Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Um einen Thron

Drei Tage später legte ein Segler an der Stelle an, wo Mirinri das Symbol der Herrschergewalt über Leben und Tod gefunden hatte.

Am Mastbaum stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einer dicken Lockenperücke. Lange Zöpfe hingen ihm bis über die Schultern. Seine Kleidung bestand aus zwei rechteckigen Schürzen aus blauer Baumwolle, die, vorn zusammengefaltet, an den Hüften mit einem Ledergurt gehalten wurden. Es war ein Ägypter über die Fünfzig. Sobald das Schiff sich dem hohen, mit Palmen besetzten Ufer genähert hatte, ließ er die Brücke hinüberwerfen. Dann schlug er kräftig auf seine trichterförmige Trommel, während einer seiner Leute auf einer Flöte blies mit langgezogenen Tönen, die man meilenweit hören konnte. Diese durch die Trommelschläge verstärkte Musik dauerte minutenlang und übertönte das Rauschen des Wassers, das fortwährend an den Strand schlug.

Als Unis und Mirinri endlich aus dem Palmenwäldchen heraustraten, gab der Ägypter dem Flötenspieler ein Zeichen zu verstummen.

»Möge dir Ra Heil bringen, Ata!« rief der Priester. »Ich führe dir hier den Sonnensohn zu. Die Osirisblume und die Memnonsäule haben ihn als Pharao befunden!«

Der Befehlshaber des Schiffes stieg an Land, kniete vor Mirinri nieder und küßte den Saum seines Gewandes. »Gegrüßt seist du, Abkömmling Tetis des Großen! Ägypten verlangt nach seinem legitimen Herrscher!« sprach er.

»Wer bist du?« fragte der Jüngling.

»Deines Vaters ergebenster Freund, der dich nach Memphis führen will. Dort ist jetzt dein Platz, und nicht mehr in der Wüste.«

»Vertraue ihm«, sagte Unis zu seinem Zögling. »Er hat dich aus dem Königspalast entführt, als du noch Kind warst, und hat dich in Sicherheit gebracht vor Pepis Verfolgungen.«

»Wenn ich einst wirklich den Thron meiner Vorfahren besteigen sollte, werde ich auch dir meine Dankbarkeit erweisen«, wandte sich Mirinri an den Ankömmling.

»Hast du meine Feuerzeichen unter dem Wasser bemerkt?« fragte der Alte den Freund.

»Ja, ich ließ sie bei Pamagit anhalten, damit die Späher des Usurpators nicht Verdacht schöpfen. Wir müssen vorsichtig sein; bei Hof und im Volk wird schon lange vermutet, daß Tetis Sohn noch lebt.«

»Wer könnte das Geheimnis, das wir jahrelang hüteten, verraten haben?«

»Ich hörte nur, daß eines Tages auf Befehl des Königs ein Schiff mit der Prinzessin den Nil hinauffuhr bis zu dieser Stelle. Einer ihrer Begleiter soll den jungen Mirinri schon mehrmals gesehen haben.«

»Ich kenne jene Prinzessin!« rief der Jüngling lebhaft. »Ich selbst habe sie vor einem Krokodil gerettet!«

»Was für eine Kopfbedeckung trug der Mann, der mit ihr fuhr?«

»Eine hohe Mütze, die nach oben hin weiter wurde. Sie war mit goldenen Zeichen verziert, mit Scheibe und Hörnern.«

»Und seine Kleidung?«

»Ein an den Schultern befestigtes Leopardenfell und eine lange Schärpe.«

»Er ist es!« rief Ata wütend. »Ich ahnte es!«

»Wer?« fragten Unis und Mirinri wie aus einem Munde.

»Der Oberpriester des Ptah-Tempels!«Ptah Der ägyptische Hephaistos, Urgott und Urfeuer. Als Schöpfer des Alls war er die Hauptgottheit von Memphis.

»Willst du mir nicht erklären ...«

»Später. Laßt uns jetzt aufbrechen! Nun habe ich die Gewißheit, daß man euch beobachtet hat. Ihr werdet sehen, man wird uns an irgendeiner Stelle aufhalten. Seit einigen Monaten umringen mich verdächtige Gestalten und bewachen mein Schiff. Sicher hat man auch erforscht, wohin ich mich von Pamagit aus begeben habe. Der Sonnensohn läuft Gefahr, noch vor seiner Ankunft in Memphis verhaftet zu werden!«

»Also dürfen wir nur bei Nacht fahren«, sagte Unis. »Du fürchtest, Ata, daß man uns längs des Nils Fallen stellen wird?«

»Werden wir angegriffen, so verteidigen wir uns eben!« rief Mirinri. »Sind deine Leute zuverlässig?«

»Es sind alles tapfere Äthiopier und mir ergeben.«

»Gut, schiffen wir uns ein«, sagte der Priester.

