Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Der Tempel der nubischen Könige

Das Schiff fuhr mit geblähten Segeln an dem von Lotosblumen umrandeten Gestade entlang. Mirinri saß auf dem Achterdeck und hing seinen Traumgebilden nach. Er fühlte nach den Gemütsbewegungen dieser Nacht nicht die geringste Müdigkeit.

Die Zauberin hatte sich auf einer Decke aus Papyrusfasern dicht neben Mirinri niedergelassen. Sie forschte aufmerksam in seinen Zügen. Aber von Zeit zu Zeit erhob sie den schönen Kopf und lauschte, wie eine Löwin auf der Lauer. Auf ihrer Stirn lag ein Schatten.

Mirinri schien die Nähe des Mädchens nicht zu bemerken, obgleich sie ihn fest ansah.

Die langen Wimpel knatterten im Wind, sie stießen gegen den Mastbaum, und die Taue gaben sonderbare Töne von sich. Einige in Papyrussträuchern schlafende Ibisse flogen hin und wieder auf, streiften das Wasser und gaben einen Schrei von sich, wenn sie unter den Palmen am Ufer dunkle Schatten bemerkten.

An Bord war es still. Die Äthiopier an der Schiffswand rührten sich nicht. Unis und Ata saßen am Vorderdeck, ohne ein Wort zu sprechen. Ersterer verfolgte den Kometen, der eben hinter hohen Bäumen verschwand.

Plötzlich ermannte sich Mirinri von seinen Träumen. Jetzt erst sah er das Mädchen. »Was machst du hier, Nefer? Warum gehst du nicht zur Ruhe?«

»Der Sonnensohn schläft auch nicht«, antwortete Nefer.

»Ich bin ein Mann und bin an Nachtwachen gewöhnt.«

»Und ich muß das Erscheinen der Sonne abwarten, um dir eine gute oder schlimme Zukunft zu weissagen, Herr. Der erste Sonnenstrahl wird es verkünden. Er soll mich erleuchten!«

Eine kurze Pause entstand, dann nahm Mirinri das Gespräch wieder auf. »Jetzt mußt du aber sagen, wer du bist und woher du kommst. Warum wollten dich die Bastanbeter blenden? Was für ein unheimliches Schicksal hast du?«

Die Zauberin sah ihn schweigend, mit einer gewissen Angst im Blick an, was dem jungen Pharao nicht entging.

»Sieh, wir wissen doch nicht, ob du eine Feindin oder eine Freundin von uns bist«, fuhr er fort.

»Ich deine Feindin? Kann ich das sein, nachdem du mich meinen Verfolgern entrissen hast?«

Sie erhob sich und beobachtete zuerst die Sterne. Dann zeigte sie mit der Rechten nach Süden und sagte: »Dort unten bin ich geboren, in Nubien, wo die großen Flüsse sich in den majestätischen Nil ergießen. Mein Vater war – wenn auch nicht von göttlicher Abstammung wie der deine – so doch ein großer Häuptling. Meine Mutter war eine Priesterin des Kintar-Tempels. Von meiner Kindheit weiß ich nicht mehr viel. Ich erinnere mich unbestimmt goldstrotzender Paläste, großer Tempel und hoher Obelisken. Ich erinnere mich an Krieger, schwarz wie Ebenholz, die mit Steinbeilen und Bogen bewaffnet waren und meinem Vater wie Sklaven gehorchten. Mir ist's, als ob ich ein glückliches Kind gewesen wäre. Ich badete im großen Fluß und befuhr ihn mit vergoldeten Barken. Frauen bedienten mich kniend und spielten Instrumente. Da kam ein trauriger Tag, der mir alles nahm. Ein aus Unterägypten kommendes Heer drang in Nubien ein und verwüstete unser Land. Es waren Pepis Soldaten!«

»Des Usurpators Krieger?« rief Mirinri atemlos. »Kennst du ihn selber? Weißt du von seiner Schuld? Daß er meinem Vater und mir den Thron geraubt hat?«

»Ja. Man raunte sich zu, daß seines Vorgängers Sohn noch lebe, daß er von einer unbekannten Hand geraubt worden wäre, aus Furcht, daß König Pepi ihn tötete.«

