Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Die sieben alten Weisen als sieben moderne Narren.

Gehalten zum Besten »der grauen Schwestern« im Josephstädter Theater.

Die Weisheit, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, besteht im Schweigen und Wissen. Wenn ich nun schweigen wollte, so würden Sie wissen, daß ich ein – Weiser bin. Ein Weiser ist jemand, der einem etwas weist. Ein Weltweiser ist wie ein Wegweiser. Der Wegweiser sagt: »Das ist der Weg!« ohne daß er ihn selbst geht; ein Weltweiser sagt: »Das ist die Welt!« er selbst aber hat gar keine Welt. – Ein Weltweiser ist wie ein Uhrweiser, er will der ganzen Welt weisen, was an der Zeit ist, wenn es aber um und um kommt, so steht er auf demselben Punkt, von dem er ausgegangen.

Die Weisheit besteht aus: Weltweisheit, Schulweisheit und Lebensweisheit. Früher ging die Welt in die Schule des Lebens, jetzt sucht das Leben die Welt in der Schule, darum tritt man aus der Schule ohne Welt in das Leben.

Die Griechen waren die ersten Philosophen der Welt, sie konnten es auch leichter werden als die Deutschen, denn sie brauchten weder griechisch noch deutsch zu lernen.

Früher, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ging die studierende Jugend aus schweren Prüfungen über in die Philosophie, jetzt geht unsere studierende Jugend aus der Philosophie zu schweren Prüfungen über. In Griechenland wurden Philosophie und Medizin verschmolzen, bei uns sind sie getrennt; die Philosophie bebauet den Acker Gottes, die Medizin den Gottesacker. Die Philosophie und die Medizin drücken dasselbe in verschiedenen Worten aus. Die Philosophie sagt: der Mensch soll nur nicht viel ausgeben; die Medizin sagt: der Mensch soll nur viel einnehmen.

Der Tod schreibt zweimal an den Menschen, einmal durch die Philosophie, um ihn auf seine Ankunft vorzubereiten, aber er bestimmt weder den Weg noch die Stunde der Ankunft, sondern schreibt: »Das Nähere werde ich Dir durch die Medizin melden!« dann schreibt er durch die Medizin und bestimmt die Zeit und die Art der Ankunft, ob er auf der Achse kommt, das heißt auf der Achse, um die sich die Medizin dreht, nämlich die Apotheke, oder, ob er zu Wasser kommt, nämlich durch die – Hydropathie.

Jeder Schmerz im Menschen, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, wird auf dreierlei Weise kuriert, allopathisch, hydropathisch und homöopathisch; allopathisch durch – Gesellschaft, hydropathisch durch – Thränen, homöopathisch durch – Einsamkeit. Die Einsamkeit ist die Homöopathie des Geistes und des Herzens. Eine große Gesellschaft ist wie eine allopathische Apotheke; man findet in ihr von allen Mitteln sehr viel, nur von den – Geistern sehr wenig.

Die Philosophie, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist ein Frauenzimmer; wenn sie keinen Grund mehr anzugeben weiß, fällt sie in – Ohnmacht. Die Philosophen bewegen sich in einem ewigen Zirkel, und dennoch, wenn sie in einen ordentlichen Zirkel kommen, so wissen sie sich nicht zu bewegen, sondern sie verstecken sich da in alle vier Winkel und suchen so die Quadratur des Zirkels. Die Weisen suchen die Wahrheit, die Narren reden die Wahrheit, wer ist nun mehr Narr? Der Weise, der etwas sucht, das jeder Narr ausplaudert, oder der Narr, der das ausplaudert, was die Weisen verschweigen? Sind die Weisen nicht rechte Narren, daß sie etwas suchen, bei dem der redliche Finder bestraft oder gebeten wird, es für sich zu behalten? Wenn die griechischen Weisen jetzt lebten, wir würden sie alle für Narren halten. Wenn jetzt zum Beispiel Diogenes mit einer Laterne herumginge, um einen Menschen zu suchen, so würde man ihn, unnützen Lebenswandels wegen, aus dem Schub fortschicken. Im neunzehnten Jahrhundert fand man nur einen Menschen – Kaspar Hauser. – Diogenes hat seine Weisheit alle Tage aus demselben Fasse gezapft, unsere Philosophen zapfen alle Tage aus einem andern Faß. Unsere Philosophen philosophieren folgendermaßen: »Die Weisheit sucht die Wahrheit, die Wahrheit liegt im Wein, der Wein liegt im Faß, das Faß liegt im Keller, folglich muß man die Philosophie aus dem Keller holen. Es ist sonderbar, unsere Philosophen holen vom Wein und von der Wahrheit immer nur eine Halbe, und bekommen von beiden doch am Ende im gleichen Maße nur einen Nebel. Die Heidelberger Philosophie ist deshalb so groß, weil das Heidelberger Faß so groß ist. Darum sind unsere Kellner wahre Philosophen, denn die Philosophen verlangen von den Menschen immer mehr, als sie eigentlich schuldig sind.

