Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Schafft ihn zur Nekropolis!

Mirinri schien von dem schrecklichen Anblick, der sich ihm geboten hatte, wie benommen. Daher reagierte er nicht sofort auf die Worte des Königs. Erst als dieser seine Rede wiederholte, sammelte er seine Gedanken wieder.

»Was hat dies alles mit meinem Schicksal zu tun?«

»Was meinst du, mit deinem Schicksal?«

»Daß ich den Thron meines Vaters zurückerobern werde, wie mir vorhergesagt wurde!« sprach er, mehr zu sich selbst.

Pepi zuckte zusammen. »Wer hat dir das prophezeit?«

»Der Himmel, die Erde und eine Weissagerin.«

»Bah, Torheiten!«

»Am Tag, als ich neunzehn wurde, erschien ein Komet am Himmel. Bei Sonnenaufgang tönte die Memnonsäule, als ich ihr nahe war, und die Auferstehungsblume in der von meinem Vater errichteten Pyramide erschloß ihre Blätter in meiner Hand. Dann begegnete ich einer Weissagerin, die voraussah, daß ich den Thron meines Vaters besteigen werde.«

Im Gesicht des Königs malte sich Schrecken. Doch schon bald wich dieser einem harten, grausamen Zug. Pepi wandte sich an den Alten, der neben ihm stand, und sagte: »Erkläre mir, wie man ein Wesen von göttlicher Abstammung einbalsamiert!«

»Soll es die reichste Einbalsamierung sein?«

»Die kostbarste, die es gibt! Jahrtausendelang, nein, bis ans Ende der Welt soll die Mumie dem Verfall widerstehen.«

»Unsere Mumien zeigen noch keine Spur von Zerstörung«, erwiderte der andere. »Bei dem von mir angewandten Verfahren kannst du sicher sein, Herrscher, daß das Werk gelingt.«

»Hören wir, wie!« rief Pepi.

»Zuerst entnehmen wir mit einem gebogenen Eisen alles, was sich im Gehirn des Leichnams vorfindet, und vernichten die Reste durch Drogen. Dann wird mit scharfen Steinen, die wir von den Äthiopiern kaufen, ein Einschnitt in die Seite des Toten gemacht, um die Eingeweide aus dem Leib zu nehmen. Diese werden in Palmwein gewaschen und in zerriebene Gewürze getaucht....«

»Der Vorgang ist nicht gerade erbaulich!« warf der König ein, der keinen Blick von Mirinri wandte.

»Hierauf füllen wir den Leib mit zerstoßenen Gewürzen. Nachdem der Einschnitt wieder zugenäht ist, legen wir den Leichnam in Salz, bedecken ihn mit verschiedenen alkalischen Salzen und lassen ihn so siebzig Tage lang ruhen. Zuletzt waschen wir ihn und umwickeln ihn ganz mit Binden, die mit Gummi arabicum bestrichen sind. So kann der Körper der Zeit trotzen.« »Du willst dich also damit befassen«, sprach Pepi lächelnd, »an jenem Jüngling dort drüben die Einbalsamierung vorzunehmen? Er soll wie sein Vater bei seinem Tod die Ehren eines Pharao genießen.«

Mirinri starrte ihn fassungslos an. Die Augen traten ihm aus den Höhlen. »Mein Vater? Meinst du etwa jene Mumie in der Pyramide? Die habe ich den Schakalen zum Fraß gegeben, denn es war nicht der Körper König Tetis! Dir aber soll dies Schicksal zuteil werden, Schurke!«

Damit warf er sich auf den König und riß ihn zu Boden. Er hätte ihn sicher erwürgt, hätte der alte Mann nicht mit einem lauten Schrei die Wächter draußen herbeigerufen. »Rettet den König, rettet den König!«

Die Wächter drangen herein. Sie waren mit Schwertern und Äxten bewaffnet und wollten sich auf Mirinri stürzen. Blitzschnell ließ der aber Pepi los, stellte sich kampfbereit an eine Säule, nahm eine der schweren Amphoren und erwartete den Angriff.

»Fangt ihn lebend!« rief Pepi mit erstickter Stimme.

Der ersten Wache, die sich Mirinri näherte, wurde der Schädel mit dem Bronzegefäß zerschmettert; der zweiten, der dritten erging es ebenso. Mirinri schien übermenschliche Kräfte zu haben. Er verteidigte sich wie ein wildes Tier.

Zuletzt jedoch konnte er der Übermacht nicht länger Widerstand leisten. Man umringte ihn, band ihn, so daß er keine Bewegung mehr machen konnte, und führte ihn so vor den Herrscher.

