Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Grausamer Hohn

Am Tag nach Mirinris Gefangennahme ließ sich die Prinzessin morgens beim König melden.

Sie beachtete nicht den ehrerbietigen Gruß der vielen dort Wache haltenden Bogenschützen, sondern begab sich sofort in den Jaspissaal.

»Wo ist der König?« fragte sie den Krieger, der, eine Axt im Arm, die große Bronzetür bewachte.

»In seinen Gemächern«, war die Antwort.

»Sage ihm, daß ich ihn sprechen muß!«

»Er liebt es aber nicht, gestört zu werden, Prinzessin«, wagte die Wache zu bemerken.

»Gehorche!« sagte Nitokris gebieterisch.

Bald darauf ließ König Pepi die Tochter in sein Gemach treten, wo sie sich ihm gegenüber auf einem Teppich niederließ.

»Was ist dein Anliegen?« fragte er, anscheinend freundlich.

»Sag, Vater, ist es wahr, was ich draußen hörte? Daß du Mirinri hier im Palast gefangengesetzt hast?«

Der König zuckte zusammen. Im selben Augenblick sprühten seine Augen vor Haß. »Es ist wahr, Töchterchen. Und meine Leibwächter, die ihn verhaftet haben, werden ihn morgen fortschaffen!«

Nitokris erschrak heftig. »Was hast du vor? Willst du ... seinen Tod? Unmöglich! Auch er ist göttlichen Ursprungs – und bedenke, daß ich heute nicht mehr lebte ohne ihn!«

»Ich will seinen Tod. Seine Begleiterin aber wird am Leben bleiben.«

»Wer ist es – kennst du sie?«

»Man nennt sie Nefer. Als Kind hast du in diesem Schloß mit ihr gespielt.«

»Dann ist es Sahur!«

»Dieselbe. Sie soll in einem unserer Nebengebäude fürstlich untergebracht werden.«

Nitokris warf sich dem Vater zu Füßen. »Laß mich ihn sehen«, bat sie flehentlich. »Er ist mein Retter!«

Nach einigem Zögern hob er die Tochter auf und sagte: »Gut, dein Wunsch soll dir erfüllt werden! Noch heute werde ich die Würdenträger des Reichs zu einem Gastmahl einladen lassen, und ich will es dem Sonnensohn zu Ehren geben. Genügt dir das?«

Nitokris war so überwältigt von der plötzlichen Wandlung ihres Vaters, daß sie den teuflischen Blick nicht bemerkte, der seine Worte begleitete. Gerührt umarmte sie ihn. »Hab Dank! Darf ich ihm die Botschaft selber überbringen?«

»Meine Wachen werden dich zu ihm führen.«

Der König entließ sie mit einer Handbewegung. »Du wirst es bereuen!« murmelte er nach ihrem Fortgang, während ein spöttisches Lächeln seine Lippen umspielte.

Bald nachdem Nefer das unterirdische Verlies verlassen hatte, traf die Prinzessin, begleitet von einer kleiner Eskorte, dort ein. Als Mirinri sie eintreten sah, sprang er von der Matte auf, beugte ein Knie vor ihr und sagte mit bebender Stimme: »Mirinri, Tetis Sohn, grüßt dich! Hab Dank, Prinzessin. Ich weiß, daß ich es allein dir schulde, daß ich noch lebe!«

Nitokris gab ihren Begleitern einen Wink, sie zu verlassen. Nachdem sie gegangen waren, beugte sie sich über den Jüngling und sagte sanft: »Auch du hast mir das Leben gerettet.«

Kühner geworden durch ihr freundliches Wesen, fuhr er fort: »Seit jenem Augenblick, als ich dich in meinen Armen hielt, bin ich deinem Zauber verfallen. Sag, hast du danach nie mehr an mich gedacht?«

Sie senkte den Kopf. »Komm«, sagte sie dann, »dein Platz ist oben im Palast. Du bist ein Pharaone!«

Und beide verließen eiligst den unterirdischen Raum.

Trompetenfanfaren und Trommelschläge ertönten.

Dies war das Zeichen, das die Großwürdenträger, die Generäle und Hofherren, die sich schon im Vorzimmer versammelt hatten, in den Empfangssaal des Herrschers berief.