Es ist sonderbar, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, mit unseren Philosophen, sie suchen in jedem Felde neue Wahrheiten, aber immer im alten Weine, und nur in einem Felde suchen sie die alte Wahrheit im neuen Wein, nämlich im Heurigen, im Lerchenfeld.

Der Weise Bias, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, war zu seiner Zeit auch kein Narr, er hatte zwei Sprüche, nämlich: »Lebe in beständiger Todesfurcht«, und: »Von deinem Freunde borge so spät als möglich Geld!« Herr Bias macht sich lächerlich, seine beiden Sprüche heben sich gegenseitig auf, denn eben weil man alle Augenblick fürchten muß, jetzt stirbt mein Freund, muß man sich so schnell wie möglich Geld von ihm ausleihen.

Es gibt nur eine große Schule des Schweigens, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen: den Tod, es gibt nur eine große Schule der Beredtsamkeit: das Schuldenmachen, und es gibt nur eine große Schule der Selbstverleugnung, das Schuldenbezahlen, denn da läßt man sich alle Augenblicke selbst verleugnen. Von den Toten soll man nichts als Gutes reden. Den berühmten Menschen gönnt man nur deshalb ewiges Leben, damit man ihnen nie etwas Gutes nachzusagen brauche. Das Lob, der Ruhm und die Anerkennung sind die Pensionen des Talentes, aber es ist mit ihnen umgekehrt wie mit andern Pensionen, man genießt sie selten im Vaterlande.

Die Philosophie, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sagt, man soll den Blick zur Erde senken, das ist aber das Unglück im Leben. Wenn der Mensch den Blick nur zum Himmel erheben würde, so würde er bei jedem Todenfalle ersehen, daß sich die Erde unter uns nie öffnet, ohne daß sich auch der Himmel über uns öffnet.

Es ist keine Kunst, den Ball gegen den Himmel zu werfen, aber es ist eine Kunst, ihn aufzufangen, bevor er zur Erde fällt. Es ist kein Verdienst, den Blick gegen den Himmel zu werfen, aber es ist ein Verdienst, wenn der Himmel diesen Blick zurückweist, diesen Blick nicht in die Hölle fallen zu lassen.

Der weise Periander sagt: Zwei Dinge sind schwer: »Geheimnis bewahren, und Frau bewahren!« Periander war auch nicht recht gescheit, sonst würde er gesagt haben: »Bewahre das Geheimnis vor der Frau, so ist es wohl bewahrt!« Aber wie man ein Geheimnis vor einer Frau bewahrt, das eben ist das große Geheimnis, und warum uns der weise Periander dieses Geheimnis verschwieg, das ist sein Geheimnis!

Wenn jemand von etwas sagt: »Das kann ich nicht sagen!« so fängt er schon an, es zu sagen; wenn jemand sagt: »Das kann ich nicht glauben!« fängt er schon an, es zu glauben, und wenn jemand sagt: »Ich besitze eine Geliebte, ich besitze ein Geheimnis!« der hat beide schon halb verraten. – Wer ein Frauenzimmer gewinnen will, der sage ihr nur: »In mir liegt ein großes Geheimnis, ich bin bloß sein Futteral, aber ich gebe das Geheimnis ohne Futteral nicht her.« – Dann nimmt das Frauenzimmer wegen des Geheimnisses auch das Futteral. Die Frauen machen gerne aus ihrem Herzen ein Geheimnis, die Männer machen gerne aus ihrem Magen ein Geheimnis. Jede Frau will haben, daß der Mann ihr Herz erraten soll, jeder Mann will haben, daß die Frau seinen Magen erraten soll. Jeder Blick des Mannes soll sagen: »Herz, mein Herz, was willst du haben?« jeder Blick der Frau soll sagen: »Magen, mein Magen, was willst du haben?« Auch im Erraten unterscheiden sich die Frauen zu ihrem Vorteil von den Männern. Die Männer erraten die Menschen nur, wenn sie sie hassen, die Frauen, wenn sie sie lieben. Unsere Männer machen es mit den Frauen wie die Rezensenten mit den Büchern; sie beurteilen sie, ohne sie zu kennen; die Frauen machen es mit den Männern auch wie mit den Büchern, sie überschlagen das ganze Buch und wollen bloß sehen, wie die Sache ausgeht. Im Herzen der Frauen ist die Liebe Hausfrau, sie wird nicht gesteigert und bleibt wohnen, im Herzen der Männer wohnt die Liebe zur Miete, sie steigern sie so lange, bis sie ganz auszieht. – Die Männerherzen sind wie große Armeen, wenn sie vorwärts marschieren und im Siege begriffen sind, werfen sie sich nur auf Hauptplätze und große Festungen; wenn sie im Rückzuge begriffen sind, nehmen sie jeden Gänsestall mit. Unsere liebenden Jünglinge sind wie die Brathühner; wenn sie so recht gebraten sind, so tragen sie auswendig unter einem Flügel den Magen, und unter dem andern das Herz und die Leber; inwendig aber sind sie leer.

