Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Geheimnisvolles Zusammentreffen

So war die mit Katzenkörben beladene Barke, die Ata sichtete, nichts Außergewöhnliches. In Memphis wurden diese in hohen Ehren gehaltenen heiligen Tiere ständig verlangt. Der Handel mit ihnen blühte. Jedes Jahr schickte man Schiffe nach Oberägypten, um bei den Nubiern, deren Tempel eine beträchtliche Anzahl Katzen hatten, neue Einkäufe zu machen.

»Es werden keine Spione sein«, wiederholte Ata, »sondern ehrliche Kaufleute, die nichts mit König Pepi zu tun haben. Lassen wir sie näherkommen!«

Die Katzenbarke, die sich vom Wind hatte tragen lassen, warf nun Anker.

Ein alter Mann mit Perücke und falschem, aus einem Ochsenschwanz gebildeten Bart grüßte die Segler mit der Hand und rief: »Möge der große Osiris euch gnädig sein, Brüder! Möge Sebek, der Gott der Überschwemmung, euch vor den Krokodilen und Nilpferden schützen!«

Ata antwortete: »Gott Chnum, der Erzeuger der menschlichen Wesen, möge euch langes Leben schenken! Wo fahrt ihr hin?«

»Nach Memphis.«

»Was bringt ihr da?«

»Katzen aus dem Hathor-Tempel«,Hathor Die ägyptische Venus, Göttin der Liebe. antwortete der Barkenführer. »Es ist eine Krankheit unter den Tieren ausgebrochen. Man hat mich beauftragt, sie durch gesunde und kräftige zu ersetzen.«

»Kommst du aus Nubien?«

»Ja, Herr! Und wo fährst du hin?«

»Ich werde in verschiedenen Orten bleiben.«

»Gute Nacht, Herr! Wir sind müde und bedürfen der Ruhe!«

Der Alte zog sich zurück, nachdem er Nefer durchdringend angeschaut hatte. Diese stand hinter Ata erhöht auf einem Kasten, so daß sie von der Barkenmannschaft gesehen werden konnte.

Beider Blicke begegneten sich. Sie lächelten.

»Auch wir wollen zur Ruhe gehen«, meinte Ata, sich zu den Seinigen umwendend. »Von diesen Leuten da haben wir nichts zu fürchten ... Vorige Nacht haben wir kein Auge zugetan.«

Von Bord der Katzenbarke hörte man nur noch ein unterdrücktes Miauen, sonst nichts mehr.

»Geh auch du schlafen, Nefer«, mahnte Mirinri.

Das Mädchen sagte zögernd: »Laß mich noch die Gestirne beobachten, Herr!«

»Warum bebt deine Stimme?«

»Immer, wenn ich einer hohen Persönlichkeit die Zukunft geweissagt habe, bin ich erregt. Es hat nichts zu sagen, Herr.«

»Die Nächte am Nil sind aber feucht!«

»Ich bin an das Klima gewöhnt. Ich wohne seit vielen Jahren am Ufer des heiligen Flusses.«

»Streng dich nicht mehr an, Nefer! Genügt es dir nicht, die Seele des großen Osiris heute früh befragt zu haben?«

»Auch ich möchte mein Schicksal kennenlernen«, antwortete sie. »Und diese Nacht ist günstig, der Himmel ist klar und wird mir meinen Stern enthüllen. Geh nur zur Ruhe, Herr, und überlaß mich meinem Geschick.«

»Seltsames Mädchen«, murmelte Mirinri und entfernte sich.

Nefer sah ihm schweigend nach. Es schien sie zu drängen, ihn zurückzurufen, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Sie senkte das Haupt. »Der Blick der Pharaonin hat ihn zu tief getroffen«, flüsterte sie. »Und vielleicht denkt auch sie an ihn ... Der Hohepriester wird sich getäuscht haben in der Macht meiner Augen!«

Langsam ging sie mit ihren nackten Füßen das Deck entlang. Ihre goldenen Knöchelringe klirrten leise. Am andern Ende des Schiffs ließ sie sich nieder.

