Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Meine Leiden durch die Weibertreu von Weinsberg.

Ich hätte mein Lebtag nicht gedacht, daß mich die »Weiber von Weinsberg« je beunruhigen werden! Allein wenn ein Herz einmal vom Fatum bestimmt ist, durch Frauen zu leiden, so steht die letzte Gefallene aus dem Mägdekrieg auf, und die fromme Ährenleserin Ruth steigt aus ihrem Grabe, um uns zu peinigen.

Ich denke, der Mensch ist zu dem ewigen Umgang mit Frauen geboren, denn es heißt: »Der Mensch ist zum Leiden geboren!« Die Frauen sind also wie die Dichtkunst: man muß dazu geboren sein!

»Ein Kind, im Februar geboren«, – so heißt es in der »Karten- und Monatssibylle« – »hat ein unruhiges Geblüt, wird durch Frauenvolk viel erprobt, bekommt fünf Frauen und erreicht alles, was er wünscht, am Ende.« – Ich bin ein Kind, im Februar geboren, und wenn ich vier Frauen bekommen soll, so muß sich das Schicksal sehr tummeln; allein für das Glück, daß ich alles, was ich wünsche, am Ende erreiche, küss' ich der Frau Sibylle die Hand! Heißt das an meinem Ende, oder am Ende des Wunsches?

Aber daß ich durch »Frauenvolk« viel erprobt wurde, ist notorische, historische Wahrheit. Kommen jetzt sogar noch die Frauen von der »Weibertreu« zu Weinsberg und rütteln an dem eisernen Schlafrocke meines winterlichen Herzens!

Die Geschichte ist so:

Ich saß und dachte an gar nichts, und ob sich nicht ein gutes Lustspiel aus diesem Stoff machen ließe. Am allerwenigsten aber dachte ich an irgend eine Fabel oder an die »Weibertreu«. Da fällt mir ein Zeitungsblatt in die Hand, in welchem mitgeteilt wird, daß sich ein Frauenverein gebildet hat, um den Frauen für Weibertreu in Weinsberg ein Monument zu setzen; dabei stand noch eine Art Bemerkung: »Daß wir vielleicht einst mehrere strumpfstrickende Schriftstellerinnen in Stein ausgehauen und verewigt sehen werden.«

Ich, in meiner reinen, schuldlosen Seele, denke daran, daß es wirklich Verdienst ist, manche Schriftstellerinnen auszuhauen, ob nun in Stein ober Papier, das kommt darauf an, welches Material man eben hat, und in dieser patriarchalischen Einfalt meines Herzens nehme ich meinen teuren Kollegen, den Rotstift, den Generalredigierer und Herausgeber aller modernen Journale, – streiche diesem Artikel auf beiden Seiten die Wangen rot, ein rötlicher Fingerzeig an meinen Setzer, diesen Artikel, vermöge des magnetischen Rapports und redigierenden Handauflegens, von jener Zeitung in meine Zeitung überzuzaubern; und vermittelst dieser einfachen Vorrichtung, die vielfache Nachahmung findet, befand sich jener Artikel tags darauf im »Humoristen« Nr. 132, im »Bunterlei«, wo ich ihn mit Vergnügen selbst wieder als eine Neuigkeit las.

Ich glaubte nun der »Weibertreu« genug gethan zu haben. Ich dachte des schönen Augusttages, an welchem ich mit gar holden Schwäbinnen auf dem schönen Berge zu Weinsberg herumwandelte und den herrlichen Neckarkreis übersah, und meine Lippen flossen über von Weibertreu und Huldigungen, und wie die liebenswürdige K... aus Heilbronn selbst einen leisen Zweifel über die etwaige Möglichkeit einer solchen That in unserer Zeit aussprach, und dachte so fort da – da – da –

Da bekam ich an einem schönen Morgen spät abends folgendes Schreiben von weiblicher Hand, mit dem Bemerken: »Zur Aufnahme im Humoristen.«

»Mein Herr Redakteur!

