Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Konditorei des Fokus.

Die Organe des Viehgehirnes.

Eine Karnevalsschwank-Vorlesung über die Schädellehre der Schafe und Ochsen.

(zu diesem Faschingsspaß hatte der Verfasser in einer Abendunterhaltung bei sich einen Ochsen- und einen Schafskopf ganz nach Galls Schädellehre eingeteilt und zu beiden Seiten während seiner Vorlesung um sich stehen.)

»Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte!«

Bevor Sie, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, über uns drei Köpfe den Kopf schütteln, erlauben Sie mir die ganze Sache überhaupt beim Kopf anzufangen. Warum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sagt man »überhaupt« und nicht »überkopf«? Wo liegt der Unterschied zwischen Haupt und Kopf? Warum sagt man: »Ich muß das behaupten« und nicht: »Ich muß das beköpfen?« Warum sagt man »köpfen« und »enthaupten« und nicht auch: »Der ist gehäuptet worden oder entköpft?« Warum forscht man bei allen Dingen nach der Hauptursache und nie nach der Kopfursache? Warum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ging ohne Haupt Rom und Sparta zu Grunde, und warum geht ohne Kopf Eipeldau nicht zu Grunde? Warum hat das kleinste Land seine Hauptstadt und das größte Land keine Kopfstadt? Warum bekommt in der Ehe bloß die Frau den Kopfschmuck, der Mann aber einen Hauptschmuck? Warum macht man oft kopflos ein Hauptglück? Nicht jeder Hauptmann ist ein Kopfmann, ein Hauptquartier ist noch kein Kopfquartier, und wenn der Feldherr den Kopf verliert, so wird er aufs Haupt geschlagen! In jeder Straße findet man eine Hauptniederlage, aber nirgends findet man eine Kopfniederlage; begehrt man von irgend einer Anstalt ein »Hauptstück«, so bekommt man ein »Kopfstück«. Beinahe jedes Land treibt eine Kopfsteuer ein, um irgend einen Hauptzweck zu erreichen, wo treibt man aber eine Hauptsteuer ein, um einen Kopfzweck zu erreichen?

Jedoch ich fürchte, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, daß Sie von dieser Sprachhauptjagd bald Kopfweh bekommen könnten, und stürze mich nun über Hals und Kopf in mein Hauptthema über die Kopfvariationen zurück.

Ich habe die Ehre, Ihnen hiermit, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, die Viehschädellehre in »zwei Hauptabschnitten« vorzuführen. Eins, zwei, ich zähl' die Häupter meiner Lieben, und sieh, mir fehlt kein teures Haupt!

Hier habe ich die Ehre, Ihnen die Büste eines Ochsen vorzustellen, der in seinem Leben viel in dem Acker des Herrn gearbeitet hat, ein Mann, ein Ochs will ich sagen, der in dem Felde, das ihm angewiesen war, das Gras wachsen hörte, ein Ochs, der sein Joch ertrug wie nur irgend ein ehrlicher Mensch, ein Ochs, der nie mit einem fremden Kalbe pflügte, ein Ochs von Gewicht; allein erst nach seinem Tode wußte man ihn ganz zu schätzen, es war ein Gentleman von siebenhundert Pfund Leibrenten!

Woran dieser Ochs gestorben ist? An einer Gemütskrankheit, denn er starb an den Folgen gänzlicher Niedergeschlagenheit! Und wollt Ihr wissen, für wen er gestorben ist? Für mich ist er gestorben! Er starb unter meiner Hand, als ich eben nach Galls Anweisung sein kleines Gehirn und die Breite seines Nackens untersuchte, allwo nach Gall »die Gesellschaftsliebe« liegt, welches ich auch bestätigt fand, denn er war Gründer einer Gesellschaft unter dem Titel: »Die Theaterrezensenten, oder die gehörnten Brüder in der Kunst, auf Gemeinplätzen zu weiden und immer dasselbe wiederzukäuen.«

Als er starb, sagte er mir: »Fahre in deinen Untersuchungen fort, du mußt auf ochsige Entdeckungen stoßen, ich gebe dir meinen Kopf zum Pfand!« Damit gab er seinen Geist auf und ging den Weg alles Fleisches durch die Bank – !

Dieses, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ist nun des Teuren zurückgebliebenes Pfand.

Gestehen Sie mir, es ist ein rührendes tête-à-tête!

Und hier, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, dieser sinnige Schafskopf! Nicht so groß wie jener, aber doch ausgezeichnet in seinem Fache.