Die Sterne stiegen am Himmel auf und glänzten so hell, wie Nefer sie nie gesehen hatte. Und der Komet leuchtete. Eine frische Brise wehte durch die Schiffstaue und ließ die halb herabgelassenen Segel leicht flattern.

Nefer stand unbeweglich an der Schiffswand. Sie starrte auf die Katzenbarke, die sich dem Segler immer mehr näherte. Entweder hatten ihre Insassen die Stricke gelockert, die das Boot an den in die Flut gesenkten Steinblock banden, oder der Wind brachte sie näher.

Plötzlich zuckte das Mädchen zusammen. Ein Schatten war drüben an Bord erschienen, kaum einige Meter von Atas Schiff entfernt. Nefer warf einen raschen Blick hinter sich: Die vier als Wächter zurückgelassenen Äthiopier kauerten neben dem Fockmast. Sie unterhielten sich mit leiser Stimme, ohne sich um die Zauberin zu kümmern.

Der Schatten wurde deutlicher. »Hörst du mich?« fragte er.

»Ja«, hauchte Nefer.

»Ist er es?«

»Kein Zweifel mehr!«

»Also wirklich Tetis Sohn? So hat sich der Oberpriester nicht getäuscht!«

Nefer antwortete nicht.

»Wirst du sie auf die Insel bringen können?«

»Ich werde meinen Auftrag ausführen.«

»Er erwartet dich im Tempel«, nahm der andere wieder das Wort. Es war der Alte, mit dem Ata zuvor gesprochen hatte. »Aber wehe, wenn es dir nicht gelingt! Du hast vor Isis geschworen, ihm zu gehorchen!«

»Ich werde gehorchen.« Nefer seufzte schwer.

»Hat deine Schönheit ihn bezaubert?«

»Bis jetzt noch nicht.«

»Du kennst des Königs Befehl, daß er nicht nach Memphis kommen darf!«

»Ich werde ihn im Tempel der nubischen Könige festhalten.«

»Gut. Auf der Insel sehen wir uns wieder!«

Der Schatten des Alten verschwand.

Nefer sah ihm sinnend nach. Dann erhob sie den Kopf zu den Gestirnen. Neben dem Sternbild des Großen Bären stand ein Stern, der nur ein schwaches Licht hatte. Sie beobachtete ihn lange. »Wann wirst du endlich einmal leuchten?« murmelte sie.

»Niemals ...«

Sie bedeckte die Augen mit den Händen. »Nicht ich siege über ihn, sondern er über mich«, dachte sie. »Feuer brennt in meinem Herzen ... Alle erliegen meinem Blick – nur der junge Pharao nicht! Warum bin ich zu spät gekommen? Nur von der andern träumt er. Ach, könnte ich sie vernichten, die Verhaßte!«

Der Mond stieg jetzt hinter den Blättern der Palmen auf, und seine Strahlen ließen die Wasser des Nils wie flüssiges Silber erscheinen.

»O Nachtgestirn, künde du mir mein Schicksal!« flüsterte Nefer.

Ein Wölkchen verdunkelte in diesem Augenblick den Mond.

»Alles ist gegen mich! Alle Gestirne weissagen mir, daß mich Unglück treffen wird! Er, der Sonnensohn, hat mein Leben vernichtet!«

Lautlos schritt sie über das Achterdeck, an den wachhabenden Äthiopiern vorüber, die noch immer schwatzten, und begab sich in ihre kleine Kabine.


Als Ata am anderen Morgen auf Deck stieg, stand die Sonne schon ziemlich hoch. Über den Nil flogen große Ibisse dem unteren Flußlauf zu. Er bemerkte sofort, daß die Katzenbarke nicht mehr an ihrem Platz lag.

»Ist sie schon lange abgefahren?« fragte er einen Äthiopier.

