Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Nefers Heilmittel

Am andern Tag schlenderten Nefer und Mirinri durch die Straßen des Fremdenviertels. Der alte Unis begleitete sie. Er hatte sich ein Tabl beschafft, eine Art Trommel aus Ton von zylindrischer Form, deren eine Seite mit Fell bespannt war. Die schlug er kräftig mit der Hand, um die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich zu lenken.

Nefer hatte den gewinnbringenden Beruf der Weissagerin im Auftrag des Oberpriesters schon einmal ausgeübt, als sie Mirinri in den Ortschaften am oberen Nil erwarten sollte. Daher nahm sie das Geschäft mit Leichtigkeit wieder auf. Sie wählte dazu den Hauptplatz des Viertels und zog sofort eine Menge Neugieriger an, die wohl vor allem durch die Schönheit und den reichen Schmuck des Mädchens angelockt wurden.

Auf einem Stein sitzend, rief sie mit ihrer melodischen Stimme unter Begleitung der von Unis geschlagenen Trommel: »Ich habe auf der Schwelle des Tempels zu Sais gesessen und die Wissenschaften studiert. Dort hat mir die göttliche Mutter die Heilmittel übergeben. Ich besitze die von Osiris selbst geschaffenen Zaubermittel, und der mich führt, ist Gott Thot,Thot Gott des Mondes, der Schreibkunst und der Wissenschaft. der Erfinder von Schrift und Wort. Die Zauberformeln allein heilen schon alle Krankheiten!«

Da erhob sich eine alte Ägypterin. Zögernd kamen die Worte von ihren Lippen: »Gib mir ein Rezept für meine Tochter, die ihr Kind nicht mehr nähren kann!«

»Suche Nilschildkröten und backe sie in Öl. Dann wird sie Milch im Überfluß haben«, antwortete Nefer.

Hierauf näherte sich eine junge Frau der Zauberin: »Ich möchte wissen, ob das Kind, das ich bekommen werde, lange leben oder bald sterben wird!«

»Wenn es beim Augenöffnen ›ni‹ sagt, so wird es viele Jahre leben; sagt es dagegen ›mba‹, so wird sein Leben bald verlöschen.«

Jetzt kam ein alter Mann hinzu: »In meinem Garten wohnt eine Schlange, die allabendlich aus ihrer Höhle kriecht und meine Hühner frißt. Sage mir, was soll ich machen, daß sie in ihrem Loch bleibt?«

»Lege einen PagrePagre Ein besonderer Nilfisch. vor ihre Höhle! Er muß aber sehr trocken sein. Dann wird die Schlange nicht mehr zum Vorschein kommen.«

»Zeige mir auch, wie ich die Mäuse fernhalten kann, die mein Getreide fressen!«

»Bestreiche die Wände deines Kornspeichers mit Katzenöl, und sie werden nicht mehr erscheinen. Oder verbrenne trockenen Gazellenmist, nimm die Asche davon, befeuchte sie mit Wasser und bedecke damit den Fußboden.«

Dann kam ein junges Mädchen an die Reihe.

»Was ist dein Wunsch?« fragte Nefer.

»Wie kann ich meine Zähne weißmachen und mein Haus mit Wohlgerüchen erfüllen, damit mein Bräutigam mich mehr liebt?«

»Nimm Pulver von Akazienkohle, und deine Zähne werden weißer als das Elfenbein der Nilpferde sein! Und wenn du deine Kammer parfümieren willst, so mische Weihrauch, Mimosen und Terpentinbaumharz, die Rinde von Zimt und Mastix und Kalmus von Syrien, mache alles zu Pulverstaub und wirf diesen auf ein Kohlenbecken. Dein Verlobter wird über die Feinheit deines Duftes staunen!«

Ein junger Krieger nahm den Platz der Braut ein. »Mädchen, sprich eine Formel, die mich vom Bandwurm befreit!«

»Gleich werde ich dich heilen«, antwortete Nefer, die immer ernst blieb. »O gräßliche Hyäne, und du, Hyänenweib! Zerstörer, Zerstörerin! Vernehmt meine Worte: Aufhören soll der schmerzhafte Lauf der Schlange im Magen dieses Jünglings! Ein böser Gott hat das Monstrum geschaffen, ein feindlicher Gott. Er soll das Übel verjagen, oder ich rufe das Feuerbecken an, daß es alle beide verbrenne oder zerstöre. – Geh; binnen kurzem wirst du nicht mehr leiden!«

Auch dieser junge Mann entfernte sich in der festen Überzeugung, bald kuriert zu sein.

So verlief der erste Tag unter fortgesetzten Beschwörungen. Ein Heilmittel war seltsamer als das andere, doch andauernd war das schöne Mädchen von Hilfesuchenden umringt. Erst spätabends konnten sich die beiden Sonnenkinder mit dem alten Unis, reich mit Geld versehen, in ihre Hütte zurückziehen. Sie waren froh und glücklich, keinen Verdacht erregt zu haben. Wer hätte aber auch vermuten können, daß der Sohn Tetis des Großen eine Art Gaukler geworden sei, um dem Auge der Obrigkeit zu entgehen!

»Bist du mit mir zufrieden?« fragte Nefer den Sonnensohn, während er gerade lächelnd die eingenommenen Münzen zählte.

