Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Luft, Feuer, Wasser, Erde, oder: Die Vier Erdenelemente und noch ein Himmelstausendelement.

Ein Capriccio.

Die allgemeine Klage, daß es keinen einfachen Menschen auf der Welt gibt, ist sehr ungerecht; wie soll der Mensch einfach sein, wenn er aus vier Elementen zusammengesetzt ist? Jeder Mensch, als Mensch, ist also ein vierfacher Mensch, bloß als Unmensch kann er ein einfacher Unmensch sein.

Luft, Feuer, Wasser, Erde! Wie verkehrt geht der Mensch mit seinen Elementen um! Nur das, was er aus der Lust greift, betreibt er mit Feuer, was aber das Glück der Erde betrifft, das läßt er zu Wasser werden!

Die Erde ist aus dem Wasser entstanden, sie ist beim Wasser groß geworden, sie ist ein Wasserkind; ist's also ein Wunder, daß sie so gebrechlich, so hinfällig, so albern ist?

Die Erde ist eine Tochter des Wassers, der Mensch ist ein Sohn der Erde, der Mensch ist also ein Enkel des Wassers. Wie undankbar aber geht der Mensch mit seinem Großvater um, er stürzt sich nur dann in seine Arme, wenn er vom Leben keine Freude mehr hat! Nur die Schriftsteller und die Weinwirte sind dankbare Enkel, die Schriftsteller schreiben keine Zeile ohne ihren Großvater, und die Weinwirte gießen zu jeder Halbe Wein einen halben Großvater! Wie vielerlei Rollen spielt das Wasser bei den Menschen! Welch ein Unterschied zwischen einem Menschen, dem das Wasser in den Schuh läuft, und einem Menschen, dem das Wasser in den Mund läuft; zwischen einem Menschen, der Wasser in den Augen hat, und einem Menschen, der Wasser im Kopfe hat!

Als das Trockne sich aus dem Wasser losrang, heißt es in der Schöpfungsgeschichte, so nannte der Himmel das Trockne: »Erde«!

Es heißt ferner in der Schöpfungsgeschichte: »Es versammeln sich die Wasser an einem Orte, damit das Trockne sichtbar werde.« Wie ist es möglich, daß aus einer Versammlung von Wassern das Trockne sichtbar werde? Es müßte denn sein, man legt sich eine große Bibliothek an, wo durch eine Versammlung von Wassern das Trockne erst recht sichtbar wird!

Wie manchem Menschen macht der Himmel alles auf Erden so zu Wasser, daß er ins Wasser springen muß, um aufs Trockne zu kommen? Und würde nicht gerade jenem Menschen, der stets mit der trocknen Wahrheit umginge, das Wasser bis an den Hals gehen?

Wasser im Kopfe zu haben, ist gar nicht so übel; wer Wasser im Kopfe hat, braucht keine Theaterstücke aus dem Französischen zu übersetzen, denn Wasser ist ein Urstoff, und wer selbst einen Stoff im Kopfe hat, warum wird der übersetzen?

Jeder Mensch besteht aus vier Elementen, die Übersetzer allein haben fünf Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde und den Diktionär, der ist ihr Element!

Es geht mit den Elementen wie mit dem Schicksal; vorzeiten hatten alle ein Schicksal, jetzt hat jede Köchin ihr eigenes Privatschicksal; früher hatten alle Menschen dieselben Elemente, jetzt hat jeder Mensch sein besonderes Privatelement. Jeder sagt, das ist mein Element, jeder erfindet ein neues Element und nimmt gar ein Patent darauf, und es gibt nur ein Element, welches Gemeingut ist: das Dreischockschwerenotelement!

Der eine sagt: »Das Geld, das ist mein Element!« Auch kein übles Element! Das Geld ist eine Wissenschaft, bei der es sich hauptsächlich darum handelt, daß man nur die ersten Elemente recht inne hat und festhält!

Bei dieser Wissenschaft handelt es sich um die ersten Anfangsgründe, um die Leseregeln; wer die einzelnen Kreuzer nicht recht zusammenbuchstabiert, wird nie ein großer Geldgelehrter werden.

