Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Die Tätowierung

Das Segelschiff fuhr, unterstützt von einer frischen Brise, weiter. Unterdessen schwoll der Nil mehr und mehr an. Er bedeckte schon die Papyrusstauden und Lotosblumen am Ufer. Seine Wasser verloren allmählich die grüne Färbung und wurden rötlich, als ob Ströme Bluts hineingegossen worden wären.

Nachdem Mirinri die Zauberin gerettet hatte, verfiel er wie gewöhnlich in Grübeleien. Er hatte seinen gewohnten Platz an der Schiffswand wieder eingenommen. Das gefährliche Rettungswerk schien ihm nur ein Kinderspiel gewesen zu sein. Er kümmerte sich nicht weiter um Nefer, die in der Kabine lag. Sie hatte noch immer nicht die Besinnung erlangt, obgleich Unis unermüdlich Belebungsversuche unternahm. Plötzlich entfuhr dem Alten dabei ein Schrei der Überraschung. Als Ata hinzutrat, zeigte er ihm eine merkwürdige Tätowierung an dem Mädchen: Der leichte, bunte Musselin hatte sich gelöst und ließ auf der wohlgebildeten Schulter eine kleine, blaue Schlange mit Geierkopf sehen.

»Das ist ja das Zeichen des Rechts über Leben und Tod, das Symbol der Pharaonen!« rief Ata unter Staunen. »Die Zauberin belog uns also, als sie sagte, sie wäre eine nubische Prinzessin. Nur die Pharaonen dürfen dies Zeichen tragen!«

»Sie muß aus königlichem Geschlecht sein«, sagte Unis nachdenklich. Er schaute aufmerksam auf Nefer. »Sollte es etwa die junge Prinzessin sein, die Mirinri damals rettete?«

»Er hätte sie wiedererkannt«, meinte Ata.

»Du, der du an Pepis Hof gelebt hast, müßtest genau wissen, wieviel Töchter er hat.«

»Eine einzige: Nitokris.«

»Keine sonst?«

»Nein.«

»Aber – wo mag die andere sein?« Unis blickte mit einem tiefen Seufzer in die Ferne.

»Deine Tochter?«

»Schweig, Ata!« rief der Alte mit gepreßter Stimme. »Oder vielmehr sprich! Konnte man nie etwas über sie erfahren?«

»Sie war verschwunden – sicher von Pepi ermordet.«

Ein schwerer Kummer lag auf dem Antlitz des Greises. »Er soll es büßen!« murmelte er. »Bald werde ich Rechenschaft fordern.«

Wieder richteten sich seine Blicke auf Nefer und auf die Uräusschlange, das Königssymbol. Dann fuhr er fort: »Sicher, das Mädchen muß eine Pharaonentochter sein, die Pepi aus irgendeinem Grunde vom Hof ferngehalten hat.«

»Vielleicht war ihre Mutter eine Chaldäerin«, bemerkte der andere.

»Möglich. Laß mich allein, Ata! Sie scheint jetzt zu sich zu kommen.«

Ata entfernte sich leise.

Nefer machte eine Bewegung, als ob sie etwas fortscheuchen wollte. Dann entrang sich ihr ein langer Atemzug. Der Alte betrachtete sie unaufhörlich, als suchte er in dem schönen Gesicht nach einem Zeichen, nach einer Ähnlichkeit.

Er quälte sich vergeblich. »Es ist zu lange her«, murmelte er. Plötzlich flüsterten ihre Lippen, kaum hörbar: »Mirinri!«

Unis runzelte die Stirn. Dann aber hellte sich sein Antlitz schnell wieder auf. »Sie liebt ihn«, dachte er. »Wenn es ihr gelänge, die andere aus Mirinris Herz zu verdrängen!«

Er nahm des Mädchens Hand, schüttelte sie sanft und sagte: »Öffne die Augen, Nefer, ich möchte mit dir sprechen.«

Die Zauberin gehorchte nicht sofort. Sie schlug nur zögernd die Lider auf. Ihre schwarzen Augen richteten sich auf Unis. »Bist du es, Herr?«

Dann schien sie sich zusammenzuraffen. Sie erhob sich und zog das Gewand über die Schulter, die das Symbol trug. »Wo ist Mirinri?« fragte sie angstvoll.

»Fürchte nichts für ihn! Er ist ein Sohn der Sonne. Er läßt sich nicht von Krokodilen verspeisen.«

»Aber wo – wo ist er?«

»Oben auf Deck ... Gesteh es mir, Nefer, du bist nicht unversehens gefallen, du hast dich ins Wasser gestürzt! Eine Tänzerin, die die Behendigkeit eines Sperbers hat, gleitet nicht aus.« Sie blickte den Frager, dessen forschende Augen bis in ihr Innerstes sahen, stumm an.

»Du wolltest erproben, ob Mirinri für dich dasselbe tun würde wie für die junge Prinzessin.«

Nefer neigte schweigend das Haupt.

