wohl herübersah, wie wir uns mit trübsinnig abgesägten Blicken gegenseitig anschauten, gleich zwei kleineren Propheten, die Klagelieder anheben?

Die venetianische Sommerluft macht wirklich nervenleidend und krank. Goethes Werther hätte in diesem Augenblick herantreten und mit Schillers Worten sprechen können: »Ich sei, gewährt mir die Bitte« ... ich wäre zu schwach gewesen ihn auszulachen.

Und die Limonenpflanzungen der Ufer entrückten sich dem Auge, die mächtigen Felswände, die des Sees oberes Ende umschliessen, kamen näher – wir sassen in mitleidswertem Schweigen. Fünfzehn Schritte Entfernung – und die einzige Gelegenheit sich zu nähern ... und unbenutzt! – Sie hatte uns bemerkt. Aber in Riva ging sie mit der Mutter ins albergo del Sole. Im Sole sind Kellner im Frack mit weisser Weste, und Marmorinschriften in den Zimmern, wo Majestäten übernachtet haben; »Künstler,« würde Foersters Reisehandbuch sagen, »ziehen den Giardino vor.« Wir gingen in Giardino. Nach Rütte bei Botzen sind wir seither nicht gekommen. Des andern Morgens sahen wir einen schweren Reisewagen landaufwärts fahren. Wenn der Wirt des Sole wüsste, was wahrhafte Majestät ist, müsste er in dem Zimmer, das ihr Fuss berührt, auch eine Marmorinschrift aufrichten lassen.

Die Geschichte ist aus. –


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