Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorlesung eines Zuckerrohres über den gänzlichen Mangel aller Romantik, gehalten in einer Gesellschaft von jungen Runkelrüben.

Meine ehrenwerten Freunde und Runkelrüben!

Ihr Geschlecht fängt an, sich nicht nur unter die ganze Erde, sondern auch über die ganze Erde zu verbreiten! Sie tragen mit dazu bei, alle Romantik auszurotten und eine industrielle, nüchterne Prosa an ihrer Stelle zu substituieren!

Wenn die Natur Runkelrübenzucker haben will, so hat sie sich mit der Geburt von Christoph Kolumbus lächerlich gemacht, und Ludwig August Frankl hat unrecht gehabt, einen Mann zu besingen, den die kleinste von Ihnen, meine ehrenwerten Damen, entbehrlich macht!

Ja, Sie, Sie geben der romantischen Lichtseite des Lebens den letzten Gnadenstoß!

Die Aufklärung, die Reformen, die allgemeine Erfindungs-, Entdeckungs- und Ersparungswut hat allen Schimmer, alle Illusionen von den Fittichen der Zeit abgestreift, und die

allgemeine europäische Zivilisation

hat die sonst romantisch-bunte, malerische, poetische, phantastische, ideale Verschiedenheit der Welt in eine einzige, große, einförmige, aschgraue Livree gesteckt, mit blanken Knöpfen, auf denen der monoforme Namenszug der modernen Alltäglichkeit ausgeprägt ist!

Die Mythologie haben wir längst verscherzt und die Götter Griechenlands; die Oreaden, Dryaden und Hamadryaden haben wir zu Schiffsbalken und Kanalschleusen entgöttert; die Gnomen haben wir zu Steinkohlenjungen gemacht; Daphnes Locken flattern in Wildbretsaucen, und Vulkans Atem schnaubt aus Dampfröhren uns entgegen.

Aber es blieben unserer Phantasie noch schöne, große Domänen; unserer Romantik blieb der schöne Witwensitz: Orient, dieses Land der Wunder und Fabeln. Uns blieben die schönen Sultaninnen mit langen Schleiern über lange Wimpern; uns blieben die Houris, Peris, Odalisken aller fernen Zonen! Uns blieb das fabelhafte Indien, die lockenden Bajaderen; unserer Intuition blieb Afrika, die Kassauben, die Oasen, die glühenden Odaliskenaugen, die brüllenden Löwen, die betürmten Kamele, die klugen Elefanten etc.

Alle diese Güter im Reiche der Einbildungskraft hat uns die allgemeine Zivilisation geraubt, geplündert, verwüstet! Nicht ein haarbreit phantastischen Boden hat sie unserer Illusion überlassen!

Die alte, zahnlose, prüde, pedantische, steife, kluge, aber abgeschmackte Gouvernante Europa hat die andern Weltteile an den keuschen, aber dürren Busen genommen, hat sie zu klugen, artigen, gesitteten Jungens herangezogen und herangebildet, und da stehen sie nun, die drei europäisierten großen Bengel, steif, uniformiert, höflich, kalt, fad und bis zur Abgeschmacktheit unterrichtet und zivilisiert!

Aus allen drei Weltteilen ist kein einziger Tropfen Romantik mehr zu pressen, alles ist so alltäglich zivil geworden, so durchaus europäisch prosaisch und farblos, daß sie kaum mehr Kostümausbeute für einen Theaterkostümier abwerfen!

Der Turban macht dem Tschako Platz, der Schleier dem Bibi, die Mandarinen tragen Achselbänder, und an der Stelle der schönen Scherezade mit den süßen Märchen liest Madame La Bim-bascha den unsterblichen Paul de Kock! Aus den Boudoirs in Algier wird wie aus denen zu Paris geschrieben:

›Madame Fetscha-Bumba prie Mr. Pinca-Rauka de lui faire l'honneur de prendre le thé etc. etc.«

Der Enkel von Dschingischan verbietet das Opium infolge eines Mäßigkeitsvereins; das Opium, diesen phantasmagorischen Zauberer, der den siebenten Himmel mit seinen Houris, Brama und Wischnu vor die Seele zaubert! Der Nimbus der Bajaderen zerfließt im Saal Ventadour! Die Löwen Afrikas empfangen Besuche von den Pariser Grisetten, die Arras, Loris und Papageien sagen: »Bon jour!« Der Elefant apportiert und macht den Aimablen. Alle Affen und Mandrills und all die bizarren Menschenincunables der Schöpfung haben ihren Bürgerpalast im jardin des plantes!

Wo soll da die Romantik noch ihre Rekruten hernehmen? Woher die Phantasie ihre Bilder suragieren?!

Die Universalbildung hat die Romantik aufgegessen, die sporadische Zivilisation ist eine epidemische geworden, hat alle Romantik mit Haut und Haar verschlungen, wie der Vesuv den Empedokles, und hat nichts von ihr übriggelassen als auch nur den ledernen Pantoffel!

Ich, das Zuckerrohr, ich stehe nur allein noch als der letzte romantische Mohikan da; meine Locken flattern wie die Trauerweiden Babylons an den Ufern des Ozeans, und ich schüttle weinend mein Haupt herüber auf das von Runkelrübenprosa durchackerte Europa!

