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Vorwort.

 

»Drum frisch! Laß alles Sinnen sein
Und grad mit in die Welt hinein.«

Goethe, Faust.

 

Die Pforte zu den »Blauen Wundern«

Dieses Buch ist kein Buch der Spekulation, sondern eines des lebendigen Lebens und Erlebens. Es ist ein Reise- und Abenteuerbuch, wie es in der Vorkriegszeit mit ihren geebneten sicheren Straßen nicht geschrieben werden konnte, es sei denn, man wählte als Reiseziel den Nord- oder Südpol oder allenfalls noch die Wüste Gobi.

Wenn wir als Knaben betrübt darüber waren, daß die ganze Welt bereits entdeckt und erforscht sei, so daß für unsern Tatendrang nichts übrigblieb, so braucht das jetzt heranwachsende Geschlecht diesen Kummer nicht zu haben. In einem großen Teil der Welt sind die Straßen verschüttet, die Pässe versperrt. Wo man ehemals bequem im Schlafwagen dahinfuhr, schlägt man sich jetzt in abenteuerlicher Weise in Güterzügen, auf Naphtha- und Viehwagen durch. Auf einst sichern Karawanenstraßen reitet man wieder, den Karabiner auf der Hüfte. Nie galten seit hundert und mehr Jahren im Herzen Asiens Geleitsbriefe und Empfehlungsschreiben gleich wenig, nie stand der Reisende so ganz und ausschließlich auf sich allein, auf seine Energie und seine Tatkraft.

Aber darüber hinaus ist ja – wenigstens für uns Deutsche – die ganze Welt neu zu entdecken und zu erschließen. Gleich seinem Vorgänger »Südamerika, die aufsteigende Welt« von Colin Roß (1922, zweite Auflage 1923). steht auch dieses Buch ausschließlich im Dienste dieser Aufgabe. Durch Krieg, Blockade und Valutaelend sind wir aus einem Volk von Reisenden zu einem großen Teil arme Ab- und Eingesperrte geworden, die die Welt nur noch aus Büchern und Bildern der Vorkriegszeit kennen. Bis zu einem gewissen Grad sind wir dadurch wirklich zu dem »Tier auf dürrer Heide« aus Goethes Faust geworden, das, vom bösen Geist im Kreis herumgeführt, die ringsumher liegende »schöne grüne Weide« nicht sieht.

Freilich so ohne weiteres ist die schöne grüne Weide für uns nicht da. Es gilt unsern Anteil daran erst wieder zu erkämpfen und zu erarbeiten. Aber die Weltmeinung hat sich seit Abschluß des Versailler Friedens doch grundlegend geändert, und vor allem im Osten finden wir bei Russen wie Mohammedanern weitgehende Sympathie. Allerdings ist gerade hier die Welt am stärksten in Scherben geschlagen, und man wartet und hofft auf uns, daß wir sie neu aufbauen helfen. Gewaltig sind die Möglichkeiten, die sich deutscher Wirtschaft und Technik im Osten bieten: es gilt, sie rechtzeitig zu ergreifen, ohne Scheu vor persönlichen und materiellen Opfern, die vor Erfolg und Gewinn gelagert sind. Diese Scheu ist begreiflich, vor allem soweit sie Rußland betrifft: allein ihre Überspannung kann leicht dazu führen, daß die günstige Stunde, in der Deutschland die erste Hypothek auf alle Unternehmungen im Osten hat, ungenützt verrinnt. Es ist ja schwer, sich aus dem Wust einander widersprechender und tendenziöser Nachrichten aus dem Osten ein Bild zu machen, allein wer heute unvoreingenommen und mit offenen Augen in Rußland reist, kann sich nicht dem Eindruck entziehen, daß Chaos und Krise zu Ende sind und daß neues, starkes Leben allenthalben hervorbricht. Die ganze Welt ist heute so labil, daß man kaum irgendeinem ihrer Teile ein sicheres Prognostikon stellen kann. Allein, wenn nicht ganz unerwartete Ereignisse eintreten, wird die R. S. F. S. R., der sowjetrussische Staatenbund, eine politische und wirtschaftliche Entwicklung nehmen, die selbst Optimisten in Erstaunen setzen muß.

Unter dem Druck der Entwicklung Rußlands in der Richtung als asiatischer Vormacht kann Europa, das bereits gegenüber Amerika ins Hintertreffen kam, auch in Asien seine Führerrolle verlieren. Die nationalistische Welle, die im Gefolge des Kriegs und der russischen Revolution die Völker des Islams ergriff, hat die Asien-den-Asiaten-Bewegung aus dem fernen Osten nach Inner- und Vorderasien getragen. Noch mag es Jahrzehnte dauern, bis sie Geschehnisse auslöst, die für die europäischen Kolonialmächte bedrohlich sind, aber die Bewegung ist im Fluß.

Doch – schon das ist Spekulation, und darum soll hier abgebrochen werden. Mag der Leser sich ein Bild von Asiens und damit auch von Europas naher Zukunft selbst formen aus dem, was ich 1922 erlebte, in russischer Steppe, auf persischen Karawanenstraßen und inmitten zentralasiatischer Wüste.

Berlin, im März 1923.

Colin Roß.

Die Mehrzahl der Abbildungen ist vom Verfasser aufgenommen, Abbildung Seite 97 ist »Moser, Durch Central-Asien« entnommen. Die Zeichnungen zum Einband, Vorsatzpapier und Schutzumschlag lieferte Georg Baus, Leipzig.


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