Als sie sich demütig vor ihm verneigt hatten, redete er sie mit den folgenden Worten an: »Der große Osiris hat Ägypten einen seiner göttlichen Söhne, den wir verloren glaubten, wiedergeschenkt. Empfangen wir ihn mit der Ehrfurcht, die ihm durch seine göttliche Abstammung gebührt!«

»Nenne uns seinen Namen!« riefen die Erstaunten wie aus einem Mund.

»Den werdet ihr später erfahren.«

Auf seinen Wink reichte ihm ein Kammerherr seine königlichen Insignien: den Herrscherstab mit gebogenem Griff und eine kleine Geißel, deren Hanfschnüre mit Goldfäden umwunden waren. Dann begab er sich mit seinem Gefolge in einen der gegenüberliegenden Prunksäle.

Im Vorraum hatte währenddessen die schöne Nitokris mit Mirinri und ihrer Eskorte Aufstellung genommen. Als der Zug sich nahte, fielen die in der Halle befindlichen Soldaten zur Erde. Zugleich fühlte Mirinri eine Hand auf seiner Schulter: »Nieder mit der Stirn in den Staub! Der König kommt«, sagte eine drohende Stimme.

Mirinri zuckte bei der Berührung zusammen und schüttelte verächtlich die Hand des Wächters ab. Aufrecht und stolz begegnete er den Blicken des Herrschers.

Dieser hatte den Auftritt beobachtet und musterte ihn. »Die Prinzessin hat dir meine Einladung überbracht«, sagte er. »Sei mein Gast im Hause deiner Ahnen!«

Beeindruckt von der unerwartet freundlichen Aufnahme, die alle Befürchtungen seines Erziehers und Atas mit einem Schlag zerstörte, fand Mirinri zuerst keine Worte der Erwiderung. Dann verneigte er sich und sprach: »Mirinri, Sohn eines Pharao, grüßt dich, Pharao, und dankt dir!«

Nitokris reichte ihm lächelnd die Hand, und sie überschritten beide hinter dem König die Schwelle des Saales, während die Soldaten nicht wagten, die Stirn vom Boden zu erheben. Mirinri befand sich wie in einem Rausch. Die Pracht und der Glanz, die ihn umgaben, verwirrten ihn. Dazu des Königs Güte! Wie anders hatten ihn Unis und Ata geschildert.

»Laß dich jetzt mit deiner Würde bekleiden«, wandte sich der Herrscher an den Jüngling.

Mirinris fragende Blicke schweiften zu Nitokris hinüber. Diese nickte ihm freundlich zu und sagte: »Auch ich muß mich erst zum Festmahl schmücken.«

So folgte er denn einem Schildträger in einen mit Wohlgerüchen erfüllten Raum. Hier erwarteten ihn junge assyrische Sklaven, und er bekam einen kurzen, schneeweißen Mantel umgehängt, der vorn mit einer kostbaren Brosche aus Rubinen und Smaragden zusammengehalten wurde. Sein weißer Kopfputz war mit langen Bändern versehen, und auf seiner Stirn glänzte die Uräusschlange.

Danach erwartete ihn eine Anzahl königlicher Wächter, erkennbar an den langen Straußenfedern zu beiden Seiten ihrer Perücke, vor dem Ankleidezimmer. Sie hatten den Auftrag, ihn zum Herrscher zurückzugeleiten. »Die Eingeladenen sind schon auf ihren Plätzen!« berichtete der Anführer.

Sie durchschritten einen Gang, dessen breite Fenster mit buntgestreiften Vorhängen feinsten Gewebes verhängt waren, und traten in den Speisesaal ein. Auf der Schwelle aber blieb Mirinri wie geblendet von der Pracht des Riesenraumes stehen: Eine Doppelreihe von rosa Marmorsäulen stützte die wunderbar bemalte Decke. Die Wände bestanden aus grünem Marmor mit schönem Geäder, der Fußboden war mit Goldmosaik eingelegt. Die Mitte des Saals nahmen dreißig kleine Tische ein, die in zwei Reihen standen. Jeder dieser kleinen Tische war für einen Würdenträger bestimmt. In liegender Stellung auf einem Teppich, stützte er den Arm beim Essen auf ein rundes Kissen, während junge, schöne Sklavinnen ihm Kühlung zufächelten. Am äußersten Ende der Doppelreihe entdeckte Mirinri vor einem größeren Tisch König Pepi und seine Tochter auf Pantherfellen. Daneben standen sechs hohe, goldene Amphoren mit Straußenfächern. Des königlichen Winks gewärtig, hatten sich dazu sechs Sklavinnen an den Säulen aufgestellt. Hin und wieder spritzten sie wohlriechendes Wasser auf den Herrscher und die Prinzessin.

