Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Nach Memphis

Der Lauf des Nils war reißend geworden. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden war das Hochwasser bedeutend gestiegen, so daß das Boot auch ohne Hilfe von Ruderern und Wind dahingleiten konnte.

Sobald die Flüchtlinge eingeschifft waren, führte die Zauberin den Sonnensohn und seine beiden Begleiter in die Kabine. Die Äthiopier brachte sie im Kielraum unter, damit sie dort ihren Rausch vollständig ausschlafen konnten. Sie legten sich auch sogleich auf den nackten Fußboden und vergaßen ihren Schützling und die Gefahren, denen sie soeben entronnen waren. Danach ließ Nefer sich am Vorderdeck nieder.

Die Luft tat ihr wohl, denn noch glühten ihre Wangen vor Erregung über das vor kurzem Erlebte. Sie war verstört und mußte mühsam ihre Ruhe wieder suchen. Und doch konnte sie nicht bereuen, was sie getan hatte: Sie hatte einen Schurken niedergestochen, um den Sonnensohn mit der reinen Seele zu retten.

Sie schaute den Fluß entlang. Welle auf Welle folgte einander, so als hätten die Äquatorialseen ihre unerschöpflichen Quellen in den Nil ergossen.

Da näherte sich ihr der Bootsführer. »Was sind das für Leute, die du aufs Schiff gebracht hast?«

»Freunde des Oberpriesters«, erwiderte sie, ohne sich umzuwenden.

Er schüttelte den Kopf. »Merkwürdig, daß sie alle taumelten.« Sie fiel ihm ins Wort: »Was kümmert es dich?« Dabei machte sie eine Handbewegung, daß das Schlangenarmband im Licht der untergehenden Sonne glitzerte und funkelte.

Er verneigte sich tief. »Man nennt dich Fürstin der Schatteninsel. Bist du nicht des Oberpriesters Adoptivtochter?«

»Ich bin eine Pharaonin!«

Und wieder verbeugte sich der neugierige Alte, diesmal noch tiefer als vorher. So groß war die Macht derer, die zum regierenden Geschlecht gehörten.

»Wann werden wir in Memphis sein?« schnitt Nefer dem Bootsführer jede andere Frage ab.

»Morgen abend, denke ich. Die Strömung wird uns rasch befördern.« Hierauf wandte er sich nach einer nochmaligen Verneigung seiner Mannschaft zu, die nun eifrig mit den Rudern hantierte.

Es wurde schnell dunkel. Bald blinkten die Sterne am Himmel auf. Über den großen, das nahe Ufer bedeckenden Wäldern kündigte sich das Aufgehen des Mondes durch einen unbestimmten, hellen Schein an. Zwischen den Papyrusstauden rauschten die Nilwasser. Die von den Wellen mitgerissenen Lotosblumen strömten einen starken Duft aus, den eine frische Brise an Bord trug.

Nefer lag auf einem Stapel von Tauen, den Kopf in die Hand gestützt, in Gedanken versunken: Kein Laut ringsum, nur die Fluten rauschten. Stumm vollbrachten die Bootsleute ihre Arbeit. Der Alte an dem langen, als Steuer dienenden Ruder beobachtete am andern Ende des Schiffs die Sterne.

Unis, Mirinri und Ata schienen noch zu schlafen. Schon war der Mond langsam aufgegangen und ergoß seinen Glanz über den majestätischen Fluß. Das Schiff flog, gehoben von den Wogen, rasch dahin. Das Hochwasser trug es mit immer wachsender Schnelligkeit nach der Hauptstadt ...

So verging die Nacht.

Mond und Sterne waren verschwunden, und das erste Morgenrot erschien am Horizont, verjagte die Dunkelheit und warf zarten Widerschein auf das Wasser.

Nefer war eingeschlummert; sie hatte dabei das Schlangensymbol fest umklammert. Da weckte sie eine wohlbekannte Stimme.

»Nefer, wo sind wir?«

Es war Mirinri. Er, sein Erzieher und Ata standen mit verlegenen Mienen vor ihr. Es war ihnen wohl zu Bewußtsein gekommen, daß sie nur eine unklare Vorstellung von dem gestrigen Erlebnis hatten.

Das Mädchen erhob sich lächelnd. »Wir sind auf dem Weg nach Memphis.«

»Nach Memphis?« rief der Jüngling mit blitzenden Augen.

»Wer hat dir das Boot verschafft? Was ist überhaupt vorgefallen?«

»Ja, Kind, erkläre uns doch, wann haben wir den Tempel der nubischen Könige verlassen?« fragte jetzt Unis. »Mein Gehirn ist wie von einem dichten Nebel umhüllt. Wo sind unsere Feinde geblieben?«

Das Rauschen der Fluten übertönte zum Glück die Stimmen, so daß die Schiffsbesatzung drüben nichts von dem Gespräch verstehen konnte.

