Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Die ägyptische Finsternis bei Gasbeleuchtung und der Ochs in der Laterne.

Eine humoristische Olla Podrida.

Es gibt viele alte Berühmtheiten, die, wenn sie in der jetzigen Zeit existiert hätten, nie berühmt geworden wären. Zum Beispiel die »ägyptische Finsternis«, die mag zu ihrer Zeit berühmt gewesen sein, aber jetzt finden wir solche Finsternisse auf der Gasse; wenn jetzt eine ägyptische Finsternis käme, man würde sie gar nicht sehen; so finster wie eine ägyptische Finsternis ist's jetzt, gottlob! wenn der schönste Sommertag ist!

So auch die berühmten »sieben Weisen Griechenlands«; wenn sie jetzt lebten, sie wären die »sieben Narren Deutschlands«!

Diogenes war ein Weiser, weil er mit der Laterne herumging, um einen Menschen zu suchen; jetzt gibt's gar keinen solchen Narren mehr, der einen Menschen sucht.

Bei dieser Gelegenheit drängt sich mir eine sehr wichtige Frage auf; hat Diogenes in einem Weinfasse oder in einem Bierfasse gewohnt? Diese Frage ist von größerer Wichtigkeit, als man glaubt, denn hat Diogenes in einem Bierfasse gewohnt, so hat es in Griechenland Bier gegeben.

Wer von Ihnen, lieber Leser, kann mir eines der zartesten Geheimnisse der Natur, eines der sinnigsten Rätsel des menschlichen Geistes enthüllen, nämlich: »Warum fallen die vom Bier Betrunkenen auf den Rücken und die vom Wein Betrunkenen auf die Nase?«

An diese zarte Lebensfrage knüpft sich noch eine dritte Frage an: »Wenn die Bierbetrunkenen auf den Rücken und die Weinbetrunkenen auf die Nase fallen, wohin fallen die von Liebe Trunkenen?« – Die Antwort auf diese zweite Frage ist ganz leicht: die von Liebe Trunkenen fallen jetzt ganz auf die Seite. – Früher war man von der Liebe trunken, weil man über das Maß geliebt hat; jetzt bleiben wir in der Liebe gleich beim ersten Pfiff stehen, wo soll da die Trunkenheit herkommen.

Was hat der Philosoph Diogenes in seinem Fasse voraus gehabt vor allen unsern Philosophen? Er war wenigstens faßlich! – Unsere Philosophen sind umgekehrte Diogenesse, anstatt daß sie wie Diogenes sich in ein Weinfaß ziehen, ziehen sie ein Faß Wein in sich und werden Philosophen per fas et ne-fas! – Darum studiert man drei Jahre Philosophie; das erste Jahr den Heurigen, das zweite Jahr den Vorjährigen, und das dritte Jahr wird bloß repetiert!

Eine ebenso abgeschmackte Berühmtheit war der große Roscius, der erste römische Künstler. Er war gewiß ein gewaltiger Kulissenreißer. Überhaupt, wie kann Roscius ein großer Künstler gewesen sein, er hat ja gar nie in Berlin gespielt! Ja, noch mehr, der Kerl hat ja gar keine reine deutsche Aussprache gehabt!

Nun aber, lieber Leser, sehen Sie nicht ein, wie ich mit allen diesen Abwegen und Absprüngen wieder auf den Titel meines Aufsatzes zurückkommen will? Das sehen Sie nicht? Das sehen Sie nicht? Sehen Sie, das ist eben die ägyptische Finsternis, daß Sie es nicht sehen! Das ist ja eben der sichtbare Segen der Finsternis, daß man die Leute stundenlang herumführt, und daß sie dann wieder dort sind, wo sie ausgegangen sind! Ich habe Ihnen in dieser Finsternis einen Mann mit einer Laterne mitgegeben, und doch haben Sie nicht gesehen, wo ich Sie hinführe, gestehen Sie nur, daß man eine solche Finsternis nicht alle Tage sieht!

Die ägyptische Finsternis ist die einzige ägyptische Mumie, die sich ganz unversehrt bis auf unsere Zeit erhalten hat.

Die Ägyptier haben es verstanden, ihre Finsternis einzubalsamieren, bei uns ist diese Kunst ganz verloren gegangen, denn für unsere Finsternis gibt es keinen Balsam.

Damit wir aber diese ägyptische Finsternis allgemein sehen können, haben wir die Gasbeleuchtung erfunden, und, beim Licht beobachtet, ist die Finsternis ein wahres lumen mundi. Zur Beleuchtung unserer Finsternis aber kann kein anderes Licht sein als Gas, denn die erste Gasart ist fixe Luft, und in unserer Finsternis muß man froh sein, wenn man wenigstens ein bißchen freie Luft fixiert hat.

