Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Naturkraft, Jugendkraft, Willenskraft, Geisteskraft, Liebeskraft, Glaubenskraft, Geldeskraft, Schnellkraft, Spannkraft, Federkraft, Maschinenkraft, Menschenkraft, Pferdekraft, Wasserkraft, Dampfkraft, oder: Wieviel außerordentliche Kräfte bedarf jetzt der Mensch, um ganz gewiß stecken zu bleiben?

Durch diese meine Vorlesung, meine höchstgeehrten Hörer und Hörerinnen, werden Ihnen bald einige dieser genannten Kräfte klar werden. An der gespannten Erwartung, die Sie hieher zog, lernen Sie die Anziehungskraft und Spannkraft; wenn ich Sie nun um diese Erwartung schnellte, so lernen Sie auch die Schnellkraft, und indem ich meine Vorlesung beginne, erkennen Sie auch die ungeheure Dampf- und Wasserkraft! Diese Wasserkraft entspringt wieder aus meiner Federkraft, kraft welcher ich aus meiner Feder mit aller Pferdekraft nichts hervorbringe als Willenskraft anstatt Geisteskraft.

Wenn nun diese Vorlesung trotz allen Dampf- und Wasserkräften dennoch stecken bleiben sollte, so ist es gut, daß Sie, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, eben durch diese Vorlesung doch wenigstens im Trocknen sind!

Der Mensch, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat nie so viel Schwächen entwickelt, als seitdem er so viele Kräfte erfunden hat! Und man kann von der neuesten Zeit sagen, daß sie alle ihre Kräfte dazu braucht, um alle ihre Schwächen zu Kraft zu bringen. Wir haben so viele Kunstkräfte, daß alle unsere Naturforscher aus Mangel an Naturkraft sich bloß um die Verdauungskraft bekümmern!

Naturkraft und Menschenkraft! Da jeder Mensch eine andere Natur hat, so braucht die Natur für jeden eine andere Naturkraft, und da manche ihre Natur alle Tage zehnmal ändern, so muß die Natur alle Tage zehn Kräfte für sie in Bereitschaft halten. Wie hoch aber die Naturkraft über der Menschenkraft steht, beweisen die Prozesse. Wie wenig Menschen erleben das Ende ihrer Prozesse, die Natur aber überlebt alle Naturprozesse! Zum Beispiel der Prozeß von Alkohol mit Kalk, die Natur beendigt ihn in einem Augenblick. Wenn Alkohol und Kalk Menschen wären, so würde Alkohol einen Advokaten haben und Kalk auch einen Advokaten, beide, Alkohol und Kalk, würden sich chemisch nicht nur ganz zersetzen, sondern versetzen und auflösen.

Die Kunstkraft ruft Advokaten um Hilfe in der Not an, die Naturkraft ruft in der Not die Ärzte an. So ein wirklicher Prozeß ist ganz wie ein Natur- oder chemischer Prozeß. Bei einem chemischen Prozesse heißen die Operationen: Auflösung, Niederschlagung, Verdampfung, schmelzen, sublimieren; das ist ganz wie bei den wirklichen Prozessen, während die Advokaten sublimieren, lösen sich die Gegenstände auf, die Parteien werden niedergeschlagen, die Kosten verdampfen, und das Kapital schmilzt! Eine jede Krankheit ist auch ein Prozeß, in welcher sich Krankheit und Gesundheit um den Patienten streiten, die Ärzte sind die Advokaten, die der Patient als Kläger gegen die Krankheit als Geklagte zu Hilfe ruft; allein sie irren sich oft in der Partei und wirken für die Beklagte; die Rezepte sind die Akten, in der Apotheke sitzt der Revisor, die Arzneimittel sind die Rechtsmittel, und der Tod ist die letzte Instanz. Der Unterschied ist nur der, viele Advokaten machen einen langen Prozeß! viele Ärzte machen einen kurzen Prozeß! Das Spiel der Advokaten ist ein Schachspiel, je geschickter die Advokaten, desto länger dauert die Partie; das Spiel der Ärzte ist ein Billardspiel, je geschickter die Ärzte, desto kürzer wird die Partie, denn sie schneiden und machen alle in das große Eckloch der Erde.

