Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Der Apisstier

Am Tag nach Atas Besuch in der Hütte begaben sich Unis, Mirinri und Nefer zu der verabredeten Zusammenkunft. Jeder hatte sich mit einem Instrument versehen, da sie den Gang durch die Riesenstadt als fahrende Musikanten unternehmen wollten.

Der Weg zog sich meilenweit hin. Das Fremdenviertel lag hinter ihnen. Sie gingen jetzt durch die zum Zentrum führenden, gewundenen Straßen, die anfangs nur von erbärmlichen Hütten gesäumt wurden. Dann kamen Straßen mit großen Häusern, die aber auch nur einfache Linien zeigten und eher streng als freundlich aussahen.

Endlich boten sich Mirinris erstaunten Blicken prunkvolle Paläste und prächtige Tempel. Er, der nie dergleichen in der Wüste gesehen hatte, schaute mit immer wachsender Bewunderung auf die langen Häuserreihen, auf die breiten Plätze mit den gewaltigen Sphinxen, deren Köpfe an die Könige der ersten Dynastie erinnerten, und auf die hohen, golden schimmernden Obelisken.

»Nun, wie gefällt dir deine Hauptstadt?« fragte ihn Unis.

»Noch ist sie nicht mein.«

»Aber morgen kannst du schon ihr Herrscher sein! Wenn die Parteigänger deines Vaters wie eine Phalanx in die Stadt einbrechen und den Sohn Tetis des Großen zum König ausrufen, dann wird das Volk gemeinsame Sache mit ihnen machen, denn es wird den Retter Ägyptens vor dem Einfall der Chaldäer noch nicht vergessen haben!«

»Sie werden mich bereit finden, das Erbe meines Vaters anzutreten«, sprach Mirinri stolz. Und zu Nefer gewandt: »Ist die Rhodopis-Pyramide noch weit von uns?«

»Noch weit«, antwortete sie. »Ich habe oft den Trauertanz um sie mit vollführen helfen. Die schöne Fürstin soll die Musik und den Tanz sehr geliebt haben, darum besuchen die erlesensten jungen Frauen von Memphis sie jedes Jahr.«

»Erzähle mir von Rhodopis!« bat der Jüngling.

»Man sagt, daß sie ein armes Mädchen gewesen sei, das um seiner Schönheit willen auf den Thron kam.

Als Rhodopis eines Tages im Nil badete, raubte ein Adler eine ihrer Sandalen und trug sie nach Memphis. Dort ließ er sie vor die Füße des Königs Menkiri niederfallen, der gerade unter freiem Himmel lustwandelte. Überrascht von der außergewöhnlich kleinen Sandale, gab er Befehl, im ganzen Reich nach der Eigentümerin des zierlichen Fußes zu suchen. Nach seiner Meinung konnte es nur ein bildhübsches Mädchen sein.

Und sie wurde gefunden. Es war Nitagrit, in die sich der König sofort verliebte. Er heiratete sie und gab ihr den lieblicheren Namen Rhodopis ...«

Nefer wurde in ihrer Erzählung durch plötzlichen Lärm unterbrochen. Man vernahm laute Trommelschläge und sah aus allen Straßen das Volk zusammenströmen.

»Was mag geschehen sein?« fragte Mirinri.

»Sie eilen wohl zu einer religiösen Feier«, meinte Unis. »Wir müssen jetzt bald zum Ptah-Tempel gelangen.«

Nun schritten auch sie schneller vorwärts. Dabei wurde Musik hörbar: Trompeten-, Hörner- und Flötenklänge. Endlich erreichten die drei den großen Platz, in dessen Mitte sich der Ptah-Tempel erhob.

Gerade trat wieder eine Schar Musikanten aus der Tempelpforte. Trompeten, Flöten, Harfen und Triangel wechselten mit dem Schall der heiligen Sistren ab.

Nefer erblaßte. »Sie geleiten den göttlichen Stier zur Niltränke«, sagte sie und stellte sich wie schützend vor Mirinri. »Ich fürchte...«

»Was fürchtest du?«

»Daß meine Vision sich erfüllt!« Der Jüngling achtete nicht mehr auf ihre ängstlichen Worte. Er beobachtete staunend den langen Zug der kostbar gekleideten und mit Goldspangen geschmückten Tempelpriesterinnen, die durch ihren Prunk die Zeremonie noch festlicher gestalten sollten.

Die Menge staute sich. Der Zug der Musikanten und Tänzerinnen schien kein Ende zu nehmen.