Die Schafe, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sind ebenso vielen Fatalitäten und Krankheiten ausgesetzt als die Schriftsteller: Salzmangel, Wollmangel, Schwindel, Durchfall, Drehkrankheit, Leserdürre und trockener Schwind! Die Schafe sind ebenso zu benützen wie die Schriftsteller, man kann sie scheren, man kann sie melken, und aus ihren Gedärmen und Eingeweiden werden die Saiten gemacht, welche mit ihrem Ton die Welt entzücken, aber dann müssen Schafe und Schriftsteller die Brust erst zerschlitzt haben!

Die Schafzucht, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, kommt gleich vor der Menschenzucht, darum haben wir so viele Anstalten zur Veredlung der Schafe, und so wenig Anstalten zur Veredlung der Menschen. Die Schafe werden veredelt, damit kein Mangel an feinem Tuche sei, die Menschen werden nicht veredelt, damit kein Mangel an grobem Tuche sei.

Die Engländer erziehen ihre Schafe und ihre Menschen bloß für die Kammwollfabriken. Schaf und Mensch gilt bei ihnen nur das, was sein Wollprodukt ist. England zieht vierzig Millionen Schafe, und von ihren Schafsköpfen siedeln sich die nur auf dem Festlande an, die nicht recht in der Wolle sitzen!

Die deutschen Schafe und die deutschen Menschen werden auch erzogen, aber bloß zum Krempeln. Es ist sonderbar, in Deutschland steht die Schafzucht mit der Sprache in genauer Wechselbeziehung; wo das reinste Deutsch gesprochen wird, sind die besten Schafe.

Was die Menschen vor den Schafen voraus haben, ist die Schur. Die Schafe sind entweder einschurig oder zweischurig, je nachdem sie einmal oder zweimal im Jahre geschoren werden; der Mensch allein hat deshalb Vernunft und Sprache vom lieben Gott bekommen, damit er alle Tage geschoren werden kann, der Mensch allein ist ein stetsschuriges Schaf.

Die Liebe, die Sanftmut, die Geduld, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sind lauter Schafstugenden! Haben Sie schon ein rachsüchtiges Schaf, einen witzigen Schöps, ein satirisches Lamm, einen humoristischen Hammel gesehen? Warum heißt man die glücklich Liebenden: Schäfer? Weil, wer glücklich lieben will, sein Schaf immer hüten muß. Die eigentlichen Schäferstunden sind jetzt auf jene Stunden reduziert, in welchen man sein Schäfchen ins Trockene bringt.

Die Menschen können reden, die Schafe blöken, und das ist's, was die Schafe voraus haben, denn der Mensch kann sich um den Kopf reden, aber kein Schaf kann sich um den Kopf blöken!

Sprache und Vernunft, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, mit diesen beiden Himmelsgaben ist es sonderbar bestellt. Im Sprechen spricht die Vernunft nicht an, und für die Vernunft ist nur das Schweigen ein sprechender Beweis.

Um aber wieder auf meinen Kopf zurückzukommen, ich meine auf diesen Schafskopf, so muß ich durchaus auf meinem Kopfe bestehen, um die Gallsche Schädellehre in kurzen Sätzen auf diese meine beiden Köpfe anzuwenden, denn: »Wenn solche Köpfe feiern, welch ein Verlust für mein Jahrhundert!«

Die Schädellehre beruht auf leeren Schädeln und darf sich deshalb einer großen Verbreitung erfreuen. Die Schädellehre beruht auf den Organen des Gehirns, das Gehirn ist aber bei dem Menschen jetzt kein Organ mehr, sondern man genießt es nur von Tieren, ein Ochsenhirn, ein Schafhirn u. s. w. Folglich ist die Lehre von den Gehirnorganen nur noch bei diesen Wesen zu finden.

Es gibt eine kleine Welt, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, und es gibt eine große Welt; es gibt ein kleines Gehirn, und es gibt ein großes Gehirn, Es wäre also interessant, zu untersuchen, ob die große Welt das große Gehirn, und die kleine Welt das kleine Gehirn hat, oder umgekehrt.

Im kleinen Gehirn liegt nach Gall das Genie, im kleinen Gehirn ist der Sitz der Seele! Die Seele ist unsterblich, und das ist ein Glück, sonst mühte das kleine Gehirn mit dem großen Genie Hungers sterben!

Die kleinen und großen Erhabenheiten an den äußern Schädelmassen bilden die verschiedenen Sinne, als: Ortsinn, Zeitsinn, Geldsinn u. s. w.

Hier diesen Ochsenkopf habe ich ganz nach diesem Systeme eingeteilt.

