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13. Karl Marx unter dem Halbmond.

Baku.

 

Mitten auf dem Parapet, dem Hauptplatz von Baku, thront auf einem Sockel aus Latten und Gips eine mächtige Büste von Karl Marx. Marx ist überall zu Hause, in der ganzen Sowjetföderation; kein bolschewistisches Amtszimmer, in dem nicht sein Bild hinge. Aber an diesem Marxdenkmal gehen verschleierte Mohammedanerinnen vorüber; in seinem Schatten spielen braune Tatarenjungen in bunten Kitteln. Über ihm wölbt sich eine Triumphpforte, die ein riesiger Halbmond ziert.

Karl Marx unter dem Halbmond ist sicher ein eigenartiger Anblick; er selbst hätte sich zu seinen Lebzeiten das kaum träumen lassen. Aber so fastnachtsmäßig das Ganze auch aussieht, es versinnbildlicht doch ein Problem von weltpolitischer Bedeutung: die Verbindung von Islam und Bolschewismus.

Es gibt Gegner der Sowjets, die jeden Zusammenhang der mohammedanischen Religion mit bolschewistischen Ideen als einen Widerspruch in sich selbst bezeichnen. Ob aber die bolschewistische Herrschaft über mohammedanische Völker wirklich so rasch abbröckeln wird wie der Gipsbewurf des Marxdenkmals auf dem Parapet, ist noch sehr die Frage.

Ein zutreffendes Urteil über die Dauerhaftigkeit der kommunistisch-mohammedanischen Ehe kann heute auch ein genauer Orientkenner wohl noch nicht fällen. Dazu dauert das ganze Experiment viel zu kurz; auch aus dem wechselvollen Schicksal von Aserbeidschan lassen sich Schlüsse nicht ziehen. Die mohammedanischen Tataren haben sich gegen die bolschewistische Invasion viel weniger gewehrt als die christlichen Georgier. Andererseits fanden die Bolschewiki in der internationalen Arbeiterschaft der Bakuer Naphthagruben natürlich eine starke Stütze.

Baku hat wechselvolle Schicksale hinter sich. Das bolschewistische Regime machte sich nach der Oktoberrevolution zunächst wenig fühlbar, dagegen kam es im Herbst 1918 zu Kämpfen zwischen Armeniern und Tataren, wobei den letzteren ziemlich übel mitgespielt und das schönste mohammedanische Gebäude, das Ismailie, niedergebrannt wurde.

Kurz darauf rückten die Türken vor die Stadt und erstürmten sie nach schweren Kämpfen am 15. September. Sie nahmen blutige Rache an den Armeniern, konnten sich aber trotz der Unterstützung durch die Tataren nur bis Ende Oktober halten. An ihre Stelle traten Engländer, die von Nordpersien aus Aserbeidschan besetzten. Die englische Herrschaft dauerte bis zum März 1919. Bei ihrem Abzug legten die Engländer die politische Gewalt in die Hände des Musawat, einer nationalistischen Tatarenregierung menschewistischer Tendenz.

Der Musawat regierte etwas über ein Jahr. Er räumte mit allem Russischen auf und brachte das tatarische Element überall an die Spitze. Am 28. April 1920 kapitulierte er jedoch vor zwei bolschewistischen Panzerzügen, die unerwartet in die Stadt einfuhren.

Seitdem hält die bolschewistische Herrschaft an, ohne daß sich Widerstand von seiten der Bevölkerung dagegen geltend gemacht hätte. Allerdings haben die Bolschewiki von Anfang an eine sehr kluge Politik befolgt: sie haben überall das eingeborene tatarische Element in den Vordergrund gestellt. Herr Kaderli, das stellvertretende Regierungsoberhaupt, der mich in einem ehemaligen Mädchengymnasium empfängt, dem jetzigen Sitz der Sowjets, ist ebenso Tatare wie der zur Zeit meines Besuchs in Genua weilende aserbeidschanische Präsident und alle andern hohen Beamten. Staatssprache ist in erster Linie die turko-tatarische. Aserbeidschan macht ganz den Eindruck eines autonomen Staates. Es hat sein eigenes Heer, sein eigenes Geld, seinen eigenen Vertreter im Ausland.

Für den Außenstehenden ist es jedoch sehr schwierig zu beurteilen, ob es sich dabei um nationalistische Bestrebungen handelt, die auf eine Lockerung des Verhältnisses zu Rußland abzielen, oder ob im Gegenteil diese ganze Autonomie von Moskau gefördert wird. Von hier lebenden Ausländern wird die ungeklärte staatsrechtliche Stellung Aserbeidschans sehr unbequem empfunden. Klagen über irgendwelche Regierungsmaßnahmen werden unter Hinweis auf das allein maßgebende Moskau abgewiesen; beruft man sich aber auf Moskau, so wird mitunter erklärt, Moskauer Dekrete hätten in Aserbeidschan keine Gültigkeit.

Die Sowjets hatten Aserbeidschan besetzen müssen, da sie die Naphthagruben von Baku nicht entbehren können. Ursprünglich ging auch die gesamte Ausbeute nach Rußland. Heute wird die Produktion zwischen der R. S. F. S. R. und Aserbeidschan geteilt.

Von der ökonomischen Seite ganz abgesehen ist Aserbeidschan für Moskau wichtig als Brücke nach Persien und Vorderasien. Da es sich nur um einen kleinen Staat von 2½ Millionen Einwohnern handelt, kann Moskau ihm äußerlich gern alle Freiheiten lassen, denn nötigenfalls genügt schon ein leichter wirtschaftlicher Druck, um seine Politik auf die Interessen der Zentrale einzustellen.

Andererseits bietet diese Autonomie Moskau manche Vorteile. In Persien insbesondere scheint man gegen bolschewistische Strömungen sehr empfindlich zu sein. Beispielsweise muß wegen jeder einzelnen Einreisebewilligung nach Persien vom persischen Konsulat vorher in Teheran angefragt werden. Unter diesen Umständen würde ein einheitliches bolschewistisches Rußland als unmittelbarer Nachbar wahrscheinlich als sehr unangenehm empfunden werden und zur strengsten Absperrung führen. Ein mohammedanisches Aserbeidschan, in dem der Kommunismus nicht so stark in Erscheinung tritt, gilt dagegen nicht als in gleichem Maße gefährlich. Auf diese Weise kommen die kommerziellen und politischen Beziehungen zwischen Sowjetrußland und dem nichtbolschewistischen Orient rascher und ungestörter wieder in Fluß.

Das Denkmal Karl Marx' auf dem Parapet von Baku blickt über das Kaspische Meer nach den heiligen Stätten des Islam, und es besteht wohl immer noch unverändert der Plan, das rote Banner dorthin zu tragen.


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