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50. Turkestanische Wirtschaftsfragen.

Taschkent.

 

Seit es eine turkestanische Republik und eine national-sartische Regierung – allerdings unter sowjetrussischer Oberhoheit – gibt, ist man darangegangen, die in ihrer Art einzigartigen Baudenkmäler aus der Timuridenzeit in Samarkand, die die zaristische Regierung ruhig verfallen ließ, vor weiterer Zerstörung zu schützen. Die schiefen Minarette der Ulug-Beg-Medresse, die umzustürzen drohten, sind gestützt worden, und an allen Bauten versucht man durch Auszementieren die bunte Kachelverkleidung vor weiterem Abbröckeln zu bewahren.

Wenn man will, mag man es als Symbol für das neuerstarkte turanische Nationalgefühl nehmen. Allerdings entspricht diesem nationalistischen Selbstgefühl wie auch den großen Summen, die man für die Erhaltung der alten Baudenkmäler aufwendet, keineswegs die ökonomische Lage der turkestanischen Republik. Finanziell ist man völlig von Moskau abhängig, und die wirtschaftliche Lage leidet naturgemäß unter den politischen Unruhen. In der einen oder andern Weise – sei es durch engeren Anschluß an Moskau oder durch die Gewährung völliger Autonomie – werden die Russen den Basmatschi-Aufstand liquidieren müssen, wollen sie die Schätze Turkestans heben.

Diese sind nicht gering. Abgesehen von der Baumwollkultur, die der Wiederbelebung wartet, harren reiche Lagerstätten von Erzen, Kohle und Naphtha der Ausbeutung, während für den unmittelbaren Export große Vorräte von Häuten, Fellen, Därmen, Wolle und Seide verfügbar sind. Mit der Baumwollkultur muß allerdings so gut wie von vorn begonnen werden. Während der Bürgerkriege war Turkestan lange Zeit von Rußland abgeschnitten. Infolgedessen hörte der Anbau von Baumwolle auf, nicht nur weil es an Absatz fehlte, sondern auch weil Turkestan leben mußte. In normalen Zeiten hatte man nach Möglichkeit alles geeignete Land mit der einträglicheren Baumwolle bepflanzt und dafür Weizen aus Rußland eingeführt. Als dieser Import aufhörte, mußte man selber Getreide auf dem bisherigen Baumwolland säen.

Vorbedingung für Wiederaufnahme der Baumwollkultur ist also, daß wieder Weizen eingeführt wird oder daß man weiteres Land unter Kultur nimmt. An sich wäre das leicht möglich. Der Hundertsatz bebauter Fläche ist in Turkestan lächerlich gering. Weite Gebiete, die heute Steppe sind, ließen sich in Felder und Gärten verwandeln, wie ja auch die jetzt wüste Region um den Syr-darja ehemals blühendes Land mit großen Städten war. Nötig ist dafür der Ausbau des Kanalsystems. In ganz Turkestan, das eines der trockensten Gebiete der Erde ist – während des langen Sommers kennt man überhaupt keinen Regen –, kann nur mit Hilfe künstlicher Bewässerung angebaut werden. An eine Ausdehnung des Kanalsystems ist aber in nächster Zukunft überhaupt nicht zu denken, ja, es besteht im Gegenteil die Gefahr, daß durch Verfall und Verschlammen der bedeutendsten Kanäle sogar die jetzt verfügbare Anbaufläche noch zurückgeht.

Der Grund dafür? – Es fehlt vor allem an Geld, wie überall im Sowjetstaat. In Turkestan aber steht es ganz besonders schlimm damit. Zur Zeit meiner Anwesenheit hat ein großer Teil der Beamten seit Monaten kein Gehalt bekommen. Da aber in Rußland der größte Teil der Bevölkerung noch immer irgendwie als Beamter dient – sosehr man in der letzten Zeit auch bemüht ist, den übermäßig angeschwollenen Beamtenapparat wieder zu verkleinern –, so ist damit doch der Absatz der Kaufleute und das ganze wirtschaftliche Leben ins Stocken geraten. Eine groteske Folge dieser Rückständigkeit in der Auszahlung der Gehälter ist beispielsweise die Praxis der Post, ihr anvertraute Gelder nicht zu befördern, sondern zur Bezahlung ihrer Beamten zu benutzen. Erst wenn von der Zentrale das Geld für die Gehälter eingetroffen, werden Postanweisungen, selbst solche der amtlichen Stellen, erledigt.

Von Ingenieuren der Bewässerungsanlagen wurde mir gegenüber darüber geklagt, daß sie lebenswichtige Kanäle verfallen lassen müssen, ohne viel dagegen tun zu können. Ferner erschwert naturgemäß der Kampf gegen die Aufständischen die Irrigationsarbeit, trotzdem die Basmatschi volles Verständnis für sie haben. Die Ingenieure und Arbeiter der Irrigation sind nicht nur unverletzlich – ungefährdet können sie als einzige Russen das Gebiet der Basmatschi betreten –, nein, diese stellen ihnen sogar Schutzwachen und Hilfskräfte. Ein Irrigationsingenieur erzählte mir: »Während es immer Schwierigkeiten macht, mit Hilfe der Sowjetbehörden die nötigen Arbeitskräfte aufzubieten, genügt bei den Basmatschi die einfache Anforderung beim Kurbascha, dem Anführer, um in kürzester Frist die nötigen Arbeiter gestellt zu bekommen.« Jedenfalls ein origineller Zustand zwischen zwei kriegführenden Parteien.

