Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Taschengedanken- und Gedankentaschenspielerei.

Die Kunst, zu leben, ist nichts als die Kunst der Taschenspielerei: die Kunst, aus andern Taschen in seine zu spielen; die Kunst, die Leute in den Sack und ihr Geld in die Tasche zu stecken.

Die Taschen des Menschen sind seine Laster. Bei den Spartanern wurde nichts gestohlen, und warum? Weil sie keine Taschen in ihren Kleidern hatten. Wenn die Spartaner, wie wir, zwei Westentaschen, zwei Hosentaschen, drei Fracktaschen und fünf Oberrocktaschen gehabt hatten, sie hätten auch mehr gestohlen. Eine jede Tasche ist ein genähtes Fragezeichen an den Schneider: »Wozu hast du mich gemacht?« ein Ausrufungszeichen an den Besitzer: »Ach Gott!« und ein großer Gedankenstrich an das Schicksal, welcher sagt: »Das übrige kannst du dir denken!« Eine jede leere Tasche ist nichts als das zueignende Fürwort: »Mein« mit Leinwand überzogen, und jede volle Tasche ist nichts als ein großes Bewußtsein in Taschenformat!

Mit den meisten Taschen ist es wie mit dem Mond, sie sind alle Monat einmal voll, einmal leer, und wenn gar kein Geld, keine Münze und kein Schein in der Tasche ist, das sind die Mondfinsternisse, aber die sichtbaren!

Mit den vielen Taschen geht's uns jetzt wie mit den vielen Wörterbüchern: je mehr wir haben, desto weniger finden wir den Artikel drin, den wir eigentlich suchen. Ein Mensch mit allen seinen Taschen jetzt ist wie das Konversations-Lexikon. Sucht man das Geld in der Westentasche, sagt sie: siehe »Brusttasche«, kommt man zur Brusttasche, sagt sie: siehe »Brieftasche«, kommt man zur Brieftasche, so heißt's: »ein Weiteres über diesen Gegenstand schlage man im Münzwesen nach!« Wir haben alle Hände voll zu thun, um die leeren Taschen auszufüllen, mit den leeren Händen nämlich.

Warum trägt der reiche Mann seine Hand in der Tasche, und warum der arme Mann? Bei dem reichen Mann bittet das Geld in der Tasche, es nicht hinauszustoßen in die Welt unter Arme und Hilflose, und da gibt der reiche Mann gerne die Hand darauf; – bei dem armen Mann bittet das kein Geld um Verschwiegenheit, und der arme Mann ist so gut und hält's unter der Hand!

Es ist eine homöopathische Kur, wenn man einer leeren Tasche eine leere Hand einzunehmen gibt.

Aber in den Taschen selbst, welch ein Unterschied, welche Abstufungen von der Brusttasche bis zur Patrontasche, von der Uhrtasche bis zur Maultasche!

Die Brusttasche trägt der Mensch auf der linken Seite, gerade über dem Herzen! Wenn nur die Tasche auf der Brust recht voll ist, so darf die Brust unter der Tasche recht leer sein, man darf doch von der Brust weg reden; das ist dann ein leichtes Leben, wenn einem da so recht schwer auf der Brust ist! In der Brusttasche ist's gerade wie in der Brust selbst! Wie vielen Menschen liegt das Herz mehr in der Brusttasche als in der Brust selbst; man könnte sagen, das Herz ist ihnen aus der Brust in die Tasche gefallen. Das Geld wohnt in ebenso verschiedenen Weisen in der Tasche des Menschen, als die Gefühle in der Brust der Menschen.

Bei manchen Menschen zum Beispiel steht die Liebe als Schildwache in der Brust und wartet sehnlichst auf Ablösung, bei andern liegt sie als feste Garnison, und bei noch andern steckt sie bloß als Baugefangene in den tiefsten Kasematten; so ist es auch mit dem Geld in der Brusttasche: bei manchen Menschen ist's als Taschenspielstück da, sie sind Künstler darin, das Geld schnell verschwinden zu lassen, und bei andern ist es bloß lebenslänglicher Arrestant! In der Brust des Menschen, der sein Herz in der Brusttasche hat, liegt eine große Vorliebe zu Bruststücken, aber sie müssen von gekrönten Häuptern und auf Metall geprägt sein! Der Mensch liebt den Menschen überhaupt mehr als Bruststück, denn in Lebensgröße; drum wenn die Männer ein weibliches Herz gewinnen wollen, so machen sie sich selbst zu Bruststücken, indem sie niederknien und so die Füße einziehen. Die Frauenzimmer glauben dann, sie hätten gar keine Füße und könnten ihnen nicht davonlaufen. Allein die Männer knien bloß deshalb lange, um dann ausgeruhte Füße zum Davonlaufen zu haben.