Es gibt eine einzige Weltsprache: das Geld! eine unaussprechlich schöne Sprache! – Die Sprache im allgemeinen ist eine Eigenschaft des Menschen, wodurch er seinen Geist mitteilt, das Geld aber ist der Geist des Menschen, von dessen Eigenschaft er gar nichts mitteilt.

Das Wort »Sack« ist fast in allen Sprachen gleichlautend, und das, weil man das Geld im Sacke hat und Geld in allen Sprachen denselben Klang hat.

Die Sprache hat einen großen, schönen Reim gemacht: Welt – Geld, die ganze Welt reimt sich auf Geld, das ist ein alter Naturreim der menschlichen Natur.

Es gibt aber eine große Welt, eine kleine Welt, es gibt großes Geld und kleines Geld, die große Welt reimt sich nur auf großes Geld, die kleine Welt reimt sich auch auf kleines Geld.

Warum geschieht so wenig Wohlthätiges in der Welt? Weil die große Welt nie kleines Geld, und die kleine Welt nie großes Geld hat.

Geld und Welt! Wie verschieden und wie gleichlautend wieder. Wer viel Welt gesehen, von dem sagt man, er besitzt viel Welt, er ist ein Weltmann; wer viel Geld gesehen hat, ist aber deshalb noch kein Geldmann!

Beim großen Geld gibt man bare Münze für den Schein, bei der großen Welt gibt man Schein für bare Münze. Das kleine Geld kursiert, und das große Geld ist im Kasten und in der Erde begraben; bei der Welt ist's leider verkehrt, die große Welt kursiert; die kleine Welt ist begraben.

Als das Papiergeld entstand, entstand auch sogleich die Papierwelt.

Es gibt eine große Papierwelt, eine Medianpapierwelt, eine ordinäre Papierwelt, eine Löschpapierwelt und eine Makulaturpapierwelt; am verbreitetsten aber ist die Papp- und geleimte Papierwelt, das ist jene Papierwelt, die sich nur dadurch hält, daß sie da leimt, dort leimt, hier aufpappt und dort zupappt. Das Schlimmste ist bei dieser Papierwelt nicht das, daß sie fließt, sondern daß sie durchschlägt; leider ist bei bloßem Papier, welches durchschlägt, auf der andern Seite etwas zu sehen, was aber die Papierwelt durchschlägt, davon ist auf gar keiner Seite mehr was zu sehen!

Man sieht also, daß Geld ein Element ist, welches die andern vier Elemente in sich vereint. Denn die Elemente sind bloß die Form, unter welcher die Materie erscheint; da aber Geld jetzt die einzige Form ist, in welcher man als Materie erscheinen kann, so hat der, welcher sagt: »Geld, das ist mein Element!« die Materie förmlich erschöpft!

Der andere sagt: »Die Liebe, die Frauen sind mein Element!« Ein angenehmes, aber ein gefährliches Element!

Zum Verlauf einer regelmäßigen Liebe braucht man alle vier Elemente: Luft, Feuer, Wasser und Erde.

Bevor sie uns erhört, möchten wir in die Luft fahren, wenn sie uns erhört hat, möchten wir durch Feuer und Wasser für sie gehen, und wenn sie uns geheiratet hat, möchten wir uns in die Erde legen.

Wir haben Liebhaber aus drei Elementen: wir haben feurige Liebhaber, luftige Liebhaber, wässerige Liebhaber, aber wir haben keine erdigen Liebhaber, weil es auf Erden gar keinen wahren Liebhaber gibt. Bloß auf der Börse gibt es noch Liebhaber; man kann deshalb als eine große Wahrheit annehmen, alle unsere Liebhaber spekulieren entweder auf der Börse oder auf die Börse. Die Börseliebhaber und die Mädchenliebhaber unterscheiden sich in manchen Dingen. Die Börseliebhaber lassen erst zurückgehen und bleiben dann aus, die Mädchenliebhaber bleiben erst aus und lassen dann zurückgehen.

Ein Mädchenliebhaber ist wie ein kurzer Atem, wenn er einmal ausgeblieben ist, so kommt er nicht wieder; ein Börseliebhaber ist wie das viertägige Fieber, wenn man auch glaubt, er ist ausgeblieben, am dritten Tage kommt er wieder, es beutelt ihn ein bißchen, damit ist's aus.