Da erschien an der Pforte ein prachtvoller Stier, tiefschwarz, mit vergoldeten Hörnern und eigenartigen Zeichen am Körper. Das Volk warf sich bei seinem Anblick zur Erde und schlug die Stirn an die Steine, während das Tier, verwirrt von dem ohrenbetäubenden Getöse der Musikinstrumente, ein dumpfes Brüllen ausstieß und zu fliehen versuchte, jedoch ohne Erfolg.

Nun folgten noch zwanzig Streitwagen mit je einem Lenker und einem Großwürdenträger, der, aufrecht stehend, sich auf eine Lanze stützte.

Nachdem der Stier vorbeigezogen war, hatte sich die Menge wieder erhoben. Jetzt aber warf sie sich von neuem zur Erde, denn auf der Tempelschwelle erschien eine prachtvolle, goldschimmernde Sänfte, von vier halbnackten äthiopischen Sklaven getragen. Auf blaugestreiften Kissen ruhte ein schönes Mädchen. Ihre Hautfarbe war ziemlich hell. Die schönen, schwarzen Augen blickten sanft, während der Ausdruck ihres Gesichts Vornehmheit mit Anmut verband.

Kaum hatte Mirinri das Mädchen erblickt, als er laut aufschrie: »Die Prinzessin!« Und noch ehe Unis ihn zurückhalten konnte, hatte er sich ungestüm durch die Menge und durch die doppelte Reihe der Bogenschützen geschoben.

Mit ausgebreiteten Armen fiel er vor der Sänfte nieder und rief: »Erkennst du mich wieder?«

Infolge des Schreis hatte sich die Pharaonin aus ihrer liegenden Stellung erhoben. Als sie den Jüngling vor sich sah, erschien ein Ausdruck höchsten Staunens auf ihren Zügen. Die Königswächter in ihrem Gefolge dagegen, die anfangs vor Überraschung sich nicht gerührt hatten, fielen jetzt wütend über den Kühnen her und wollten ihn mit ihren Äxten niederschlagen. »Haltet ein!« rief die Prinzessin gebieterisch.

Als Mirinri, der vor ihr kniete und die Gefahr gar nicht zu bemerken schien, seine Frage wiederholte, neigte sie, leise errötend, das Haupt.

Um seine Flucht zu verhindern, hatten inzwischen die Bogenschützen ihn und Nefer umringt. Diese hatte sich, um ihm beizustehen, energisch durch die Menge geschoben.

»Folge mir zum Königspalast!« rief die Prinzessin Nitokris.

»Ich erkenne in dir meinen tapferen Retter wieder!«

Mirinris Herz jubelte, während Nefers Züge von Trauer geprägt waren. Beide folgten unter soldatischer Bewachung der Sänfte. Der alte Unis aber verließ traurig und voll banger Sorge den Platz.

Bei einer Straßenkehre teilte sich der Zug. Während Apis, der Stier, zum Nil geführt wurde, begab sich die Prinzessin mit ihrem Gefolge in den nördlichen Teil der Hauptstadt. Es hatte dabei den Anschein, als ob sich die schöne Tochter König Pepis kaum mehr um ihren Schützling kümmerte; und dennoch beobachtete dieser, daß sie zuweilen, auf ihren Kissen liegend, hinter dem Fächer der sie begleitenden Sklavin ganz unmerklich den Kopf wandte und ihn wie auch die mit gesenkten Augen daneben schreitende Nefer mit einem Blick streifte.

Nachdem der Zug eine breite, mit Palmen beschattete Straße passierte hatte, bog er in eine sanft ansteigende Allee ein. Herrliche Gärten begrenzten sie zu beiden Seiten.

Nun war das Königsschloß erreicht. Die Sänfte mit der Prinzessin verschwand hinter einem der Tore. Mirinri aber blieb versunken in den Anblick des Palastes, wo er geboren war und wo sein Vater regiert hatte, einen Augenblick stehen.

Da fühlte er sich plötzlich ergriffen und gefesselt! Vier Wächter stürzten sich – wohl auf höheren Wink – auf ihn, banden ihn und warfen ihn zu Boden, noch ehe er Widerstand leisten konnte.

»Was tut ihr? Halt! Er ist ein Sonnensohn! Hütet euch, ihn zu töten!« rief Nefer entsetzt.

Eine Stimme erscholl, vor der die Zauberin zusammenschrak. »Noch wird er leben bleiben, aber nicht mehr lange!«

Es war die Stimme des Oberpriesters.

Nefer schaute zitternd auf Mirinri, der merkwürdigerweise kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Sie ahnte, daß der Mundknebel, mit dem er überwunden worden war, ein narkotisches Mittel enthielt.

Jetzt wurde sie selbst gefesselt. Auch ihr schwanden die Sinne, und sie fiel ohnmächtig einem der Wächter in die Arme.


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