Nachdem die beiden großen Segel gelichtet worden waren, leiteten die Äthiopier mit ihren langen Rudern sorgsam das Fahrzeug durch die Sandbänke und Wasserpflanzen hindurch. Ata führte währenddessen die Ankömmlinge zu dem Wohnraum am Heck des Schiffs. Die Wände der Kabine waren mit bunten Matten und einer Unzahl von Waffen bedeckt, die Möbel bestanden aus kleinen Diwanen und Stühlchen in geschweifter Form. Hier setzte er seinen Gästen Früchte vor und kredenzte Gerstenbier, das er aus einer langhalsigen Amphore in kleine Glasbecher goß.

»Ich trinke auf den Ruhm des künftigen Pharao!«

Nachdem er vieles aus der Hauptstadt erzählt hatte, übergab er Mirinri die Gewänder, die er für ihn zurechtgelegt hatte. Er sollte, um jeden Argwohn zu zerstreuen, eine hochgestellte äthiopische Persönlichkeit darstellen. Man konnte ihn leicht dafür halten, da er von vielen Äthiopiern auf dem Schiff begleitet war.

»Kleide dich an, wir werden dich an Bord erwarten! Inzwischen halten wir Ausschau.«

Dann begaben sich die beiden alten Freunde auf das Achterdeck. Aufmerksam beobachteten sie beide Ufer, die hier mehr als eine Meile voneinander entfernt waren. Schon hatten sich die Schatten der Nacht über den Riesenfluß gebreitet. Ein schwacher Lichtstreifen kündigte das Erscheinen des Mondes an.

»Bist du besorgt? Und fürchtest du ernstlich eine Verfolgung?« fragte Unis.

»Ich habe eine auffallende Erscheinung bemerkt. Du weißt, daß die schwimmenden Pflanzen und die Papyrus häufig die Nilschiffahrt hemmen. Ist aber die Durchfahrt einmal frei, so hält sie sich eine Zeitlang offen. Jetzt sehe ich jedoch zu meinem Erstaunen, daß man sie anscheinend absichtlich zu versperren versucht. Es will besagen, daß man den Nil überwacht und mich an der Rückkehr hindern will! Und noch eins beunruhigt mich«, fuhr Ata fort. »Während der drei Tage, die ich auf dem Wasser bin, bemerkte ich jede Nacht ein Licht hinter mir. Auch sah ich Feuer brennen unter den Palmenbäumen, bald auf dem einen, bald auf dem anderen Ufer des Nils. Ich fürchte, daß jemand Ahnung hat, daß du, Unis, nicht derjenige bist, für den du dich ausgibst.«

»Du vergißt deinen Schwur, gewisse Dinge nicht zu berühren!« rief dieser unwillig.

Ata senkte das Haupt und schwieg.

»Fahre fort. Erzähle mir weiter von Memphis«, sagte Unis. »Hast du alle unsere Freunde in der Hauptstadt benachrichtigt?«

»Alle wissen zu dieser Stunde, daß wir eintreffen. Wir werden sie in Memphis bei den Krokodilgräbern versammelt finden. Dort wollen sie dem neuerstandenen Sonnensohn huldigen.«

Man verspürte jetzt ein leichtes Stoßen des Schiffes. Der Stromfall war gehindert. Atas Gesicht verdüsterte sich. »Es ist so, wie ich vermutete. Sie haben die Durchfahrt geschlossen. Also bis hierher sind des Königs Spione schon gelangt!«

»Vielleicht irrst du dich doch. Die Nilpflanzen wachsen so schnell, daß sie vielleicht auch schon in vierundzwanzig Stunden den Fluß verstopfen.«

Der andere schüttelte den Kopf. Er wandte sich zum Vorderdeck, wo die Äthiopier bereits den Widerstand zu beseitigen versuchten. »Schaut nach, ob Hindernisse im Flußbett liegen. Am Tage war alles frei.«

Zwei der Äthiopier gingen mit Äxten ans Werk. Sie untersuchten die Wurzeln, die ein wahres Netz bildeten. Plötzlich entrang sich ihnen ein Schrei der Überraschung: »Du hattest recht, Herr«, rief der eine. »Die Durchfahrt ist gänzlich geschlossen worden! Man hat Pfähle in das Flußbett gerammt und Pflanzen von der großen Insel dort darübergezogen.«

