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2. Intermezzo in Warschau.

Warschau.

 

Diese ehemals elegante und in großem Stil lebende Stadt macht heute ein wenig den Eindruck, als sei das platte Land in sie eingebrochen. Die Verwahrlosung der Fassaden und die Verschmutzung der Straßen sind ja allerdings nicht anders als in den meisten mitteleuropäischen Ländern, denen der Krieg dieses Herunterkommen des Stadtbildes als häßliche Rune hinterlassen hat. Aber darüber hinaus fällt einem die Erscheinung von Passanten und Fuhrwerken auf. Man sieht erstaunlich viele Bauern und Bauernwagen, und durch die Hauptstraßen werden Schweine und Kühe getrieben, so daß man meinen könnte, nicht in Warschau, sondern in Cholm oder Lublin zu sein.

Die auf der Promenade flanierende Weiblichkeit steht zwar an Massenaufwand von Schminke und Puder nicht hinter den Schönen der Calle Florida in Buenos Aires oder der Avenida Rio Branco in Rio de Janeiro zurück, aber sonst läßt auch sie wirklich große Eleganz vermissen, wie überhaupt der Gesamteindruck von Polens Kapitale der einer Mittelstadt ist, die einst bessere Tage gesehen hat.

»Es ist ein Elend«, meinte der Korrespondent der großen deutschen Zeitung, mit dem ich beim Frühstück saß; »zwei Jahre sitze ich nun schon in dem Nest.«

Dieser Journalist gehört nebenbei bemerkt zu jener Klasse von großen Auslandskorrespondenten, die alle Welt kennen und bei jedem Minister aus- und eingehen, die die wichtigste Stütze und Informationsquelle des deutschen Gesandten sind, ja, die man in Wirklichkeit meist als die Seele der Gesandtschaft ansehen darf.

Deutschland hatte an diesen großen Auslandskorrespondenten nie Überfluß. Bei der heutigen Notlage der deutschen Zeitungen werden sie wohl ganz aussterben, denn man muß aus eigenen Mitteln erheblich zuschießen können, um im Ausland auf dem erforderlichen großen Fuß leben zu können.

So werden uns diese wichtigen Pioniere des Deutschtums in der Welt mit der Zeit wohl alle verlorengehen, und man hat fast den Eindruck, als sähe man von seiten des Auswärtigen Amts diese Entwicklung nicht einmal ungern. Im Gegensatz zu den Diplomaten aller andern Großmächte hat der deutsche Reichsvertreter im Ausland nur in den seltensten Fällen mit der Presse zusammen zu arbeiten verstanden. Im erfolgreichen und angesehenen deutschen Auslandskorrespondenten hat er statt den Mitarbeiter nur allzu leicht eine »unlautere Konkurrenz« gesehen, die man um Gottes willen nicht zu mächtig und einflußreich werden lassen durfte.

Dieser Warschauer Korrespondent half mir auch weiter; denn um ein Haar hätte ich in Polens Hauptstadt unfreiwillig längern Aufenthalt nehmen müssen. Ich hatte auf dem polnischen Konsulat in Berlin nur das Einreisevisum bekommen können, und die Beamtin auf der Warschauer Paßstelle schob mit geradezu unnachahmlicher Arroganz das Schreiben der deutschen Gesandtschaft beiseite, in dem um Erteilung des Ausreisevisums für mich ersucht wurde; kurz und bündig erklärte sie, die ukrainische Grenze sei gesperrt.

Für den Notfall überlegte ich mir die Weiterreise über Rumänien, allein nur ungern hätte ich dieses zweite Abweichen von dem ursprünglichen Reiseplan in Kauf genommen, nachdem ich schon auf Konstantinopel hatte verzichten müssen. Die Einreiseerlaubnis dorthin war mir von den Engländern bereits fest zugesagt worden, scheiterte aber im letzten Augenblick an dem Einspruch der Franzosen.