»Fahre fort mit deiner Geschichte!«

»Mein Vater wurde bei der Verteidigung seines Landes getötet, und der von Wunden bedeckte Körper wurde den Krokodilen vorgeworfen. Nachdem man die Ortschaften ringsum in Brand gesetzt hatte, wurden die Frauen und Kinder als Sklaven nach Memphis geschleppt.«

»Auch du?«

»Ja, Herr! Als aber meine Mutter, geschwächt durch die Anstrengungen und das ungeheure Leid, gestorben war, entfloh ich meinen Peinigern auf einer Barke, die den Nil hinauffuhr. Seitdem lebe ich von dem, was mir die Wahrsagekunst und das Spiel auf der Harfe einbringen.«

»Was ist der Grund, warum man dich verfolgt? Warum wollte man dich blenden?« fragte jetzt Unis, der sich lautlos genähert und den Worten des Mädchens gelauscht hatte. »Du bist uns noch die Antwort schuldig geblieben!«

»Man hatte die Absicht, ebenso grausam an mir zu handeln, wie an jenem Mann gehandelt worden war, der mir zuliebe ein großes Opfer brachte.«

»Wer war das?«

»Ein kühner Jüngling, ein Schiffer, dessen ich mich zur Ausführung eines bestimmten Planes bedienen wollte. Oft hat er mir, wenn wir uns am Strand zusammenfanden, von einem wunderbaren, auf einer Insel inmitten eines dichten Waldes gelegenen Tempel gesprochen, der die Schätze der alten nubischen Könige enthalten sollte. Dieser Reichtümer wollte ich mich mit seiner Hilfe bemächtigen, um Sklaven zu bewaffnen und mich wieder in den Besitz der Gebiete zu setzen, die meinem Vater gehörten. Man sagte jedoch, daß keiner von jener Insel je zurückgekehrt wäre ... Obgleich ich einer höheren Kaste angehöre, versprach ich dem Jüngling meine Hand, wenn er das Wagnis unternehmen würde.

Er segelte mit seiner eigenen Barke dorthin, begegnete in dem dichten Wald weder Menschen noch Tieren und stand plötzlich vor einem großen Tempel, dessen Pforte geöffnet war. Ein Dämmerlicht herrschte darin. Aus unsichtbaren Spalten drangen Rauchwolken, die Wohlgerüche verbreiteten. Der Fußboden war mit schwarzen und weißen Steinchen ausgelegt, die Lotosblumen und Ibisse mit ausgebreiteten Flügeln darstellten ...«

»Woher kennst du all diese Einzelheiten?« fragte Unis, welcher der seltsamen Erzählung mit Spannung folgte.

»Der Jüngling erzählte es mir nach seiner Rückkehr.«

»Also kam er unversehrt wieder?«

»Höre weiter!« fuhr Nefer fort. »Nachdem er die Wände vergebens nach einer Tür untersucht hatte, fand er eine schwarze Marmorplatte mit einer eingravierten Lotosblume. Er schob die Tafel gewaltsam zurück und trat in einen engen, dunklen Gang ein, an dessen äußerstem Ende ein Licht brannte.

Mein mutiger Freund schritt weiter ...

Ein Saal mit einer dreifachen, sich weit hinstreckenden Säulenreihe umfing ihn. Bei dem grünlichen Licht, das in der Mitte des Raumes aus dem Fußboden quoll, bemerkte er große bronzene Urnen, vollgefüllt bis zum Rand mit Gold und Edelsteinen. Aber er wagte nicht, die Hand nach den Saphiren und Rubinen auszustrecken. Erhöht, auf einer breiten Stufe, ruhten zwei Sphinxe mit Löwenköpfen aus massivem Gold. Ihre Augen bestanden aus riesigen Rubinen. Dahinter ein Vorhang. Mit bebender Hand öffnete ihn der Kühne, und ein Schrei der Überraschung entfuhr seinen Lippen. Einem silbernen Becken entstieg unter rötlichem Licht eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit. Ein leichter, mit Silber bestickter Schleier umhüllte ihren schlanken Körper. Ihre Arme umwanden Goldreifen, und ihre Stirn war mit einem Smaragd von unglaublicher Größe geschmückt!«

