Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Nefers Dolch

Unis und Ata hatten sich inzwischen auf die Felle gelegt und hörten mit halbem Ohr den Geschichten zu, die ihnen eine der Tänzerinnen erzählte.

Mirinri war der Aufforderung der Zauberin gefolgt und hatte wieder seinen Becher geleert. Jetzt fiel er auf das Löwenfell nieder. Sein Kopf war schwer. Er stützte ihn mit der Hand, während Nefer ihm mit einem Straußenfächer Kühlung zufächelte.

»Ist das Leben nicht schön hier?« fragte sie ihn zärtlich.

»Allerdings schöner als in der Wüste!« antwortete der Jüngling, der sich wie in einem Traumland fühlte. »Hier sind Genüsse, von denen ich dort keine Ahnung hatte.«

»Würde dir ein solches Leben nicht auf die Dauer gefallen?«

»Du vergißt, daß ich eine hohe Aufgabe zu erfüllen habe, daß ich einen Thron erobern soll.«

»Einen Thron! Denkst du nie daran, was für Gefahren dir in Memphis drohen?«

»Ich bin jung und stark und werde ihnen zu begegnen wissen. Ich bin ein Sohn der Sonne!«

»Es ist also die Macht, die dich lockt?«

»Vielleicht, Nefer.«

»Willst du Herrscher dieser Schatteninsel werden? Das Symbol über Leben und Tod soll noch heute an deiner Stirn glänzen, und wir alle werden dich wie einen Gott verehren! Was fehlt dir hier? Ich kann dir denselben Prunk bieten, wie ihn der Hof des Königs hat. Der heilige Fluß umspült das kleine Reich hier, seine Wasser sind dieselben, die Memphis' Mauern benetzen. Alles, was du wünschst, wirst du haben, Feste, Bankette, Tänze und Musik, auch Mädchen, die dich bedienen. Die Insel der Schatten wiegt Memphis auf, glaube mir! Und du wirst nicht unter dem schweren Druck der Neider deiner Macht zu leiden haben.«

Mirinri neigte das Haupt. »Dort unten«, sagte er, »ist aber nicht nur ein Thron zu erobern ...«

Nefer zuckte zusammen. »Thron und Pharaonin zugleich«, sprach sie. »Immer nur die eine, nur die eine!«

Dann reichte sie ihm wieder Wein. »Er wird dich einschlummern und süß träumen lassen.«

Mirinri schloß lächelnd die Augen. »Es ist doch ein Zaubermittel darin«, sagte er. »Ein Nebel liegt vor mir ...«

»Ich will es dir beweisen, daß ich kein Pulver darin aufgelöst habe. Schau her!« Und sie berührte mit ihren roten Lippen den goldenen Becherrand, sah ihn sehnsuchtsvoll an und trank daraus.

Mirinri leerte den Rest. »Ich trinke das Licht deiner Augen!« wiederholte er. »Du bist schön, Mädchen!«

»Doch nicht so schön wie die andere«, sagte sie bitter.

»Was tut's? Du bist schön und gefällst mir.«

»Für dieses Wort könnte ich mein Leben hingeben! Auch du gefällst mir, Sohn eines großen Königs!«

Mirinri schien es nicht gehört zu haben. Er lächelte weltvergessen.

»Schlafe«, flüsterte die Zauberin. »Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Auch deine Gefährten sind, von meinen Sklavinnen betreut, eingeschlafen. Hast du schon einmal von der Prinzessin mit den Rosenwangen gehört?«

»Erzähle, Mädchen«, sagte er. »Wie schwarz sind deine Haare, was für einen Duft strömt dein Körper aus – du bist kein menschliches Wesen!«

»Höre zu: Die Prinzessin war die reizendste Pharaonin unter Ägyptens Sonne. Sie suchte einen Gatten nach ihrem Herzen, da sie aber einen solchen nicht fand, so heiratete sie ihren Bruder, was, wie du weißt, die ägyptischen Gesetze gestatten. Dieser jedoch hatte ein trauriges Schicksal – er wurde von seinem eigenen Bruder ermordet.«

»Wie mein Vater!« murmelte der Jüngling.