Das erste, was die Frauenzimmer wissen, ist, wie schön sie sind; das erste, was sie lernen, wie stark sie sind; das erste, was sie erfahren, wie schwach sie sind; das erste, woran sie vergessen, wie alt sie sind, und das erste, worauf sie sich wieder erinnern, ist, daß sie das vergessen haben!

Und doch wohnen alle edlern, sanftem Gefühle nur im Frauenherzen; bei den Frauen ist die Liebe die Ruhe des Herzens, bei den Männern die Robot des Herzens! Die männliche Wange wird nur rot durch das Wort, die weibliche schon durch den Gedanken! Die Frau sucht in der Liebe nach Worten für ihre Empfindung, der Mann sucht nach Empfindungen für seine Worte; die Frau besitzt ihr Herz bloß einmal, und der Mann bekommt das Original. Jeder Mann hingegen betrachtet sein Herz wie ein Memorial, er hat stets ein Duplikat davon vorrätig. Selbst der Sturm des Hasses zerstört nur Männerherzen, so wie jeder Sturm bloß in Wäldern Verheerungen anrichtet, nie aber in Blumen, Wenn der Mann seine Frau nicht liebt, so mißhandelt er ihren Kanarienvogel; wenn aber die Frau den Mann noch so sehr haßt, so kann sie es doch nicht verschmerzen, wenn er den Kaffee kalt werden läßt.

Überhaupt ist der Rückschritt von Zorn und Haß sowie von jeder Verstimmung des Herzens zur reinen Stimmung bloß bei den Frauen leicht, nicht aber bei den Männern, so wie eine Flöte leicht zu stimmen ist, aber eine Pauke schwer.

Betrachten wir den Umstand, wie viele Taschen ein Mann in jede Gesellschaft mitbringt, und daß die Frauen keine mitbringen, so sind in der Konversation, so zu sagen, die Männer schon vom Schneider angewiesen, mehr einzustecken als die Frauen.

Welches war in der Welt die erste Tasche? Gewiß die Plaudertasche; denn diese Tasche existierte schon im Paradiese, also noch bevor es gar Kleider gegeben hat. Hätte Eva mit der Schlange nicht geplaudert, hätte ihr die Schlange keinen Apfel geboten, und wir wären noch alle im Paradiese.

Die Plaudertaschen und die Posttaschen haben durch nichts so verloren als durch die Eisenbahnen; wenn man früher mit so einer Plaudertasche von Wien nach Brünn reiste, hatte sie Zeit und Muße genug, uns ihre ganze Lebensgeschichte zu erzählen; jetzt, auf der Eisenbahn, kommt sie kaum dazu, uns von ihren Kinderjahren zu erzählen!

Man sagt, das Leben ist eine Reise; jawohl, früher lebte und reiste man lange, jetzt reist und lebt man schnell. Es wäre recht gut, wenn das Leben eine Reise wäre, aber jede Frau müßte eine Postmeisterin sein, denn dann wohnten sie alle eine Station auseinander, und dann wäre Ruh' im Leben. Es gibt Menschen, die bloß Postillons sind, sie gehen nie einen Schritt weiter als die zwei oder drei Meilen, die sie zu machen gewohnt sind; dann gehen sie immer wieder zurück und blasen immer wieder dasselbe Stück! Jeder Mensch ist sein ganzes Leben lang ein Postillon; er führt sich selbst von einer Station zur andern, von einer Liebe zur andern, von einem Wunsch zum andern, von einer Hoffnung zur andern; er fährt immer voll aus und reitet immer leer zurück! Er verspricht sich selbst ein Trinkgeld und sagt zu sich: »Schwager, fahr gut!« Auf der Station vertrinkt er's und bringt nichts mit zurück!


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