»Ich erinnere mich dunkel eines alten Mannes im Priestergewand«, sagte Mirinri. »Er lag vor uns auf den Steinfliesen ... mit durchbohrter Brust ...

Aber vielleicht war es nur ein Traum.«

»Nein, es war Wirklichkeit. Ich ... ich habe den Priester getötet.«

»Du, Nefer?«

»Ich! Denn er wollte mich zwingen, dich, Mirinri, zu ermorden!«

»Mich – morden?«

»Nur durch seinen Tod habe ich dich retten können.«

»Wie hieß er?« fragte Ata, der den Worten des Mädchens gespannt gelauscht hatte und sich des tot am Boden Liegenden zu erinnern schien.

»Es war Her-Hor, der Oberpriester, der den größten Einfluß auf König Pepi ausübt. Beide wollten verhindern, daß ihr nach Memphis gelangt.«

»Her-Hor!« rief Unis erregt.

»Ich dachte es mir«, murmelte Ata.

»Mir war die Aufgabe zugefallen, euch auf der Schatteninsel als Gefangene festzuhalten, und zwar für immer.«

Unis fuhr zornig auf: »Wußte denn der Priester, daß wir die Wüste verlassen hatten und auf dem Weg nach Memphis waren?«

»Alles wußte er. Seinem Hirn entsprang der Gedanke, euch in den Tempel zu locken. Er legte euch die Fallen bei den Bastanbetern, er schickte die Brandtauben, er erzählte mir die Sage von dem Schatz der nubischen Könige. Seinem Befehl mußte ich gehorchen und euch zu der Schatteninsel führen. Ihr hättet sie niemals lebend verlassen, wenn ich ihm nicht in jenem verhängnisvollen Augenblick den Dolch in die Brust gestoßen hätte!«

Alle drei Männer schwiegen, ergriffen von dem Gehörten. »Aber wie kamen wir auf dieses Schiff? Wem gehört es?« fragte Ata endlich.

»König Pepi. Du siehst es an den Köchern mit den Wurfspießen an der Schiffswand. Nach der Flucht durch den Wald war es die einzige Rettung. Durch diesen königlichen Schmuck hier, die Uräusschlange, die ich dem Oberpriester abgenommen habe, gehorchte mir die Besatzung.«

»Ich schulde dir also Freiheit und Leben!« rief Mirinri, Nefers Hand ergreifend. »Habe Dank! Du sollst wie meine Schwester sein, denn auch du hast Pharaonenblut in dir.«

»Deine Schwester«, sprach sie langsam, indem sie die Augen mit den Händen bedeckte, als ob sie wieder eine Vision hätte. Dann raffte sie sich zusammen. »Wenn es nötig ist, werde ich mein Leben hingeben, damit du deinen großen Traum verwirklichen kannst.«

Unis war mit seinen Gedanken woanders. »Her-Hor«, wiederholte er mehrmals, wie zu sich selber sprechend. »Was für Erinnerungen!«

»Laß ihn, er ist tot. Quäle dich nicht«, sagte Ata. »Beobachten wir lieber die Ufer. Heute abend muß Memphis in Sicht sein!« »Wird unsere Ankunft dort nicht Verdacht erregen?« fragte Mirinri. »Wie können wir uns dagegen schützen?«

»Das laß meine Sorge sein. Ich werde mich den Leuten in Memphis als Zauberin zeigen. Und du kannst mein Beschützer werden. Kein Mensch wird glauben, daß unter den Straßenkomödianten ein Pharao sei!«

»Vor allem Vorsicht«, mahnte Ata. »Ein einziges laut gesprochenes Wort kann den Sonnensohn in Gefahr bringen. Des Königs Polizei ist gut geschult, hat überall Augen und Ohren; die Hauptstadt wimmelt von Spionen.«

Auf Unis' Frage, ob nicht auch die Schiffsbesatzung Verrat üben könne, schlug Ata vor, sie kurz vor Memphis in den Nil zu werfen. Es seien ja doch nur Sklaven, denen der Tod eine Befreiung wäre.

»Niemals würde ich das zulassen!« rief Mirinri. »Auch sie werden eines Tages meine Untertanen sein! Mein Aufstieg soll nicht über sinnlose Menschenopfer gehen.«

Während das Schiff auf den hohen Wellen dahinglitt, schauten seine Insassen erwartungsvoll nach Norden. Das Ufer belebte sich jetzt.