»Du liebst ihn?«

Sie schüttelte wie abwehrend den Kopf.

»Du hast dich verraten. Schäme dich nicht – bist du doch selbst eine Pharaonentochter!«

»Ich?« rief sie, sich aufrichtend. »Ich bin eine Äthiopierin, keine Ägypterin!«

»Auf deiner linken Schulter sah ich das Zeichen, das nur die Pharaonen tragen dürfen. Wer hat dich tätowiert?«

»Ich weiß es nicht, Herr! Man muß es mir angebracht haben, als ich noch ganz klein war!«

»Es stellt die Uräusschlange dar.«

»Ich aus Pharaonengeschlecht? Das ist unmöglich!«

»Denke einmal nach ... erinnere dich. Hast du deinen Vater nie gekannt?«

»Als er im Krieg gegen die Chaldäer fiel, mußte ich wohl noch sehr jung sein!«

»Und deine Mutter?«

»Ich sagte es schon, sie genoß den Ruf einer Wahrsagerin.«

»War sie weiß oder braun?«

»Dunkelbraun, wie die Frauen des oberen Nils.«

»War sie schön?«

»Ja, sehr schön!«

»Wann starb sie?«

»Ich war noch klein, als sie am zweiten Nilwasserfall das Opfer eines Krokodils wurde.«

»Bist du allein nach Unterägypten gekommen?«

»Nein, mit einem Hohepriester, der sich meiner angenommen hat.«

»Wie hieß er?«

Nefer zauderte lange mit der Antwort. Dann sagte sie: »Ich weiß es nicht.«

»Wo hat er dich verlassen?«

»Auf der Insel, wo sich der Kantatek-Tempel befindet.«

»Hast du ihn jemals wiedergesehen?«

»Nie«, antwortete sie, wiederum zögernd. Sie machte Anstrengungen, sich zu besinnen: »Ich sehe manchmal große, prächtig geschmückte Säle vor mir und riesige Tempel mit Götterbildern, mit einer Unzahl von Priestern und Tänzerinnen, die ZymbelnZymbeln Musikinstrumente des Altertums: kleine Becken, die jeweils an 2 Stäben befestigt waren. spielen ... Ich sehe prächtige Pyramiden und hohe Obelisken... Ein großer, mit goldenen Barken besetzter Strom zieht dahin ... Ich sehe Soldaten und Sklaven, die vor einem Mann auf goldenem, mit langen Straußenfächern umgebenen Thron knien... Aber das ist alles wie von Nebel umhüllt. Sind es Träume, ist's Wirklichkeit? Ich weiß es nicht.«

»Kannst du dich nicht deutlicher des Mannes auf dem Thron erinnern?«

»Nein, wenn ich es versuche, so legt sich ein dichter Schleier davor.«

»Ich hoffe, du wirst ihn eines Tages wiedersehen!«

Unis verließ die Kabine und stieg mit gedankenvoller Miene an Deck.

Nefer glitt von ihrem Lager und folgte ihm.

»Hast du etwas in Erfahrung bringen können?« fragte Ata den Greis.

»Nein, aber eine furchtbare Ahnung ist in mir aufgestiegen.«

»Welche?«

»Daß Sahur nicht tot ist!«

»Sahur, deine ...«

»Die Tochter Tetis«, unterbrach ihn Unis erregt.

»Aber ich fand doch in Memphis keine Spur mehr von ihr! Ich bin sicher, daß man sie im Nil ertränkt hat«, sagte Ata.

Der Alte schaute düster in die Ferne.

Nefer schritt indessen zu Mirinri, der am Backbord saß und mit den Augen die Fluten verfolgte.

»Habe Dank! Ich schulde dir mein Leben!« sprach sie leise und berührte seine Hand. »Aber nicht nur das Leben, sondern auch die Gewißheit, daß ich eine Pharaonin bin wie jene, die du vor mir rettetest.«

Mirinri wandte sich um und sah sie sprachlos an.

»Ich trage das Zeichen der Uräusschlange an mir«, fuhr sie fort.

»Auch du?« fragte er ungläubig.

Sie zeigte ihm die Schulter.

»Ja, es ist dasselbe Zeichen, das ich trage!« rief er. »Wer hat dich darüber aufgeklärt?«

»Ich«, sprach Unis, der gerade hinzutrat.

»Dann ist es wahr! Nun wohl, wenn wir beide Kinder der Sonne sind, so sind wir wie Geschwister.«

Nefer schwieg. Sie senkte den Kopf, und jener Trauerschatten, den der Priester schon vorher bemerkt hatte, glitt über ihr Gesicht.

In diesem Augenblick rief Ata: »Da liegt die Festung Abom, seht hin! Ihr werdet aber auch ein nettes Frühstück für die Krokodile sehen. Seien wir vorsichtig, es droht Gefahr!«


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