Die ganze Größe der Naturkraft entwickelt sich in unsern Naturdichtern; zu denen braucht man eine Roßkraft und eine starke Natur. Was ist der Unterschied zwischen einem wahren Dichter und einem Naturdichter? Ein Naturdichter besitzt ein Gesangsleben ohne Kunstmittel, und der echte Dichter besitzt die Gesangskunst ohne Lebensmittel.

Naturkraft ist gewöhnlich bei Jugendkraft; allein auch hierin, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sind wir jetzt verkehrt: früher hatte man Jugendkraft und Altersschwäche, jetzt sind unsere Jünglinge so hinfällig und unsere Greise thun so baumstark, daß man sagen muß: Jugendschwäche und Alterskraft. Gewiß ist es, daß mehr Menschen an Jugendschwäche als an Altersschwäche sterben.

Aber, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, man braucht auch im Alter mehr Kraft als in der Jugend, so wie man am Ende der Tafel einen gesunderen Magen braucht als am Anfange, so wie man am Abend mehr Stärkung braucht als am Morgen, so wie man zum Schluß des Briefes mehr Energie als zum Beginne braucht, so wie die Krokodile im Alter immer stärker werden, weil sie immer mehr Feinde bekommen, denn im Alter verläßt uns ein süßer Jugendfreund: der Schlaf, und im Alter verlassen uns die Gespielen und Märchenerzähler unserer Jugend: die Träume, die Feenstücke und Divertissements zwischen den ersten Stücken des Daseins! Die Träume, diese Nachtschmetterlinge um die schlummernde Blume der Phantasie, das sind die einzigen hängenden Gärten in der Wüstenei des Schlafes. Das müßte ein entsetzlicher Mensch sein, dessen Auge keine Thräne, dessen Mund kein Lächeln, dessen Herz keine Schwäche und dessen Schlaf keinen Traum mehr hat. Die Träume sind die Unterscheidungszeichen, um das Bett von dem Grabe zu unterscheiden. Die Träume aber sind die Morgengabe der Jugend, der Jugend- und Einbildungskraft, sie sind die Eisblumen an den bunten Glasscheiben der Geistes- und Liebeskraft.

Niemand, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, schläft weniger und träumt mehr als die Dichter und Verliebten. Die Wege von der Prosa des Lebens zu der Poesie der Liebe gehen alle durch den Traum, die Träume sind die blumigen Schrittspuren, welche der Gang der göttlichen Liebe in unserem Herzen zurückließ, sie sind die Inventur der begrabenen Liebe, und sie nehmen alle hinterlassenen kleinen Andenken auf einmal aus dem Erinnerungs-Resonanzboden auf!

Dichter und Verliebte, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, träumen ganz anders als andere Menschen, denn die Ärzte sagen: Träume kommen aus dem Magen; bei Dichtern und Verliebten kommen Träume aber aus einem leeren Magen, die müssen also viel ätherischer und geistiger sein als die Träume aus einem vollen Magen. Wenn es aber Dichter und Verliebte gibt, die doch etwas schwerer träumen, so kommt es daher, weil diesen vielleicht die Dichtkunst und die Liebe selbst in dem Magen liegt, daß sie ihn doch voll haben! Das sind die vier Lagen der Liebe, zuerst liegt sie uns in den Gedanken, dann liegt sie uns im Herzen, dann liegt sie uns so lang im Magen, bis sie uns im Rücken liegt, das ist die Liebeskraft!

Liebeskraft, das ist ein schlechter Ausdruck, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, die Kraft der Liebe besteht ja darin, daß sie schwach ist; die Liebe ist wie das schöne Geschlecht, ihre Stärke liegt in ihrer Schwäche!

Liebe und Dichtkunst, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sind die Lichter, mit welchen der Mensch über das nächtlich finstere Lebensgebirg wandelt, an Abgründen und Teufelsbrücken vorbei; sie erhellen ihm den Weg und werfen einen wunderbaren Schein auf alle Höhen und Tiefen, der Himmel oben senkt sich herab, und die Tiefe unten steigt empor. Die Dichtkunst schreitet allein über diesen Lebensalp, mit unverbundenen Augen, mit sicherem Schritt, die Liebe aber muß immer einen Führer, ein Maultier oder Kamel mit haben, sie wird alle Augenblicke schwindelig, und in der Mitte des Wegs kehrt sie um und läßt ihr Kamel allein fortlaufen!

