Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nagelneue Variationen auf die vier Weh (W) des Lebens: Wein, Weiber, Witz und Wahrheit.

Es mögen ungefähr sechs Jahre sein, daß ich über dasselbe Thema: über Wein, Weiber, Wahrheit und Witz, eine Vorlesung gehalten habe; allein ich habe seitdem so viel neue alte Weine getrunken, so viel alte junge Weiber geliebt, so viel schlechten Witz von mir gegeben und so viele gute Wahrheiten in mir behalten, daß ich über diese vier Weh ein nagelneues Wehgeschrei erheben kann.

Der Witz liebt die Weiber, denn woraus besteht der Witz? Der Witz besteht in der Eigenschaft, die Ähnlichkeit an den sich widersprechenden Dingen aufzufinden. Darum sucht der Witz die Weiber, sie sind die Ähnlichkeit des Widerspruches, es widerspricht sich eine wie die andere, und das ist der Witz!

Der Witz holt sich seinen Mann aus Hunderten heraus und nimmt ihn mit, darum lieben die Weiber den Witz, vielleicht holt er auch ihren Mann aus Hunderten heraus und nimmt ihn mit.

Es gibt starke Weine, starke Weiber, starke Witze und starke Wahrheiten! Starke Weine legen sich ins Blut, starke Weiber legen sich in den Magen, starke Witze legen sich in die Rippen, und starke Wahrheiten legen sich aufs Gefängnis. Es gibt viel starke Menschen, die viel schwache Stunden für starke Weine haben; es gibt viel schwache Menschen, die viel starke Stunden für schwache Weiber haben; aber es ist ein starker Beweis für die Schwäche unserer Zeit, daß sie den schwächsten Witz über eine starke Wahrheit nicht ertragen kann.

Mit der Wahrheit kommt man weit, sagt das Sprichwort, das glaub' ich, mit der Wahrheit wird man überall fortgeschickt, so kommt man weit. Wie weit kommt man aber mit der Wahrheit? Bis zum Wein; im Weine bleibt sie liegen, darum finden wir alle unsere Wahrheitsfreunde nur in den Weinhäusern liegen; da liegt die Wahrheit im Wein so lange auf dem Tisch, bis der Wein im Wahrheitsfreund unter dem Tisch liegt. Einem solchen Wahrheitstrinker liegt die Wahrheit stets auf der Zunge, allein zum Unglück für die Welt nimmt sie eine verkehrte Richtung, anstatt daß er am Ende den Wein verschlucken und die Wahrheit von sich geben soll, verschluckt er die Wahrheit und gibt den Wein von sich!

Es gibt Tischfreunde, Tischwahrheiten, Tischweiber und Tischwitze; der Tischfreund ist wie ein Tischwein, wenn der Tisch aufgehoben wird, hebt sich die Freundschaft auch auf; ein Tischwitz ist wie der Tischwein, man kann so viel davon genießen, als man will, man spürt doch nichts im Kopf.

Es gibt gute Weinjahre, Jahre, in denen der Wein außerordentlich geraten ist! Hört man aber je sagen: »Heuer ist ein gutes Weiberjahr! Heuer ist ein gutes Witzjahr!«

Warum kommt nicht einmal ein Komet, der ein gutes Frauenjahr bringt? Man hört oft einen Mann ausrufen: »Ich hab' aber zu Haus einen Elfer oder einen Sechziger!« Wie schön wär's, wenn man sagen könnte: »Ich hab' zu Haus eine Elferin!« Da wüßte jeder, die ist von dem Jahre, wo die Frauen so geraten sind. Ja, man geniert sich ordentlich, zu sagen: »Zu Haus hab' ich eine Sechzigerin!«

Die Liebe zum Wein ist viel glücklicher als die Liebe zu den Frauen; wer ein Mädchen hoffnungslos liebt, findet Trost im alten Weine; wer aber den Wein hoffnungslos liebt, findet keinen Trost in einem alten Mädchen! Wer ein Mädchen liebt und von seinem Gegenstande ganz voll ist, ist verschlossen und stößt die ganze Welt zurück; wer den Wein liebt und von seinem Gegenstande ganz voll ist, der fließt über, und die ganze Welt gehört ihm. Es gibt Menschen, die heimlich trinken und öffentlich besoffen sind; Menschen, die heimlich lieben und öffentlich närrisch thun; Menschen, die heimlich Witze stehlen und sie öffentlich drucken lassen; Menschen, die öffentlich Wahrheit lehren und heimlich getäuscht werden.