»Haut die Hindernisse nieder!« befahl Ata wutentbrannt. »Glücklicherweise ist der Fluß hier breit!«

Währenddessen erschien Mirinri auf Deck. Statt des langen, weißen, einer Standesperson nicht würdigen Gewandes trug er das einfache Nationalkostüm der alten Ägypter, eine Kalasiris, die in einem leichten, durchsichtigen, blau- und weißgestreiften Kleid bestand, das von Kopf bis Fuß ging. Der runde, bunte Kragen aus gestärkter Leinwand war mit Schnüren und Ketten verziert, an welchen Glasperlen und religiöse Symbole aus farbigen Steinen hingen. Der Jüngling war nicht mehr barfuß, sondern trug Strümpfe und Sandalen, ein nur den Reichen erlaubter Luxus. Letztere bestanden aus schichtweise übereinander gelegten Papyrusblättchen. Ein zwischen den großen Zehen hindurchgehender Riemen hielt sie.

»Was ist geschehen?« fragte Mirinri erstaunt den Priester, als er die Aufregung der Äthiopier sah, in deren Mitte der Ägypter Befehle erteilte.

»Wir haben jetzt den Beweis, daß wir überwacht werden«, antwortete Unis düster. »Man hat unsere Weiterfahrt künstlich gehemmt. Und um diese Arbeit zu vollbringen, sind viele Barken mit einer großen Anzahl von Männern erforderlich gewesen.«

»Was? Sollten wir schon so bald entdeckt worden sein, während du mich jahrelang hast verstecken können? Sag, ist Ata treu? Wer kann das Geheimnis verraten haben?«

»Wahrscheinlich jene Nilfahrt der Prinzessin! Man sucht dich übrigens schon lange ....«

»Könnte sie die Tochter des Usurpators gewesen sein?« Tiefe Bewegung malte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes. Er schwieg einige Augenblicke, wie in sich gekehrt. Dann fuhr er zögernd fort:

»Und doch kann ich nicht glauben, daß jenes Mädchen meinen Tod wollte.«

»Hasse sie wie deinen schlimmsten Feind!«

»Nein. Ich kann sie nicht vergessen. Besitzen denn die Frauen der Pharaonen Zaubermittel?«

Unis seufzte tief. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an. »Unser Schicksal liegt in unserem Blut«, murmelte er. Dann ging er zu Ata, der das Werk der Äthiopier leitete.

»Wir werden bis zum Morgen zu tun haben und vielleicht noch länger!« rief dieser. »Die Zahl der Pfähle will kein Ende nehmen. Ein infamer Verrat!«

Plötzlich vernahm man lautes Lachen und Rufen vom linken Nilufer her.

»Kommt zu uns!« schrien laute Kehlen. »Trinkt mit uns den süßen Palmenwein!«

»Landet hier!« riefen andere. »Oder wir bohren euer Schiff in den Grund und geben euch Flußwasser zu trinken!«

Am Ufer stand ein Schwarm von Männern und Frauen, die sich wie Narren gebärdeten. Sie tanzten und machten Sprünge unter den gefiederten Blättern der hohen Palmen.

»Hierher! Hierher! Es ist das Bastfest! Keiner darf sich weigern mitzufeiern!«

Und zwischen dem Geschrei der Leute hörte man ein ohrenbetäubendes Hörnerblasen. Harfen ließen dagegen sanfte Klänge ertönen, die sich mit den schrillen Lauten der Gitarren vermischten.

»Ist das eine Falle, oder sollte es doch das Trinkerfest sein?« sagte Ata kopfschüttelnd.

»Was sind das für Leute?« fragte Mirinri, der abseits von solchen Festen erzogen war.

»Alljährlich versammeln sich Hunderte, ja Tausende an den Ufern des heiligen Flusses, um den Rest der Jahresernte an Palmwein auszutrinken. Und niemand darf heimkehren, ohne trunken zu sein.«

»Eine Sitte unseres Volks«, fiel der Priester ein.

»Wir werden wohl ihre Einladung annehmen müssen«, fuhr Ata fort. »Betrunkene sind zu allem fähig. Sonst würden wir Gefahr laufen, daß sie uns mit ihren Schaluppen holen.«

»Gut, vermeiden wir jeden Argwohn und landen wir hier«, meinte Unis. »Es scheint mir, daß wir vor morgen früh unsere Fahrt doch nicht fortsetzen können.«


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