»Soll ich ihn hier töten?« fragte der Anführer der Leibwachen. »Nein, bringt ihn in einer geschlossenen Sänfte zur Nekropolis und schließt ihn vorläufig in eine der gewöhnlichen Grabstätten ein! Sobald meine Untertanen die neue große Mastaba fertig gebaut haben, soll man ihn dort begraben. Er wird einbalsamiert werden, wie es einem Pharao geziemt.«

Mirinri machte verzweifelte Anstrengungen, sich den Fesseln zu entwinden, doch es gelang ihm nicht. »Einer wird mich rächen!« rief er, die Zähne zusammenbeißend.

»Wer könnte das sein?« fragte der König, der sich anscheinend wieder ganz in der Gewalt hatte.

»Unis!«

Pepi erblaßte bei diesem Namen. »Hinaus! Aus meinen Augen!« schrie er.

Im selben Augenblick brachte man einen mit einem schwarzen Verdeck umkleideten Tragsessel, hob den Jüngling hinein und schaffte ihn fort.

»Laßt mich allein«, befahl der Herrscher den Wachen. Als alle gegangen waren, ließ er sich erschöpft auf das Pantherfell nieder, das ihm beim Mahl als Teppich gedient hatte. Seine Stirn war mit kaltem Schweiß bedeckt. Er nahm einen noch halb gefüllten Becher Wein und leerte ihn, dann versank er in düsteres Grübeln.

Schwere Tritte hinter ihm ließen ihn aufhorchen.

Her-Hor, der Oberpriester, nahte sich ihm, ohne die geringste Ehrfurcht vor der Würde des Königs zu bezeigen.

»Was willst du hier?« fragte der König barsch.

»Dich warnen. Sei auf der Hut!«

»Vor wem? Der Prinz ist schon auf dem Weg zur Nekropolis, und binnen kurzem wird sich der Stein vor seiner Grabstätte für immer schließen.«

»Es weilt aber noch einer in Memphis, der viel gefährlicher ist als der Jüngling.«

»Ich weiß es: Unis!«

»Und jenes Mädchen, dem deine Tochter heute unvorsichtigerweise die Freiheit geschenkt hat.«

»Du meinst Sahur oder, wie ihr sie genannt habt, Nefer? Bah, ein Mädchen!«

»Sie kann uns ebenso gefährlich werden wie Unis. Auch sie muß sterben!«

»Bist du Unis schon auf der Spur?«

»Ich habe deine Leibwächter nach ihm ausgeschickt, die ihn aber noch nicht entdecken konnten. Er ist mit Mirinri zusammen in Memphis gesehen worden ....«

»Und wenn man ihn findet?«

»So wird er getötet! Du mußt alle vernichten, die Ruhe des Staates erfordert es.«

»Und ich – häufe Verbrechen auf Verbrechen, häufe Schuld auf Schuld auf mein Haupt. Es kann mich den Thron kosten, wenn das Volk die Wahrheit erfährt!«

»Wankelmütiger Schwächling«, murmelte der Oberpriester verächtlich. »Fürchte nichts!« sagte er laut. »Die Uräusschlange sitzt fest auf deiner Stirn. Die Bevölkerung weiß, daß dein Bruder seit Jahren tot ist.«

»Diese Nacht werde ich nicht ruhig schlafen können«, seufzte der König. »Ich werde im Geiste hören, wie Mirinri in den dunklen Gängen der Grabstätte wie ein brüllendes Tier umherirrt ....«

»Das höchstens fünf oder sechs Tage dem Tod widerstehen wird«, beruhigte ihn der andere. »Am siebten Tag wirst du sein Hungergeheul nicht mehr hören.«

»In seinen Adern fließt aber dasselbe Blut wie das meine!«

»Er ist nicht dein Sohn.«

»Aber der Sohn meines Bruders! Du hast mich auf ihn gehetzt, du hast mich schon damals, vor vielen Jahren, zu der verruchten Tat bewogen. Wer bist du – der Geist des Bösen? Was willst du?«

»Du weißt es – ich will meinen Plan vollenden und jenen aufs tiefste treffen, der mich, den Oberpriester des Ptah-Tempels, gestürzt hat. Hätte ich damals nicht in dir einen edlen Beschützer gefunden, was wäre aus mir geworden? Einer jener Unglücklichen, die im Pyramidenbau ihre Kräfte dahingeben müssen!«

»Aber du hattest die Tempelschätze vergeudet.«

»So sagten meine Feinde!« fuhr der Oberpriester auf. »Dein Bruder glaubte ihnen mehr als mir.«

»Und was rätst du mir jetzt zu tun?« fragte der König.