Der Mensch soll nichts lieben als sich, meine lieben Leser, denn da kann er sicher auf Gegenliebe rechnen; nur die Dichter sind unglücklich, wenn sie sich selbst lieben, denn sie können sich selbst schwer erhalten!

Die Dichter sind mit der Liebe übel dran, sie können nicht lieben, ohne zu singen, sie können nicht singen, ohne erst zu trinken, sie haben aber nichts zu trinken, bis sie nicht früher gesungen haben; sie müssen also lieben, singen und trinken auf einmal, sie müssen immer ein Tintenglas, ein Augenglas und ein Weinglas in der Hand haben; daher ihre Konfusion, daher vertrinken sie die Liebe, und verlieben sich in Trunk, und versingen beides.

Die eigentliche Liebe, die wahre Liebe kann auch nicht sprechen. Die Frau verhüllt ihre Liebe in Schweigen, der Mann in Gesang. Das Herz des liebenden Weibes ist ein Kabinettskurier des Himmels, es trägt seine Sendung unter heiligem Siegel verschlossen mit sich, kaum sich seines süßen Inhaltes selbst bewußt. Der Mann singt von seiner Liebe, denn auf der Erde findet er nichts, mit dem er sich vergleichen könnte, und zum Himmel kann nur der Gesang empor, um seine Vergleiche und seine Sterne zu holen. Die Liebe der Frauen ist der Äther, Gesänge dieser Liebe sind die Blumen, und tausend Blumen trinken Tau aus einem Äther, und tausend Blumen saugen tausend verschiedene Farben aus diesem einerlei Äther. Der schweigsamste Mann wird beredt, wenn er liebt, die sprachseligste Frau wird schweigsam, wenn sie liebt. Im Herzen des Mannes ist die Liebe eine Erzählung, Dichtung und Wahrheit, eine Novelle mit Fortsetzungen und Unterbrechungen; im Herzen der Frauen ist die Liebe ein Englischer Gruß, ein Vaterunser, und ihr ganzes Leben ist dann nichts als ein langes, frommes Amen dieser Empfindung. Die Liebe ist wie eine Brennessel; der Mann faßt sie mit keckem Finger und hart an, und sie verletzt ihn nicht; die Frauen erfassen sie zagend, leise, mit Zucken, und sie fühlen das brennende Gift.

Man sagt »unglückliche Liebe«! Es gibt keine unglückliche Liebe, meine lieben Leser; wer wahrhaft liebt, ist glücklich, und trocknet die Hand der Liebe auch nicht seine Thräne, und tönt seinem Liebesklang auch kein Liebeston entgegen, er ist dennoch glücklich, denn wer trocknet die Thräne der Rose, wer erwidert das Lied der Nachtigall, wer gießt Gegenliebe in die Brust der unruhigen Sonnenblume? Und doch fragt sie, so sagt die Rose: die Thränen sind mein Glück, und die Nachtigall: mein Schmerzlied ist meine Wonne, und die Sonnenblume: meine Unruhe ist mein einzig Heil.

Die glückliche Liebe hat nur Erinnerungen, die unglückliche Liebe hat Hoffnungen, und wo die glückliche Liebe ihre Erinnerungen ablegt, da gestaltet unglückliche Liebe ihre Hoffnungen zu Erinnerungen. Glückliche Liebe ist eine Jugendkrankheit, in der man aus Altersschwäche stirbt; unglückliche Liebe ist eine zur Ruhe gesetzte Wehmut, sie lebt von dem Gnadengehalte der Erinnerung, und jede Erinnerung, auch die schmerzlichste, ist wie ein alter, wieder aufgefundener Brief von vor langen Jahren; wir gehen mit ihm bis zu seinem Datum zurück, und die abgeblaßten Züge rufen rosige Züge aus unserer Jugendzeit zurück.

