Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Hochwasser im Nil

Nachdem die erste Flut des anschwellenden Nils Atas Schiff breit und schäumend umrauscht hatte, wallte sie zwischen den Ufern langsam weiter. Während das Wasser früher hell war, wurde es jetzt grünlich und trübe. In wenigen Tagen mußte es sich noch weiter verfärben.

Bei dem ersten Stoß gegen den Segler hatte sich Mirinri erhoben.

»Ah, das Hochwasser, das Nefer ankündigte!« rief er. »Wird es uns schneller nach Memphis führen, Unis?«

»Du kannst wohl den Anblick der großen Stadt schon nicht mehr erwarten?« fragte dieser lächelnd.

»Sag, Unis, was hab' ich denn bisher gesehen? Sand und Pyramiden, Palmen und Krokodile – nichts weiter!«

»Geduld, mein Sohn.«

Nefer hatte sich schweigend genähert.

»Warum hast du nicht weiter gesungen?« fragte sie der Priester. Sie senkte den schönen Kopf und lächelte traurig. »Meine Stimme erfreut den Sonnensohn nicht.«

Mirinri schien ihre Antwort nicht gehört zu haben. Er schaute aufmerksam zum Ufer hinüber, wo sich einige jener einfachen Maschinen befanden, die das Wasser heben und über die höhergelegenen Gebiete ausbreiten sollten. Sie wurden von einem einzigen Mann bedient. Nicht weit davon sah man etliche zur Tränke geführte Rinder. Aber nicht dies zog des Jünglings Aufmerksamkeit an, sondern ein großes Reptil, das seinen häßlichen Kopf emporstreckte. Es war wohl sechs Meter lang. Ruhig glitt es zwischen den Papyruspflanzen und breiten Lotosblättern, die das Hochwasser allmählich überflutete, dem Ufer zu, und zwar geradewegs auf einen großen, schwarzen Stier los, der dort seinen Durst löschte.

»Sieh, Nefer«, sagte er, »solch ein Krokodil war es, vor dem ich die Prinzessin rettete. Bald wird das Untier seine Beute erwischt haben!«

Nefer beugte sich über die Schiffswand. »Du hättest aber selber dabei umkommen können, Herr«, erwiderte sie leise.

Mirinri lächelte übermütig. »Ich habe niemals Furcht gehabt, weder vor Löwen noch vor Krokodilen. Ein Sohn der Sonne stirbt nicht so leicht.«

»Aber warum hast du dein kostbares Leben gerade für jenes Mädchen eingesetzt? Wahrscheinlich, weil es eine Pharaonin war!«

»Das habe ich erst nach Tagen erfahren, als ich ihren verlorengegangenen Schmuck im Gras fand, das Symbol der Macht über Leben und Tod.«

Des Mädchens Augen blitzten seltsam auf. Sie murmelte einige unverständliche Worte und richtete dann ihren Blick auf den Fluß. Mirinri tat das gleiche. Jetzt bestieg Nefer sogar die Schiffswand, als wollte sie die Bewegungen des Krokodils noch besser beobachten.

Der Stier, ein kräftiges Tier mit langen, nach vorne gebogenen Hörnern, trank ruhig weiter, während hinter ihm ein halbes Dutzend Kühe unbewacht grasten. Plötzlich aber entfuhr ihm ein wildes, heiseres Brüllen. Er strebte mit aller Kraft nach rückwärts. Vergeblich – das Krokodil hatte ihn schon überrascht und beim Maul ergriffen. Seine Vorderzähne hatten sich tief ins Fleisch eingebohrt.

»Das Tier ist verloren!« rief Mirinri.

»Wenn sich ihm nicht eine bessere Beute bietet«, flüsterte Nefer.