Man sagt: die Liebe ist eine Himmelsleiter; es ist möglich, aber dann ist die Ehe auch eine Himmelsleiter; auf der einen Leiter steigt man zum Himmel hinauf, auf der andern steigt man vom Himmel herunter.

Die Liebe ist eine Himmelsblume; jawohl, darum ist sie eine fremde, eine exotische Blume und wird auf Erden nur durch künstliche Wärme getrieben.

Die erste Liebe ist der einzige Schlüssel zum weiblichen Herzen, aber es gibt viele Nachschlüssel und falsche Schlüssel dazu. Die Frauenzimmer wissen gar nicht, welche große Unvorsichtigkeit sie begehen, wenn sie sagen: das ist meine erste Liebe! In der Schöpfungsgeschichte heißt es: »Und es ward Abend und es ward Morgen, ein Tag!« und nicht »der erste Tag«, denn wo noch kein Zweites ist, kann kein Erstes sein. Wenn also ein Mädchen sagt: das ist meine erste Liebe, so muß schon im Geiste eine zweite daneben laufen. Die erste Liebe ist wie der erste Schnee, er bleibt gewöhnlich nicht lange liegen; wenn er auch nicht weggeschaufelt wird, so geht er von selbst weg. Überhaupt trägt die erste Liebe im weiblichen Herzen entweder Tanzschuh oder Schlittschuh, das heißt, sie folgt gewöhnlich denen, die sie zum Tanze oder aufs Eis führen, und nie denen, die sie nach Haus führen.

Die Liebe ist der Schlüssel zum weiblichen Herzen, aber der Geliebte vergißt oft, das Herz hinter sich zuzuschließen, und so bleibt es dann für jedermann offen.

Die Liebe ist der Schlüssel zum weiblichen Herzen, aber ein Schlüssel paßt eben nur zu der oder jener Thür; die Eitelkeit ist der Dietrich zum weiblichen Herzen, sie schließt alle Herzen auf.

Ein weibliches Herz ist darum leicht zu erschließen, weil es bloß von der Konvenienz, von außen verschlossen ist. Die Männerherzen aber werden vom Egoismus verschlossen. Der Egoismus aber wohnt inwendig und schiebt von innen große eiserne Riegel vor, und kein Schlüssel erschließt das egoistische Herz der Männer. Die Männer schließen ihr Herz nur darum so sorgfältig zu, damit niemand sehe, daß nichts darinnen ist.

Das Herz der Männer ist wie ein guter Keller, in ihrem Frühling und in ihrem Sommer ist es kalt darin, und in ihrem Herbst ist es lau. In einem weiblichen Herzen steht in der Mitte ein kleiner Toilettetisch mit Spiegel, und davor sitzt zuerst die Selbstliebe und sieht sich wohlgefällig an. An der Wand stehen einige gepolsterte Sessel, da klopft es an, und herein treten verschiedene Herzensfreundinnen, die Gefallsucht, die Eitelkeit, die Koketterie, die Flatterhaftigkeit u. s. w., und nehmen alle Plätze ein; endlich kommt die Liebe mit zagendem Schritt, mit gesenktem Auge, mit lieblichem Antlitz, mit klopfendem Herzen, um den Mund ein Lächeln der Wehmut, in den Augen eine Thräne der Sehnsucht, auf der Stirne den Ernst der Ewigkeit und auf den Wangen die Visitkarte der süßesten Empfindung, das Erröten, und die geschämige Liebe bleibt schüchtern an der Thür stehen, und Gefallsucht und Koketterie und Eitelkeit und Flatterhaftigkeit springen von ihren Sesseln auf und wollen sie umarmen und die rosigen Lippen ihr küssen, allein die Liebe lispelt: »Ich will allein mit dir sein!« Da entfliehen Gefallsucht, Koketterie, Eitelkeit und Flatterhaftigkeit vor der Gegenwart der rosigen Liebe, und die Liebe spricht zur Selbstliebe: »Du bist die Selbstliebe, ich bin die Liebe selbst. Ziehst du dein Selbst der Liebe vor, dann kann Liebe nicht bei dir verweilen!« Da verläßt die Selbstsucht im weiblichen Herzen ihr Selbst, umfaßt die Liebe und wird mit ihr eins und füllt ihr ganzes Herz aus!