Nefer hielt inne. Sie warf die langen Haare zurück. Dabei sahen die Umstehenden einen Stein blitzen. War es etwa ein ähnlicher Smaragd, wie ihn das Mädchen im Tempel trug? Die Zauberin ließ ihnen aber keine Zeit zu fragen, sondern erzählte weiter: »Mein Freund war – überwältigt von dem Anblick, der alles übertraf, was er je geträumt hatte – in die Knie gesunken. In Sehnsucht hatte er die Arme nach der strahlenden Erscheinung ausgestreckt. So hatte er mich und seinen Schwur vergessen, vergessen den Schatz, den er mir bringen wollte. Da fühlte der Kniende plötzlich, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. Acht Priester in langen, schneeweißen Gewändern, mit langen, weißen Barten standen neben ihm. Und einer von ihnen zog ihn empor und sprach: ›Du hast sehen wollen, und du hast gesehen! Nach welchem dieser Schätze hier steht dein Verlangen? Ist es das Gold oder sind es die leuchtenden Steine? Sprich und wähle!‹

Da zeigte der Unglückliche auf das göttliche Weib, das, vom Schein der roten, züngelnden Flamme übergossen, vor ihm stand, und rief: ›Diese dort! Ich will weder Gold noch Edelsteine, es sei mir nur vergönnt, für immer die strahlende Schönheit zu schauen! Lieber will ich das Licht des Tages nicht mehr sehen, als ihren Anblick zu entbehren!‹

Die Jungfrau hob den Arm und sagte: ›Es geschehe nach deinem Wunsch. Deine Antwort hat dir zwar das Leben gerettet, das durch ein anderes Verlangen uns verfallen wäre, aber du wirst nun in Dunkelheit verharren bis zu deinem Tod. Ziehe hin! Niemand darf zurückkehren, der mich erschaut, es sei denn ein Sonnensohn!‹

Der Jüngling hörte nicht, was sie sprach. Er war in ihren Anblick versunken. Da entfuhren ihm Laute wildesten Schmerzes. Einer der Priester hatte ihm die Pupillen mit einer glühenden Nadel berührt.

›Nun wirst du für immer die Vision ihrer Schönheit haben!‹ spottete er. ›Dein Herz wird bis zur Todesstunde für sie schlagen ...‹

Einige Tage darauf«, schloß Nefer ihre Erzählung, »wurde der Geblendete, als er mit einer Barke ziellos im Fluß umherirrte, von einem Freund aufgegriffen und heimgebracht. Er war nicht nur blind, sondern auch wahnsinnig geworden, sprach nur von der Erscheinung im Tempel. Und weil man ahnte, daß ich es war, die ihn zu der geheimnisvollen Insel geschickt hatte, so wollten die Bastanbeter an mir dieselbe Strafe, die er erlitten, vollziehen. Man wollte mich blenden, um ihn zu rächen!«

»Ist der Unglückliche noch am Leben?« fragte Unis ergriffen. »Nein. Vor acht Tagen stürzte er sich in den Nil, nachdem er mir in einem lichten Augenblick voller Reue sein Erlebnis erzählt hatte.«

»Vor vielen Jahren habe ich von einem solchen Tempel sprechen hören«, sagte Unis sinnend. »Es war zur Zeit, als die chaldäischen Legionen in unser Land drangen und es dem Staat an Geld mangelte, um neue Heere auszurüsten. Einer von den Unsrigen kannte die Sage, daß ein von den alten nubischen Herrschern aufgehäufter Schatz auf einer Nilinsel verborgen sei. Er schlug Mirinris Vater vor, vertrauenswürdige Leute hinzuschicken und sich der Reichtümer zu bemächtigen. Die Kriegsereignisse hinderten jedoch die Ausführung. Vielleicht glaubte auch König Teti nicht an die Wahrheit der Legende.« »Erinnerst du dich noch, wer es war, der damals davon sprach?« fragte Mirinri.