»Die Prinzessin mit den Rosenwangen«, fuhr Nefer fort, »ließ hierauf einen großen, unterirdischen Saal bauen. Unter dem Vorwand, ihn feierlich einzuweihen, lud sie alle diejenigen, die an dem Mord beteiligt waren, zu einem Bankett ein. Und während des Festes ließ sie durch einen geheim hineingeleiteten Kanal Nilwasser in den Saal dringen, so daß alle ertranken.« »Und sie selber?«

»Sie nahm sich in einem Nebenraum das Leben. – Soll ich dir noch eine andere Geschichte erzählen?«

»Ja, deine Stimme ist wie Harfenmusik. Sie wiegt mich in den Schlaf. Sprich weiter, schönes Mädchen!«

»Zum dritten Mal nennst du mich so. Wirst du dich morgen noch daran erinnern?«

Mirinri antwortete nicht.

»Fürst Sotui hatte eines Tages auf den Straßen von Memphis die anmutige Tuboi, die Tochter eines Oberpriesters, gesehen und war in heftiger Liebe zu ihr entbrannt. Die Abwesenheit ihres Vaters benutzend, ging er zu ihr...«

Nefer hielt inne, denn Mirinri hörte sie nicht mehr. Er war fest eingeschlafen, mit lächelndem Mund.

Auch Unis, Ata und die Äthiopier schliefen.

Die Zauberin machte den Tänzerinnen ein Zeichen, den Saal zu verlassen. Als sie allein war, beugte sie sich über den Schlummernden und küßte seine Stirn. Dann erhob sie sich langsam und sah sinnend vor sich hin.

»Seltsam!« flüsterte sie. »Dieser Kuß ließ mich nicht erbeben, wie ich geträumt hatte. Mein Herz schlägt nicht stärker, nicht stürmischer – es war wie ein Schwesterkuß. Und doch habe ich ihn lieb, den starken, mutigen Mirinri.«

Das Knarren einer Tür wurde vernehmbar. Sie wandte sich um. Der Oberpriester war eingetreten. »Schlafen sie alle?« fragte er.

»Alle.«

»Ist er in deine Netze gegangen? Du weißt, König Pepi hat es befohlen.«

»Der König von Ägypten kann seine Untertanen töten lassen, wenn es ihm gefällt – er hat aber keine Macht über die Herzen!« »Liebt er dich denn nicht? Denkt er noch immer an die Prinzessin?«

»Noch immer!«

»Hast du eine sichere Hand, Nefer?«

»Warum fragst du mich das?« Das Mädchen erblaßte sichtlich. »Das werde ich dir später sagen. Laß mich ihn ansehen, auch den Alten! Es ist schon alles hier in der Mastaba vorbereitet, um beide aufzunehmen.«

»Was hast du vor?« schrie Nefer erschrocken.

»Schweig, mach keinen Lärm! Zeige mir beide!« zischte der Oberpriester. »Noch mehr bin ich auf Unis gespannt.«

»Auf Unis? Woher kennst du seinen Namen?«

Her-Hor, der Priester, antwortete nicht, sondern drängte Nefer, die sich schützend vor Mirinri gestellt hatte, schroff beiseite. Er betrachtete den schlafenden Jüngling aufmerksam.

»Das Ebenbild seines Vaters«, murmelte er. »Das scharfe Kinn, die breite Stirn ... Ein fester Wille spricht aus diesen Zügen. Der könnte gewiß über Millionen herrschen, wenn er nicht binnen kurzem sterben müßte!«

Ein wilder Schrei entrang sich Nefers Brust.

Der Priester wandte sich zornig um. »Was kann dir an dem jungen Löwen liegen, den du nicht zähmen konntest! Denk an das Vaterland und an den König: Wenn dieser hier den Thron eroberte, käme ein Bürgerkrieg über Ägypten. Beide müssen den Tod erleiden, damit König Pepi wieder Ruhe erlangt.«

»Unmöglich! Du, ein Priester, willst den Sonnensohn töten? Einen Pharao?«

»Nein. Er wird von der Hand einer Pharaonin fallen«, sagte er kalt.