Ich, meine ehrenwerten Runkelrüben, ich Zuckerrohr, bin ein Enkel der Mythologie! Die schöne Syrinx wurde von Pan verfolgt, sie flehte bei ihrem Vater, Majoratsherr eines mächtigen Wassergottes, um Rettung, wurde in ein Rohr verwandelt, und dieses Rohr bin ich! In mir liegt romantisch-dramatischer Stoff: Liebe, Verfolgung, Vaterfluch, die Peripette zu Zucker und endlich die süße und versöhnende Auflösung! Allein wo ist eine Mythe, welche die Runkelrübe verschönt, und wo ist die moralische Tendenz des Runkelrübenstoffes wie die in mir: wenn die Mädchen von Liebe verfolgt werden, so verwandeln sie sich!?

Welches Mädchen würde wünschen, in eine Runkelrübe verwandelt zu werden?

Mich brauchen die Poeten zu ihren schönsten Metaphern: schlank wie Zuckerrohr! Allein zu welchem Bilde kann man die Runkelrüben, diese Calibans unter den Pflanzen, gebrauchen? Kein Poet wird von einer Schönen sagen: »Ihr Wuchs war wie eine Runkelrübe!«

Kotzebues »armer Poet« ist in meinem Schatten entstanden; Lorenz Kindlein gedieh unter dem Schatten der Zuckerröhre, unter diesen hohen Rohrwäldern wuchs jene Liebe, aus jenen schlanken Zeugen ihrer Liebe schrieb sie jenes: »ich folge dir, sobald ich kann!« welches all jenen rührenden Zauber um Lorenz Kindlein legt, der nötig ist, um empfindungsvolle Theaterbesucherinnen in Thränen zu waschen und zu baden! Glauben Sie, baß solch ein Werk der Liebe, der reinsten Liebe, der totalen Hingebung auch in der Atmosphäre des roten Mangold, der Dick- und Futterrübe hätte gedeihen können?

Und nun gar Kotzebues »Negersklaven«! Was wären die ohne Zuckerrohr! Setzen sie statt »Plantagen« Runkelrübenfelder, und der dramatische Effekt ist beim Henker! denn Seufzer, Thränen und Plantagen, das ist die natürliche Ostindische Kompanie, die sich für den Erfolg dieses Stückes verbürgt; allein setzen sie »Seufzer- und Rummelrübe« oder »Thränen- und Rungselrübenzuckerfabrik«, und alle elegische Stimmung ist im Keime erstickt!

Ich sehe die Zeit kommen, wo sich alle Rüben der Erde zu Zucker emanzipieren werden!

Vor dem Gesetz sind alle Rüben gleich! wird die Gukelrübe sagen! – Warum soll gerade aus dem Kainshaupte der roten Rübe Zucker gepreßt werden, warum nicht auch aus meinem blonden, langgelockten Haupte? so wird die gelbe Rübe fragen. Dann kommt das ganze Geschlecht der Kohlrüben, der Mohrrüben, der Wasserrüben, der Steckrüben, der Tellerrüben und die ganze weitverbreitete Familie der Rapunzeln, und alle werden wollen Zucker geben, und alle werden schreien: »anch' io son pittore!« Alle werden sagen: »Preßt nur, preßt, unter der Presse gibt Kraut und Rüben auch Zucker!«

Alle Rübenbauern werden bei ihrer Saat deklamieren!

»Dem dunklen Schoß der heiligen Erde
Vertrauen wir die Rübensaat
Und hoffen, daß sie erstehen werde
Als Zuckerrohr von besserm Grad!«

Selbst die kleine Teltower Rübe wird aus den Palmenwäldern um Berlin aus der Erde steigen wie ein kleiner Gnom, wird nach Berlin gehen zu Herrn Rellstab oder Häring und wird sagen: »Ihr findet in jeder Naturrübe Stoff zu dickem Romanen- und Leihbibliothekenzucker: warum nicht auch in mir?«

Seid nicht stolz darauf, meine sonst ehrenwerten Runkelrüben, daß ein Zentner von euch ein Pfund Zucker gibt, denn aus welchen Dingen wird jetzt nicht Zucker gezogen? Aus Ähren und Mais; ja, sogar aus Makulatur! Makulaturzucker!

Welch ein Trost, welch eine Aussicht für die Pflanzer der litterarischen Negersklaven: für die Buchhändler! Zuerst pressen sie den Schriftsteller, dann das Werk, dann die Leser, dann das Makulatur! Wie muß ihnen der Kaffee mit solchem Zucker schmecken?!

Es wird eine Zeit kommen, wo man in diesem Makulaturzucker so bewandert sein wird, daß man bei jeder Tasse Kaffee, die man trinkt, den Schriftsteller herausschmecken wird, aus dessen Makulatur er gezuckert ist!

Die Empfindsamen werden Novellenzucker, die Romantischen George-Sand-Zucker u. s. w. haben.

Allein das alles wird vergehen! Alle andern Zucker werden zerfließen, alle Prätendenten dieses süßen Throns werden ihr Ende ereilen, ich allein, das legitime Zuckerrohr, werde bestehen, und in so viel Zungen sich auch die Menschheit teilen möge, es wird kein Mensch die Doppelzüngigkeit so weit treiben, um Zuckerrohrzucker – Runkelrübenzucker zu achten!

Und somit ende ich meine Betrachtung über diesen Gegenstand; mögen Sie mir, meine ehrenwerten Adoptivzuckerstiefkinder, auch hinter dem Rücken ein Rübchen schaben, mich entschädigt mein innerer Gehalt! Ehre, dem Ehre gebührt:

»Voll Saft mag wohl die Runkelrübe sein.
Doch Zucker wohnt im Zuckerrohr allein!«


 << zurück