So wurde denn alles an Beziehungen mobilisiert; auch die ukrainische Gesandtschaft wurde vorstellig. Ich wanderte noch einmal nach dem Ministerium des Äußeren, und in einer halben Stunde hatte ich das diplomatische Ausreisevisum über die polnisch-ukrainische Grenze.

Die Presseabteilung im Auswärtigen Amt zu finden, war übrigens ein Kunststück; denn das Gebäude, in dem sie untergebracht war, sah einer verfallenen Räuberhöhle verzweifelt ähnlich. Diese Ärmlichkeit des staatlichen Apparats und seiner Organe fällt auf Schritt und Tritt auf; schon im Zug an den schäbigen Uniformen der Schaffner, an der Ausrüstung der Schutzleute, am Militär, das sogar auf die Hauptwache mit Gewehren und Karabinern aller Systeme zieht.

Aber es wäre durchaus falsch, dies alles auf »polnische Lotterwirtschaft« zu schieben und es als Beweis des baldigen Zusammenbruches dieses Staates zu nehmen. Schon mit dem Überschreiten der polnischen Grenze drängt sich einem stark der Gedanke auf, daß jene deutschen Kreise, die von einem polnischen »Saisonstaat« reden, sich einem gefährlichen Trugschluß hingeben. Mag sein, daß die polnische Republik nicht von jahrhundertelanger Dauer sein wird, aber unsere Generation, vielleicht auch die nächste, wird wohl oder übel mit dem Dreißigmillionenstaat Polen als einer sehr harten Realität rechnen und sich so oder so mit ihm abfinden müssen.

Die Dauer und Festigkeit des polnischen Staats darf man ebensowenig an dem ärmlichen äußeren Kleide messen wie an dem Betrieb in den großen Warschauer Hotels. Denn wie in Berlin sind diese in der Hauptsache die Domäne der Ausländer und der Schieber, nur daß der Ton noch um einige Grade freier ist als bei uns.

So gegen 2 Uhr nachts erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt. Unermüdlich fiedelt die Kapelle. Die elektrischen Birnen glänzen auf tief dekolletierte Nacken. Die Kellner servieren Bowle, deren Preis in die Zehntausende geht. Der Korrespondent der großen Zeitung erzählt mir die ganze diplomatische Chronique scandaleuse.

Als wir später auf unsere Zimmer gehen, erlebe ich noch eine kleine Veranschaulichung des Erzählten. Wir stoßen auf einen stark angetrunkenen Offizier einer fremden Mission, der gleich zwei Damen mit sich auf sein Zimmer nimmt, während die betreffenden Ehegatten anderweitig engagiert sind.

Auch ich wurde gleich am Tag nach meiner Ankunft zur Teestunde in meinem Hotelzimmer angeklingelt, und eine weibliche Stimme fragte mich in gebrochenem Deutsch, ob sie zu mir kommen könne. Einen Irrtum vermutend, frage ich, zu wem sie denn wolle, worauf prompt die Antwort erfolgt: »Zu Ihnen natürlich.« Auf mein hörbares Schweigen hin erklärt sie, wir wären doch schon zusammen gewesen.

Kurz darauf klopft es, und ein hübsches junges Ding steht unter der Tür. Sie mimt etwas die Überraschte, die eigentlich jemanden andern hier zu treffen erwartete, ohne sich jedoch allzu große Mühe mit der Verstellung zu geben; sie nimmt auch gleich mit den Worten: »Störe ich Sie?« von meinem Zimmer Besitz. Ich werde sie erst los, als ich auf ein Rendezvous am folgenden Tag eingehe. Das ist nicht sehr nett von mir, denn mein Zug geht bereits um 7 Uhr früh, allein die Kleine machte mir durchaus den Eindruck, als ob sie auch ihrerseits im »Versetzen« gar kein Bedenken fände.

Ich erkundigte mich später, ob dieser Teebesuch gleich mit dem Hotelzimmer geliefert würde. Es scheint sich aber wohl mehr um eine Art Wohltätigkeitsverein zu handeln, der dafür Sorge trägt, daß keine fremde Männlichkeit in dieser liebenswürdigen Stadt allzulange unbeweibt weilt.


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