Her-Hor wandte sich jetzt dem schlafenden Unis zu. Bei dem Anblick des Greises entstellte sich sein Gesicht. Glühender Haß loderte in seinen Augen. »Auch du wirst in wenigen Augenblicken eine Leiche sein«, knirschte er zwischen den Zähnen. »Deine frühere Größe wird hier in einer unbekannten Mastaba enden, und Her-Hor wird seine Rache haben!«

Er zog aus seinem weißen Leinengewand einen Dolch hervor und richtete sich mit herrischer Miene an Nefer: »Töte sie beide! Ein guter Stoß, und alles ist zu Ende. Dann wirst du schon morgen an den Hof von Memphis kommen, wo man dir einen Platz einräumen wird, der dir deinem Herkommen nach gebührt.«

»Ich soll Mirinri erstechen?«

»König Pepi, der Herrscher über Ägypten, will es! Er hat das Recht über Leben und Tod seiner Untertanen. Und morgen wirst du als Prinzessin begrüßt werden.«

»Gut, gib mir den Dolch!« Nefer, die zuerst zurückgewichen war, näherte sich jetzt entschlossen dem Priester und nahm die Waffe aus seiner Hand. Sie betrachtete sie einen Moment mit wilder Freude. Es war ihre eigene Waffe. Dann warf sie sich blitzschnell auf den Oberpriester und stach ihm den kurzen Dolch in die Brust.

Her-Hor wollte aufschreien; doch seine Stimme brach, und der schwere Körper stürzte zu Boden.

Rasch versuchte nun Nefer, die Schlafenden zu wecken. Ata, der am wenigsten getrunken hatte, war der erste, der sich ermannen konnte. Als er den Oberpriester mit blutbeflecktem Kleid am Boden liegen sah, erschrak er und schien den Ernst des Augenblicks zu begreifen. Er weckte die schwerfälligen Äthiopier mit einem Hagel von Schlägen.

Von dem Lärm erwachten auch Unis und Mirinri. »Was ist geschehen?« riefen sie beide.

»Wir müssen fliehen!« rief Nefer, in der noch die Aufregung über ihre grausige Tat nachzitterte.

»Wer hat den Priester getötet?«

»Ich! Verräter tötet man!«

Sie beugte sich von neuem über Her-Hor und entriß ihm eine goldene Armspange, welche die Form des Uräus hatte. »Jetzt an den Strand! Folgt mir alle!«

Nefer hatte die schwere Bronzetür geöffnet, durch die der Oberpriester eingetreten war. Sie führte in lange, dunkle, hier und dort durch Tonlampen erleuchtete Gänge hinein.

Endlich gelangten die Fliehenden durch eine kleine Pforte auf der Rückseite des Tempels ins Freie. Hier befanden sie sich in einem andern Teil des Palmenwaldes. Ohne in ihren noch benebelten Gehirnen die Größe der Gefahr ermessen zu können, folgten sie der Zauberin. Sie dachten nicht daran, vor welchen Feinden sie fliehen sollten, sie gehorchten blindlings. Nach etwa zwanzig Minuten hatten sie eine kleine Bucht erreicht. Dort schaukelte auf dem Nil ein Segelboot, an dessen Rand sich Köcher mit Wurfspießen befanden.

Auf Zuruf Nefers lösten die halbnackten Schiffer das Tau und näherten sich dem Ufer.

»Sind das Freunde oder Feinde?« fragte Mirinri.

»Weder das eine noch das andere. Ich kann ihnen mit dem Uräus, dem königlichen Abzeichen, gebieten. Solange ich das in der Hand habe, werden wir ohne Störung weiterkommen!«

Der Bootsführer, ein alter Mann mit riesiger Perücke und langem, falschem Bart, beugte sich über den Schiffsrand. Das Mädchen zeigte ihm das Symbol über Leben und Tod. Die goldene Schlange glänzte ihm entgegen, worauf er befriedigt nickte.

»Wohin?«

»Nach Memphis. Lichte sogleich die Segel!«

Und alle bestiegen das Schiff.


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