Die Männer sind selbst in der Liebe ein bißchen grob, die Frauen sind selbst im Hasse artig. Ein Frauenzimmer ist wie ein Brief: wenn ein Brief auch noch so grob ist, so fängt er mit einem Kompliment an und hört mit einem Kompliment auf. Wenn das ganze Frauenzimmer auch sonst gar nichts von uns wissen will, den Kopf und den Fuß zeigt sie uns immer gerne von der schönsten Seite. Die Ehe selbst betrachten die Frauen als das letzte Avancement der Liebe, bei den Männern hingegen wird in der Ehe die Liebe bloß mit erhöhtem Charakter in Ruhestand gesetzt. Was die Männer an den Flitterwochen abgekürzt haben, das haben sie an den Flegeljahren zugelegt. Jede Partie ist vor der Heirat eine einfache Partie, nach der Heirat wird eine Partie à la guerre daraus. Bei dieser Partie gewinnt aber der, der sich am ersten verlauft. Es gibt Mädchen, gegen die das Schicksal nun einmal durchaus Partie genommen hat; wollen sie eine Landpartie machen, so regnet es, wollen sie eine Schlittenpartie machen, so taut es, wollen sie eine Whistpartie und eine Partie überhaupt machen, fehlt ihnen der Mann und Strohmann; aus Überdruß ergreifen sie endlich die eigene Partie und machen alle zusammen eine Konterpartie gegen das Schicksal und gegen die Männer, das heißt gegen ihre Schicksalsmänner und gegen ihr Männerschicksal. Die Ehe ist das Grab der Liebe, sagt man; das ist ganz richtig, denn jeder bekommt sogleich sein Kreuz; allein auf diesem Grabe kann man nicht lesen: »Hier ruhen sie!«

Gegen die häuslichen Leiden der Frauen gibt es keine heilenden, aber doch schmerzstillende Tropfen: die Thränen, und gegen die häuslichen Leiden der Männer gibt es nur ein großes Heil- und Linderungspflaster: das – Straßenpflaster.

Ein anderer Weiser, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, Pittakus, sagt: »Handle recht und schließe mit der Zeit ab!« Wenn der weise Pittakus auf die Börse gegangen wäre, so würde er gesehen haben, daß der nicht recht handelt, der auf Zeit abschließt. – Allein Pittakus ging nicht auf die Börse, und darum allein war er schon der weise Pittakus.

Die griechische Weisheit bestand in »viel Wissen und wenig Handeln!« Unsere Weisheit besteht darin: von nichts wissen und mit allem handeln! – Die ganze Welt scheint jetzt aus der Schule des Aristoteles zu kommen, denn der weise Aristoteles lehrt: »Die höchste Blüte der menschlichen Vernunft ist die Spekulation.«

Pittakus, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat gut sagen: »Schließe mit der Zeit ab!« denn zu seiner Zeit hat es noch keinen Zeitgeist gegeben, jetzt aber hat jeder Tag vierundzwanzig Stunden und vierundzwanzig Zeitgeiste, und der Geist läßt sich nicht abschließen. Die Zeit wird jetzt nicht von der Mutter: »Weisheit«, sondern vom Papa: »Geist« erzogen, und man weiß, daß Töchter, die von Vätern erzogen werden, selten gut erzogen sind.

