Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Die Zauberin

Wie Dämonen kamen die Bastanbeter in Scharen über die Schlingpflanzen. Sie johlten noch immer, denn der Wein hatte ihre Köpfe stark erhitzt. Einige hatten sich mit harzigen Zweigen versehen, die sie ansteckten, als sollten sie ihnen als Fackeln dienen. Aber es war nicht nötig, den Weg zu erleuchten, denn die Nacht war, wie gewöhnlich in Ägypten, von einer wunderbaren Helligkeit.

»Seien wir auf der Hut!« rief Ata. »Sie werden glühende Pfeile auf uns senden! Wir können alle verbrennen!«

Auf des Priesters Antlitz malte sich ernste Sorge. »Sollte der Sonnensohn so enden, noch ehe er Memphis gesehen?« sprach er düster vor sich hin.

Mirinri aber fühlte in seinen Adern das Blut der kriegerischen Vorfahren wallen. Er schien plötzlich älter geworden. Mit raschem Blick hatte er alles überschaut und die Verteidigung angeordnet.

»Legt die Segel auf Deck und tränkt sie mit Wasser«, befahl er. »Nefer soll sich in die Kabine begeben, damit sie nicht in Gefahr kommt.«

Diese hatte ihre vorige Ruhe bewahrt. Sie tat, als ob sie das alles ringsum nichts anginge, und weigerte sich, von Deck zu gehen. »Hier werden dich aber die Pfeile treffen!«

»Nefer hat keine Angst«, antwortete sie. »Wenn du, mein Retter, dem Tod mutig ins Auge schaust und dich nicht fürchtest, warum soll ich es tun? Das Feuer deiner Augen sagt mir, daß dein Körper göttlich ist.«

»Du kennst mich ja nicht!«

»Nefer hat die Gabe, in die Zukunft zu schauen.«

Die Rotte nahte. Mirinri stand, mit Beil und Schild bewaffnet, an der Schiffswand und erwartete den Angriff.

Der Anblick der Zauberin neben ihm schien einen Augenblick die Gegner zurückzuhalten. Dann aber ermunterte sie eine tiefe, durchdringende Stimme, weiter vorzugehen: »Vorwärts! Der Oberpriester hat es befohlen!«

Ein Wutschrei entrang sich Atas Brust. Er knirschte mit den Zähnen. »Also doch – Verrat«, stöhnte er. »Ich hatte es geahnt! Man hat uns hier eine Falle gestellt ...«

Jetzt kamen die Pfeile angeschwirrt. Ihre Spitzen waren mit brennenden Stoffen versehen, die in der Dunkelheit bläulich leuchteten. Sie trafen genau auf die Schiffsflanken. Ein Brand drohte und konnte nur mit Mühe abgewendet werden.

Die Äthiopier erwiderten tapfer den Angriff der Leute. Wer sich ihnen nahte, wurde über Bord geworfen. Als die Feinde trotzdem immer näher und näher kamen und das Schiff schon umringten, ertönte die laute Stimme der Zauberin:

»Feuerbecken, Geist der Nacht! Leuchtturm in der Finsternis, Seele der Wälder, hört mich! Wehe! IsisIsis Gemahlin des Gottes Osiris, Mutter des Lichtgottes Horus, stellte die mütterliche Kraft dar. Ihre Attribute waren Kuhhörner, Mondscheibe, Geierhaube. lasse eure Kinder sterben, der Apisstier, Schützer der Fruchtbarkeit, lasse die Früchte eurer Felder verdorren, Seb, der Erzeuger der Menschheit, lasse eure Rasse untergehen, wenn ihr nicht einhaltet im Kampf!

Fühlt ihr nicht auch wie ich den göttlichen Atem, den dieser kriegerische Jüngling ausströmt? Die göttliche Macht? Er hat den Geist des Osiris, wagt es nicht, ihn zu berühren! Nefer, die Zauberin, hat sein Schicksal gelesen. Er ist ein Sonnensohn; wehe, wenn ihr ihn tötet, dann ist Ägypten verloren!«

Sie stand hochaufgerichtet wie eine Bronzestatue mit zum Himmel erhobenen Händen. Ihre Augen flammten vor Zorn.

Ihre Rede schien Eindruck auf die Männer gemacht zu haben, denn sie ließen stumm ihre Waffen sinken. Aller Blicke waren auf den Jüngling gerichtet.

Mirinri und Unis hatten verwundert ihren Worten gelauscht. Ata aber wollte sich wuterfüllt auf Nefer stürzen. »Du hast uns verraten, Elende!« rief er grimmig.

Mirinri fiel ihm in den Arm. »Warum willst du das Mädchen töten, das mich soeben gerettet hat? Siehst du nicht, wie die Menge zurückweicht?«

Und in der Tat, die Rotte entfernte sich. Der Fluch der Seherin hatte ihre erhitzten Köpfe nüchtern gemacht. Keiner wagte es, gegen einen Auserlesenen zu kämpfen. Ihr Rückzug glich einer Flucht.

»Was für eine geheimnisvolle Kraft muß von diesem jungen Weib ausgehen!« sagte Mirinri voll Erstaunen.

»Du irrst, Herr, wenn du sie in Schutz nimmst. Ich bleibe dabei, sie hat uns verraten! Ich rate dir dringend, sie aus dem Weg zu schaffen. Der Nil ist tief ...«

»Nein, sie bleibt leben!«

»Das Blut seines Vaters spricht aus ihm«, sagte Unis hinzutretend. »Wer auch die Zauberin sei, sie muß uns heilig sein, denn sie hat den künftigen König Ägyptens vor einer großen Gefahr bewahrt.«

Unwillig wandte sich Ata ab. »Ihr werdet die Folgen sehen! Man wird uns an der Weiterfahrt hindern. Schon lange ahnte ich, daß König Pepi Verdacht hat.«

Dann richtete er das Wort an Nefer: »Sag, kanntest du die Leute, die uns angriffen?« fragte er barsch.