Es mag ein wahres Glück für die Geschichte gewesen sein, daß Sie in den Zeiten, Tagen und Augenblicken, als sich die Weiber von Weinsberg so treu bewährten, nicht in Weinsberg vermählt lebten; – fast fürchte ich, daß die Frauenvereine von Württemberg nun keinen Anlaß gehabt hätten, der Treue ein Monument zu bauen, – wenigstens würde den die Geißel der Satire über unser Geschlecht schonungslos Schwingenden keine für das Kostbarste angesehen haben. – Dies als kurze Erwiderung für die ungefällige Aufnahme der unser Geschlecht so sehr mißhandelnden Zeilen in Nr. 132 des »Humoristen«, Seite 528 des »Bunterlei«, und zwar um so mehr, da es Ihnen weder an Zartheit des Gefühls, noch an Unterscheidungskraft fehlt und Sie uns bald in den Himmel erheben, bald in den Staub werfen, je nachdem Ihre Laune die Handlungen Ihrer Geliebten beurteilt.

Eine für alle.«

Lieber Leser! Setze dich in meine Stellung und beurteile meine Lage! Mir das zu sagen!

Ich könnte, wenn ich nicht gar so zartfühlend wäre, die unbekannte Schreiberin sehr beschämen, wenn ich ihr aufrichtig gestehen wollte, daß ich eigentlich selbst einer der Männer war, welchen die Weinsberger Weiber aus der Festung trugen. Ich erinnere mich noch recht gut, es war eine liebe Frau, blaue Augen, blonde Haare, und ich saß recht gut auf ihren lieben, weichen, runden, alabasternen Schultern. Als sie mich zum Stadtthore hinaustrug, sagte sie: »Gib acht, lieber Moritz, daß du dir den Kopf nicht anstoßest!« worauf ich ihr erwiderte: »Sei ruhig, liebe Afra, du weißt, es muß alles nach deinem Kopfe gehen.« – Neben mir trug die Frau des Redakteurs der dazumaligen »Weinsberger Damen-Zeitung« ihren Mann auf dem Rücken; meine Frau fragte sie: »Wie geht's dir?« und sie antwortete, indem sie ihrem Manne nach dem Kopfe griff: »Schlimm, ich fühle gar keinen Kopf mehr!« Ich erzähle diese Details bloß deshalb, um meine ungenannte Eiferin von der Wahrheit meiner Aussage zu überzeugen.

Sehen Sie, meine wertgeschätzte Unbekannte, ich, der ich doch dabei gewesen bin, mir scheint noch immer, es war ein kleiner Mißgriff in der ganzen Sache; denn ich glaube mich erinnern zu können, daß mich nicht meine Frau, sondern die Frau meines Nachbars, des Weinsberger Lotto-Kollekteurs, auf die Schultern packte, und daß ich im Gedränge meine Frau sah, die den Lotto-Kollekteur aufgesteckt hatte. Sehen Sie, so ging's vielleicht mit allen! Allein ich will nichts gesagt haben! Irren ist menschlich! O, meine teure Unbekannte, ich könnte Ihnen noch einige Züge aus jener Geschichte mitteilen, die ich als Augenzeuge mit ansah. Nur eins wissen Sie; hören Sie! – Ich saß gerade beim »güldenen Spätzle« in der »Sulmgasse«, es war 1140 um 3 Uhr Nachmittag.

Dazumal reiste Theophrastus Paracelsus gerade durch unsere Stadt, mit dem Arkanum für die Weibertreu. Es bestand in einem einzigen großen Schlüssel, welcher eine zweifache Wirkung hervorbrachte: wenn die Frau außer dem Hause war und der Mann inwendig zusperrte, so konnte er im Hause ruhig sein; wenn die Frau im Hause war und er auswendig zusperrte, so konnte er außer dem Hause ruhig sein. – Dieses einfache Mittel ist jetzt leider verloren gegangen. – Wir saßen also und tranken einen leichten Kannstätter. Da läßt Kaiser Konrad der Dritte in die Stadt hinein sagen: Er wolle die Weiber ausziehen lassen, aus der Stadt nämlich, und jede Frau dürfte ihr Teuerstes auf dem Rücken mitnehmen.