»Nach Mitternacht hat sie die Segel entfaltet. Der Alte entsendet dir seinen Gruß, er wollte noch vor der Überschwemmung in Memphis sein.«

»Natürlich, die Vogelscharen kündigen Hochwasser an«, sprach Ata vor sich hin. »Nun, wir haben im Augenblick keine solche Eile.«

Eben kam Unis mit Mirinri aus der Kajüte. Da trat auch die Zauberin aus ihrem Raum. Man sah es ihren müden Augen an, daß sie nicht geschlafen hatte. Doch sie hatte sich sichtbar geschmückt. Sie hatte den Körper mit einem Pulver eingerieben, das grünbronzenen Schimmer auf die Haut warf, und ihre schönen Fingernägel, der damaligen Sitte gemäß, vergoldet. Ihre Gewänder strömten den Duft eines aus Harz, Myrrhe, Zimt und Honig zusammengesetzten Parfüms aus.

Als Mirinri sie erblickte, blieb er überrascht stehen und sagte: »Du bist schön, Nefer, noch schöner als gestern!«

Das Mädchen lächelte sonderbar.

»Wo hast du die Wohlgerüche her?«

»Man hat sie mir mit den Juwelen zusammen geschenkt; ich trug sie stets bei mir, doch in den Dörfern konnte ich mich nicht mit allem schmücken, was zur Toilette einer Wahrsagerin gehört.«

»Bist du schon in Memphis gewesen, Nefer? Ist es wahr, daß der Königspalast das größte Monument ist, das die Ägypter errichtet haben?«

»Du kannst dir keine Vorstellung von seiner Größe machen. Vielleicht wirst du ihn eines Tages nicht nur sehen, sondern auch bewohnen können!«

»Ich werde dort als Sieger und König einziehen«, sprach Mirinri fest.

Über Nefers Antlitz huschte ein Schatten. »Gib acht, daß dir nicht Unglück von Seiten eines Weibes kommt ...«

Der Jüngling lächelte, als ob er seiner Sache sicher wäre. »Ich gehe geradeaus, ohne Zaudern, bis meine Mission erfüllt ist.«

»Es können sich dir aber ungeahnte Hindernisse in den Weg stellen.«

»Die werde ich zu überwinden wissen. Mein Arm zittert nicht!«

»Und dein Herz?«

»Was willst du damit sagen?«

»Wird es so stark sein wie dein Arm?«

»Warum nicht?«

»Es schlägt für ein Mädchen, das du vielleicht nie erreichen wirst!«

»Du hast recht«, antwortete Mirinri nach einer Pause. »Vielleicht wird die Prinzessin nie mein werden.«

»Gibt es nicht noch andere, ebenso reizvolle?« fragte Nefer lauernd. »Du bist schön, jung und tapfer und ein Sonnensohn! Welches Mädchenherz könnte dir widerstehen!«

»Ich könnte keine andere lieben. Sie war die erste Frau, die ich sah – Rache für meinen Vater und ihre Liebe ist der Zweck meines Daseins.«

Nefer zuckte zusammen, ihre goldenen Knöchelreifen klirrten. »Was ist dir?« fragte Mirinri.

»Es war mir soeben, als ob mich der schwarze Todesflügel gestreift hätte.«

»Warum bist du so traurig geworden?«

»Bist du fröhlich, Herr? ... Willst du, daß ich dich belustige? Ich kann singen, spielen, tanzen. In meiner Kabine hängt ein Instrument, mit dem ich meinen Gesang begleiten werde. Musik verjagt allen Kummer. Sieh, der Nil fängt an zu steigen. Ich werde sein segenreiches, aus den geheimnisvollen Seen Nubiens kommendes Wasser besingen!«

Nefer holte eine kleine Harfe, die aus einem halbkreisförmig gebogenen, mit vier Saiten versehenen Stab bestand. Dann begab sie sich zum Vorderdeck auf einen Platz, auf den die Sonne niederbrannte, schaute eine Weile auf die lichtdurchtränkten Fluten und begann mit frischer, melodischer Stimme den Hymnus auf den Nil.

