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31. Traumtage in Täbris.

Täbris.

 

Es gibt Träume, die so schön sind, daß man sich vor dem Aufwachen fürchtet, daß man mit aller Kraft das entschwindende Traumbild zurückzuhalten trachtet, wenn bereits das Bewußtsein aufdämmert.

So lag ich und blinzelte mit halb geschlossenen Lidern in den mondscheinverzauberten Garten. Die zitternde Silberplatte des bis an den Rand gefüllten Beckens, in dem der Mond ertrank und mit sich all die Rosen und Lilien längs der Marmoreinfassung hinabzog in wunderbare Zaubertiefen, mußte sich doch gleich auflösen in irgendeinen Tümpel längs der Karawanenstraße, und mit ihm der ganze Traumspuk von Garten, Schloß und dem weichen Bett, in dem ich lag.

Noch einmal kostete ich mit aller Intensität die Süße des entschwindenden Traumes aus, ehe ich entschlossen die Augen öffne, um zu wissen, wo ich eigentlich bin. Aber was ist das? Der Garten verschwindet nicht, im Gegenteil, er kommt nur um so wirklicher mit kühlem Hauch und tausend Düften zu mir ins Zimmer. Und dieses Zimmer ist ein hoher teppichgeschmückter Saal, an dessen einer Wand drei breite, bis zum Boden hinunterreichende Fenster sich auf den Garten öffnen. An einem dieser Fenster steht mein Bett, ein europäisches Messingbett, das eigentlich in diesen Rahmen von Tausendundeiner Nacht gar nicht paßt. Und an diesem Bett kehrt die ganze Erinnerungsreihe wieder: denn ich protestierte lebhaft, als meine Gastfreunde es anbrachten, sie aber hinwiederum wollten auf keine Weise zugeben, daß ich als Europäer nach orientalischer Sitte auf dem Boden schliefe.

Richtig, als wir über den Schiblipaß ritten, lud mich ja mein Reisekamerad Gholem Hussein Farchi, der nach zweijährigem Aufenthalt in Baghdad in das Elternhaus zurückkehrte, so dringend und herzlich zu sich ein, daß ich nicht ablehnen konnte. Wir ritten, als wir glücklich über den Schibli hinüber waren, noch in der Nacht soweit wie möglich, um eine leere Karawanserei zu finden. Allein wir trafen es recht schlecht, denn so gelangten wir in die mit den geflüchteten Armeniern vollgepfropfte. Schließlich aber war es die letzte Nacht vor dem Ziel, und so wickelten wir uns, wie wir von den Pferden stiegen, am Wegrand in unsere Decken.

Beim ersten Morgenlicht brachen wir wieder auf, und da wir flott zuritten, hätten wir noch zu Mittag in Täbris sein können. Allein in Basmindsch, dem letzten größeren Ort, gab es noch einen für mich unerwarteten Aufenthalt. Ich wunderte mich bereits, daß wir hier, so kurz vor dem Ziel, noch groß Station machten. Meine Verwunderung wächst, als ein großer schwarzer Hammel in unser Zimmer gebracht und allseitig gemustert wird. Er wird wieder abgeführt, kommt aber nach kurzer Zeit in geschlachtetem und zerlegtem Zustand zurück. Und nun erzählt mir mein Freund, daß er gestern, als ich im Paß verschwunden war und die ganze Situation doch recht kritisch aussah, gelobt habe, einen Hammel zu opfern, falls wir alle die Gefahr glücklich überständen. Während er die Fleischstücke austeilt – die eine Hälfte bekommen die Armen, die andere wollen wir jetzt essen –, muß ich an jenen Abend in Mianeh denken, wie wir bei Babai, den Angehörigen einer neuen Sekte, eingeladen waren und sich nach dem Essen ein langes Gespräch über Gott entspann. Damals fragte mein Reisekamerad: »Muß man eigentlich an Gott glauben?« und ich erwiderte: »Ich denke, es tritt für jeden Menschen einmal die Notwendigkeit dazu ein.« Und siehe, nun kam sie rascher, als wir damals dachten.

Der Wirt bringt ein Mangal – ein Becken mit glühenden Kohlen –, und wir gehen daran, Fleisch und Leber in kleine Stücke zu schneiden und über der Kohlenglut zu rösten. Während mir der erste »Spieß« ausgezeichnet mundet, denke ich, daß das Opfern von Hammeln doch entschieden zweckmäßiger ist als das von Kerzen, denn so bekommen die Armen von jedem Gelöbnis ihren Teil und man selber auch.