»Ja, Pepi selbst, der Usurpator.«

»Mein Oheim?«

»Ja, derselbe. Wenn man wüßte, wo diese Schätze zu finden sind, wären unsere Zukunftspläne gesichert. Gold ist der Schlüssel zum Erfolg. Denn wer weiß, ob das, was wir besitzen, noch genügt, um die Kräfte jenes Mannes niederzuringen, nachdem er unsere Pläne wahrscheinlich bereits im voraus kennt.«

Die schwarzen Augen der Zauberin blitzten auf. »Aber ich weiß doch, wo die Insel liegt!« rief sie. »Mein Freund hat es mir genau beschrieben. Darum versuchte ich schon dieser Tage, sie mit einem Boot, das ich mir lieh, zu umschiffen, kehrte aber zum Bastfest zurück!«

»Und du weißt, wer den Tempel bewohnt?« fragte Mirinri

Unvermittelt schnellte Nefer empor und zeigte gen Osten. Die Dunkelheit war der Morgendämmerung gewichen. Die Sterne mit dem Kometen waren verschwunden.

»Seht, es kommt Osiris' große Seele, die Sonne!« rief sie aus. »Jetzt ist der Augenblick der Prophezeiung da. Reiche mir deine Stirn, Sonnensohn – möge sie sich niemals, weder bei Tag noch bei Nacht, verdunkeln!«

Mirinri hatte sich erhoben.

Die Zauberin starrte in das glühende, soeben hinter den Palmen am Ufer aufgehende Gestirn. Sein Licht spiegelte sich in den Wassern des Nils. Sie rief mit lauter Stimme die Gottheiten an: Seb, die Erde, und seine Gattin Nut, den Himmel, und Nu, das Sinnbild des Wassers. Darauf bat sie eine Anzahl Götter, sie zu erleuchten. Sie richtete sich an den Sonnengott Ra, an Apis, der den Nil darstellt, und an Nephtys, welche die Verstorbenen schützt.

»Höre mich, Toth«, fuhr sie fort, »Gott mit dem Ibiskopf, Erfinder aller Wissenschaften, höre mich, Osiris, der du die Vernunft vertrittst und Rat erteilst und der du die schöpferische Kraft bist! Götter, gebt mir die Macht, diesem jungen Pharao zu weissagen!«

Und während Nefer unablässig in die Sonne starrte, deren Strahlen ihre Augen einsogen, bebte ihr ganzer Körper, wie von einem Schauer ergriffen. Dann legte sie die Hände über die Augen und sprach langsam, mit zitternder Stimme: »Ich sehe ... ich sehe einen jungen Pharao, der ... mit einem Herrscher ringt ... auch einen Greis, der ihm beisteht. Ich sehe ... eine Jungfrau, lieblich wie die Sonne, wenn sie am Horizont untergeht ...

Jetzt sehe ich nichts mehr ... Ein dichter Schleier liegt vor mir. Sollte er ein Geheimnis bergen?

Zerteile dich, Nebel! Es wird wieder Licht ... Der junge Pharao steigt empor ... als Sieger über alle! ... Aber jener böse Stern dort – wem wird er verhängnisvoll werden? Wem? Ich sehe ein Mädchen weinen ... Ich sehe Tränen und Blut ... O großer Osiris, laß mich ihr Antlitz schauen! Sie stirbt mit durchbohrter Brust ... Der junge Pharao wird ihr Unglück bringen!

Jetzt ... sehe ich nichts mehr, nichts ... nichts!«

Als hätten sie die Kräfte verlassen, sank Nefer ohnmächtig in Mirinris Arme.

Unis winkte den Äthiopiern, daß sie das schlummernde Mädchen in die Kabine tragen sollten, da sie der Ruhe dringend bedurfte. »Was hältst du von der Prophezeiung?« fragte er Mirinri, der nachdenklich geworden war.

»Ich weiß nicht, ob man daran glauben darf«, antwortete dieser. »Sie verheißt mir Macht. Schön wäre die Erfüllung meines Sehnens ... Aber wer könnte jene Jungfrau sein, der ich verhängnisvoll werden soll? Etwa die Prinzessin, die ich vor dem Tod errettet habe?«

»Du denkst noch immer an sie?«

»Ja, immer. Sie hat mich behext ... Sie stammt ja, wie ich, von der Sonne ab.«

»Aber sie ist deine Feindin, die du hassen solltest!«

»Wissen wir, was im Schicksalsbuch steht?« fragte Mirinri seufzend.


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