Hier, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, liegt die Kuhliebe, die Kälberliebe, die Mitochsenliebe, bei den Menschen Geschlechtsliebe, Kindesliebe, Nächstenliebe genannt. Warum die Frauenliebe so ganz im Nacken liegt, mag daher kommen, weil es dabei gleich um den Kragen geht.

Die Liebe fängt da an, wo der Kopf aufhört; bei der Liebe hat der Kopf nichts mitzureden, sie ist wie eine gute Singlehrerin, sie kann die Kopfstimme nicht leiden. Die Liebe liegt, nach Gall, rückwärts vom Kopfe. Darum sagt man: Die Liebe verdreht einem den Kopf, das heißt, der Kopf wird zurück auf die Liebe gedreht. Wenn man dann den Gegenstand seiner Liebe heiratet, so dreht diese den Kopf wieder zurück, und man sagt dann: Die Frau hat ihm den Kopf zurecht gesetzt.

Um die Augen herum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, liegen die meisten Organe; um die Augen ist der Sammelplatz der meisten sinnlichen Eindrücke; die Stirn ist der Sitz der Erhabenheit und des Heldenmutes.

Der »Kunstsinn«, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, drückt sich hier durch eine eigene Erhöhung oder Gewölbe aus. Es geht bei vielen Menschen mit diesem Kunstsinn und seinem sogenannten Gewölbe wie mit den neuesten Modegewölben, in der Auslage ist alles, im Gewölbe drinnen ist gar nichts! Bei den Ochsen liegt der Kunstsinn gerade unter den Hörnern, denn die Ochsen haben nur für jene Kunst Sinn, von der man ihnen recht ins Horn stößt!

Der Sachsinn, der Ortsinn und der Erziehungssinn liegen an der Nasenwurzel.

Darum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, wenn jemand seine Nase in alles steckt, so ist das nichts als angewandter Sachsinn, und wer tausend Sachen im Sinn hat, den muß man auf jede einzelne Sache mit der Nase stoßen. Der Ortsinn liegt an der Nase, darum, wenn einer ein Frauenzimmer bei der Nase herumführt, so ist das bloß eine Probe ihres Ortsinnes, darum liegen einem die Nasen sehr im Sinn, die man höhern Orts bekommt, und weil der Ortsinn an der Nase liegt, muß der, welcher von einem Ort durchgehen will, eine feine Nase haben.

Der Witz offenbart sich durch zwei sanfte Erhebungen über den Augen.

Es ist eine seltene Sache, daß sich der Witz durch Erhebung, und nun gar durch eine sanfte Erhebung, anzeigt. Ich glaube, der gute Gall hat bloß die Stirn von witzigen Menschen untersucht, die sich die Stirn angestoßen haben, und er hat die unsanften Beulen für sanfte Erhebungen gehalten!

Vom Witz rechts liegt die »Gutmütigkeit« und links der »Diebssinn«, das ist eine gefährliche Nachbarschaft. Das zeigt an, daß das Publikum auch gestohlene Witze gutmütig für originelle annimmt!

Der Witz, sagt Jean Paul, ist eine heilsame Lebensgabe der Natur, das heißt, wem die Natur diese Gabe gibt, der hat sein ganzes Leben daran zu heilen!

Können Sie sich denken, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, daß gerade über dem Witz das »Darstellungsvermögen« liegt? Das ist ein Trost für alle Darsteller, wenn sie witzige Kritiken lesen müssen, daß ihre Kunst höher liegt als der Witz. Sie werden es also natürlich finden, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, daß hier in diesem Kreis, wo Künstlerinnen von solchem Darstellungsvermögen sind, mein Witz ganz unterliegen muß!

Bei vielen Kritikern ist es mit dem Darstellungsvermögen sonderbar; sie kritisieren eine darstellende Person, man meint, sie zielen auf ihre Darstellung, sie zielen aber bloß auf ihr Vermögen.

Der »Zahlensinn«, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, liegt ganz im Augenwinkel, darum, wenn einer bezahlen soll, sucht er einen Winkel, in welchem ihn kein Auge erblickt.

Hier liegt der »Gewissenhaftigkeitssinn«, und weil ich dabei bin, so will ich gewissenhaft genug sein, Sie nicht länger zu langweilen, sondern meinen Kopf und diese beiden beizeiten zurückzuziehen.

Man sagt: »Viele Köpfe viel Sinn!« Hier waren nur drei Köpfe und doch viel Sinne.

Wir bitten gemeinschaftlich um Nachsicht, zwei von uns sind schon vor den Kopf geschlagen, und was den Dritten betrifft, so versichert er, daß von diesem Augenblicke an Ihnen mehr sein Kopf nicht weh thun soll.


 << zurück weiter >>