»Du bist ein Prachtmädchen!« antwortete er. »Wenn ich König werde, ernenne ich dich zur Landesprophetin! Schade, daß ich nicht unter dem Publikum war.«

»Warum schade?«

»Ich hätte dich gebeten, mir mein Schicksal zu verkünden.«

»Ich habe es dir ja schon vorausgesagt!«

»Daß ich einst König werde?«

»Ja!«

»Das genügt mir noch nicht, ich möchte mehr wissen.«

Nefer seufzte. »Ich glaube, daß ich dich verstanden habe«, sagte sie langsam, indem sie sich auf einen Stuhl fallen ließ.

»Also prophezeie!«

»Du – wirst sie sehen.«

»In Memphis?«

»Hier in dieser Stadt!«

Mirinri zuckte voll froher Erwartung zusammen. Sein Gesicht war wie von Purpur übergossen.

Nefer bedeckte ihre Augen mit beiden Händen und sagte nach einer Weile, wie zu sich selber sprechend: »Ich sehe sie ... Sie liegt auf einer goldumrandeten, von acht nubischen Sklaven getragenen Sänfte, und vor ihr schreitet erhaben ein schwarzer Stier mit vergoldeten Hörnern ...

Es klingen die heiligen Sistren ... Herrliche Harfen- und Gitarrentöne steigen zum Himmel empor, es rollen die Trommeln ... Tänzerinnen schließen ihre Reigen um die königliche Sänfte und befestigen das königliche Abzeichen, das zwischen den schwarzen Flechten der schönen Pharaonin schimmert... Ich sehe Wagen mit Kriegern, ich sehe Bogenschützen und Wachen, ich höre den Beifall der Menge, welcher der Tochter des mächtigen Königs zujubelt... Da! Ein Schrei, ein gellender Schrei!«

Nefer hatte die Hände sinken lassen und war aufgesprungen. Sie schaute den Jüngling schreckensbleich an.

»Was hast du?« fragte dieser, überrascht von dem jähen Ausbruch.

»Der Schrei kam aus deinem Mund, Herr! Ich habe es deutlich gehört.«

»Fahre fort!«

»Ach, ich sehe nichts mehr! Die Vision ist dahin.«

»Aber warum hat dich der Schrei so erschreckt?«

»Ich weiß es nicht – als ich ihn vernahm, krampfte sich mein Herz zusammen, als ob es eine eiserne Hand gepackt hätte.«

Jetzt kam Unis hinzu, der sich im Nebenraum mit der Zubereitung einer Speise aus trockenen Datteln und Lotossamen beschäftigt hatte. Auf seinem sonst so ruhigen Gesicht lag der Schrecken über das eben Gehörte. Er wandte sich mit unsicherer Stimme an das Mädchen: »Sage mir, Kind, hast du dich nicht getäuscht?«

»Nein.«

»Versuche noch einmal, in die Zukunft zu sehen! Vielleicht gelingt es dir, das Geheimnis zu erfassen!«

Nefer tat, wie ihr geheißen. Sie bedeckte von neuem die Augen mit den Händen. Unis beobachtete sie mit Sorge.

»Nebel... nichts als Nebel«, sagte sie tonlos nach einer Weile. »Kannst du ihn gar nicht durchdringen?«

»Ja, jetzt... Ein Thron, von Licht übergossen ... ein Mann, dessen Haupt mit dem Symbol der Macht über Leben und Tod geschmückt ist...«

»Ist er jung oder alt?«

»Warte ... er ist es!«

»Wer?«

»Der König, den wir auf der vergoldeten Barke gesehen haben ... gegen den Mirinri den Wurfspieß erhoben hat.«

»Was tut er?«

»Geduld ... Ich sehe Nebel um ihn kreisen ... Jetzt scheint sein Gesicht wutverzerrt, jetzt schreckensbleich ... Ein Greis ist um ihn ... er hat ein krummes Eisen in der Hand, wie man es zum Präparieren von Mumien braucht...«

»Wer ist der Tote?« unterbrach sie Unis erschrocken.

»Ich weiß es nicht.«

»Nefer, ich bitte dich, schau genauer hin, versuch es!«

»Jetzt sehe ich nichts mehr ... Ah, doch! Einen herrlichen Saal ... Volk, Soldaten, Priester ... Er öffnet den Naos, die göttliche Reliquie ... Da... er!«

»Wer?«

»Her-Hor!«

»Wie? Der Priester, den du getötet hast?«

»Ja, Herr!«

»Siehst du ihn lebend?«

»Ja, lebend«, antwortete Nefer heiser, während ein Schauer durch ihren Körper ging. »Er wird mein Verhängnis sein.«

»Was sagst du, Mädchen?« fragten Unis und Mirinri wie aus einem Mund.

Nefer antwortete nicht mehr. Ihr Kopf sank auf den Tisch.

Nun erhob sich Unis und legte die Hand auf Mirinris Schulter. Dabei sagte er: »Sie hat eine Gefahr für dich gesehen. Hüte dich!«

»Glaubst du an ihre Visionen?«

»Ja, ich glaube daran.«

»Ich glaube aber auch an meinen Stern, an den Ton der Memnonsäule, an die Auferstehungsblume, die sich in meinen Händen erschloß. Unis, mein Schicksal wird sich glänzend erfüllen!«


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