Das letzte Stück der Reise führte nochmals durch öde Felslandschaft. Es ist heiß und staubig, so daß wir noch einmal rechtschaffen müde und ausgedörrt werden. So war es herrlich, als uns an der Stadtgrenze ein von Gholems Vater gesandter Wagen mit zwei prächtigen Arabern davor aufnahm. Ein Rudel von Brüdern und Freunden tauchte nacheinander zu Pferde auf. Begrüßung hin und her. Eine Fahrt im schärfsten Trab durch sonnengrelle, lächerlich enge Straßen und schattige Basargewölbe, ein kurzer herzlicher Empfang, dann bin ich plötzlich allein in weltabgeschiedener Einsamkeit.

Ich habe mir wohl manchmal in der Hetze des Tages gedacht, meine Wunschkraft möge eine Trauminsel schaffen, auf die ich mich zuzeiten zurückziehen kann, losgelöst von allem, was sonst mein Denken und Leben erfüllt. Völlig allein mit einem schweigenden Diener, der meinen Wünschen nachkommt, ohne daß ich sie erst auszusprechen brauche. Und nun ist dies alles mit einem Male Wirklichkeit geworden! Jeder reiche Perser besitzt zwei nebeneinanderliegende, aber sonst völlig voneinander getrennte Häuser mit eigenen Höfen, Gärten, Becken usw.: das Enderun – das Frauenhaus – und das Haus des Hausherrn, in dem die männlichen Mitglieder der Familie die Besuche nicht Blutsverwandter empfangen. Da nun Gholem zunächst völlig im Schoße der Familie untertaucht, sehe ich mich im Besitz eines ganzen Hauses mit Garten.

In dem Hauptempfangssalon mit dem herrlichen Blick auf den Garten hat man mein Bett aufgestellt, in das ich jetzt wohlig wieder zurücksinke, wie ich sehe, daß Wirklichkeit und nicht Traum um mich ist. Die letzten Wochen waren doch sehr anstrengend, und erst jetzt, da Aufregung und Spannung nachgelassen, fühle ich die ganze Schwere des Sturzes mit dem Postwagen. So kann ich mir einige Tage absoluter traumhafter Ruhe wohl gönnen.

Und ich genieße sie mit aller Hingabe. Morgens gehe ich im Bademantel gleich vom Bett aus in »meinen« Garten und sehe nach, wie viele Lilien neuerblüht und wie viele Rosen sich über Nacht erschlossen. Die Lilien stehen rings um das Becken zu vielen Hunderten. In all ihrer makellosen Reinheit ist ihr Duft von solch sinnbetörender Süße, daß man ihren Schrei nach Frucht und Reife in allen Nerven spürt. Hinter ihnen blühen die Rosen. Und an diese schließen sich in endlosen Reihen die Weinstöcke, die die einhundertvier verschiedenen Traubensorten Aserbeidschans tragen.

Erfüllt von dem Duft all der Blumen springe ich in das geräumige Becken, das eine kleine Fontäne ständig mit frischer klarer Flut aus den Bergen speist. Um mich herum schwimmen Goldfische, und eine große Elster kommt an den Rand des Bassins herangehüpft und hält neugierig nach mir Ausguck.

Nach dem Ankleiden aber setze ich mich in einen der großen Lehnsessel gegenüber dem Mittelfenster, wo ich das blinkende Eismassiv des Sahend gerade vor mir habe.

Ehe ich noch ganz in Gedanken versunken aufsehe, ist der stumme Diener herangehuscht und hat ein Frühstückstischchen vor mich hingestellt mit Tee, hauchdünnem persischem Brot, Honig und Schlagsahne. Lautlos huscht er auf Socken heran, verschwindet und ist wieder da, wenn ich ihn brauche, ohne daß ich ihn rufe. Noch kein Wort haben wir miteinander gewechselt, und doch bin ich noch nie in meinem Leben so gut bedient worden.

Wagen und Reitpferde stehen zu jeder Tagesstunde für mich bereit. Einladungen und neue Freunde warten, allein ich kann mich noch nicht trennen von dem Traumland, das meine Gastfreunde mit seltenem Takt für mich bereiten. Tag und Nacht bin ich allein mit mir. Selbst ohne Bücher oder Zeitschriften. Es ist ein absolutes restloses Versenken in sich selbst. Es ist, als erblicke man sein eigenes Ebenbild tief, tief auf dem Grunde eines Brunnenschachtes, hole es langsam zu sich herauf und vereinige sich wieder mit dem, das wesengleich und dennoch fremd.

Für eine kurze Spanne Zeit gibt es ein wunschlos ausgeglichenes Ruhen im Glück. Aber ewig kann es nicht währen. Wäre es sonst das Glück? Und so verlasse ich entschlossen das Traumland, ehe es mich entläßt.

Als ich zum ersten Male die staubgepuderten, in greller Sonne blendenden Straßen von Täbris wieder betrete, da ist mir, als weilte ich nicht seit Tagen in dieser Stadt, sondern als käme ich in sie unvermittelt aus weiter Ferne.


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