Die Zeit ist die Kuriositätenkammer des Lebens: die Vergangenheit ist das – Naturalienkabinett, in ihm stehen die versteinerte Geschichte, die ausgestopften Erfahrungen und die Skelette großer Thaten. Die Gegenwart ist die camera obscura unserer Wünsche und Hoffnungen, und die Zukunft ist das Schattenspiel der Phantasie. Es gibt eine bestimmte und eine unbestimmte Zeit, einen bestimmten und einen unbestimmten Geist; das Unglück bei unserem Zeitgeiste aber ist, daß immer zu bestimmten Zeiten ein unbestimmter Geist das Wort führen will!

Ein anderer Weiser, Thales, hat zwei Sprüche: »Kenne dich selbst« und »Ich trage alles bei mir!« Wenn man alles bei sich trägt, kann man sich leicht kennen lernen, denn dann trägt man auch sein Ich bei sich. Bei uns aber ist unser Ich sehr oft zerteilt, ein Teil von unserem Ich haben wir zu Haus in Bankaktien liegen, ein anderes Stück von unserem Ich liegt in der Sparkasse, noch ein Teil von unserem Ich wird erst drei Monat nach dato zahlbar, wie sollen wir da unser Ich kennen lernen?

Wenn wir die gesprochenen Worte sehen könnten, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, so würden wir sehen, daß jeder Mensch das Ich mit einem großen I ausspricht, und das Du mit einem kleinen D. Überhaupt, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, wenn man zu jemand so recht vom Herzen du sagt, so macht man sein Ich fett, wer aber so recht vom Herzen ich sagt, der läßt das Du verhungern.

Ein anderer Weiser, Solon, sagt: »Man lobe niemand seines Reichtums halber.« Herr Solon wird erlauben, daß ihn die Journalisten etwas auslachen.

Die Devise der Journalisten ist: »Lobe jeden des Reichtums halber!« nicht so sehr, weil er reich ist, sondern damit sie reich werden. Im Grunde aber loben unsere Journalisten gewiß nicht des Reichtums halber, denn sie loben ja am meisten sich selbst. Die Journale gleichen darin den Uhren, daß sie meistens repetieren, allein bei den Uhren erkennt man an ihrem Picken, daß sie gehen; wenn aber die Journale untereinander zu picken anfangen, so ist das ein Zeichen, daß sie nicht gehen.

An nichts existiert jetzt ein solcher Reichtum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, als an – Witz, und man kann annehmen, daß in einer Gesellschaft von acht Personen neun Klavier spielen und zehn witzig sind. Wenn einer aber wirklich witzig ist, so werden alle schlechten Witze auf seine Firma gemacht, es geht ihm mit dem Witz wie Maria Farina in Köln mit dem Kölner Wasser, wo nur schlechte Kölner Wasser gemacht werden, hat sie alle Maria Farina gemacht!

Der Witz aber ist oft ein sehr nötiges Lebenselement, zum Beispiel in der Ehe, denn der Witz besteht in der Kunst, zwei widersprechende Gegenstände zu vergleichen. Das Unglück in dem Witz der Ehe ist nur das, daß bei den Frauen der Witz kommt, wenn der Mann ausgeht, und bei dem Manne der Witz ausgeht, wenn die Frau kommt. Die meisten Journalisten und Kritiker, die witzig sein wollen, vergessen, daß der Witz bloß eine Schlittenpeitsche ist zum Knallen, und keine Fuhrmannspeitsche zum – Zuschlagen. Viele Journalisten und Rezensenten sind wie die Kakadus, sie ziehen die Klaue ein, wenn sie gefüttert werden, und drücken ein Auge zu, wenn sie zu trinken bekommen. Die witzigen Rezensenten sind wie die Mädchen, sie lachen bloß, um zu zeigen, daß sie Zähne haben, sie beißen aber nur dann, wenn sie nichts zu beißen haben. In der Kritik ist es umgekehrt wie in der Medizin. In der Medizin erregt die Ochsengalle den Hunger, in der Kritik erregt der Hunger die Ochsengalle. Viele Kritiker betrachten die Künstler wie Schafe, sie geben ihnen statt Futter – Salz, und dennoch behandeln sie sie auch umgekehrt wie die Schafe, denn wenn man die Schafe scheren will, wäscht man sie erst, wenn die Kritiker die Künstler scheren wollen, so waschen sie sie gar nicht. Ein guter Satiriker überhaupt ist wie ein gutes Tranchiermesser, je schärfer seine Schneide ist, desto breiter muß sein Rücken sein!