Die Liebeskraft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat eine mächtige Feindin und eine mächtige Gönnerin, eine mächtige Feindin an der Geisteskraft und eine mächtige Gönnerin an der Einbildungskraft. Der Geist sagt der Liebe, was an der Zeit ist, und die Phantasie auch; allein der Geist brummt es ihr zu wie eine Turmuhr, und die Phantasie zeigt es ihr in Farben an wie eine Blumenuhr! Die großen Geister, die Dichter, lieben im Buche und im Gedichte besser, stärker und inniger als im Leben; sie machen es wie mächtige Staaten, kleine Summen bestreiten sie mit barer Münze, große Summen in Papier. Die Liebessänger sind wie die Opernsänger, je besser sie singen, desto schlechter agieren sie. Überhaupt geht es mit der Liebe schon wie mit dem Lateinischen: sie ist eine tote Sprache, sie wird nur noch geschrieben, und selbst das Herz, diese Dechiffrierkammer der Liebe, ist in seiner Dechiffrier- und Rechenkunst schon ganz irre.

Früher, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat es in der Liebe eine Probe gegeben wie in der Rechnung; zum Beispiel bei der Addition der Liebe, wenn man Herz zu Herz addierte, war die Probe eine Subtraktion, man hat das Herz wieder abgezogen, um zu sehen, wie die Rechnung steht; jetzt ist die Probe bei einer solchen Addition nicht eine Subtraktion, sondern auch eine Addition, man addiert noch einige Herzen dazu und sieht dann, wie's zusammengeht!

Wir würden, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, eine große Einsicht in die eigentümliche Naturkraft und Natur der Frauen gewinnen, wenn wir wüßten, welches Blümchen die erste Frau im Paradiese zuerst pflückte, ob die zärtliche Rose, die unschuldige Lilie, die glühende Nelke, das schmachtende Vergißmeinnicht, das demütige Veilchen oder den kurmachenden Rittersporn! – So wie es überhaupt sehr interessant wäre, nähere Details von dem ersten Menschenpaar zu wissen, zum Beispiel, ob der erste Mann von dem ersten Bären hat brummen gelernt, oder der erste Bär vom ersten Mann? Wir würden auch Aufschlüsse über Adams Treue erhalten, wenn wir wüßten, ob Evas erstes Schoßhündchen »Fidel« oder »Fripon« hieß! So wäre ich auch neugierig, von diesem ersten Ehepaar zu wissen, ob er zuerst gefragt hat: »Wie spät ist schon?« oder sie: »Was ist draußen für Wetter?« Auch kann ich nicht begreifen, woher Adam, als er allen Tieren ihren Namen gab, und das geduldigste aller Tiere herankam, gewußt hat, daß das ein Esel ist? Der Affe ist gewiß der Apoll unter den Bestien; nun mußte es eine komische Szene gewesen sein, als der erste Mensch und der erste Affe sich zum erstenmal gesehen haben! Da hat der Mensch gewiß geglaubt, es hat ihn jemand ins Deutsche übersetzt, und gewiß war der erste Affe auch der erste Hausfreund!

Die Liebe der Frauenzimmer ist wie der Frühling, sie beginnt mit den mildesten Farben, mit den Schneeglöckchen, und hört oft, gerade wie der Frühling, bei den glühendsten Farben, bei den Nelken, auf. Die Herzen unserer Mädchen sind wie neue Holzgefäße, die erste Liebe, mit der sie erfüllt werden, tropft und sickert ganz durch, bis das Herz erst verschwellt und verquellt ist.

Wie unterscheidet sich aber die Liebe der Frauen so zart und innig von der Liebe der Männer!