Im männlichen Herzen hingegen steht vor allem ein großer, breiter Diwan, und darauf wälzt sich bequem der Egoismus herum, auf den plumpen Lehnstühlen ringsherum liegen mehr, als sitzen: die rohe Begier, der entartete Unglaube an alle weibliche Tugend u. s. w., da kommt die Liebe herein, niemand steht von seinem Platze auf, um ihn der Liebe anzubieten. Die rohe Begier will sie täppisch anfassen, die Trunksucht will sie berauschen, die Reitsucht will sie wie ein Pferd dressieren etc., da schaudert die Liebe zusammen, ihr Wesen empört sich, sie entflieht auf ewig und bringt ihren Schwestern: Scham, Tugend, Sitte und Grazie, die Nachricht, daß in dem Herzen, wo für Liebe nicht Platz ist, auch für sie schwerlich sich ein Plätzchen finden lasse.

Darum ist die Liebe weiblichen Geschlechts und das eigentliche Element der Frauen.

Es gibt andere Leute, welche sagen: »Der Witz ist mein Element!« Auch kein übles Element! Das Element Witz hat großes Elementarunglück angerichtet. Mit dem Element Witz ist's wie mit dem Element Wasser. Wassernot ist so gut zu viel Wasser, als zu wenig Wasser, und Witznot ist ein Unglück sowohl durch zu viel Witz, als durch zu wenig Witz. – Es gibt so viele Gattungen Witze als Wasser: Brunnenwitze, süße Witze, Flußwitze und Mineralwitze. Es gibt Leute, welche die Witzkur machen, wie man Wasserkuren macht; sie nehmen zum Beispiel einen lahmen Gichtkranken und gießen ihm so viel und so lange ihre Witze ein, bis er frisch und rasch aufspringt und davonläuft!

Der menschliche Geist hat viele Werkzeuge in seiner Werkstatt. Der Verstand ist der Bohrer, der bohrt seinen Gegenstand an; die Klugheit ist der Hammer, der trifft den Nagel auf den Kopf; der Scharfsinn ist der Pfropfenzieher, er bringt alles auf gewundenem Wege heraus; die praktische Vernunft ist das Stemmeisen, wenn sie sich anstemmt, bringt sie alles zuwege; der Witz ist die Zange, der seinen Gegenstand von verschiedenen Seiten so lange beim Schopf faßt, bis er selbst beim Schopf genommen wird.

Der Witz läßt nichts gelten, er fragt den Geist und das Herz: was ist dein? und entreißt es ihnen! Auch darin gleicht das Witzelement den andern vier Elementen, denn alle vier Elemente fragen mit Hohn und Spott den Menschen:

»Was ist dein?«

Dieser Jahrhunderte alte Turm? Ich Erde schüttle mich, und er ist hin! Was ist dein? Dieser große Palast? Ich Feuer umarme ihn, und er ist dahin! Was ist dein? Dieser Damm? diese kühn gewölbte Brücke? Ich Wasser küsse sie, und sie sind dahin! Was ist dein? Diese Schiffe, diese Boote, diese Flotten? Ich Lust verschnaube mich, und sie sind dahin!

Das ist die große Elementarschule des Lebens, das ist der große Elementarunterricht des Schicksals! Nur aus der Elementarschule des Unglücks geht der Mensch über in die hohe Schule der Weisheit! Und nur in diesen Elementarschulen wird der Mensch weich gehämmert zur Dehnbarkeit für die lange Schulbank des Daseins.

Ja, nur unter den Hammerstreichen des schweren Schicksals erkennt man den Menschen, ob sein Wesen aus edlem oder gemeinem Metalle ist. Je gemeiner dieses Metall, desto lauter ächzt er unter diesen Hammerschlägen; je edler, je goldhaltiger sein Wesen, desto leiser und sanfter sind seine kaum hörbaren Seufzer unter den Hammerschlägen!


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