Der wahrhaft Witzige muß sein wie das Weltmeer, wenn er lacht, müssen sich die goldenen Sterne in ihm abspiegeln, und wenn er stürmt, muß er seine Wogen gegen den Himmel tragen. Leider gleichen viele nur darin dem Weltmeere, daß sie bloß wässerig und gesalzen sind.

Das Weltmeer bringt uns noch zu einem Weltweisen, zu Cleobulus. Cleobulus sagt: »Das Meer ist falsch, die Erde treulos, auf den Himmel bau!« Cleobulus würde von unsern Baumeistern schön ausgelacht werden! Alle Menschen bauen auf der Erde, und wie wenige bauen auf den Himmel, und das mit Recht, denn die Einwohner auf der Erde nehmen zu, die Einwohner in dem Himmel nehmen ab, und ich glaube gewiß, es stehen im Himmel jetzt viele Quartiere leer. Der Mensch baut lieber auf die Erde, weil er da gleich Geld darauf geliehen bekommt, der Himmel aber beschenkt, bezahlt den Menschen, aber er borgt ihm nichts.

Auf die Erde zu bauen, ist bei den meisten Menschen jetzt Grundsatz geworden, das heißt, wie sie einen Grund haben, nehmen sie auf den ersten Satz – Geld auf.

Wie viel wohlfeiler, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist es, auf den Himmel zu bauen, als auf die Erde, denn der Himmel schenkt uns nicht nur den Baugrund, sondern er hat uns auch alle Baumateriale freigegeben. Diese Baumateriale sind: Tugend, Religion, Liebe, Dankbarkeit, Hoffnung, Vertrauen u. s. w. In uns und in unserm Innern befinden sich die Werkstätten, die Ziegelhütten und Brennöfen zu all diesen Baumaterialien: Glaube, Tugend, Hoffnung, Liebe, Dankbarkeit! Der Glaube ist der Grund des Gebäudes, je tiefer er in uns gegraben ist, desto fester stehen die Pfeiler, Die Tugend ist ganz allein die Karyatide, auf deren Schultern das Gebäude ruht. Das Laster hat Hilfstruppen im Menschen: Blut, Begierde, Nerven, Sinne; die Tugend kämpft ganz allein gegen die Überzahl. Darum ist es edel von uns, die Partei des Einzelnen gegen die Überzahl zu ergreifen.

Der Haß im menschlichen Herzen ist ein Distelkopf, er sticht selbst mit der Blüte; die Liebe hingegen ist die Rose, selbst zerpflückt und gepreßt gibt sie duftendes Öl.

Die Hoffnung, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist der Dorfjahrmarkt des menschlichen Lebens, es kommen ebenso viele Bettler hin als Vornehme, allein nur die Bettler berauschen sich, die Vornehmen gehen nüchtern von dannen.

Die Wohlthätigkeit im menschlichen Herzen ist wie die segensreiche, herrliche, allwaltende Natur, ihre edelsten Werke schafft sie geheim, ihre Heilquellen erzeugt sie im tiefsten Busen, ihre funkelnden Steine schafft sie in der Nacht der Erde. So erzeugt die menschliche Wohlthätigkeit gerne still und geheim ihre Segensquellen und ihre geweinten Demanten des Dankes.

Die Dankbarkeit ist das Echo der Liebe, sie tönt nicht aus flachen, sondern bloß aus erhabenen Herzen zurück, und doch ist sie nicht bloß ein Echo, denn sie gibt nicht wie die Luft bloß einen Teil des Empfangenen zurück, sondern sie erstattet es wie die Erde zehnfach wieder. Nur die Toten gibt die Erde nicht zehnfach zurück, und das ist das Glück, denn sonst könnte uns das Unglück passieren, daß uns die Erde die sieben Weisen Griechenlands plötzlich als siebzig Narren Deutschlands wieder erstehen läßt, und das würde uns sehr überraschen, denn unsere Philosophen sehen nicht bloß aus, als wenn sie aus der Erde kämen, sondern auch, als wenn sie vom Himmel gefallen wären. Ja, das ist gewiß besser, auf die Erde zu bauen, als auf den Himmel, denn wenn uns einmal das Gebäude im Himmel einfällt, so sind wir auf ewig verloren, auf der Erde hingegen ist es umgekehrt, manches Haus steht dann erst recht gut, wenn es zwei-, dreimal gefallen ist!