Im weiblichen Herzen ist die Ahnung die Wahrsagerin der Liebe, im männlichen Herzen ist es die Eitelkeit! Beim Manne ist die Liebe das Epigramm des Herzens, bei der Frau die Lebensgeschichte des Herzens. Die Männer bewundern das, was sie lieben, die Frauen lieben das, was sie bewundern! Die Frauen besitzen die Verstellungskunst, die Männer die Verstellungsnatur, und in dieser Hinsicht ist jede Liebschaft eine Wiederholung des Lustspiels: »Kunst und Natur«! Die Geliebte ist wie ein edler Baum, im Frühlinge der Liebe bringt sie ihm die Blüte des Herzens und im Liebesherbst die volle reife Herzensfrucht; der Liebhaber aber ist wie die Sonne, im Frühlinge der Liebe kommt er alle Tage früher, im Herbste der Liebe kommt er alle Tage später! Die Frauen lieben wie sie spazieren gehen, bloß um spazieren zu gehen, um des Reizes des Spazierengehens allein wegen. Männer lieben auch wie sie spazieren gehen, denn die Männer gehen nur aus zwei Gründen spazieren, entweder um Appetit zum Essen zu bekommen, oder um das Gegessene zu verdauen, so lieben sie auch entweder um zu einer Heirat zu kommen, oder um die Heirat zu verdauen! Bei den Frauen ist die Ehe nichts als die Fortsetzung der Liebe, aber anstatt in fliegenden Blättern in Seide geheftet und zusammengebunden; bei dem Manne ist die Ehe nichts als eine wohlfeilere und ordinärere Ausgabe der Liebe, auf Fließpapier, ohne illuminierte Bilder, mit eisernen Spangen! Die Herzen der Männer sind wie Folianten, je größer sie scheinen, desto weniger steht drinnen, lauter breite, leere Prachtränder; die kleinsten Weiberherzen hingegen sind wie die niedlichen Sedezbüchlein, so klein sie scheinen, so viel Seiten haben sie und sind auf allen Seiten bis an den Rand voll gedruckt.

Die Liebe, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist die Wendeltreppe von der Erde in den Himmel, aber der Glaube ist das Geländer an dieser Wendeltreppe, ohne Glaubenskraft stürzt man gar zu bald aus seinem Liebeshimmel herunter!

Die Glaubenskraft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist die einzige echte Himmelskraft, die dem gebrechlichen Leben mitgegeben wurde.

Der Geist, die Vernunft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sind die hölzernen Wegweiser in den Himmel, sie zeigen hin, aber sie gehen nicht mit; die Liebe ist der Geleitsschein auf den Weg in den Himmel, die Tugend ist die Thorschließerin am Himmel, aber keiner von allen diesen tritt mit in den Audienzsaal des Himmels, als der Glaube, der das Kreditiv des Menschen an dem Throne Gottes selbst überreicht. Neben jeder Kapelle des Herzens ist eine kleine Hölle aufgebaut, neben dem Wissen der Zweifel, neben der Liebe die Eifersucht, neben der Tugend der Zorn über das Laster, neben dem Glück der Neid, neben der Hoffnung die Furcht, neben dem Verstand der Irrsinn, nur neben dem Glauben steht kein böser Dämon, nur der Glaube wirft weder einen Schatten vor, noch hinter sich, weil seine Sonne gerade über seinem Haupte am Himmel steht!

Wenn das Herz hier auf Erden alle seine Güter verloren hat, so ist der Glaube der redliche Finder, der sie im Himmel alle wiederfindet und wiederbringt! Der Glaube ist unser Sonnenschirm im Brennpunkte des Glückes, unser Regenschirm in dem Gewölke des Unglücks, unser Jagdschirm auf der wilden Jagd der Leidenschaften, unser Lichtschirm vor den Strahlen der Verblendung, unser Feuerschirm vor der Glut der Verzweiflung und unser Fallschirm an dem Luftballon hochfliegender Hoffnungen. Die Liebe bekommt in der Wiege schon den Totenschein, der Glaube erhält im Sarge erst den Geburtsschein! Die Glaubenskraft ist die einzige Kraft, mit welcher wir gewiß ans Ziel der irdischen Eisenbahn anlangen, wenn uns auch alle andern Kräfte, als: Liebeskraft, Jugendkraft, Geldeskraft, Geisteskraft u. s. w., stecken lassen!

Geldeskraft! auch keine üble Kraft, man wird schon schwach, wenn man diese Kraft nur hört! Im weitern Sinne der Naturlehre nimmt man an, daß jede Kraft geistig ist, das heißt unsichtbar. Insoferne ist nun auch die Geldeskraft zur Hälfte geistig, das heißt, das Geld bleibt unsichtbar, aber seine Kraft ist sichtbar.