Mirinri wurde nun an diesen Tisch geführt und mußte sich dem König gegenüber niederlassen. Seine brennenden Blicke begegneten den sanften Augen der Königstochter. Strahlend vor Glück rief er: »Von diesem Leben habe ich in der Wüste geträumt!«

Pepis Lippen überflog ein Lächeln, als er sagte: »Du hast dir also das Leben an unserem Hof schon vorgestellt, hast an den Luxus hier gedacht...«

»Noch mehr aber habe ich an die Prinzessin gedacht!« entfuhr es Mirinris Lippen.

Nitokris errötete anmutig. Sie sprach, während sie das Haupt neigte: »Auch ich hatte dich nicht vergessen! Eine geheime Stimme sagte mir immer, daß ich dich eines Tages wiederfinden würde. Sie sagte mir auch von Anfang an, daß du kein Mann aus dem Volke wärest.«

Der König runzelte kaum merklich die Stirn. »Du wirst uns später erzählen, warum du jahrelang von Memphis entfernt gelebt hast«, sagte er. Dann wandte er sich an die Sklavinnen: »Schenkt ein!«

Sie brachten goldene Amphoren mit Wein und füllten die Trinkgefäße.

»Ich trinke auf das Wohl meines Retters! Du hast mich vor dem Tod bewahrt und einem Vater die Tochter erhalten«, sprach Nitokris, ihren Becher erhebend.

»Und ich trinke auf das Wohl der Schönen, von der ich monatelang geträumt habe!« rief der Jüngling.

Jetzt stürmte eine Schar Tänzerinnen mit Musikinstrumenten in den Speisesaal, ihnen voran ein prächtig gekleidetes Mädchen mit einer Rose in der Hand.

Sie stellte sich vor der Pharaonin auf und rezitierte unter Harfenbegleitung:

»Als Osiris der Liebkosungen und Küsse der Hathor müde war, wollte er auf neue Abenteuer ausgehen und als Verkörperung der Liebe auf die Erde fliegen. ›Ich suche ein Weib‹, hatte er zur Tyrannin seines Herzens gesagt, ›das alles vergißt in der Liebe zu mir, Göttlichkeit wie Stolz, das mich allein liebt während des ganzen Tages, während der ganzen Nacht!‹ Und er durchfurchte die himmlischen Gefilde und ließ sich am Nilufer nieder.

Dort sah er auf dem feinen, samtweichen Sand des heiligen Flusses, inmitten von Papyrus und duftenden Lotosblumen, eine schlafende Jungfrau auf einem Pantherfell liegen. Bronzen war ihre Haut, denn sie war eine Tochter Oberägyptens, geboren an der Stätte, wo Ra das lange, silberne Band, das sich durch unsere fruchtbare Erde zieht, vom Himmel niederließ, jenes Band, das unserm Lande Ägypten Leben und Größe verleiht. Und bronzen war die Farbe ihrer Wangen, wie die Farbe des Sandes, aber Leben pulsierte in ihr. Sie seufzte sehnsuchtsvoll im Schlummer und lächelte, als ob sie ein süßer Traum umfangen hielte.

So sah sie Osiris.

›Wie bist du schön!‹ rief er begeistert aus.

›Wie schön bist auch du!‹ hauchte die junge Äthiopierin beim Erwachen.

Als Hathor auf der Suche nach dem, der die Liebe verkörpert, ihn und das reizende Mädchen dort unten im Sande bei den silbernen Wassern erblickte, schrie sie schmerzerfüllt auf, und ihr Schrei lief durch alle Himmel: ›Gib mir, o Ra, einen deiner versengenden Strahlen zu meiner Rache !‹

Und ihre Bitte wurde erhört.

Ein Glutstrahl durchdrang den Raum zwischen Himmel und Erde und traf die beiden Glücklichen am Strand. Der Körper des Mädchens verbrannte zu Asche; aber aus dem brennenden Kuß der beiden wurde diese rote Rose geboren, an der sich die Sonnenstrahlen in Dornen verwandelt haben.