Der Stier leistete verzweifelten Widerstand. Um nicht ins Wasser gezogen zu werden, stemmte er mit starren Gelenken seine Beine auf, während das Ungeheuer ihn mit seinen ausdruckslosen Augen anglotzte. Unglücklicherweise jedoch war das Ufer schon schlammig geworden, so daß es unter den breiten, derben Hufen des armen Wiederkäuers nachgab. Auf diese Weise sank er immer tiefer in die Erde, und es gab für ihn kein Zurückweichen mehr.

Dumpfes, schmerzliches Gebrüll ließ er vernehmen, indes blutiger Geifer aus seinen Nüstern kam. Seine mächtigen Flanken bebten, und sein Schwanz peitschte die Luft, während sich seine Augen immer mehr vergrößerten, als ob sie aus ihren Höhlen treten wollten.

Das Krokodil biß unaufhörlich auf ihn ein. Es schien nur das Fallen des Tieres abzuwarten, um es endgültig in den Fluß zu ziehen.

Plötzlich ein dumpfer Schlag.

Unis schrie auf: »Den Stein hinunter! Nefer ist ins Wasser gefallen!«

Die Zauberin hatte entweder das Gleichgewicht verloren oder war von einem Schwindel erfaßt worden. Ihr Körper verschwand in dem grünlichen Gewässer.

Als das Krokodil den Schlag vernahm, der ihm eine andere, leichtere Beute ankündigte, ließ es den Stier los und wandte sich um, indem es wie rasend den Schwanz bewegte.

Da erschien Nefer wieder an der Oberfläche. Die leichten Schleier, die sie umhüllten, schwammen auf dem Strom.

»Eine Waffe! Schnell!« rief Mirinri.

Ein Äthiopier, der gerade die Rettungsschaluppe zurechtmachen wollte, reichte ihm den Dolch, den er im Gürtel trug. Und augenblicklich war der Jüngling in den Fluß gesprungen.

»Unglücklicher! Was tust du!« schrie der Priester auf.

»Retten wir ihn! Los die Schaluppe!« rief Ata.

Nachdem das Krokodil das Mädchen entdeckt hatte, war es mit wenigen Schwanzschlägen durch die Lotosmassen gekommen. Und schon hatte es seine Kiefer aufgesperrt, um den zarten Körper zu packen, als Mirinri vor ihm auftauchte. Nicht achtend der großen Gefahr, in der er schwebte, stieß er seinen langen Dolch in den Rachen des Tieres.

Das Opfer wand sich vor Schmerz. Laute entfuhren ihm, die den Tönen der Trommel ähnlich waren. Sein Schwanz schlug mehrmals heftig auf, dann verschwand es zwischen den Papyrusstauden.

Mirinri ließ die Waffe fahren, die nicht mehr nötig war. Rasch ergriff er den Körper des Mädchens, das, ohnmächtig geworden, eben wieder unterzusinken drohte, und mit kräftigen Stößen schwamm er in dem reißenden Strom dem Rettungskahn zu. Er hatte Nefer an die Brust gedrückt.

So kämpfend mit dem Hochwasser, erreichte er die Schaluppe und übergab das Mädchen den Äthiopiern. Dann schwang er sich selbst behend hinüber.

Ata, der sich mit auf dem Kahn befand, hatte sofort entdeckt, daß Nefers Puls noch schlug. »Aber warum hast du um dieser Zauberin willen dein Leben aufs Spiel gesetzt!« sagte er vorwurfsvoll.

»Wenn es wahr ist, daß ich ein Pharao bin, so muß ich stets an die Rettung meiner Untertanen denken.«

Der Jüngling zog sich an dem ihm zugeworfenen Seil an Bord des Seglers hinauf, wo ihn Unis voller Besorgnis erwartete. »Ich habe in Angst um dich geschwebt! Und dennoch hast du recht getan. Du bist der Sohn Tetis – dein Vater hätte es ebenso gemacht.«

Jetzt erst kam Mirinri zum Bewußtsein, wie anders doch seine Empfindungen geblieben waren, als er die Prinzessin gerettet hatte.


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