Mit dem Geld, da hat mich das Konversations-Lexikon schön erwischt; ich schlage nach: »Geld«, »Geldsorten«, und da sagt mir das Konversations-Lexikon: »suche Geldmangel«. Nun findet sich der Geldmangel ungesucht! Den Artikel hat gewiß ein Dichter geschrieben, bei dem wirklichen Geld spricht er von einem »idealen Umlauf«! und beim Geldmangel spricht er, er entspringe aus der Moral! aus »moralischen Gründen«! Nun gibt es beim Geld nur einen idealen Umlauf, wenn man nämlich um Geld herumläuft und keine Idee hat, woher nehmen! Der Geldmangel aber aus der Moral ist natürlich, denn überall, wo Geld eine Fabel ist, ist kein Geld die Moral dieser Fabel. Ich glaube aber, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, es entspringt nicht viel Geldmangel aus Moral aber es entspringt sehr viel Moral aus Geldmangel! Die Liebeskraft führt in dem Mädchenherzen nur die einfache Buchhalterei, die Geldeskraft die doppelte. Auf der Seite des Mädchens ist das Soll, auf der Seite des Mannes das Haben. Die Mädchen lieben den, der ihnen nachgeht, Thränen weint und seinen vollen Busen ausschüttet; aber sie heiraten den, welcher bei ihnen vorfährt, Demanten weint und seine Brusttasche ausschüttet. Amor ist blind, darum sieht er mit den Fingern, weil er stockblind ist, will er auch steinreich sein.

Es gibt kein Liebesgedicht, welches auf Mädchen mehr Eindruck macht als das Sonett oder Klinggedicht. Eine Herzbeutelerweiterung ist den Frauenzimmern nicht so gefährlich als eine Geldbeutelerweiterung!

Petrarca und Ernst Schulze haben es nicht gewußt, den rechten Klang in ihre Gedichte zu bringen. Wie wirkt zum Beispiel folgendes Gedicht:

Soll ich die Rose zu dir schicken,
Du Holde mit dem süßen Angesicht?
Die Rose könntest du zerpflücken,
Die Rose, nein, die Rose send' ich nicht!

Soll ich die Sterne zu dir senden,
Mit ihrem milden Liebeslicht?
Die Sterne könnten grell dich blenden,
Die Sterne, nein, die Steine send' ich nicht!

Soll ich das Lied nun zu dir schicken,
Das mit dem Klang der Seele spricht?
Es kann doch mein Empfinden nicht ausdrücken,
Das Lied, ach nein, das send' ich nicht!

Soll ich dir hunderttausend Gulden schicken,
Mit ihrem schönen, reinen Goldgewicht?
Ja, ich will dir hunderttausend Gulden schicken,
Allein, mein liebes Kind, ich hab' sie nicht!

Ein solches Gedicht ist gewiß sehr sentimental, allein was ist es gegen die trockene Quittung: »Für Herz und Hand des Fräuleins so und so zahle ich dato Hochzeitstag ein Nadelgeld von jährlich zehntausend Gulden.«

Die Geldeskraft, die bringt eine Morgengabe, die Geisteskraft aber und die Liebeskraft, die sagen nur stets, wenn die Frau eine Gabe begehrt: Morgen! Die Geldeskraft braucht eine Aussteuer, aber bei der Geisteskraft ist's mit der Steuer aus! Die Geldeskraft bringt eine Mitgift, die Geisteskraft bringt bloß Gift mit, die Geldeskraft setzt ein Nadelgeld aus, die Geisteskraft sitzt auf Nadeln, wenn man von Geld spricht.

Die Geldeskraft ist die Federkraft in der großen Weltenuhr. Ich meine nicht die Federkraft von Schriftstellerfedern. Die Federkraft ist jene Kraft der Dinge, vermöge welcher sie nach jedem Druck und Stoß ihre vorige Lage wieder einnehmen, und diese Federkraft ist namentlich den Schriftstellern eigen: wenn Gönner und Mäcene sie auch aus ihrer Lage reißen, sie fallen immer wieder in ihre Lage zurück, das ist die Elastizität des Geistes! Di Federkraft beweist sich auch als Liebeskraft, zum Beispiel ein Mann, welcher Straußfedern schenkt, ist liebenswürdiger – als einer, welcher Maraboutfedern schenkt. Am meisten Kraft besitzen die Gansfedern. Jede Feder hat eine sogenannte Seele in sich; darum, wenn unsere jungen Herren bei der Gans keine Seele finden, trösten sie sich mit der Seele, die sie mit ihren Federn bekommen. Die Feder gehört bei dem Mann in die Hand, bei der Frau auf den Kopf, bei dem Manne hinters Ohr, bei der Frau auf das Ohr.