Ich hielt sogleich eine Anrede: »Teure Freunde! Lassen wir in Gottesnamen die Frauen aus der Stadt ziehen, dann sind wir ›freie Bürger und Herren dieses Bodens!‹ – Allein mein Patriotismus fand kein Gehör! Alles lief durcheinander; da sagte Paracelsus: »Wißt ihr was, nehmt jeder das letzte neue Kleid, den letzten modernen Hut von eurer Frau, laßt ihn um keinen Preis aus der Hand, und die Frauen müssen also, um ihr Teuerstes zu retten, euch selbst mittragen.«

Und dieses Rates Herrlichkeit entriß uns Konrads verfolgenden Dragonern!

Ein jeder Mann wickelte sich den kostbarsten Shawl, die Lieblingsgewänder seiner Frau um den Leib und ließ nicht von ihnen, und so mußten sich alle Frauen entschließen, die Männer selbst mitzutragen!

O, ich könnte noch Anekdoten von der »Weinsberger Weibertreu« erzählen, allein ich bin ein ruhiges Blut, ich lehne mich nie gegen alte Weltgeschichten und gegen alte Weltweiber auf, denn die haben die Zungen von Jahrhunderten für sich!

Die geistreiche Einsenderin möge also ersehen, daß ich, gottlob! nicht in Weinsberg zurückgeblieben bin.

Wenn ich gegen die Errichtung eines Monumentes für die »Weibertreu« bin, so geschieht das aus Achtung des weiblichen Geschlechtes, und ich werde schon wieder verkannt!

Wem setzt man ein Denkmal? Dem Außerordentlichen! dem ungeheuer Seltenen! Man setzt Schiller ein Denkmal, weil es keinen mehr gibt! Soll man der »Weibertreu« ein Denkmal setzen, weil es keine mehr gibt? Ist denn wirklich die Treue der Frauen so selten geworden, daß man einem Beispiel von Treue ein Monument setzen muß? – Diese Frage ist völliger Ernst! Es liegt in der Errichtung jenes Monumentes eine wahre Anklage, eine steinerne Verleumdung! Es ist erstaunlich, wie aus dem zarten Sinne zarter Frauen eine solche Idee hervorgehen kann!

Seit wann setzt man der Erfüllung einer Pflicht ein Denkmal? Seit wann wird einer That ein Denkmal errichtet, deren Unterlassung die Menschheit als eine Schändung ihres Götteradels zu betrachten ein Recht hat?

Am Ende wird man jedem Menschen, dem es aus besonderer Großmut beliebig sein wird, eines der zehn Gebote nicht zu übertreten, ein Denkmal setzen!

»Die Zeit ist aus ihren Fugen getreten; wehe mir, daß ich geboren bin, sie einzurichten!«

Fürchten Sie nichts, meine Unbekannte, ich kann die Zeit leider nicht einrichten, ich muß mich begnügen, sie bloß auszurichten. – Sie werden also aus dem Ganzen ersehen, daß ich im Scherze wohl gerne und oft das weibliche Geschlecht mit meiner Satire heimsuche, allein daß, wo es den geharnischten Ernst gilt, niemand mehr Achtung und Verehrung vor dem weiblichen Geschlechte hat, als eben ich. Und ich schmeichle mir, wenn wir heute einen Weinsberger Fall erlebten, Sie, ja Sie selbst würden mich huckepuck auf dem Rücken davon tragen und ausrufen: »Gottlob, ich hab' ihn im Rücken!«

Daß Sie mir sagen, ich schreibe gerade so, wie meine Laune die Handlungen meiner Geliebten beurteilt, ist hart; denn meine Geliebte ist nicht von der Handlung!

Sie unterzeichnen: »Eine für alle«, aber dennoch werde ich nie alle für eine vergöttern oder alle für eine verletzen.

Leben Sie wohl, und wenn Sie mir im Namen des ganzen Geschlechts wieder was zu sagen haben, so schreiben Sie:

Alle für einen.


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