Es gibt nur Eine glückliche Liebe, wenn man den Gegenstand seiner Liebe zu seinem Glücke nicht kriegt!

Die jetzige Liebe ist wie die Mondfinsternis, wenn man sagt: »sie ist durch ganz Europa sichtbar«, so heißt das: »man sieht gar nichts«.

Die Klassiker, die Alten sagten einst: »Liebe regiert die Welt!« – Das sagen die Alten auch jetzt noch, aber die Jungen sagen's« nicht mehr.

Da sind wir, meine lieben Leser, auf ein fünftes Weh gekommen: Welt! Die Welt ist der Inbegriff aller Erscheinungen, in unserer Welt erscheint aber gar nichts mehr; wo ist in unserer Welt also die Welt? Die schöne Welt ist häßlich, die große Welt ist klein, die feine Welt ist grob, und die ganze Welt ist nur eine halbe Welt, – wo ist die andere halbe Welt?

Kennen Sie, meine lieben Leser, unser Weltsystem? Die schöne Welt kommt systematisch zusammen und setzt sich in einen Kreis: das ist der Weltkreis; die jungen Herren segeln um die Frauenwelt herum, das sind die Weltumsegler, die auch das Schicksal aller Weltumsegler haben, daß sie nie in den Stillen Ozean gelangen können.

Zuerst dreht sich das Gespräch der ganzen Welt ums Theater, das ist die Weltachse; dann erzählt man sich Geschichten aus der Stadt, das ist die Weltgeschichte; die ältesten Bonmots werden neuerdings erzählt, das ist die alte und neue Welt; um das goldene Haupt der jungen Mädchen bilden die silbernen Köpfe der Greise eine eherne Mauer und erproben ihre eiserne Geduld, das sind die vier Weltalter; dann fragt man sich: haben Sie gehört, was für ein Gerücht verlautet? das ist das Weltgericht; dann setzt man sich an den Spieltisch, das sind die Weltkarten; dann tauscht man seine Neuigkeiten aus, das ist der Welthandel; dann ersäuft man sich in ein Meer von Gemeinplätzen, das ist das Weltmeer; dann kommt ein Schriftsteller, bringt die Gesellschaft der schönen Welt zur öffentlichen Kunde, das ist die Weltkunde; und zuletzt macht das Schicksal einen Strich durch die Weltkunde, das endlich ist der Weltstrich. Sehen Sie, das ist das neue Weltgebäude.

Die ganze Welt sagt: die Welt muß zu Grund gehen; die Welt ist aber so grundlos, daß sie nicht zu Grund gehen kann, und man kann wirklich sagen: daß die Welt zu Grund gehen soll, dazu ist kein Grund vorhanden.

Durch Wein, Weiber, Witz und Wahrheit wird die Welt kurios zu Grunde gerichtet, aber eine zu Grund gerichtete Welt mit Wein und Weibern hat die ganze Welt im Grund doch noch lieber als eine nicht zu Grund gerichtete Welt ohne Wein und Weiber.

Die Bühne, mein lieber Leser, die Schaubühne, das sind »die Bretter, die die Welt bedeuten«. – Da aber die Welt jetzt nichts bedeutet, so bedeuten die Bretter auch nichts. Ja, man kann sagen: auf den Brettern, die die Welt bedeuten, da ist die Welt bedeutend mit Brettern verschlagen.

Auf dieser Welt, auf dieser Bretterwelt sind die vier Weh: Wein, Weiber, Witz und Wahrheit sehr wehleidig!