Der Mensch, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sollte gar nie an einer Gans vorübergehen, ohne den Hut abzunehmen und zu sagen: »Ich empfehle mich Ihnen gehorsamst!« In jeder lebendigen Gans steckt eine große Autographensammlung, in jedem Gänseflügel steckt der nächste Zeitgeist, und eine gebratene Gans ist doch nichts als die Witwe von verschiedenen Schriftstellern!

Die Frauen haben jetzt mehr als je sich in der Federkraft versucht, sie schreiben fast alle, das schadet nichts, sie lassen's auch drucken, das schadet auch nichts, sie lassen sich auch rezensieren, das schadet auch nichts, aber sie lesen auch, was sie geschrieben haben, und da sie nur schreiben, was sie gelesen haben, so schadet's nichts, wenn sie wieder lesen, was sie geschrieben haben! Im Grunde, sagt man, ist es ungerecht, daß man gegen das Schriftstellern der Frauen so eifert. Es gibt so viele Frauen, die sich ihre Hauben selbst machen, andere, die sich ihre Kleider selbst machen, wieder andere, die sich ihre Chemisetten selbst machen, warum soll es nicht auch Frauen geben, die sich ihre Makulatur selbst machen?! Mit dieser Federkraft haben die Frauen mehr als Menschenkraft!

Menschenkraft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen! Man braucht zu den jetzigen Menschen unmenschliche Kraft! Der Mensch wird von lauter Schwachheiten großgezogen! Wie an einem einzigen Druckfehler vier Menschen arbeiten müssen: der Schriftsteller, der Abschreiber, der Setzer und der Korrektor, so müssen an jedem Menschen vier Dinge arbeiten, bis er seine Menschenkraft erprobt, ob sie nicht stecken bleibt: die Jugend, das Alter, das Glück und das Unglück! Die Jugend, das Kinderhäubchen des Lebens, das Alter, die Trauerschleppe des Lebens, das Glück, das Ballkleid des Lebens, und das Unglück, der Haus- und Schlafrock des Lebens. Der Tod, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat bloß eine Sense, mit dieser mäht er die Zeit auf einmal ab, aber das Unglück hat eine Sichel, und sie mäht jede Minute des Lebens und jeden Halm der Menschenkraft einzeln und nach und nach ab!

Jedes Glück kommt allein und auf einen Sprung, aber jedes Unglück kommt mit Ober- und Untergewehr und bringt einen langen Einquartierungszettel mit und ein paar Kameraden, die es auch eingeladen hat! In dem Leben, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist es umgekehrt, wie in der Mythologie; in der Mythologie gehen die Glücksgötter und die Grazien zusammen und die Dämonen allein, im Leben wandern die heitern Götter allein und die Dämonen scharenweise. Das Schicksal sucht sich die Menschen nicht aus, wenn es seine Süßigkeiten bietet, es füttert die Kanarienvögel und die Elefanten mit Zucker, aber es sucht sich die zartesten Herzen, die weichsten Herzen, die feinsten Gefühlsfäden, die empfindsamste Brust aus, wenn es seine Bitterkeiten bietet, wie das Gallus-Insekt sich nur an die zartesten Blätter ansetzt!

Und dennoch sind im Glücke schon edlere Menschenkräfte untergegangen als im Unglück, so wie auf dem Wasser schon mehr Menschen verdurstet sind als auf der Erde! Der Glückliche findet sich in dem Himmel, der Unglückliche findet seinen Himmel in sich! Der Unglückliche, der zu seiner Menschenkraft die Glaubenskraft paart, sieht überall den Himmel wie die Sonne, im Meer, im Strom, in der Wolke, im Regenbogen, im gebrochenen Augapfel und in der brennenden Thräne!

Ja, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, die zerschlitzten Lebenshimmel sind die schönsten, die zerrissenen Herzen wie die zerrissensten Trauben die vollsten und das stürmischste Leben wie die stürmische See am erhabensten. Ja, Menschenkraft, Liebeskraft, Glaubenskraft und Geldeskraft wird nur im Unglück erprobt! Im Glück ist keine Rose ohne Dornen, aber im Unglück kein Dorn ohne Rose! In dem Sonnenschein des Glückes bekommt jedes Gefühlfensterchen im menschlichen Herzen hölzerne Läden aus Unglauben von außen und finstere Rouleaus aus Selbstsucht von innen; im Unglück aber macht die Brust alle Thüren und Fenster auf zum Durchzuge des höhern Strahles, zur Aufnahme des reinen Lichtes! Die glücklichen Menschen setzen ihre Glückslichter nur auf, wie die Schiffe bei Nacht, daß sie nicht aneinander geraten sollen, die Unglücklichen hingegen stecken ihre Zeichen auf wie die Perlenfischer, daß sie sich zusammenhalten und finden, wenn's not thut!