»Sei gegrüßt, o Nil, der du dich als Friedensspender offenbart hast! Der gekommen ist, Ägypten Leben zu verleihen! Großer Osiris, der die Tageshelle mit der Finsternis wechselt! Der du die Wiesen bewässerst, welche die Sonne geschaffen hat, um dem Vieh Leben zu verleihen!

Der du tränkst die Erde allerorten! Der du von dem Himmel auf die Felder niedersteigst, o Freund des Volkes, um jedes Haus zu erhellen!

Herr der Fische! Als du wieder auf die überschwemmte Erde stiegst, suchte kein Vogel mehr die Felder heim! Schöpfer des Getreides, Beschützer der Gerste! Du bist der Wohltäter Millionen Unglücklicher, denn du läßt ihre Arme ausruhen von der schweren Arbeit. Du, der die Zeit verewigt!«

Die klare Stimme der Zauberin, die sich mit geschickter Hand auf der Harfe begleitete, klang weithin über die rauschenden Fluten.

Nefer war mit ihren langen Haaren, die sich gelöst hatten und ihr über die Schultern fielen, so schön, daß sie die ganze Schiffsmannschaft bezauberte. Sie erschien wie eine Gottheit des Nils. Auch Unis und Ata konnten die Blicke nicht von ihr wenden. Nur Mirinri war wieder einmal in Träumereien versunken, und so gelang es der Sängerin nicht, auch sein Herz zu rühren.

Bei den letzten Tönen hatte sich Nefer langsam zu ihm gewandt. Als sie ihn, in Gedanken verloren, sitzen sah, kam ein schluchzender Laut von ihren Lippen, und ihre Augen verdunkelten sich. Sie ließ enttäuscht das Instrument fallen, raffte schnell ihre aufgelösten Haare zusammen und begab sich zum Hinterdeck, wobei sie im Vorübergehen Mirinri mit den Kleidern streifte.

Er bewegte sich nicht. Er schien nicht einmal bemerkt zu haben, daß das Lied zu Ende war.

Ihr Benehmen war Unis aufgefallen. Er flüsterte Ata zu: »Mir scheint, sie ist verliebt in ihn!«

»Wie darf eine Zauberin es wagen, einen Sonnensohn zu lieben?« gab dieser zurück.

»Ich würde froh sein«, sagte Unis lächelnd, »wenn es diesem Mädchen gelänge, Mirinris Herz zu ändern. Wie gern möchte ich die Erinnerung an die Prinzessin aus seiner Seele verdrängen!«

»Und du glaubst, daß Nefers Reize dies erreichen könnten?«

»Sie ist schön, nur wenige werden ihr widerstehen. Auch wäre es nicht das erste Mal, daß Pharaonen und nubische Fürsten verwandt werden.«

»Also glaubst du ihrer Erzählung?«

»Allerdings. Du weißt, eine Tochter aus unserm Volk hätte kein so feingeschnittenes Profil, keinen so schlanken Körper. Sieh dir die Hände und Füße an, wie klein sie sind! Sie muß fürstliches Blut in ihren Adern haben.«

»Und du würdest wirklich zugeben, daß Mirinri sie liebte?«

»Sogar noch mehr: Ich würde ihre Liebe unterstützen. In diesem Mädchen sehe ich keine Gefahr, wohl aber in der Prinzessin. Diese könnte durch die Liebe unsern Plan durchkreuzen und Pepi meiner Rache entziehen!«

Unis' Gesicht hatte sich bei den letzten Worten verändert. Seine Augen sprühten Flammen.

»Du wirst niemals verzeihen«, sagte Ata bei seinem Anblick.

»Niemals! Die siebzehn Jahre, die ich als Einsiedler in der Wüste zubrachte, haben meinen Haß noch vermehrt.«

»Die alten Freunde Tetis des Großen harren auf den Moment, dem neuen König ihre Huldigung darzubringen!« sprach Ata ehrerbietig.


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