Was die Industrie anbetrifft, liegen die meisten, wenn nicht alle Fabriken still. Die Regierung hat in letzter Zeit angefangen, die Werke den früheren Besitzern zurückzugeben oder sie anderweitig zu verpachten. Dieser Prozeß geht jedoch, ebenso wie die Rückgabe der Häuser, nur sehr langsam und willkürlich vonstatten. Überhaupt ist ja der Ablauf der Revolution in Turkestan viel langsamer als in Rußland. Und in mancher Hinsicht wahrt man, vor allem den Russen gegenüber, noch in viel höherem Maße das kommunistische Gesicht.

Immerhin sind Anfänge gemacht. So hat sich in Samarkand eine Gruppe von ehemaligen deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen zusammengetan und eine »Deutsche Genossenschaft« – Germansky Kooperativ – gegründet und eine Fabrik gepachtet, in der sie mit bemerkenswertem Unternehmungsgeist Bleistifte, Messer, Stiefel und Schuhcreme fabrizieren. Ferner gibt es eine Reihe von Seifenfabriken, Spinnereien und Webereien, doch gehen diese über den Begriff der Manufaktur nicht hinaus. Wirksam können Industrie und Baumwollkultur wohl nur mit Hilfe großer ausländischer Kapitalien wieder in Gang gebracht werden. Allerdings laufen diese Kapitalien infolge der ungeklärten politischen Verhältnisse bei sehr hohen Gewinnchancen ein entsprechend hohes Risiko.

Anders steht es mit dem reinen Handel. Es wundert einen, warum die Verbindung mit dem Ausland noch immer nicht in Gang gekommen ist. Gewiß spielt die Behinderung des freien Handels durch das staatliche Außenhandelsmonopol eine große Rolle. Allein es sind doch bereits erhebliche Mengen europäischer, vor allem deutscher Waren auf russischem Gebiet, in Batum, Tiflis und Baku. Man plant zwar, damit nach Turkestan hinüberzugehen, hat aber noch nicht den Anfang damit gemacht.

Dabei sind die Gewinnchancen selbst für den Handel mit einheimischen Produkten gewaltige. So kostet beispielsweise in Turkestan Zucker das Eineinhalbfache bis Doppelte des in Baku dafür gezahlten Preises, während andererseits Getreide um die Hälfte bis zu zwei Drittel billiger zu haben ist. Allerdings erfordert dieser Handel eine sehr genaue Kenntnis der Verhältnisse, sonst kann es passieren, daß Fracht, Zölle, Abgaben und sonstige Unkosten den auskalkulierten Gewinn auffressen.

Noch größer sind die Gewinnmöglichkeiten bei Waren europäischer Herkunft; denn hier fehlt es an allem. Beispielsweise wurden in Buchara Weingläser einfachster Art für eine Million bucharischer Währung angeboten – damals fast ein halber Dollar. Ähnlich horrend sind die Preise für Nägel, Eisenwaren, Emailgeschirr und anderes.

Groß ist die Nachfrage nach Anilinfarben für die Teppiche und einheimischen Gewebe. Fuchsin wird gegenwärtig mit 30 Millionen (eineinhalb Pfund Sterling) für das Pfund bezahlt, Brillantgrün mit 40 Millionen. Blau und Schwarz fehlen ganz. Rot und Grün kommen aus England, auf dem nicht gerade bequemen und billigen Wege über Afghanistan. Medikamente werden geradezu börsenmäßig gehandelt, da die Apotheken größtenteils leer sind. Beispielsweise fehlt Chinin fast völlig, was für ein Land mit soviel Malaria eine gesundheitliche Katastrophe bedeutet. Ein Deutschrusse in Kagan, dem ich mit meinem Chininvorrat für seine kranke Frau aushalf, erzählte mir, daß man auf dem Markt für ein Gramm Chinin 800 000 bucharische Rubel – damals etwa 40 amerikanische Cent – forderte.

Mit Ungeduld wartet man in Zentralasien auf das Eintreffen deutscher Waren. Nach Abschluß des Rapallovertrags hoffte man, daß sie nunmehr sicher kämen, und war enttäuscht, als nichts erfolgte. Allerdings unterschätzt man die Schwierigkeiten, die der vollen Wiederaufnahme des Handelsverkehrs mit Turkestan noch im Wege stehen. Es sind diese nicht so sehr solche verkehrstechnischer Art. Die zentralasiatische Bahn ist unversehrt; sowohl auf der nördlichen Linie von Orenburg nach Taschkent wie auf der südlichen von Krasnowodsk nach Kokan verkehrt täglich ein Güterzug. Nach Krasnowodsk gibt es zwei Wege, der über das Schwarze Meer und den Kaukasus und die direkte Wasserstraße von der Ostsee in das Kaspische Meer. Letztere führt über das Marienkanalsystem in die Wolga. Trotz der Verschlammung der Kanäle gelang es vor kurzem dem deutschen Dampfer »Pionier«, im Auftrage der Russisch-persischen Handelsgesellschaft als erstes Fahrzeug seit der Revolution die lange Wasserstraße quer durch Rußland glücklich zurückzulegen.

Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß die Turkestan vorgelagerten russischen, ukrainischen und kaukasischen Gebiete, in die die Sowjet-Außenhandelsstellen ohnehin nur begrenzte Warenmengen hineinlassen, zuerst ihren Bedarf decken. Dann aber war das nachrevolutionäre Turkestan bisher für den europäischen Handel noch in ganz anderm Maße als Rußland eine völlige Terra incognita, so daß das Zögern verständlich erscheint, die erforderlichen großen Kapitalien in die Neuorganisierung des Handels mit Zentralasien zu investieren.


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