»Ja«, antwortete sie.

»Warum haben sie gerade diesen Ort gewählt, um das Bastfest zu feiern?«

»Das weiß ich nicht. Es sind Schiffer und Fischer der Umgegend.«

»Nur diese, und keine anderen? Du weißt mehr.«

»Es waren auch einige dabei, die ich früher nie hier gesehen habe.«

»Leute aus Memphis?« forschte Ata weiter.

»Ich vermute es«, sagte sie.

»Du kennst diese Gegend genau?«

»Seit einigen Jahren wandere ich am Nilufer von Ort zu Ort, um den Bewohnern zu weissagen. Auch meine Mutter war eine berühmte Weissagerin.«Weissagerin Die Weissagerinnen standen bei den alten Ägyptern in hoher Achtung. Sie verkauften zugleich auch Heilmittel.

Mirinri mischte sich jetzt an. »Woran erkanntest du, daß ich ein Pharao bin?«

»Als ich dich sah, fühlte ich einen seltsamen Schauer in meinen Adern. Ich fühlte dasselbe, als ich vor einigen Wochen einer Prinzessin prophezeite, daß sie einen Unfall im Nil haben würde.«

»Was sagst du, Mädchen?« rief der Jüngling erregt. »Du kennst jene Prinzessin?«

»Ich prophezeite ihr auch ein schweres Unglück, das ihrem Vater bevorstünde, und zwar in nicht zu ferner Zeit. Man wird ihm seine Macht rauben und seinen Ruhm für immer verdunkeln.«

»Kannst du auch mein Schicksal voraussagen?«

»Ja, Herr, aber nicht jetzt in der Nacht. Dazu muß ich den Sonnenaufgang abwarten, denn du bist ein Sohn der Sonne. Die Stimme des großen Osiris muß aus mir sprechen, seine Seele muß mich beeinflussen!«

»Gut«, sagte Mirinri, den Atas Mißtrauen doch wohl etwas zweifelnd gemacht hatte, »aber ich muß dir gestehen, daß ich nicht weiß, ob ich deinen Prophezeiungen glauben soll.«

»Gab ich dir nicht einen Beweis, indem ich sofort, als ich dich erblickte, ein göttliches Wesen in dir erkannte?«

»Vielleicht haben die Bastanbeter meine Herkunft erfahren!«

»Ich wüßte nicht, daß sie einen Pharao erwarteten.«

»Die Betrunkenen wohl nicht, aber jene, die aus Memphis kamen«, sprach Ata mit finsterem Gesichtsausdruck dazwischen. »Man vermutete, daß wir einen Königssohn auf dem Schiff haben. Das Fest war nur ein Vorwand – man wollte uns in einen Hinterhalt locken.«

»Ich habe nichts davon gehört.«

»Aber warum verfolgte man dich? Warum wollte man dich töten?« fragte jetzt der Priester.

»Weil man den Tod meines Freundes rächen wollte. Er hatte sich auf meine Veranlassung in den Kantatek-Tempel gewagt, um das dort versteckte Gold zu holen.«

»Was für Märchen erzählst du uns da!« rief Ata zornig.

»Ich werde euch alles ausführlich berichten, wenn ...«

Plötzlich hörte man Schreckensrufe seitens der Äthiopier, die eben noch den letzten Rest der Schlinggewächse abschnitten. Über den Palmen am Ufer leuchteten mit einem Mal unendlich viele bläulich schimmernde Punkte auf.

»Was soll das bedeuten? Sind das Sterne?« fragte Mirinri überrascht.

»Ja, Sterne, die unser Fahrzeug anzünden werden, wenn wir nicht schnell entfliehen!« antwortete bitter der Alte. »Da die Schufte nicht selber den Mut haben, einen Pharao anzugreifen, so sollen es die KriegstaubenKriegstauben Der Brauch der Kriegs- und Brieftauben ist uralt. Es scheint, daß die Ägypter sich zuerst dieser geflügelten Boten bedient haben. Sie richteten die Vögel vor allem für den Krieg ab. Widerstand z.B. eine Stadt zu lange der Belagerung, sandte man Tauben als Brandstifter hin, die glühende, nicht einmal durch Wasser löschbare Stoffe am Schwanz trugen. Die Tiere wurden durch Pfeilschüsse in großen Scharen über die belagerte Stadt geschickt (oder zu feindlichen Flotten), die sich dann gewöhnlich bald ergab(en).
Auch die Griechen benutzten noch Jahrtausende später die Tauben zu Kriegsdiensten. Ebenso zu Handelszwecken, besonders aber bediente man sich ihrer bei den Olympischen Spielen. Die Teilnehmer an den Wettkämpfen schickten an ihre entfernt wohnenden Verwandten und Freunde die Siegesnachrichten durch Tauben.
für sie tun.«

Dann wandte er sich zu den Äthiopiern um, die ihre Arbeit unterbrochen hatten. »Seid ihr fertig?«

»In wenigen Augenblicken.«

»Beeilt euch, wenn euch das Leben lieb ist! Diese Gefahr ist schlimmer als viele andere. Sechs Mann nach dem Mastbaum. Sie sollen die Segel entfalten. Der Wind ist günstig.«

»Seht nur«, fuhr er, zu Unis und Mirinri gewandt, fort. »Der Vogelschwarm kommt auf uns zu. Nehmt die Bogen und spart nicht mit den Pfeilen. In kurzem werden wir in einem Feuernetz sein. Osiris möge den König Ägyptens schützen!«


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