Unsere Theaterdichter bringen nichts als alte Witze und junge Weiber auf die Bühne, und anstatt reinen Wein schenken sie unreine Wahrheit ein. Die Wahrheit ist aber, daß sie beim Wein schlechte Witze über die Weiber machen und dann diese ihre schlechte Aufführung durch eine gute Aufführung in die Welt schmuggeln. Unsere Theaterdichter gehen mit Weiber, Witz und Wahrheit in ihren Theaterstücken sonderbar um; anstatt daß sie gesuchte Weiber, keinen Wortwitz und blanke Wahrheit haben sollen, haben sie blanke Weiber, gesuchten Witz und kein Wort Wahrheit! Anstatt daß sie die Weiber dem Leben abstehlen und ganz neue Witze hervorbringen sollen, bringen sie neue Weiber hervor und stehlen den Witz von den Lebenden; und das ist die ganze Wahrheit bei der Sache!

Der Witz, meine lieben Leser, ist jetzt die Hauptsache, von Handlung und Charakter ist gar keine Rede. Bloß wie der Dichter um sein Honorar handelt, das ist die einzige Handlung, und wie ihm manche Direktoren ganz charakterlos davon abziehen, das ist der einzige Charakterzug.

Der Witz wird in der ganzen Welt zur Thür hinausgeworfen, er muß also auf der Straße liegen; es hat sich also aller Witz in die Straßenjungen geschlagen, und dieser geschlagene Witz kommt jetzt aufs Theater.

Unsere Dichter können mehr als der Himmel; der Himmel hat bloß aus Nichts die Welt erschaffen, die Theaterdichter erschaffen aber sogar aus einem Taugenichts ihre Welt, und so ein Taugenichts ist noch lang kein Nichts, so ein Taugenichts braucht erst einen Pariser Dichter, einen deutschen Übersetzer, ein Theater und eine sehr gelungene Darstellung, bis er vollkommen Nichts ist!

In einer Hinsicht veredeln die Dichter die Straßenjungen, nämlich: auf dem Theater sehen wir sie in vier langen, zerrissenen Aufzügen, die wirklichen Straßenjungen erscheinen gewöhnlich nur in einem zerrissenen Aufzug!

Ein anderer Übelstand aber entsteht der Kunst durch die Aufführung dieser Straßenjungen, Es ist nämlich eine Wahrheit, so alt wie die Choristinnen des ***theaters, und doch so neu wie der alte Wein bei ***: daß kein Mensch sich selbst beurteilen kann – wie sollen also unsere Rezensenten diese Straßenjungen beurteilen?

Man könnte freilich sagen, die Straßenjungen sind unter der Kritik! Das kann aber nicht sein, denn die Kritik ist ja unter den Straßenjungen! Man kann also im wörtlichen Sinne sagen: Straßenjungen und Kritik haben es unter sich selbst auszumachen!

Sie sehen, meine lieben Leser, daß, so oft auch im Leben über gute Wahrheiten schlechte Witze gemacht werden, so trifft sich doch, daß man manchmal einen guten Witz über eine schlechte Wahrheit machen kann.

Ich nenne aus Bescheidenheit meinen Witz gemachten Witz! Denn die vier Weh thun einem auch verschieden weh: die nachgemachten Weine, die davongemachten Weiber, die abgemachten Witze und die ausgemachten Wahrheiten thun einem im Leben sehr weh.

Bei Wein und Weiber ist der Unterschied: wir kosten den Wein, und die Weiber kosten uns; bei Witz und Weiber ist das der Unterschied, daß wir traurig sind, wenn unser Witz ausgeht, daß wir aber froh sind, wenn unsere Weiber ein bißchen ausgehen; bei Wahrheit und Weiber ist der Unterschied, daß sich tausend Wahrheiten, aber nicht zwei Weiber miteinander vertragen; bei Witz und Weiber ist der Unterschied: bei dem Witz liegt die Anschauung in dem Verstand, bei den Weibern liegt der Verstand in der Anschauung; der Witz ist Meister im Zusammensetzen, die Weiber sind Meister im Auseinandersetzen. – Wie glücklich ist der Mensch, bei dem ein Witz den andern jagt; wie unglücklich ist der Mensch, bei dem ein Weib das andere jagt. – Da ich aber befürchte, daß mein Witz nicht wieder einen Witz, sondern die Leser sagen könnte, so will ich von Witz, Wein, Weiber und Wahrheit abbrechen, damit Sie gar kein Weh mehr haben.


 << zurück weiter >>