Hier und dort erhoben sich auf kleinen Anhöhen, die das Nilwasser nicht erreichen konnte, Tempel und Festungen; dann auch hohe Mauern mit wunderbar gemeißelten Figuren, wie in einen Rahmen eingefügt. Die mit einem Kinnbart versehenen Gestalten waren nur mit einem Gürtel bekleidet. Zu beiden Seiten standen Götterstatuetten.

Auch der Fluß wurde belebter. Man sah leichte Barken aus Papyrus, auch mächtige Schiffe mit breiten, viereckigen Segeln, beladen mit Steinen, die für prächtige Bauten bestimmt waren – die Könige dieses Landes hatten alle das Bestreben, durch Monumentalwerke unauslöschliche Spuren ihrer Herrschaft zu hinterlassen. Andere Schiffe wieder waren mit Lebensmitteln befrachtet.

Als die Umrisse der Hauptstadt immer deutlicher wurden, konnte Mirinri seiner Erregung kaum noch Herr werden. »Die Luft von Memphis berührt mich eigenartig«, sagte er. »Sie weitet mir die Seele. In der Wüste unter den Palmen kannte ich dies Gefühl nicht, mein Herz war still. Aber jetzt fühle ich eine unbeschreibliche Kraft in mir!«

In diesem Augenblick zogen leuchtende Punkte, die auf dem Wasser hin- und herglitten, die Aufmerksamkeit der Bootsinsassen an.

»Da kommen die Königsschiffe!« rief Nefer. »Der Pharao wird das Hochwasser besichtigen wollen.«

Unis, der neben Mirinri stand, hob drohend seine Fäuste gegen die goldglitzernden Boote mit den flammendrot geblähten Segeln. Mirinri aber erschrak vor dem Ausdruck des Hasses, der auf dem Gesicht seines Erziehers lag. Noch nie hatte er ihn so gesehen.

Jetzt war die Königsflottille nahe. Sie bestand aus sechs vergoldeten Schiffen. An Bord sah man kleine, auf dünnen Pfeilern ruhende Zeltdächer; auch langgestielte Fächer aus bunten Federn, die durch ein goldenes Schild zusammengehalten wurden, schwankten hin und her. Das erste Schiff wurde von vielen reichgekleideten Sklaven mit Rudern bedient. In seiner Mitte saß, unter einem Schirm mit Goldfransen, von Kissen umgeben, ein Greis. Er trug eine hohe, kegelförmige Kopfbedeckung mit breiten, bis auf die Brust herabhängenden Bändern. An dem Uräus vor der Stirn erkannte man den König.

Ein harter, grausamer Zug lag auf dem Gesicht des Mannes, der mit unsicherem Blick um sich schaute, als ob er sich vor einer Verfolgung fürchtete.

Mirinri hatte die Augen fest auf den Alten gerichtet, der das Symbol der höchsten Macht trug. Auch Unis verschlang ihn mit den Blicken. In diesem Augenblick glitt das Königsboot nahe an ihnen vorüber.

Der Jüngling war im Begriff, einen Wurfspieß auf den Herrscher zu schleudern. Er entriß ihn dem Köcher an der Schiffswand, gegen die er sich lehnte. Ata aber schlug ihm blitzschnell die Waffe aus der Hand und warf sie in den Nil.

»Was tust du! Der Tod wäre uns allen gewiß!« flüsterte er vorwurfsvoll.

Unis hingegen hatte sich nicht gerührt. Er hatte wohl die Bewegung seines Zöglings gesehen, war aber stumm geblieben.

Außer den beiden hatte niemand auf dem Segelboot, auf dem sie sich befanden, die Szene bemerkt. Die Besatzung war mit der Betrachtung des königlichen Glanzes beschäftigt. Auch auf dem prunkvollen Pharaonenschiff schien keiner das bescheidene Boot eines Blickes gewürdigt zu haben.

Noch immer konnte Mirinri das Auge nicht von dem goldenen Schiff wenden, bis es hinter einem kleinen Inselchen verschwunden war. »Ich habe mir die Züge des Usurpators eingeprägt«, sagte er ernst, sich zu Unis umwendend. »Sobald ich ihn wiedersehe, soll mein Schwert ihn durchbohren.«

Nefer, die sich hinter den Nubiern versteckt hatte, während die königliche Flottille vorüberrauschte, rief jetzt aus voller Kehle: »Seht, Memphis , die Hauptstadt! Wir sind da!«

Die stolze Stadt lag vor ihnen. Deutlich zeichneten sich am Horizont die Umrisse der herrlichen Tempel, Paläste und Obelisken ab.


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