Wenn man also die Finsternis beleuchtet, so sieht man, wie glücklich die Leute sind, die nicht sehen.

Die »Liebe«, die »Gerechtigkeit« und das »Glück« sind drei glückliche Wesen, die nicht sehen; die Liebe ist blind, das Glück ist blind, und die Gerechtigkeit ist blind. Wenn diese drei Blinden sehen würden, so würden sie Dinge sehen, daß ihnen Hören und Sehen verginge.

Daß die Gerechtigkeit blind ist, ist längst bekannt.

Die Liebe, meine guten Leserinnen, ist auch blind, und das Glück ist auch blind! Es ist ein wahres Glück, daß die Liebe blind ist, und es ist mir lieb, daß das Glück blind ist. Wäre die Liebe allein blind und das Glück nicht, so würde das Glück sehen, daß diese Liebe keine Liebe ist; wäre das Glück allein blind und die Liebe nicht, so würde die Liebe sehen, daß dieses Glück kein Glück ist!

In der ägyptischen Finsternis waren lauter glücklich Liebende, denn die Liebe ist nie glücklicher, als wenn sie nicht sieht.

Der Mensch soll über seinen Zorn die Sonne nicht untergehen lassen; und der Mensch soll über seine Liebe die Sonne nie aufgehen lassen. Man muß nicht nur nicht in den Tag hinein reden, sondern auch nicht in den Tag hinein lieben!

Die Liebenden sind ganz andere Menschen als andere Menschen. Andere Menschen, wenn sie genug gelebt haben, vertauschen sie das Zeitliche mit dem Ewigen. Die Liebenden schwören sich erst ewige Treue, sehen sich dann zeitlich nach einem andern um, und bevor eins von ihnen noch das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht, vertauschen sie einigemal das Ewige mit dem Zeitlichen!

Die Liebe ist blind, darum sind die Verliebten stockblind, die Verheirateten aber bloß staberlblind!

Der Tag ist ein Mann, die Nacht ist ein Weib, in der Liebe aber ist das Weib der Mann!

Der Tag und die Nacht, das ist ein seltenes Ehepaar, wie glücklich leben sie seit ewigen Zeiten, das ist auch keine Kunst, wenn der Tag kommt, geht die Nacht fort, und wenn die Nacht kommt, ist der Tag über alle Berge!

Bei diesem Ehepaar, Tag und Nacht, ist im Winter die Frau Nacht glücklich, denn da hält sie ihren Mann kurz, und im Sommer ist der Mann Tag vergnügt, denn er sieht, wie seine Frau alle Tage mehr abnimmt.

Nur einmal kommen sie sich gleich unausstehlich vor, wenn Tag- und Nachtgleiche ist, und um diese Zeit weiß man, gibt's auch die gefährlichsten Stürme.

Die Liebe hat Augen, aber nicht zum Sehen, sondern zum Weinen, die Liebe hat eine Zunge, aber nicht zum Reden, sondern zum Singen, und sie hat eine Wange, nicht um zu blühen, sondern um zu erröten. Die Liebe trägt das Gehör auf den Wangen, das Wort im Auge und den Blick im Herzen!

Das menschliche Herz hat drei Naturreime: Das Herz der Fröhlichen auf Scherz, das Herz der Liebenden auf Schmerz und das Herz der Vornehmen auf Erz, Wir Wiener haben noch einen vierten Lokalreim: Wir haben ein Herz wie ein Sterz, das ist aber ein Fastenreim, und ein Wiener Herz hat keine Fasten.

Der gute Appetit der Wiener gegen den der Berliner hat mir einen wichtigen Aufschluß über den Sprachunterschied dieser beiden Völker gegeben.

Der Österreicher spricht alles in der längstvergangenen Zeit, der Preuße alles in der jüngstvergangenen. Der Österreicher sagt: »Ich bin spazieren gegangen.« Der Preuße sagt: »Ich ging spazieren!« Der Österreicher sagt: »Die hab' ich angeguckt!« Der Preuße sagt: »Ich guckte sie an!« Woher kommt dieser Unterschied? Der kommt vom Appetit her.

Wenn der Wiener mittags einen Fasan gegessen hat, abends scheint es ihm schon so lang, daß er keinen Fasan gegessen hat, daß er in der längstvergangenen Zeit sagt: »Ich hab' einen Fasan gegessen!« – Wenn der Berliner einen Fasanflügel ißt, so ist ihm vierzehn Tage nachher noch so, als hätte er ihn eben erst gegessen, und er sagt in der jüngstvergangenen Zeit: »Ich aß ein Fasanflügelchen!«

So spricht des Wieners Herz alles in der längstvergangenen Zeit. Wenn er in der Früh geliebt hat, so sagt er abends: »Ich hab' geliebt gehabt!«

Aber in der Liebe, verehrte Leser, gibt es jetzt überhaupt nur eine längstvergangene Zeit, das heißt, die Zeit, wo man geliebt hat, ist längst vergangen!« – Wenn mir jemand seine Geliebte vorstellt und sagt: »Das ist meine Zukünftige«, so denke ich mir immer: das ist seine zukünftig vergangene Zeit!