»Unerbittlich alle zu töten, die deinen Thron und somit dein Reich in Gefahr bringen. Ein Herrscher darf niemals zaudern!«

»Noch ist Unis nicht gefunden worden.«

»Heute abend wird er in meiner Hand sein.«

»Ich könnte ihn nicht anschauen, seinen Blick nicht ertragen ....«

»Oh, ein Schwertstreich eines deiner Wächter, und es ist geschehen.«

»Und seine Anhänger?«

»Können die ohne Hände noch Waffen ergreifen? Lächerlich!«

In diesem Augenblick hörte man das Geräusch einer sich laut öffnenden Tür. Die Königstochter stürmte in den Saal; ihre sonst weichen Zügen waren zornentstellt.

Mit flammenden Augen stand sie vor dem Priester und fuhr ihn an: »Fort mit dir! Hier ist kein Platz für dich – deine Ratschläge sind Verbrechen!«

»Nitokris!« rief Pepi, erschrocken von dem wilden Ausdruck ihres Gesichts.

»Gehorche!« schrie die Prinzessin, ohne den Einwurf ihres Vaters zu beachten, und wies nach der Tür.

»Du vergißt, wer ich bin.« Her-Hor stand unbeeindruckt von der Kühnheit des Mädchens.

»Ich weiß es wohl: der Oberpriester des Ptah-Tempels, der jedoch nicht würdig ist, diese Stellung zu bekleiden. Hinaus!«

»Nur wenn dein Vater befiehlt, gehe ich.«

Der König winkte ihm, hinauszugehen. »Gut«, drohte ihm da der Alte. »Denke aber daran, daß dein Reich sich am Rand eines Abgrunds befindet, und daß allein die Priester es für dich stützen und halten können.« Damit entfernte er sich, ohne die Prinzessin eines Blickes zu würdigen.

Als sich die hohe Bronzetür hinter ihm geschlossen hatte, wandte sich Nitokris an den Vater: »Was hast du mit Mirinri gemacht? Sag es schnell. Ich will es wissen!«

»Er ist entflohen.«

»Wohin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du sagst mir nicht die Wahrheit, Vater! Er ist von deinen Wachen überwältigt und fortgebracht worden. Wer hat die Männer hier getötet?« Sie wies auf die mit zerschmettertem Kopf an der Säule Liegenden. Niemand hatte daran gedacht, sie fortzuschaffen. »Ich weiß es. Der starke Arm desjenigen, der das Krokodil tötete, das mich verschlingen wollte!« fuhr sie fort.

»Du irrst, es waren Verräter, Verbündete der Rebellen, die in der Rhodopis-Pyamide überrascht wurden.«

»Du lügst erneut. Diese hier sind von Mirinri niedergestreckt worden!«

»Wer hat das gesagt?«

»Mein Innerstes. Wo befindet er sich? Wo hast du ihn hinführen lassen? Vor kurzem ist eine schwarz verhangene Sänfte aus dem Palast getragen worden. Wer war drin?«

Jetzt fuhr der König auf: »Bin ich nicht noch Herr von Ägypten? Wer befiehlt hier, ich oder du? Wer mich bedroht, muß verschwinden. Die Ruhe des Reiches geht allem vor!«

»Hast du ihn töten lassen?« Ihr Gesicht war von einer erschreckenden Blässe.

Pepi antwortete nicht.

»Vater, was hast du mir angetan!« Mit diesen Worten brach Nitokris schluchzend zusammen.

»Liebst du ihn denn wirklich?«

»Und wie ich ihn liebe!«

Des Herrschers Stimmung schlug plötzlich um, als er sein Kind leiden sah.

»Alles bricht zusammen«, murmelte er. »Das ist das Ende meiner Macht, es ist die Strafe.«

Dann raffte er sich auf und sprach laut: »Er – er mag leben bleiben. Aber der andere nicht! Her-Hor wird ihn verhaften lassen ... Das Volk hat ihn vergessen ... Er kann nicht wieder erscheinen!«

»Von wem sprichst du, Vater – welcher andere?« Nitokris sah ihn ängstlich an.

»Der Stein vor der Grabtür wird noch nicht eingemauert sein. Wenn ja, so muß er niedergerissen werden. Geh und sei glücklich! ... Und regiere, aber erst nach mir! Das Volk ... Es wird mir dankbar sein!«

»Vater, komm zu dir!«

»Schicke einen meiner Hauptleute zur Nekropolis, wo sie Mirinri hingebracht haben, und laß ihn befreien.«

»Was? In der Nekropolis soll ich ihn suchen lassen?«

»Geh, geh! Ich schenke ihn dir!«

Kaum war die Königstochter hinausgeeilt, als von der andern Seite der Oberpriester mit blitzenden Augen wieder in den Saal trat.

»Er ist gefaßt worden!« rief er triumphierend.

»Wer?« fragte der König geistesabwesend.

»Nun, Unis!«

»Und was hast du vor?«

Her-Hor lachte laut auf. »Morgen wird man einen Löwen in das große Nilbecken bringen. Da wird es sich finden, ob der Chaldäerbezwinger auch den König des libyschen Sandes besiegen kann.«


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