Das Leben, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, stürzt uns also, nach Abschluß all dieser weisen und närrischen Betrachtungen, in die Luft, das Glück ins Feuer, das Unglück ins Wasser und der Tod in die Erde, Von dem Menschen in der Erde ganz allein kann man die beliebte Phrase unserer Kritiker mit Recht anwenden: »Er füllt seinen Platz ganz aus«, und wenn die Erde sagt: »Nehmen Sie gefälligst Platz«, so ist das keine leere Redensart.

Das Wasser, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, behält keinen Toten, es wirft sie alle ans Ufer, die Erde behält auch keinen Toten, sie wirft sie alle ans Ufer. Wir sehen dieses Ufer nur nicht, denn dieses Ufer ist jenseits; der Strand des Himmels ist das Ufer der Erde, und an den Toten, welche die Erde an jenes Ufer auswirft, übt der Himmel sein Standrecht, aber der Himmel läßt Gnade vor Standrecht ergehen.

Die Erde, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist die große Familiengruft der ganzen Menschheit, die Erde gibt dem Menschen wieder das Körnlein, das er in ihren Schoß gelegt hat, und sie sollte dem Himmel nicht wiedergeben die Menschen, die er in ihre Furchen gelegt?

Der Winter, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist die große, traurige, stille Woche der Erde, nach welcher der Frühling kommt, dieses große Oster- und Auferstehungsfest, dann stehen alle Berge wie Osterberge, und alle Wälder wie Osterwälder, und alle Blumen wie Osterflammen.

Man sagt: alles ist vergänglich auf Erden. Es ist nicht wahr, nichts ist vergänglich auf der Erde, nichts ist vergänglich in der Erde.

Zur Bürgschaft, daß kein Ding kann ganz vergehen,
Steht ewig da der große Schöpfungsdom,
Die Welten, die am Himmel hoch sich drehen,
Der tausend Sonnen nie versiegter Strom,
Der Erde Pfeiler, die auf nichts bestehen,
Und Mensch und Sonnenstäubchen und Atom,
Das Weltmeer und der Tau am Blättersaume,
Sie walten ewig fort im großen Raume.

Ja, der Gedanke selbst in seiner engen Wiege,
Den seine Schwester Vorsicht noch bewacht,
Der stille Wunsch, wie tief er auch noch liege
In unsres Herzens dunkler Dämmernacht,
Die leise Hoffnung, mit der Furcht im Kriege,
In tiefbewegter Brust kaum angefacht,
Und jeder Ahnung leiser Geisterschauer
Bekommen im Entstehen ew'ge Dauer,

Denn Thaten nicht nur, sondern auch Gedanken,
Noch nicht geboren aus des Denkens Schoß,
Sie fordert Gott vor seine Richterschranken;
Und Wünsche, kaum wie Schmetterlinge groß,
Und Hoffnungen, die, noch kaum gebildet, schwanken
Und sich dem Herzen zagend ringen los:
Sie alle müssen, ohne zu vergehen,
Der Ewigkeit zur ernsten Rede stehen.

Und schneller, als durch Luft die Strahlen glühen,
Entstehen die Gedanken in des Menschen Brust,
Und heller, als aus Feuer Funken sprühen,
Wird er der Flammenwünsche sich bewußt,
Und enger, als im Meer Korallen blühen,
Stehn in ihm Hoffnung, Zagen, Weh' und Lust,
Und tiefer, als die Erde ihre Toten,
Begräbt das Herz, was ihm das Herz geboten.

Und grad' im Frühling, wenn die Blumenhore
Die Krönungsmünzen auf die Erde streut,
Wenn jede Wolke wird zum Nebelflore,
Und jeder Nebelflor zum Strahlenkleid,
Wenn jeder Seufzer wird zum Wonnechore,
Wenn jeder enge Busen atmet weit,
Wenn durch die Schöpfung geht ein zweites: »Werde!
Legt man die meisten Menschen in die Erde.

Da legt die Erde, bunt von Blütenfarben,
Um ihren Sarg den großen Blumenkranz,
Sie ruft die Blumen, die im Winter starben,
Aus ihrer Gruft zum neuen Lebenstanz,
So lehrt sie schweigend, daß am Tag der Garben,
Am Tage, voll vom ew'gen Sonnenglanz,
Sie einem großen ew'gen Frühlingsleben
Die Toten wird wie Blumen wiedergeben!


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