Die Liebe ist blind, die Herzen der Männer aber sind so barmherzig, daß jedes Herz seine eigene Blindenanstalt hat!

Die Liebe ist blind, und doch sagt man: »Die Liebe und die Zigeuner sehen im Finstern.« – Warum sehen die Zigeuner im Finstern? Weil sie von der ägyptischen Finsternis herstammen. Die Finsternis ist also das Perspektiv der Liebe. Da wir jetzt eine doppelte Finsternis haben, die ägyptische und die europäische, so hat unsere Liebe ein ganz modernes Doppelperspektiv!

Nun sehen Sie, da sind wir schon wieder bei unserm Titel, bei der ägyptischen Finsternis, und was den Ochsen betrifft, verlassen Sie sich nur auf mich. Lassen Sie mich nur ein bißchen zu mir kommen, und wir werden gleich beim Ochsen sein. Die Ägyptier haben bekanntlich einen Ochsen angebetet; wir weichen etwas davon ab und beten bloß zuweilen eine Kuh an.

Mein Gott! wie viel Mädchen beten nicht einen goldnen Ochsen, und wie viel Männer eine goldne Gans an? Am Ende nimmt der goldne Ochs die goldne Gans, und sie feiern die goldne Hochzeit; denn es ist ihnen sogleich, als hätten sie schon fünfzig Jahre zusammen gelebt!

In der Liebe vergeht ein Jahr wie ein Tag, in der Ehe vergeht ein Tag wie ein Jahr, darum rüste sich jeder Ehemann an jedem Sonntage zum Siebenjährigen Krieg und an jedem Ersten des Monats zum Dreißigjährigen Krieg!

Jedes Jahr, das man mit einer Frau zu leben hat, ist ein Streich des Schicksals; wer die silberne Hochzeit feiert, der hat seine fünfundzwanzig glücklich überstanden, und wer die goldene Hochzeit feiert, der hat fünfzig bekommen!

Warum zündet man bei einer Hochzeit am hellen, lichten Tage Hochzeitsfackeln an? Weil man schon bei der Hochzeit anfängt, finstere Gesichter zu machen! Wiederum eine Finsternis, die noch älter ist als die ägyptische! – Die Ägyptier in ihrer Finsternis hatten recht, die Ochsen anzubeten, denn ein Ochs ist ein unfehlbares Mittel zur Aufklärung und Lichtverbreitung.

Sie sehen mich erstaunt an? O, ich bitte Sie, betrachten Sie die Ochsen aus einem freundlichern Gesichtspunkte!

Die Ochsen sind respektabler als die Menschen: kein Ochs pflügt mit einem fremden Kalbe; jeder Ochs trägt redlich seine Haut zu Markte, und wenn der Ochs einmal vor den Kopf geschlagen ist, so ist er genießbarer, als wenn der Mensch vor den Kopf geschlagen ist!

Gibt's nicht ausgezeichnete Künstler unter den Ochsen, zum Beispiel große Hornisten? Sind die Ochsen nicht ausgezeichnete Redakteurs, wiederkäuen sie ihre Artikel nicht immer und emsig? Die wirklichen Ochsen kann man kochen und braten, die menschlichen Ochsen muß man roh genießen!

Wie man nun mit einem Ochsen die Finsternis beleuchten kann? Nichts leichter als das. Man schlägt den Ochsen tot, man zapft ihm das Fett ab, man läßt das Fett aus, man macht aus dem Fette Lichter, man steckt das Licht in die Laterne, so steckt der Ochs in der Laterne und beleuchtet sein Jahrhundert!

Man versuche aber einmal und lasse unsere menschlichen Ochsen aus – und wir haben viel ausgelassene Ochsen – allein ihr Fett taugt nicht zum Lichtermachen, und könnte man auch Lichter daraus machen, so wären es doch keine gezogenen.

Ich glaube also ganz bestimmt, daß Diogenes in der ägyptischen Finsternis gelebt hat, daß er in seiner Laterne einen Ochsen herumgetragen hat, daß er eigentlich unter den Menschen einen solchen Ochsen gesucht hat, den er auch als Licht in die Laterne stecken könnte, und daß er keinen gefunden hat.

Somit wäre die ägyptische Finsternis und der Ochs in Ihren Gunst gerechtfertigt, und:

Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In ihrem Bunde der Dritte.


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