Dir, Tochter Pharaos, sei sie geweiht, diese Rose! Dieser Kuß des Sonnensohnes und des gelbbraunen Mädchens!«

Nitokris nahm die Rose entgegen und reichte sie dem Jüngling, wobei sie flüsterte: »Sei es eine Vorbedeutung für uns beide!« Dann gab sie den Sklavinnen ein Zeichen, mit dem Mahl fortzufahren.

Diese gingen sogleich ans Werk und bedienten die Gäste mit Weinen und erlesenen Speisen. Eine Schüssel folgte der andern. Dazu ertönte Flötenmusik, abwechselnd mit Harfen und Zithern, und aus der Höhe des Saales fielen Rosenblätter auf die Tische nieder.

Mirinri war von der Glückseligkeit des Moments so berauscht, daß er nur Blicke und Scherzworte für die Prinzessin hatte. Dem König schenkte er keine Aufmerksamkeit.

So nahm das Bankett seinen Gang. Als es sich schließlich dem Ende zuneigte, erhob sich der Herrscher und gab durch eine Handbewegung kund, daß die Eingeladenen entlassen seien. Zuletzt blieb nur die Prinzessin neben Mirinri.

»Laß auch du mich allein!« wandte sich der König an sie. »Was ich dem Prinzen zu sagen habe, soll kein anderer hören.«

Nitokris war verwirrt. Zweifelnd schaute sie den Vater an. »Was du auch tun willst, bedenke, er ist ein Sonnensohn«, sagte sie endlich in bittendem Ton. Hierauf nahm sie eine der Blumen, die von der Decke herabgefallen waren, küßte sie und gab sie mit bedeutungsvollem Blick dem Jüngling.

»Geh!« wiederholte der König, der es mit einem seltsamen Lächeln bemerkt hatte.

Langsam entfernte sich Nitokris.

Als beide allein waren, nahm das Gesicht des Herrschers unvermittelt einen spöttischen Ausdruck an. »Du meinst also, du seist der Sohn König Tetis des Großen«, sagte er. »Aber – hast du auch Beweise?«

»Ich bin der Sohn desjenigen, der Ägypten von den Chaldäern befreit hat!« erwiderte Mirinri stolz.

»Gut. Darum hast du heute nun die Pracht des Pharaonenhofes kennengelernt. Genügt dir das?«

»Nein! Ich will nicht den Prunk, sondern die Macht des meinem Vater geraubten Thrones haben!«

Pepi lachte laut auf. »Zum Herrscher gehören Untertanen, meine ich.«

»Die Partei meines Vaters ist groß!« rief Mirinri, mühsam an sich haltend.

»Wo sind denn seine Anhänger?«

»Ich weiß wohl, wo sie sich befinden!«

»Willst du sie sehen?« Mit diesen Worten schritt Pepi zu einem nach dem Hof des Palasts gehenden Fenster, öffnete die Vorhänge und zeigte verächtlich hinunter.

»Schau her«, fuhr er fort. »Sind das eure Parteigänger? Was willst du mit diesen da anfangen?«

Obwohl erschüttert von der veränderten Haltung des Königs, war Mirinri doch rasch ans Fenster getreten. Ein Schrei des Entsetzens entrang sich seiner Brust.

Dort waren in dem Riesenhof etwa sechshundert Mann, meist Greise, versammelt, denen die Hände fehlten; ihre Armstümpfe waren mit Binden umwickelt. Und unter ihnen, aufrecht stehen ... Ata.

Schaudernd wich Mirinri zurück.

»Elender!« kam es stöhnend von seinen Lippen. Er ballte die Fäuste und wollte sich wutentbrannt auf Pepi stürzen, der jetzt entfernt von ihm stand.

Doch diesen Augenblick schien der König vorhergesehen zu haben. Er griff zur Geißel mit den goldumwundenen Schnüren, dem Symbol seiner Herrschaft, und schwang sie pfeifend durch die Luft. Im selben Augenblick trat ein alter Mann mit grämlichen Zügen ein und verneigte sich tief.

Mirinri war noch rechtzeitig zur Besinnung gekommen. Er ließ die Arme müde sinken und starrte vor sich hin.

Pepi weidete sich an seinem Anblick. »Warum begrüßen dich die Freunde deines Vaters nicht als neuen König von Ägypten?« fragte er höhnisch. »Sie haben zwar die Hände, aber nicht die Stimme verloren!«

»Und was gedenkst du mit mir zu tun?« wandte sich der Jüngling schroff an ihn.

»Das werden wir sehen. Zuerst will ich diesen Mann hier anhören.«


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