Ja, im Unglücke beweist sich Liebeskraft und Glaubenskraft: und die Geldeskraft? Ja, die Geldeskraft besteht ja eben darin, daß sie die Glaubensartikel als Handelsartikel betrachtet und die Liebesdienste als Sklavendienste!

Wenn das Geld lange bei den Menschen ist, wird das Geld zum Menschen und der Mensch zum Gelde! Es ist sonderbar, die meisten Narrenhäuser sind da, wo die meiste Vernunft ist, die größte Sklaverei ist da, wo die Zeitungen die meiste Freiheit haben, und die größte Geldschwäche ist da, wo die meisten Geldkräfte sind! So wie die Herren der Zeit oft die Sklaven der Minute sind, so sind die Herren von Millionen oft die Sklaven von Einem Kreuzer! Ja, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ein Laster wird bald ausgerottet sein, der Undank, man gibt keine Gelegenheit dazu! Die Geldeskraft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, macht alle andern Kräfte zu Wasser und zu Dampf oder zu Wasserkraft und Dampfkraft. Menschen und Wasser, wenn sie sich über Gebühr ausdehnen und breit machen, entwickeln Dampf, und dieser Dampf ist jetzt die Kraft, mit welcher man der Geisteskraft, der Menschenkraft, der Pferdekraft und allen andern Kräften zeigt, auf welchem einfachen Mechanismus die Kunst beruht: stecken zu bleiben. Man braucht jetzt kein anderes Motiv, zu reisen, und kein anderes, stecken zu bleiben, als ein Loko-Motiv. Warum heißt es Lokomotiv? Weil diese Maschine immer ein Motiv findet, nur in Loko zu bleiben!

Auf der großen Eisenbahn vom Leben zum Tode heißt jetzt das neueste Lokomotiv: Wasser! Der Tod ist ein großer Müller, der die Menschen alle einsackt, und die Hydropathie ist Wasser auf seiner Mühle! Eine solche Wasserkur ist gerade wie ein modernes lyrisches Gedicht, im Anfang wird man ganz heiß, man gerät in eine sentimentale Transpiration, und am Ende wird man wie mit kaltem Wasser übergossen! Es gibt Fälle, in welchen das Wasser Wunder wirkt, das sind die seltenen Wasserfälle der Natur, die sich alle unter die Erde verlieren!

Viele Menschen haben jetzt nichts als Wasser im Kopf, und sie sind nicht sicher, daß bei großer Kälte das Wasser gefriert, und bedenken Sie, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, das sonderbare Gefühl, wenn man mit einem Eisstoß im Kopf herumgeht! Da sind die Gedanken schön eingefroren, und wenn im Frühjahr der Eisstoß im Kopf aufgeht, ist wieder große Wassernot!

Jeder Staat, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat sein Wasserregal, das Recht, alle stehenden und fließenden Wasser im Lande für den Fiskus zu benutzen; welches Regal bezieht der Staat vom Wasser im Kopfe? Freilich ist schon das ein Regal, daß da, wo Wasser ist, keine Gedanken sind, allein in so einem Wasserkopf können doch Schleusen, Mühlen angelegt werden, und wenn auch das nicht, so kann er doch zum Stockfischfange dienen.

Der Himmel und die Ärzte arbeiten sich in die Hände; der Himmel hat aus der Erde den Menschen gemacht, der Arzt macht den Menschen wieder zur Erde, die der Himmel wieder zu Menschen macht; alle mißlungenen Kuren kommen nur daher, weil die Ärzte manchmal nicht wissen, aus welcher Erde der Himmel gerade diesen Menschen gemacht hat, und sie behandeln zum Beispiel einen Menschen, den der Himmel aus Kieselerde gemacht hat, wie einen Menschen, der aus Talkerde gemacht worden ist, – Die Hydropathen aber sagen so: der Mensch ist aus der Erde gekommen, die Erde ist aus dem Wasser gekommen, so soll der Mensch wieder durchs Wasser zu Erde werden!

Sie wünschen wahrscheinlich, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, daß auch dieses Wasser schon verlaufen wäre, allein ich wollte Ihnen einen Beweis von der verheerenden Kraft des Wassers geben, sogleich soll bei diesem Wasser das laufende zu einem stehenden werden. Nun bleibt uns noch Eine Kraft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, die »Gähn- und Nieskraft«! Wenn ein Mensch auch in gar nichts originell ist, so ist er's doch in der Art und Weise, wie er gähnt und niest! Das Niesen ist das manu propria der Nase! Ich will, wenn ich jemanden niesen höre, sogleich wissen, wieviel Geld er in der Tasche hat! Ein Millionär niest wie ein Donnerwetter, ein armer Schlucker niest wie ein Eichkätzchen. Ein reicher Mann bekommt auf sein Niesen sogleich von der ganzen Welt bare Bezahlung: »Zur Gesundheit!« Wenn ein armer Mann niest, bekommt er bloß eine Anweisung: »Helf´ Gott!« »Zur Gesundheit!« sollte man einem armen Mann auch nie sagen, denn zur Gesundheit braucht man gerade alles das, was ein armer Mann nicht hat. Manche Männer haben wahre Pianoforte-Nasen, auf dem rechten Flügel niesen sie Diskant, auf dem andern Baß, sie niesen mit einer übermenschlichen Kraft, es sind die Liszts auf den Nasen! Die Frauen niesen alle Adagio, aber man sieht's ihnen lange früher an, ihre Nase macht erst fünf Minuten Toilette! Das Niesen entsteht von dem Reiz, den ein Gegenstand auf unsere Augen hervorbringt; wenn ein Frauenzimmer also in unserer Gegenwart niest, so spricht ihre Liebe durch die Nase. Die Gähnkraft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, beruht auf Sympathie: auf der Wechselwirkung verschiedener Organe; wenn ich zum Beispiel, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, mit meiner Vorlesung noch lange fortfahre, so dürften mir die Beweise Ihrer schmeichelhaften Sympathie nicht ausbleiben, und wenn ich noch lange fortfahren würde, würden Sie auch fortfahren.

Ich will also alle Kräfte anspannen und dann gewiß für immer stecken bleiben!

Die Jugendkraft mit ihrem frischen Lebenskranze
    Entflieht mit ihrem süßen Wonnesein,
Das Lebensfrührot, das mit mildem Glanze
    Und mit des Frühlings süßem Blumenschein
Uns einlud zu der Jahre buntem Tanze
    Und zu der Horen leichtgeschlungnen Reihn,
Entflieht, uns bleibt ein Ast verblühter Bäume,
Ein mattes Nachspiel goldner Morgenträume!

Die Liebeskraft, des Herzens ungelöste Frage,
    Des Daseins honigsüße Bitterkeit,
Des Lebens Märchen und des Herzens Sage,
    Des Fühlens duftgefüllte Blütenzeit,
Das Leid voll Lust, die Lust voll Klage,
    Der Seele sterngesticktes Ätherkleid,
Entflieht, uns bleibt die saitenlose Leier,
Ein weinend Herz, gehüllt in Witwenschleier!

Die Geisteskraft, die höchste Göttergabe,
    Der Funken, den der Mensch vom Himmel stahl,
Das Goldband an dem Erdenpilgerstabe,
    Der Nachtbesuch aus hohem Sternensaal,
Die Blume an dem öden Daseinsgrabe,
    Das holde Echo in dem engen Lebensthal,
Entflieht, uns bleibt ein Rest von dürren Garben,
Aus dem geschieden ist der Reiz von Dust und Farben!

Die Hoffnungskraft auch, dies Geschenk von Göttern,
    Der Regenbogen auf des Schicksals schwarzem Grund.
Das Gaukelkind mit seinen Lotosblättern,
    Der Zukunft trostbegabter Göttermund,
Das Feendach in allen Lebenswettern,
    Das Märchenlied zu jeder stillen Stund',
Entflieht, uns bleibt ein Holzgerüst im Dunkeln,
Auf dem das Feuerwerk will nicht mehr funkeln!

Die Glaubenskraft allein, der fromme Glaube,
    Des öden Daseins einz'ger Himmelsbot',
Des Erdengartens stille Endenlaube,
    Des ew'gen Tags diesseitig Morgenrot,
Des Herrenweinbergs allerschönste Traube,
    Des Lebensabendmahles Wein und Brot,
Der Glaub' allein bleibt uns auf unsern Pfaden
Durchs schwarze Thor ins Morgenland der Gnaden!


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